Hilfe zur Selbsthilfe bei genossenschaftlichen Teamgründungen


Kontakt:

Dr. Winfried Haas, innova eG, Konstantinstraße 12, 04315 Leipzig, Tel.: 0341-6810985, Email: winfried.haas@innova-eg.de

, Internet: http://www.innova-eg.de/.


Die innova eG, eine Entwicklungspartnerschaft für Selbsthilfegenossenschaften, führte vom 01.08.2002 – 30.06.2005 ein vom Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds gefördertes EQUAL-Projekt durch. Zu den wesentlichen Zielen gehören die Beseitigung von Diskriminierung am Arbeitsmarkt sowie die Verminderung von Arbeitslosigkeit und Ausgrenzung. Auch die Bank für Sozialwirtschaft hat sich als strategischer Partner der innova in diesem Projekt engagiert. Im Mittelpunkt standen die Initiierung und Begleitung von Genossenschaften mit Hilfe von Qualifizierungsmaßnahmen. Diese Arbeit wird fortgesetzt. innova wird auch in Zukunft Impulse für die Entwicklung der Sozialwirtschaft in Deutschland geben, indem die Beteiligten die Rechtsform der Genossenschaft für die Verknüpfung von sozialen und wirtschaftlichen Aufgaben aktivieren.
Selbsthilfe des Einzelnen führt schnell zu Überforderungen. Im Vergleich dazu bietet Selbsthilfe mit mehreren Betroffenen, die sich vernetzen und wechselseitig unterstützen, besondere Chancen. Gruppenselbsthilfe bedeutet symbolisch gesprochen, dass viele Hände gemeinsam ihre Arbeit miteinander verbinden und damit ihre Kräfte bündeln. Selbstverständlich ist die Gruppenselbsthilfe kein Allheilmittel. Oft lässt erst die Hilfe zur Gruppenselbsthilfe aus diesem Mythos konkrete Organisationen werden mit Menschen, die von Erfolgen und Misserfolgen ihrer gemeinsamen Anstrengungen geprägt sind.
Was aber sind überhaupt Selbsthilfegenossenschaften? Wesentliches Merkmal von Selbsthilfe ist, die eigenen Ressourcen in Form von Arbeitskraft, Kapital, Land und Fähigkeiten zu nutzen. Sie ist eine Reaktion auf objektive Notlagen oder auf subjektiv als unbefriedigend empfundene Situationen. Als Selbsthilfegenossenschaft gilt der Zusammenschluss einer Gruppe von Menschen, die Ausgrenzung und Benachteiligung erfahren oder unterhalb der Armutsgrenze leben, und die sich über wirtschaftliche Aktivitäten in einer Organisation selbst helfen. Sie ist nach den genossenschaftlichen Prinzipien, dem Förder-, Identitäts-, Demokratie- und Solidaritätsprinzip, strukturiert.
Mit Qualifizierungen zur Selbsthilfe wurden und werden über die innova TeilnehmerInnen in den Stand versetzt, ihre Geschäftsidee in Form einer Genossenschaft markt- und kundenorientiert umzusetzen. Dabei zeigt sich, dass Genossenschaften mit der genannten Zielgruppe nur durch eine ausreichende Nachbetreuung nach der Gründung und durch wiederholte Feedbackrunden längerfristig zu stabilisieren sind. Nicht alle Projektansätze erweisen sich als ausreichend stabil. Interne Konflikte, mangelndes Stehvermögen der Initiatoren, fehlende tragfähige Geschäftsideen, unzureichende Unterstützung vor Ort sind nur einige der bisher nicht systematisch ausgewerteten Gründe des Scheiterns.

Zahlreiche Gründungen

Trotz der Schwierigkeiten mancher am Arbeitsmarkt Benachteiligter mit einer Genossenschaftsgründung kann innova auf eine beachtliche Zahl von 18 durchgeführten Qualifizierungen verweisen. Aus diesen Qualifizierungen heraus wurden bisher fünfzehn Genossenschaften gegründet, beispielsweise

  1. nach einem achtmonatigen Lehrgang für Arbeitslose finanziert durch das Arbeitsamt in 2003 die Gründung der Haus- und Bauservice eG (HBS) Leipzig.
  2. nach Qualifizierung ehemalig Beschäftigter aus dem Umfeld der Diakonie, dem Sprungbrett Riesa e.V., durch Überführung der wirtschaftlich tragfähigen Teilbereiche von einem Verein in die gegründete Genossenschaft Cena et Flora eG.
  3. nach der Beratung und Unterstützung einer Initiative Arbeitsloser in Witten die Gründung der Gründergenossenschaft Witten eG
  4. nach einer Beratung die Gründung eines Dienstleistungsbetriebs auf genossenschaftlicher Basis mit Namen helpKontor eG als Serviceagentur für Senioren in Freudenstadt.
  5. nach einer Unterstützung in der Projektentwicklung und einer begleitenden Fortbildung einer Gruppe Arbeitsloser in Chemnitz die Stadtteilgenossenschaft Sonnenberg eG.

Unterscheiden lassen sich drei "Typen" von Selbsthilfegenossenschaften, die seitens der innova betreut wurden: Beschäftigtengenossenschaften, Selbständigengenossenschaften und Multistakeholdergenossenschaften. Bei den Beschäftigtengenossenschaften geht es darum, dass sich Arbeitslose selbst in der Genossenschaft wieder in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung bringen. Sie werden in ihrer eigenen Genossenschaft angestellt. Dagegen bleiben die ehemals Arbeitslosen, beispielsweise bei der Gründergenossenschaft Witten UnternehmerInnen. Sie sind Selbständige, teilweise als Ich-AG gegründet, und wollen dies auch bleiben. Über die Genossenschaft organisieren sie nur einen Teil ihrer Arbeit wie Verwaltung, Rechnungswesen, gemeinsame Akquisition etc. Sie bauen so ein gemeinsames sich wechselseitig stützendes Umfeld auf, das der Vereinzelung der GründerInnen entgegenwirkt.
Im Unterschied dazu sind bei den Multistakeholdergenossenschaften viele sehr unterschiedliche Rollen und Funktionen unter einem Dach zusammengeschlossen, beispielsweise bei einer Stadtteilgenossenschaft. Kunden, Förderer, Beschäftigte, Unternehmer, Kommunalvertreter etc. versuchen gemeinsam den Stadtteil, in dem sie leben, wirtschaftlich und sozial attraktiver zu gestalten. Dies erhöht aufgrund der verschiedenen Interessen die Wahrscheinlichkeit von Konflikten, bietet aber durch das Zusammenführen sehr unterschiedlicher Fähigkeiten und Kompetenzen auch die Chance, etwas zu bewegen, wo ansonsten oft schon seit Jahren Stillstand oder gar Niedergang das Bild prägte.

Symbolik der Genossenschaft

Das Besondere der Arbeit der innova ist, eine Organisationsform für die Ökonomisierung anzubieten, bei der soziale Aspekte wie Partizipation, Empowerment und Selbstverantwortung nicht vernachlässigt werden, sondern deren zentraler Bestandteil sind. Auf diese Weise wird vermieden, dass Betroffene entmündigt und zu rein passiv Betreuten werden. Die Genossenschaft ermöglicht ihre Selbstverantwortung und Selbstachtung bzw. gibt sie ihnen in einigen Fällen sogar zurück. Letztlich ist die Genossenschaft dabei auch eine Art Metapher, da sie für gemeinsames Engagement, gemeinsame Rechte und Pflichten und vor allem für solidarisches Handeln in einer teilweise eher ausweglosen Situation steht.

Mitglieder der innova

  • Bank für Sozialwirtschaft AG, Köln
  • Bundesverein zur Förderung des Genossenschaftsgedankens e.V., Berlin
  • GdW Bundesverband deutscher Wohnungsunternehmen e.V., Berlin
  • Prüfungsverband der kleinen und mittelständischen Genossenschaften e.V., Berlin
  • Netz für Selbstverwaltung und Selbstorganisation e.V., Dortmund
  • Netz NRW Verbund für Ökologie und soziales Wirtschaften e.V., Oberhausen
  • Sächsischer Verein zur Förderung des Genossenschaftsgedankens e.V., Leipzig
  • Zentralverband deutscher Konsumgenossenschaften e.V., Hamburg

Um die Chancen für Genossenschaftsgründungen zu verbessern, wurden von der Entwicklungspartnerschaft zahlreiche "Produkte" entwickelt. Sie sind ein Kernbereich der Leistungen von innova, da sie wichtige Unterstützungsmaterialien für zukünftige Gründungsvorhaben beinhalten. D.h. auf sie sollen Projektentwickler zurückgreifen können, die Selbsthilfegenossenschaften initiieren und die dafür erforderlichen Qualifizierungsmaßnahmen durchführen. Das daraus resultierende Produktbündel setzt sich aus drei Schwerpunkten zusammen:

  • Unterlagen, mit deren Hilfe Interesse geweckt und Überzeugungen zugunsten von Genossenschaftsgründungen gestärkt werden,
  • Materialien in Form von Artikeln und vor allem von Powerpointpräsentationen, mit deren Hilfe Qualifizierungen zum Thema Selbsthilfegenossenschaften durchgeführt werden können und
  • Instrumente, mit deren Hilfe sich die eigentliche Gründung von Selbsthilfegenossenschaften leichter umsetzen lässt.

Die Gesamtheit der Produkte an dieser Stelle im Detail aufzulisten, ist nicht möglich. Insofern sei nur auf einige beispielhaft verwiesen. So gibt es Powerpointpräsentationen zu Themen wie:

  • Genossenschaftsgründung – Probleme und Chancen;
  • Verfahren zur Vertiefung und Fundierung von Geschäftsideen;
  • Finanzierungsmöglichkeiten von Selbsthilfegenossenschaften mit den Teilthemen Grundsätzliches, Anteilszeichnung, Vermögensbildungsgesetz, Genussrechte.

Bei innova kann eine Reihe von Instrumenten abgefragt werden, mit deren Hilfe sich die eigentliche Gründung von Selbsthilfegenossenschaften leichter durchführen lässt, beispielsweise:

  • Phasenmodell der Genossenschaftsentwicklung als Arbeitsmaterialien;
  • Workshops zur Genossenschaftsgründung (Seminarangebote);
  • kurze Mustersatzung sowie Geschäftsordnung und Schiedsvertrag;
  • Hilfen für die Aufstellung des quantitativen Wirtschaftsplans (Excel-Vorlagen).

Multiplikatorenfortbildung für genossenschaftliche Projektentwicklung

Die innova eG bietet, gefördert im Rahmen von EQUAL, eine Weiterbildung an, in der Mitglieder aus Wohlfahrtsverbänden, Arbeitsagenturen, Kommunen oder FreiberuflerInnen, in die Lage versetzt werden, Genossenschaftsgründungen als ProjektentwicklerInnen erfolgreich zu begleiten. Genauere Informationen unter dem Stichwort QuaGeno bei: innova eG, Konstantinstr. 12, 04315 Leipzig, Telefon 0341/6810985, Email: info@innova-eg.de

, Internet: www.innova-eg.de. Würde es gelingen, 20 TeilnehmerInnen aus dem Umfeld Stadtteilarbeit zu bekommen, wäre es sogar möglich, eine entsprechende Qualifizierung nur für Stadtteilgenossenschaftsgründungen auszurichten.


Das Beispiel Stadtteilgenossenschaft Sonnenberg eG

Wie sieht aber nun eine solche Selbsthilfegenossenschaft im Einzelnen aus? Verdeutlichen lässt sich dies am Beispiel der Stadtteilgenossenschaft Sonnenberg in Chemnitz. Hier haben es langzeitarbeitslose Menschen gemeinsam erreicht, für sich selbst Arbeitsplätze in einer Stadtteilgenossenschaft zu schaffen und ein Netzwerk für die Verbesserung der Lebensqualität im Quartier zu knüpfen.

Schönheit und Verfall

Als ein Projektentwickler der innova eG gemeinsam mit Stadtplanern im Frühjahr 2004 dieses innerstädtische Viertel besichtigte, fielen sanierte Wohnhäuser aus der Gründerzeit, viele kleine Läden und Handwerksbetriebe sowie schön gestaltete Grünanlagen an zentralen Plätzen angenehm auf. In das Auge fielen aber auch leer stehende Wohnungen und Ladenlokale, verfallene Häuser und vermüllte Baulücken. Dieser Zustand bereitete den Verantwortlichen im Stadtteil Sonnenberg große Sorgen. Sie wollten diesen wichtigen innerstädtischen Wohnungsstandort langfristig erhalten, stabilisieren und aufwerten. Dazu wurde ein Aktivitätenmix aus Sanierung, Abriss und Wohnumfeldgestaltung beschlossen. Begleitendes Herzstück der Umgestaltung: Beschäftigungswirksame und sozial stabilisierende Projekte. Um dieses Ziel zu erreichen, war ein kompetentes Stadtteilmanagement und –marketing nötig, das einem wirtschaftlich tragfähigen Dienstleistungsangebot auf die Beine hilft.

Der Reiz von Netzwerken

Anknüpfend an bestehenden Initiativen der Chemnitzer Agenda 21 sollte mit Unterstützung der innova eG eine Stadtteilgenossenschaft diesen Part übernehmen  und dabei Fördermöglichkeiten der EU-Gemeinschaftsinitiative EQUAL nutzen. Im Herbst 2004 startete eine Stadtteilinitiative für die Gründung einer Stadtteilgenossenschaft. Das Besondere daran: Das engmaschige Netzwerk von ganz unterschiedlichen Menschen des Stadtteils aus der Stadtverwaltung und dem kommunalen Wohnungsunternehmen, der Wohnungsgenossenschaft und den Parteien, den Vereinen und Kirchen, von Einzelhändlern und Handwerkern, Einheimischen und Bürgern mit Migrationshintergrund. Auch wenn es nicht immer einfach war: Die innova-Projektentwicklung setzte alles daran, die unterschiedlichen Interessen aller Beteiligten in eine gemeinsame Richtung zu lenken, immer wieder zum Weitermachen zu motivieren und weitere wichtige Partner wie die Agentur für Arbeit zu gewinnen. Gerade das Bündeln der sehr unterschiedlichen Fähigkeiten brachte viel Positives für den Stadtteil und die Menschen. So wurden zwölf zuvor arbeitslose Frauen und Männer in den Gründungsprozess eingebunden. In der von den Europäischen Sozialfonds (ESF) geförderten Fortbildung "Fit für die Genossenschaft" haben sie das notwendige Know-how erworben und wurden ihrerseits beim Finden vom Geschäftsideen sowie der Erstellung des Unternehmenskonzeptes unterstützt.

Gründung und Geschäftsbetrieb

Juni 2005: 26 (auch juristische) Personen unterzeichnen die Gründungsurkunde. Anfang 2006 startete die Stadtteilgenossenschaft schließlich den Geschäftsbetrieb. Bis zum Sommer 2006 hat das Gemeinschafts-Unternehmen sechs Arbeitsplätze geschaffen. Die Sächsische Wohnungsgenossenschaft Chemnitz eG ist als eine der Initiatoren des Vorhabens die größte Auftraggeberin: Bei Hausmeisterdiensten, wohnbegleitenden Arbeiten und Entkernungsarbeiten in Abrissgebäuden greift sie oft auf die Sonnenberger Stadtteilgenossenschaft zu. Darüber hinaus bilden ein Bürger-Service-Zentrum sowie die Gestaltung und Pflege von Freiflächen und Brachen weitere Geschäftsfelder.

Die Genossenschaft wird immer reger und wirtschaftlich stabiler. Die Sonnenberger führten z.B. mit der REVES-Geschäftsstelle in Brüssel und anderen EU-Ländern ein Fachforum zur Rolle der Stadtteilgenossenschaften bei der Stabilisierung städtischer Quartiere durch. Nun entsteht ein Netzwerk mit den Partnerschaftsstädten Lodz, Manchester, Tampere und St. Petersburg. Die ersten beiden Ausgaben der Stadtteilzeitung "Sonnenberger" sind erschienen – in 3 Sprachen. Stadtverwaltung und die in der Sonnenberg-Runde zusammengeschlossenen sozialen Träger haben sich dafür ausgesprochen, das die Genossenschaft Träger des Quartiermanagements wird, wenn im kommenden Jahr der Stadtteil in das Bund-Länder-Förderprogramm Soziale Stadt aufgenommen wird. Auch durch das erarbeitete Vertrauen der Politik, von Verwaltung und Medien wächst die Mitgliederzahl stetig.

Buchtipp Sozialgenossenschaften – ein lesenswerter Überblick

Dargestellt in der aktuellen Veröffentlichung wird ein breites Spektrum vorhandener Sozialgenossenschaften. Das Buch ermöglicht einen sehr guten Überblick über bestehende Beispiele, zeigt beschäftigungspolitische Alternativen auf, gibt Anregungen für genossenschaftliche Initiativen und stößt politische Unterstützungen für genossenschaftliche Lösungen an. Bundesverein zur Förderung des Genossenschaftsgedankens e.V. / Paritätische Bundesakademie (Hg): Sozialgenossenschaften – Wege zu mehr Beschäftigung bürgerschaftlichem Engagement und Arbeitsformen der Zukunft, Neu-Ulm (AG SPAK-Verlag) 2003, EURO 19.00 ISBN 3-930830-35-2, 308 S.