Gemeinwesenarbeit: eine Kern-Kompetenz im Quartiersmanagement

Dieser Artikel ist eine Neuveröffentlichung einer gleichnamigen Broschüre der 

 Landesarbeitgemeinschaft (LAG) Soziale Brennpunkte Nds. e.V., 
Stiftstr.15, 30159 Hannover, 
Tel. 0511/ 701 07 09, Fax: 0511/161 25 03
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Vorwort 

Handlungsleitend für die Arbeit der Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) Soziale Brennpunkte Nds. e.V. ist, sich in Niedersachsen dafür einzusetzen, dass BewohnerInnen sozial benachteiligter Wohngebiete gleichberechtigt an der Entwicklung ihres Gemeinwesens teilhaben können. Die LAG berät seit dem Start des Bund-Länder-Programms "Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf - die soziale Stadt" im Jahr 1999 Bewohnerinitiativen, Kommunen und andere Akteure bei der Entwicklung und Umsetzung von Konzepten der Bewohnerbeteiligung als Kernbereich des integrierten Handlungsansatzes.
Nach der Veröffentlichung der "Soziale Stadt - Prüfsteine für die erfolgreiche Durchführung" (April 2002) veröffentlichen wir nun als zweite Handreichung zum Thema "Soziale Stadt" eine Diskussionsgrundlage zur "Gemeinwesenarbeit: eine Kern-Kompetenz im Quartiersmanagement".
Gemeinwesenarbeit, stadtteilbezogene soziale Arbeit, gemeinwesenorientierte und sozialraumbezogene Arbeit, Quartiersmanagement, kooperatives Stadtteilmanagement - das Spektrum der Begriffe ist ebenso breit und vielfältig wie die Akteure, die in diesen Bereichen tätig sind. Besonders im Zusammenhang mit dem Programm "Soziale Stadt" ist häufig von Quartiersmanagement die Rede, ohne dass dies näher präzisiert wird und deutlich wird von welcher fachlichen Grundlage ausgegangen wird.
Es ist Anliegen der LAG, die Diskussion um Quartiersmanagement auf die Stadtteilebene herunterzubrechen, das Profil der Konzepte Gemeinwesenarbeit und Quartiersmanagement zu schärfen und für die Anwendung vor Ort nutzbar zu machen. Dies haben wir zum Anlass genommen den Diskussionsstand in unseren Arbeitskreisen und Gremien zusammenzufassen.
Wir hoffen mit dem Beitrag eine weitere Grundlage zu bieten, um so die Akteure vor Ort beim Aufbau stadtteilspezifischer Organisationsstrukturen zu unterstützen.
Monika Berger, Heribert Simon (Landesarbeitsgemeinschaft Soziale Brennpunkte Nds. e.V.)


Gemeinwesenarbeit: eine Kern-Kompetenz im Quartiersmanagement

Gegenwärtig wird es "zum zentralen Anliegen der Stadtteilentwicklung, das eigenständige Stadtteilleben wieder aufzubauen, den sozialen Verbund wieder herzustellen, alle vorhandenen örtlichen Potenziale zu stärken und die Bewohner zu motivieren, in Initiativen und Vereinen mitzuwirken und sich dauerhaft selbst zu organisieren. So soll erreicht werden, dass die Stadtteile schrittweise wieder als selbständige Gemeinwesen funktionieren" (ARGEBAU 2000: 5).
Dieses Zitat stammt aus dem Jahr 2000, aus dem offiziellen "Leitfaden zur Ausgestaltung der Gemeinschaftsinitiative Soziale Stadt'" und beschreibt dort Maßnahmen, für die Quartiersmanagement zuständig sein soll. Dieses Zitat könnte aber auch vor 30 Jahren geschrieben sein, als mit solcher Aufgabenstellung in der Bundesrepublik Deutschland Gemeinwesenarbeit konzipiert wurde. So wie das Licht mancher Sterne lange braucht, bis es bei uns ankommt, so hat es etwa 30 Jahre gedauert, bis dieser wichtige Arbeitsansatz der Gemeinwesenarbeit in offizielle Stadtentwicklungskonzepte von Bund, Ländern und Kommunen eingegangen ist.
Übernimmt nun Quartiersmanagement die Aufgaben, für die früher Gemeinwesenarbeit eingesetzt worden ist? Ist Quartiersmanagement eine Weiterentwicklung von Gemeinwesenarbeit, wie sie einer veränderten Situation besser entspricht? Ist Gemeinwesenarbeit gar ein "Auslaufmodell", wie C. W. Müller provozierend gefragt hat (Müller 2000: 39)? Oder ist Quartiersmanagement nur ein neuer Name für ein Arbeitsprinzip, das in der Gemeinwesenarbeit schon lange praktiziert wurde?
Es gibt in den Kommunen nicht viele PolitikerInnen, die sich für die Aufwertung heruntergewirtschafteter Stadtteile engagieren. Aber denjenigen, die sich für solche Themen interessieren, ist bewusst, dass hier ein sozialer Prozess unter effektiver Beteiligung der Bewohnerschaft stattfinden muss. Diese Politiker fragen nun: "Brauchen wir für solche Stadtteile Gemeinwesenarbeit oder Quartiersmanagement?" "Worin liegt überhaupt der Unterschied zwischen Gemeinwesenarbeit und Quartiersmanagement?" Und: "Wo werden QuartiersmanagerInnen ausgebildet? Welche Qualifikationen bringen sie mit?"
Auf Tagungen und fachlichen Zusammenkünften wird erkennbar, dass diese Situation die meisten GemeinwesenarbeiterInnen stark verunsichert hat. "Werden wir überhaupt noch gebraucht?" "Welche Perspektive hat Gemeinwesenarbeit?" "Sollen wir auf den anfahrenden Zug aufspringen und uns auf die ausgeschriebenen Stellen für Quartiersmanagement bewerben?"
Dabei könnten GemeinwesenarbeiterInnen in den Programmen für eine "Soziale Stadt" eine Bestätigung ihrer bisher geleisteten Arbeit und ihrer Erfahrungen sehen. Mehr noch: Die Aufgabe, eine "Soziale Stadt" zu entwickeln, wie sie nicht nur in den sog. "Programmgebieten" verhandelt wird, ist eine große Chance für die spezifische, fachliche Kompetenz der Gemeinwesenarbeit. Es besteht geradezu die Notwendigkeit, dass in Stadtentwicklung die Professionalität der Gemeinwesenarbeit eingebracht wird!
Darüber besteht freilich derzeit kein Konsens. Wenn diskutiert wird, welche Fachlichkeit erforderlich ist, um den Prozess hin zu einer "Sozialen Stadt" voranzubringen, dann ist in Gesprächen und auch in der Fachliteratur zu hören: "Hier geht es um etwas anderes als Sozialarbeit" oder "hier geht es nicht mehr um Sozialarbeit" (vgl. Alisch 1998: 12 und Staroste 2001). SozialarbeiterInnen sind es zwar gewohnt, dass über ihre professionelle Kompetenz abfällig geurteilt wird. Aber eine solche Bemerkung trifft schon den Kern ihres beruflichen Selbstverständnisses. Mit dem heute gebräuchlichen Begriff "Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf" wird die herkömmliche Bezeichnung "Armutsquartiere" vermieden, die inhaltlich viel deutlicher ist. Materielle Armut in ihrer unterschiedlichen Gestalt, ihre Auswirkungen und Entstehungsursachen ist nach wie vor das wichtigste Thema der sozialen Arbeit und so auch der Gemeinwesenarbeit, die nahezu ausschließlich in ausgewiesenen Armutsquartieren eingesetzt war und ist. 
KollegInnen der Gemeinwesenarbeit, die sich noch nicht die Haltung angeeignet haben, einfach wegzuhören, wenn ihre berufliche Qualifikation und Zuständigkeit angezweifelt wird, müssen es als Provokation empfinden, wenn es heißt, in den Wohnquartieren, in denen mit hohem Anteil arme Menschen leben, gehe es "nicht mehr um Sozialarbeit". Mit solchen spitzen Bemerkungen wird unterstellt, sie könnte wenig oder nichts beitragen, um die Strukturen benachteiligter Viertel zu verändern, sie seien nicht kompetent, die Bewohnerschaft zu aktivieren und am Veränderungsprozess zu beteiligen.
Wie konnte es zu solchen Einschätzungen kommen, mit der Quartiersmanagement sich dadurch zu profilieren versucht, dass es sich von Gemeinwesenarbeit abgrenzt? Selbstkritisch müssen diejenigen einräumen, die sich in Praxis und Theorie mit Gemeinwesenarbeit beschäftigt haben, dass es nicht gelungen ist, ein deutliches Profil zu etablieren. Das zeigt bereits die Terminologie. Weil der Begriff Gemeinwesenarbeit unscharf geworden ist, wird eine neue Bezeichnung gewählt: "Soziale Stadtteilarbeit" oder "lebensweltbezogene Arbeit" oder "sozialräumliche Arbeit" oder einfach nur "Stadtteilkoordination". Die Praxis ist vielfältig und widersprüchlich, die Theorie eher idealistisch oder an abstrakten Prinzipien orientiert, als dass sie die tatsächlichen Merkmale einer Profession herausarbeitet. 
Hier kann es nicht darum gehen, einen weiteren theoretischen Entwurf der Gemeinwesenarbeit samt ihrer Ableger darzustellen. Vielmehr soll an dieser Stelle, die Diskussion zum Thema "Gemeinwesenarbeit und/oder Quartiersmanagement" aufgezeigt werden. Dazu sollen die spezifischen Stärken der Gemeinwesenarbeit, ihre fachliche Kompetenz dargestellt werden, um dann zu überlegen, wie diese Professionalität in Quartiersmanagement eingebracht werden kann. Denn auch die Diskussion, welche Kompetenzen das Quartiersmanagement mitbringen muss, ist noch keineswegs abgeschlossen.


Die Anfänge der Gemeinwesenarbeit in Deutschland

Angefangen hat Gemeinwesenarbeit Ende der 60er und in den 70er Jahren. Damals ging in der Bundesrepublik Deutschland der Aufschwung des sog. "Wirtschaftswunders" zu Ende und es kam zu einer Wirtschaftskrise, die zu einer Häufung sozialer Probleme in den sog. "Brennpunkten" führte, also den Obdachquartieren, den Sanierungsgebieten und den Trabantensiedlungen an den Rändern der Großstädte. Es war offensichtlich, dass soziale Arbeit dort mit den Instrumentarien der Einzelfallhilfe und Gruppenpädagogik überfordert war, weil die Problematik weniger bei den einzelnen Personen zu diagnostizieren war, sondern bei den Bedingungen, unter denen diese Menschen leben müssen. Die elende Wohnsituation in den Obdächern, die Anonymität und Vereinzelung der Menschen, die aus den Nachbarschaften von Arbeitervierteln in Hochhaussiedlungen am Stadtrand umgesiedelt waren und hier durch hohe Mieten und schlechte Einkaufsmöglichkeiten finanziell stark eingeschränkt waren, die unsichere Perspektive der BewohnerInnen von Sanierungsgebieten, - das waren keine individuellen Probleme, wie sie Sozialarbeit bislang behandelt hatte.
In dieser Situation wurde in der Bundesrepublik ein Arbeitsansatz aufgegriffen, der als community organisation, community work bzw. maatschapljik werk aus USA bzw. den Niederlanden kam. In einer Zusammenfassung, die freilich der Vielfalt der unterschiedlichen Ansätze in den USA und den Niederlanden nicht gerecht wurde, entstand aus der Übersetzung von community work die Bezeichnung "Gemeinwesenarbeit", in Deutschland anders als in den Herkunftsländern als eine "Methode", wie man ursprünglich sagte. 
Es wurde zum Leitziel der Gemeinwesenarbeit, aus benachteiligten Wohngebieten lebendige communities, also Gemeinwesen zu entwickeln. Ein lebendiges Gemeinwesen erwächst aus zwei Komponenten: Einerseits einer aktiven Beteiligung der BewohnerInnen an den Belangen ihres Quartiers und andererseits einer infrastrukturellen, materiellen Ausstattung des Gebietes, die zu einer positiven Bewertung des Lebens in dieser Umgebung führt. Beide Komponenten gehören zusammen, denn die BewohnerInnen werden durch die materiellen, ökologischen, kulturellen und sozialen Rahmenbedingungen ihrer Umwelt geprägt, und zwar mit positiven wie negativen Auswirkungen. Die Wohnumgebung kann anregen, Kommunikation und ein Grundgefühl sozialen Einvernehmens fördern, sie kann aber auch bedrohliche Gefährdungen und Belastungen enthalten. Aber die dort lebenden Menschen sind nicht nur "Opfer" ihrer gesellschaftlichen Lebensbedingungen, sondern sie können im Nahbereich ihrer Wohnumgebung aktiv gestaltend Einfluss nehmen. Negative wie positive Entwicklungen eines Wohngebietes werden von den BewohnerInnen verstärkt, sie sind es, die durch ihr Verhalten das öffentliche Bild eines Wohnquartiers wesentlich mitbestimmen.
Das Leitziel der Gemeinwesenarbeit verbindet beide Komponenten: Die Aktivierung und Unterstützung der Menschen und die Förderung der materiellen, infrastrukturellen Ausstattung des Gebietes. Gemeinwesenarbeit wurde von Anfang an als Sozialarbeit in Armutsquartieren praktiziert. Im Rückblick muss man festhalten, dass es sich dabei um einen fortschrittlichen Ansatz gehandelt hat, von dem heute wichtige Elemente in die Sozialarbeit generell übernommen worden sind (vgl. Müller, 2000: 39). Zu nennen ist die sog. Lebensweltorientierung und die Bedeutung des sozialen Raumes: In der sozialen Arbeit hat sich die Einsicht weithin durchgesetzt, das Verhalten des Klientels und seine Lebenschancen, aber auch seine Risiken im Zusammenhang seiner Lebenswelt zu verstehen. Zu nennen ist ferner die sog. Ressourcenorientierung: Bei der Planung von Hilfen ist zu überlegen, welche erforderlichen Unterstützungssysteme nah erreichbar sind bzw. niedrigschwellig eingerichtet werden müssen. Zu nennen ist weiterhin ein Ansatz, der als Empowerment bezeichnet wird: Es kommt darauf an, dass Menschen ihre erlernte Hilflosigkeit überwinden, Zutrauen zu ihren eigenen Lebenskräften gewinnen und Eigenverantwortung für ihr Leben und die Gestaltung ihrer sozialen Umwelt wahrnehmen. Die auf solchen theoretischen Konzepten basierende Arbeit ist in der GWA eher und gründlicher als in der übrigen sozialen Arbeit praktiziert worden. Inzwischen gelten diese Konzepte als allgemeiner Standard.
Die Hauptaufgabe der Gemeinwesenarbeit war von Anfang an bis heute die "Aktivierung", darin unterschied sie sich grundlegend von einer betreuenden, fürsorgerischen Sozialarbeit. Wie Menschen in Bewegung gebracht werden können, sich selber und gemeinsam mit anderen für ihr Wohnquartier einzusetzen und somit Resignation und Vereinzelung zu überwinden, dazu wurden verschiedene Verfahren entwickelt, von denen die "aktivierende Befragung" am bekanntesten geworden ist (vgl. Hauser schon 1971!). Daneben gab und gibt es verschiedene Formen, visuelle Medien, eigene Zeitungen, Flugschriften, Theater, Happenings einzusetzen. Davon wird noch zu reden sein.
"Power to the poor people" lautete die Parole, die damals aus den USA kam. Die Armen, die Machtlosen, die sich nicht wehren können und die in sozialer Lethargie erstarrt sind, sollen ermutigt werden, sich selber für ihre Interessen einzusetzen. Sie können entdecken, dass sie gemeinsam erhebliche Power entwickeln und durchaus ihre Lebensbedingungen gründlich verbessern können. Sie können mit phantasievollen, vor allem solidarischen Aktionen ihre Gegner, z.B. Spekulanten, die sich noch an ihrer Armut bereichern, die Banken und Geschäftsleute, zum Nachgeben zwingen. Auch dieser politische Aspekt des community work wurde in Deutschland in mehreren Projekten aufgegriffen und führte zu den beiden Prinzipien der Gemeinwesenarbeit, die in Deutschland neben der Aktivierung als Kennzeichen am meisten bekannt wurden: "Parteilichkeit" und "Konfliktorientierung". Im Deutschland der 70er Jahre verband sich damit ein spezifisches Politikverständnis: Grundlegend für die gesellschaftliche Situation ist der Gegensatz zwischen denjenigen, die über gesellschaftliche Ressourcen verfügen, also Fabriken, Wohnungen, Handelshäuser u.a. und denjenigen, die davon abhängig sind, also die ArbeiterInnen, die MieterInnen, die KäuferInnen. Dabei handelt es sich um einen prinzipiellen Gegensatz, der als Antinomie von Kapital und Arbeit zugespitzt wurde. Für die Sozialarbeit bedeutete dies, dass sie sich entscheiden musste, auf welcher Seite sie sich positionierte, also parteilich", einseitig und eindeutig auf Seiten der Abhängigen oder auf der Seite der Mächtigen, Gegensätze beschönigend und verschleiernd. Parteiliche Gemeinwesenarbeit, ohnehin in Armutsgebieten tätig, suchte sich dort den Menschen mit dem stärksten Leidensdruck als Partner. Gemeinwesenarbeit setzte geradezu dort an, wo Konflikte am drastischsten waren. Sie orientierte ihre Arbeit an Konflikten, um soziale Resignation und Apathie in Empörung und Empörung in Widerstand zu wandeln. Die vorher machtlosen Menschen sollten die Erfahrung machen, dass sie in gemeinsamen Aktionen durchaus Gegenmacht entfalten können. 
Natürlich ist damals schon gefragt worden, ob Aktionen aus einem Stadtteil ein grundlegendes gesellschaftliches Machtgefälle verändern können. Dazu wurde geantwortet, dass Gemeinwesenarbeit natürlich im besten Fall, wenn sie also gut gemacht wird, Zubringerdienste leistet für politische Umsturzbewegungen. Menschen können durch die aktivierende Gemeinwesenarbeit politisiert werden (vgl. Victor Gollancz-Stiftung 1975). Damit hatte Gemeinwesenarbeit den Rahmen genuiner Sozialarbeit verlassen. Damals unterschied man eine derartige "aggressive Gemeinwesenarbeit" von einem sog. "reformpädagogischen Ansatz", dem es eher um konkrete Verbesserung der akuten Lebensbedingungen ging und der, wie damals polemisiert wurde, "Pocken mit Pickelsalbe kurieren" wollte. 
In der Praxis ist es weniger kämpferisch zugegangen. GWA hat sich oft polemischer und aggressiver dargestellt als sie tatsächlich war. Sicher gab es Go-ins und Sit-ins z.B. von Frauen aus sozialen Brennpunkten im Rathaus, etwa um eine Kindertagesstätte durchzusetzen. Es gab häufig organisierten Protest der MieterInnen z.B. gegen ungerechtfertigte Abrechnungen von Heizkosten. GWA hat dort, wo sie tätig war, fast immer eine engagierte und fachlich qualifizierte Miet- und Sozialberatung eingerichtet. Es gab Alphabetisierungskurse, second-hand-shops. Es gab vor allem viele Gruppen im Stadtteil, in denen Menschen sich zusammenfinden konnten und aus ihrer Vereinzelung herauskamen. GWA hat fast immer ein soziales bzw. soziokulturelles Stadtteilzentrum eingerichtet und meist auch geleitet. Dort waren viele soziale Dienste und ein kommunikativer und kultureller Treffpunkt bewohnernah angesiedelt. Gelegentlich hat GWA auch an Stadtteilplanungen teilgenommen, allerdings in prinzipieller, kritischer Distanz zur Verwaltung.
Die wiederholt proklamierte Parteilichkeit zugunsten unterprivilegierter Gruppen und die aus Prinzip betonte Konfliktstrategie der Gemeinwesenarbeit muss einflussreiche Personen in der kommunalen Politik und Verwaltung, bei Baugesellschaften und in Wohlfahrtsverbänden sehr tief erschrocken haben, sodass bis heute mit Gemeinwesenarbeit diese beiden Begriffe assoziiert werden. Dabei war die tatsächliche Praxis eher pragmatisch darauf gerichtet, dass sich benachteiligte Wohngebiete zu einem lebendigen Gemeinwesen entwickeln. 


Die weiterentwickelte Gemeinwesenarbeit in Deutschland

Seit Mitte der achtziger Jahre haben sich die sozialen Probleme verschärft. Die Arbeitslosigkeit ist gestiegen, sie hat bislang davon verschonte Schichten erfasst, ist vor allem bei Jugendlichen enorm angewachsen. Sie tritt gehäuft auf in bestimmten Wohngebieten, in denen in einer "Abwärtsspirale" die negativen Impulse sich gegenseitig verstärken: Bauliche Defizite, Mängel der Infrastruktur, ausbleibende Investitionsimpulse, Immissionsbelastungen und ein hoher Anteil von einkommensschwachen Familien. Traditionelle Milieus in diesen Stadtteilen sind abgeschmolzen, sie haben sich aufgelöst in viele kleine Submilieus. Parteien, Vereine, Kirchen haben ihre integrierende Bindekraft verloren. Das Gefühl, die Nachbarn nicht mehr zu kennen, von Fremden umgeben zu sein, als Fremder in der eigenen Straße zu wohnen, hat zugenommen. Auch in früher eher "linken" Arbeiterquartieren äußert sich offene Ausländerfeindlichkeit, Rassismus und Hetze gegen Sündenböcke. Der Anteil an rechtsextremen Wählerstimmen ist gerade hier erschreckend hoch. Viele MieterInnen äußern den meist unrealistischen Wunsch, wegziehen zu wollen. Eine Grundstimmung nimmt zu, in der sich Resignation und Aggressivität mischen. 
Die gesellschaftlichen Problemlagenhaben sich im Vergleich zu den 70er Jahren verschärft. Die Gemeinwesenarbeit hat sich darauf eingestellt und ihre Praxis weiterentwickelt. Angesichts einer gesellschaftlichen Situation, in der sich Disparitäten zu Konflikten der Bevölkerung innerhalb der Armutsquartiere zuspitzen, ist es unsinnig geworden, sich auf eine grundsätzliche Parteilichkeit zugunsten bestimmter Gruppen festlegen zu wollen. Wer sind die am meisten Benachteiligten? Sind es z.B. die in Armut geratenen, alteingesessenen deutschen Familien im Hinterhaus, die gegen "alle Ausländer" im Vorderhaus hetzen? Sind es die türkischen Männer, die sich im Stadtteiltreff engagieren, oder deren Frauen und Töchter, die in ihren Familien zur Unselbständigkeit gezwungen werden? Ist es die arbeitslose Musikprofessorin aus Kiew, die Gang der Jugendlichen aus der Ukraine, die Gruppe der alleinstehenden Männer vor dem Kiosk? Wer würde mitgehen, wenn eine Protestdemonstration wegen lange verzögerter Wohnungsreparaturen vor-geschlagen wird? Wer reagiert überhaupt noch, wenn erschütternde Missstände in Armutsquartieren als Skandal benannt werden? Eine Strategie der "Skandalisierung" und Konfliktorientierung hat ihre Basis und ihren Gegner verloren. Auch EigentümerInnen von Wohnungen in derartigen Vierteln sind von der "Spirale nach unten" betroffen, wenn sie keine MieterInnen finden. Große Baugesellschaften klagen über Leerstände von 30-50% und einen Wertverlust ihrer Substanz. Geschäfte und kleine Gewerbebetriebe geben auf, ÄrztInnen und AnwältInnen finden kein Personal. Politik und Verwaltung können nicht mehr Zielscheibe einer Konfliktstrategie sein, wenn sie erhebliche Finanzmittel und Förderprogramme zugunsten solcher Wohngebiete beschlossen haben.
Etwa seit Mitte der achtziger Jahre sind für die GWA nicht mehr die prinzipielle Parteilichkeit zugunsten bestimmter benachteiligter Gruppen und eine grundsätzliche Konfliktstrategie kennzeichnend, sondern ein Rundblick, der die Entwicklung eines Gebietes als Ganzes erfasst. Man könnte es auch so ausdrücken: Die Parteilichkeit gilt jetzt dem Arbeitsfeld, dem problembelasteten Stadtteil insgesamt. An die Stelle einer politischen Konfliktorientierung ist ein anderes Arbeitsprinzip getreten, dass aber nicht weniger politisch ist: Die Verhinderung gesellschaftlicher Ausgrenzung, die einem stigmatisierten Stadtteil insgesamt, ebenso den dort lebenden sozialen Gruppierungen gelten kann. Niemand soll ausgegrenzt werden, weil er erwerbslos oder in Armut geraten, alt oder krank, Migrantin oder Aussiedler ist. In einer Zeit, wo die Sozialpolitik nicht unwesentlich zur Spaltung und Ausgrenzung beiträgt, sucht die Gemeinwesenarbeit Gräben zu überwinden, die auch die Stadtteile durchziehen. Auch bei diesem Ansatz geht es um einen prinzipiellen gesellschaftlichen Konflikt: Ein Quartier, gesellschaftliche Gruppen, einzelne Menschen haben nicht die Möglichkeiten, sich zu entfalten und am gesellschaftlichen Reichtum teilzunehmen (Staub-Bernasconi). Dagegen greift die Gemeinwesenarbeit ein Grundprinzip der Sozialarbeit generell auf: Es geht darum, Menschen zu befähigen und zu unterstützen, am Gesellschaftsprozess teilzunehmen. Dabei verbindet die Gemeinwesenarbeit beide Aspekte, die Vermeidung der Ausgrenzung von Stadtteilen und von sozialen Gruppen.

  • Beteiligung am Gesellschaftsprozess fängt mit der Alltagskommunikation an. Damit ist gemeint, dass Menschen an der Geselligkeit in ihrer Straße teilnehmen. Sie lernen sich gegenseitig mit Namen kennen, sie grüßen sich und bleiben stehen zum kleinen Gespräch. Sie erleben dabei, dass sie in ihrer Umgebung bekannt sind und sich auskennen. Im Sommer werden kleine Festlichkeiten im Hinterhof arrangiert, Leute aus unterschiedlichen Submilieus begegnen sich. Die Erfahrung der sozialen Zugehörigkeit ist von hoher Bedeutung für die Ab- oder Aufwertung eines Quartiers durch die Menschen, die dort leben.
  • Beteiligung am Gesellschaftsprozess meint weiter die gegenseitige Hilfe in der Nachbarschaft, die wohl wichtigste Ressource in Armutsquartieren. Dazu gehört aber auch die Bereitschaft zur kritischen Wachsamkeit: Wer gleichgültig Müll liegen lässt, wird darauf angesprochen. Soziale Kontrolle ist die Kehrseite der Bereitschaft zur gegenseitigen Unterstützung, aber darin kommt ein sozial wichtiger Wert zum Ausdruck: Jeder ist in seinem Bereich mitverantwortlich dafür, wie sich der Stadtteil entwickelt. An die Stelle des resignativen, ängstlichen Wegguckens und stummen Leidens tritt die Bereitschaft zur Eigenverantwortung, wobei der Umgang mit Müll geradezu eine symbolische Bedeutung hat.
  • Beteiligung am Gesellschaftsprozess meint ferner den kulturellen Lernprozess. Die aktuellen Themen der kulturellen Lebensgestaltung sind heute die Gesundheit, die Körperlichkeit, insbesondere die Ausdrucksformen der Sexualität, die Geschlechterrollen, die Kindererziehung, die Freizeit, die Formen der Beteiligung am öffentlichen Leben. Gerade in den Armutsquartieren leben Menschen sehr unterschiedlicher kultureller Herkunft eng beisammen. Die Kulturen können gegenseitige Abgrenzungen und Vorurteile vertiefen, die Herkunftskultur kann wie ein Panzer einengen. Andererseits stehen so viele Themen an, für die gegenwärtig neue kulturelle Muster gefunden werden müssen. Wie können wir uns gesund ernähren? Welche Rollen finden Mann und Frau in Partnerschaften? Welche Traditionen sind es wert, an die Kinder weitergegeben zu werden? In welchen Formen können die traditionellen Feste heute gefeiert werden? In der Begegnung der Kulturen liegt die große Chance, von der eigenen Kultur nicht gehindert zu werden, sich neuen Fragen zu öffnen.
  • Beteiligung am Gesellschaftsprozess meint natürlich insbesondere die Beteiligung an Arbeit und Erwerbsleben. Arbeitslosigkeit ist nicht nur ein finanzielles, sondern auch ein soziales Problem. Früher hat GWA Frühstücktreffs für Arbeitslose arrangiert. Heute initiiert GWA Projekte, in denen Arbeitsplätze entstehen.
  • Zur Beteiligung am Gesellschaftsprozess gehört die Mitwirkung an der baulichen Sanierung und Modernisierung. Vor allem im Nahbereich ihrer alltäglichen Lebenswelt haben die BewohnerInnen häufig sehr konkrete Vorstellungen, wie Gebäude, das Wohnumfeld, die öffentlichen Plätze gestaltet, verbessert und genutzt werden sollen. Partizipation meint das Mitdenken und Mitplanen, oft auch das praktische Mitwirken z.B. in Mietergärten oder beim Ausbau von Spielplätzen. Es gibt gute Erfahrungen beim Einbringen von Eigenarbeit bei der Wohnungsmodernisierung. Gelegentlich werden in Genossenschaften aus MieterInnen MiteigentümerInnen.
  • Weiterhin meint Beteiligung am Gesellschaftsprozess die Nutzung und Mitverantwortung der sozialen, pädagogischen, kulturellen und kommunikativen Einrichtungen und Dienste im Quartier. Dazu müssen die erforderlichen Einrichtungen nah erreichbar und niedrigschwellig eingerichtet werden, sie müssen so ausgerichtet sein, dass sie den Bedürfnissen der BewohnerInnen entsprechen. Die Angebote müssen mit den (potenziellen) NutzerInnen zusammen entwickelt werden. Kindertagesstätten, Schulen und andere Bildungseinrichtungen im Stadtteil bieten die große Chance, dass Eltern aus verschiedenen Kulturen und Milieus dort zusammenkommen, sich kennen lernen und austauschen können.
  • Beteiligung am Gesellschaftsprozess meint schließlich, dass die BewohnerInnen daran mitwirken, ihren Stadtteil öffentlich zu präsentieren. Die Berichte der lokalen Presse verstärken oft die "Abwärtsdynamik" eines Wohngebietes. Wenn dagegen eine "Aufwärtsdynamik" in Gang gesetzt worden ist, muss sie dargestellt und im Bewusstsein des Stadtteils stabilisiert werden. Die Impulse und Anregungen aus dem Stadtteil müssen stadtteilöffentlich diskutiert werden.

Die Kennzeichen auch der entwickelten Gemeinwesenarbeit sind also nach wie vor:

  • Orientierung der Arbeit auf einen bestimmten sozialen Raum, seine Traditionen, seine Besonderheiten als Entwicklungschancen oder spezifische Gefährdungen,
  • Aktivierung von Menschen zur Wahrnehmung ihrer Interessen,
  • Förderung der strukturellen Lebensbedingungen eines Gebietes, Ausstattung mit den erforderlichen Ressourcen,
  • Initiierung und Unterstützung der kollektiven Selbsthilfe der Menschen eines Gebietes in Gruppen, Initiativen und Projekten.

Folgende Kennzeichen sind bei der entwickelten Gemeinwesenarbeit hinzugekommen:

  • Unterstützung der kulturellen Ausdrucksmöglichkeiten der Menschen eines Gebietes,
  • Förderung der Begegnung der Milieus und Submilieus eines Gebietes,
  • Vernetzung der sozialen, pädagogischen und kulturellen Fachleute eines Gebietes,
  • Förderung der lokalen Ökonomie,
  • Unterstützung der Bewohnerschaft bei der Mitwirkung an Planungsprozessen.

Man könnte einwenden, dass die meisten dieser Kennzeichen nicht nur für Gemeinwesenarbeit, sondern auch für andere Professionen gelten. Auf den sozialräumlichen bzw. lebensweltlichen Bezug der Arbeit wird inzwischen auch in einigen schulischen Projekten geachtet, ebenso in der Resozialisierung und Rehabilitation gilt diese Orientierung, in der sozialräumlich angelegten Jugendarbeit, natürlich auch in der Stadtplanung. Überhaupt kann moderne Stadtplanung, insbesondere mit dem Akzent der Anwaltsplanung, die meisten Kennzeichen auch für sich reklamieren.
In der Fachdiskussion ist diese Situation positiv gewendet worden: Es wurde sogar gefordert, dass Gemeinwesenarbeit als ein Arbeitsprinzip aus der Eingrenzung auf Sozialarbeit ausbrechen müsste (Oelschlägel 1986:21). Das aber hat dazu geführt, dass die Profession Gemeinwesenarbeit undeutlicher geworden ist. GemeinwesenarbeiterInnen kennen schon seit Jahren den Angriff, oft aus ihrer eigenen Behörde: "Was ihr macht, können andere doch auch und machen es sogar noch besser." Mit diesem Argument sind immer wieder Planstellen für Gemeinwesenarbeit den kommunalen Streichlisten zum Opfer gefallen.
Um das spezifische, professionelle Profil der Gemeinwesenarbeit zu präzisieren, müssen zwei Argumente herausgestellt werden:

  1. Gemeinwesenarbeit ist Sozialarbeit, ist eine spezifische Form des Auftrages an die Sozialarbeit, soziale Ausgrenzungen zu vermeiden und von Desintegration bedrohte. Menschen am Gesellschaftsprozess teilnehmen zu lassen. Gemeinwesenarbeit ist Hilfe zu einem selbstbestimmten Leben im sozialen Zusammenhang.
  2. Die spezifischen Kennzeichen der Gemeinwesenarbeit in der obigen Aufstellung sind die Aktivierung der Wohnbevölkerung zur Wahrnehmung ihrer Interessen und die damit verbundene Initiierung und Unterstützung der kollektiven Selbsthilfe. Alles, was sonst geleistet wird zur infrastrukturellen oder kulturellen Ausstattung des Gebietes, geschieht mit den dort wohnenden und arbeitenden Menschen, nach deren Bedürfnissen und unter Berücksichtigung ihrer Stärken und Fähigkeiten. Gemeinwesenarbeit konzipiert einen Stadtteil mit den BewohnerInnen und aus ihrer Sicht. Gemeinwesenarbeit ist eine Dienstleistung, um die Eigenkompetenzen der Menschen eines Gebietes zu wecken und zu unterstützen. Dieser Bezug auf die Aktivierung der Menschen macht das spezifische Profil der Gemeinwesenarbeit aus. 

Man muss also festhalten: Gerade als spezifische Ausprägung von Sozialarbeit ist Gemeinwesenarbeit eine eigene Profession. Das wird dadurch bestätigt, wenn man, etwa durch Auswertung von Projektberichten, durch Praxisforschung und -begleitung, durch Teilnahme an Weiterbildungsmaßnahmen oder Fachtagungen darauf achtet, worin die spezifischen professionellen Kompetenzen dieses Berufes liegen. 
Dann treten folgende Fähigkeiten heraus:

  • Fähigkeit, Lebenswelten in ihrer Bedeutung für den Stadtteil zu verstehen,
  • Kommunikationsfähigkeit, um mit unterschiedlichen Milieus und auf unterschiedlichen Ebenen kommunizieren zu können, anzuregen, zu ermutigen, aber auch Distanz zu halten,
  • Fähigkeit, in politischen, planerischen, wirtschaftlichen und soziokulturellen Zusammenhängen zu denken,
  • analytisches Erfassen von Situationen, aus denen Projekte entstehen können,
  • analytisches Erfassen von Projektverläufen, u.a. unter dem Aspekt, welche Unterstützung gebraucht wird und welches Maß an Selbstständigkeit bereits erreicht ist,
  • Kenntnis der erforderlichen Ressourcen (u.a. behördliche Zuständigkeiten, Gesetze und Verordnungen),
  • Fähigkeit, Konzepte zu denken, zu formulieren und gegenüber Verhandlungspartnern zu vertreten,
  • Fähigkeit, soziale Prozesse in formellen und informellen Gruppen zu moderieren, dabei der jeweiligen Situation gerecht zu werden und gleichzeitig zielorientiert zu bleiben,
  • Fähigkeit, unterschiedliche Milieus, Einflussbereiche und Zuständigkeiten zu vernetzen,
  • Verhandlungsgeschick für Verhandlungen mit einem breiten Spektrum von Entscheidern in Politik, Wirtschaft und Administration,
  • professionelles Selbstbewusstsein, sich im Stadtteil positionieren zu können, um tendenziell von allen Akteuren als glaubwürdige/r "EntwicklungshelferIn" für das Gebiet wahrgenommen zu werden,
  • persönliche Qualifikationen wie Kreativität, Belastbarkeit, innere Stabilität, um Kritik und Konflikte auszuhalten.

Quartiersmanagement in Deutschland

Der Begriff ist vermutlich zuerst in Berlin offiziell gebraucht worden (vgl. Müller 2000:40). Hier wie auch in Hamburg, in Bremen, in Nordrhein-Westfalen und in Hessen wurden in den 90er Jahren bestimmte Stadtteile auf Grund vorbereitender Untersuchungen als offizielle "Armutsquartiere" o.ä. ausgewiesen. Dabei wollte man aus früheren Fehlern lernen. In Programmen zur Sanierung nach dem Städtebauförderungsgesetz war, von wenigen Modellprojekten abgesehen, nur die Gebäudesubstanz eines Gebietes erneuert worden und der Sanierungsträger hatte seine Vorhaben nur mit den Eigentümern ausgehandelt. Die Bewohnerschaft, überwiegend MieterInnen, war im günstigsten Fall "gehört" worden. In vielen Sanierungsgebieten setzte die Abwärtsspirale jedoch nach wenigen Jahren erneut ein, Millionensummen waren vergeblich investiert worden.
Auf Grund der Erfahrungen in den genannten Ländern wurde 1999 das Bund/Länderprogramm "Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf - die soziale Stadt" beschlossen und seitens des Bundes mit 100 Millionen DM ausgestattet. Das wesentlich Neue an diesem Programm lässt sich mit den Leitbegriffen "Nachhaltigkeit" und "integrierte Planung" beschreiben. Damit sind Grundsätze gemeint, die in Überlegungen für eine kommunikative Planung schon Jahre vorher herausgearbeitet waren. Nun aber sind sie in offizielle Politik und in Förderprogramme eingegangen.
Nachhaltigkeit meint in diesem Zusammenhang, dass die Menschen, die in dem betreffenden Gebiet wohnen und arbeiten, effektiv in den Planungsprozess einbezogen werden. Die Planungsverwaltung muss sich auf eine "offene Planung" einlassen, in der die örtlichen Akteure und die Fachleute in einen Dialog eintreten, dessen Ende nicht festgelegt ist. Es geht also um etwas grundsätzlich anderes als die sog. "Beteiligungsschleifen", auf die sich die Administration als Form der Partizipation gelegentlich eingelassen hat. Es kann auch nicht darum gehen, die Bewohnerschaft in den Prozess "einzubinden". Auch wird der Bürger "hier also nicht als Kunde gesehen, der zwischen verschiedenen Leistungsanbietern auswählt und auch nicht mehr als Klient, der staatlicher Fürsorge unterliegt, sondern als Koproduzent, der notwendig ist, damit die staatliche Leistung effektiv und effizient erbracht wird. Zugleich trägt die maßgebliche Mitwirkung der BewohnerInnen als 'Experten in ihren eigenen Angelegenheiten' dazu bei, eine den Bedürfen der Menschen entsprechende Qualität und zugleich Identifikation mit dem Quartier entstehen zu lassen," so Löhr, der stellvertretende Leiter des deutschen Instituts für Urbanistik, das mit der wissenschaftlichen Begleitung des Programms betraut ist (Löhr 2000:6).
Integrative Planung meint in diesem Zusammenhang

  • die Koordination der Maßnahmen der verschiedenen Handlungsfelder, die erst zusammen zu einer qualitativen Aufwertung eines Gebietes führen,
  • die geordnete Interaktion der lokalen und externen Akteure an einem Stadtteilentwicklungsprozess
  • die Bündelung der fachlichen und vor allem finanziellen Ressourcen, ohne die eine umfassende Gebietserneuerung nicht durchführbar ist.

Zu den Handlungsfeldern: Im offiziellen Leitfaden für das Programm "Soziale Stadt" werden 6 Handlungsfelder aufgeführt. Die Breite dieses Ansatzes lässt keinen Zweifel, dass eine ganzheitliche Aufwertung eines Quartiers erreicht werden soll. Zugleich enthält die Aufstellung Angaben über die Zielvorstellung einer sozialen Stadt; sie werden in dem Leitfaden (ARGEBAU, 2000: 4) zusammenfassend so beschrieben:

  1. Bewohnermitwirkung, Stadtteilleben - Ziele:
    • Aktivierung örtlicher Potenziale, Hilfe zur Selbsthilfe
    • Entwicklung von Bürgerbewusstsein für den Stadtteil
    • Schaffung selbsttragender Bewohnerorganisationen und stabiler nachbarschaftlicher Netze
  2. Lokale Wirtschaft, Arbeit und Beschäftigung - Ziele:
    • Stärkung der lokalen Wirtschaft
    • Schaffung und Sicherung von örtlichen Arbeitsplätzen und Beschäftigungsangeboten
    • Qualifizierung der Arbeitssuchenden
  3. Quartierszentren - Ziele:
    • Stärkung der Nahversorgung
    • Herausbildung der Zentren als Kristallisationspunkte für das städtische Leben
  4. Soziale, kulturelle, bildungs- und freizeitbezogene Infrastruktur - Ziele:
    • Verbesserung des Infrastrukturangebotes im Interesse des sozialen Ausgleichs
  5. Wohnen - Ziele:
    • Verbesserung des Wohnwertes der Wohnungen, Modernisierung, Instandsetzung, Umbau und ergänzender Neubau
    • Sicherung preiswerten Wohnraums (einschließlich Belegungsrechte für Haushalte, die sich nicht selbst auf dem Wohnungsmarkt versorgen können)
    • Schutz der BewohnerInnen vor Verdrängung
    • Erhalt (bzw. Wiederherstellung) gemischter Bewohnerstrukturen
    • Unterstützung aktiver Nachbarschaften
    • Stärkung der Identifikation der MieterInnen mit Wohnung und Wohnumfeld
  6. Wohnumfeld und Ökologie - Ziele:
    • Verbesserung des Wohnwertes durch Aufwertung des Wohnumfeldes
    • bessere Nutzung und bessere Gestaltung von Freiflächen
    • mehr Sicherheit und Aufenthaltsqualität im öffentlichen Raum
    • bewusstere Berücksichtigung ökologischer Erfordernisse."

Zu den lokalen und externen Akteuren: Die "Bewohnermitwirkung" steht in diesem offiziellen Katalog an erster Stelle und auch des weiteren werden soziale Aspekte mehrfach genannt (z.B. "Identifikation der Mieter", "sozialer Ausgleich", "gemischte Bewohnerstrukturen", "Aufenthaltsqualität" u.a.). Das Programm ist deutlich darauf angelegt, die investiven Maßnahmen mit sozialen Prozessen so zu verbinden, dass die Bewohnerschaft die Veränderungen in ihrem Quartier nicht nur akzeptiert, sondern sich an dessen Aufwertung beteiligt und mit dem Prozess identifiziert.
Zu den lokalen Akteuren gehören des weiteren die örtlichen Geschäftsleute, die Vereine, Kirchen, Religionsgemeinschaften und Verbände, die örtliche Gruppen und Initiativen, die pädagogischen, sozialen und kulturellen Fachleute und örtliche Medien. Externe Akteure sind die Politik und Verwaltung der Kommune, Unternehmen insbesondere der Bauwirtschaft, Landes-, Bundes- und Europabehörden sowie Experten unterschiedlicher Fachrichtungen. Integrative Planung bezeichnet die große Aufgabe, diese wichtigen Kompetenzen zu koordinieren.
Zu den Ressourcen: Ein solches umfassendes Vorhaben macht den Einsatz erheblicher Finanzmittel erforderlich. Der Grundgedanke dabei ist, dass die öffentlichen Gelder aus Kommune, Land und Bund als Impuls verstanden werden, der die Wirtschaft davon überzeugt, dass hier eine umfassende Aufwertung stattfindet und es sich demnach lohnt, in solchen bislang vernachlässigten Gebieten jetzt zu investieren. Öffentliche und privatwirtschaftliche Mittel müssen sich ergänzen, wobei es darauf ankommt, für diverse Projekte auch Förderungen aus Landes- Bundes- oder Europamitteln zu akquirieren. Derartige Investitionen müssen detailliert aufeinander abgestimmt werden.
Die Integration der verschiedenen Bereiche darf nicht nur Absichtserklärung bleiben. Sie muss realisiert werden in einem Handlungsprogramm, das die einzelnen Maßnahmen auflistet und dabei Begründung und Ziele, Träger und Finanzierung sowie Termine konkret benennt. Ein solches Handlungsprogramm muss in Umrissen bereits am Anfang erkennbar sein, es wird im Laufe des Prozesses fortgeschrieben und konkretisiert. Ein Handlungsprogramm stellt sicher, dass es sich tatsächlich um einen aufeinander abgestimmten Prozess handelt, der zudem für alle Beteiligten durchsichtig ist und der prozessbegleitend evaluiert werden kann.
Dem Quartiersmanagement kommt die gewaltige Aufgabe zu, diesen umfassenden Prozess zu organisieren. Dazu gehört insbesondere das Initiieren von Projekten, die Bereitstellung von Ressourcen, die Heranziehung von Experten, die Erarbeitung von Konzepten und deren öffentliche Präsentation und insbesondere die integrierende Koordination der Akteure. Dazu bedarf es verschiedener Gremien, Runder Tische und Vernetzungen. Das Quartiersmanagement muss dabei als eine "intermediäre Instanz" auftreten, um zwischen Akteuren mit divergierenden Interessen vermitteln zu können.
Quartiersmanagement wird als "die treibende Kraft vor Ort" bezeichnet (Deutsches Institut für Urbanistik 2000:1). Aber "Quartiersmanagement kann nicht als Instrument zur Lösung der vielschichtigen, komplexen Probleme eines Quartiers betrachtet werden. Es soll vielmehr Strukturen im Stadtteil schaffen, die ein hohes Maß an Beteiligung und Engagement der lokal wirksamen Akteure und damit Synergieeffekte ermöglichen" (Franke/Löhr 2000: 3).
Kann man Quartiersmanagement bereits als einen neuen Beruf bezeichnen? Diese Frage ist - jedenfalls derzeit - sicher zu verneinen. Es gibt keine diesbezügliche Ausbildung, eine entsprechende Weiterbildung erst in Ansätzen1. Da der berufsqualifizierende Zugang variiert - Planer, Architekten, Verwaltungskräfte, Soziologen, Ökonomen, Sozialarbeiter, Kaufleute - ist die Vergütung unterschiedlich. Die bisherigen Fachkongresse, auf denen Quartiersmanagement vorgestellt wurde, zeigten, dass über Ziel und Arbeitsweise, über erforderliche Qualifikationen und Kompetenzen weit divergierende Ansichten bestehen, sowohl bei den derzeitigen Anstellungsträgern als auch bei den QuartiersmanagerInnen selber. Für die wesentlichen Merkmale, die einen Beruf definieren, gibt es also noch keine Standards (vgl. Deutsches Institut für Urbanistik 2001).
So muss man Quartiersmanagement als eine Zusammenstellung von Funktionen bezeichnen. Rothschuh spricht von einer "beruflich ausgeübten Funktion unterschiedlicher Berufsgruppen" (vgl. Rothschuh 2001:7). Um diese unterschiedlichen, oben genannten Funktionen zu erfüllen, werden unterschiedliche Kompetenzen und Qualifikationen gebraucht. Es liegt auf der Hand, hier neben der Planungskompetenzen eines Planers die der Gemeinwesenarbeit zu nennen. In Frage kommt je nach Gebiet auch eine kaufmännische bzw. eine IngenieurInnen-Kompetenz. 


Der Beitrag der Gemeinwesenarbeit zum Quartiersmanagement

Hier wird also die Position vertreten, dass verschiedene Professionen, miteinander kooperierend, gemeinsam und sich ergänzend die Funktionszusammenstellung Quartiersmanagement ausfüllen können. In mehreren Projekten in Hessen und in Nordrhein-Westfalen haben sich solche Tandem-Lösungen bewährt (Thies 2001: 26). Anders als z.T. in Hannover, wo ein Quartiersmanager mit einer Gemeinwesenarbeiterin zusammenarbeitet, meint die Tandem-Lösung, dass beide Professionen erst zusammen das Quartiersmanagement bilden, in diesem Fall ein Planer und eine Gemeinwesenarbeiterin. Wichtig ist dabei, dass die beteiligten KollegInnen "auf Augenhöhe" kooperieren. Dazu gehört eine gemeinsame Dienststelle.
Eine Tandem-Lösung bietet den Vorteil, dass alle Beteiligten sich fachlich nicht überfordern. Der/die Ökonom/in bzw. der/die Planerin muss sich nicht als Gemeinwesenarbeiter/in ausweisen bzw. umgekehrt. Es mag unzureichende Arbeitsbedingungen geben, wo nur eine Person angestellt ist und allein die Fülle der geforderten Funktionen übernehmen muss. Im Einzelfall mag es PlanerInnen oder Kaufleute geben, die als QuartiersmanagerInnen eingestellt sind und eine Beteiligung der Bevölkerung initiieren und unterstützen. Umgekehrt gibt es GemeinwesenarbeiterInnen, die wesentliche Teile des Quartiersmanagement ausfüllen und z.B. auch erfolgreiche Projekte der lokalen Ökonomie aufbauen. Aber das sind eher Einzelfälle.
Daraus ist nicht der Schluss abzuleiten, dass Quartiersmanagement nur ein neuer Name ist für das, was Gemeinwesenarbeit schon lange macht. Gelegentlich ist darauf hingewiesen worden, dass die Stellenausschreibungen für Quartiersmanagement den Schluss nahe legen: "Was da gefordert wird, kann ein/e Gemeinwesenarbeiter/in schon lange". Doch das ist eine unzutreffende Sicht, mit der die Gemeinwesenarbeit sich überfordern würde.
Quartiersmanagement stellt nicht nur ein quantitativ breiteres Spektrum von Aufgaben, sondern es enthält auch spezifisch andere Anforderungen. Gemeinwesenarbeit denkt von den geäußerten Bedürfnissen der BewohnerInnen her, von ihren Stärken, ihrer Bereitschaft, sich zu engagieren und sich Vorhaben zuzutrauen. Gemeinwesenarbeit denkt in Projekten, die von den Menschen im Stadtteil her gewollt und getragen werden. Sicher kann Gemeinwesenarbeit auch von sich aus Impulse setzen und Anregungen geben, aber entscheidend bleibt, was von den Menschen im Stadtteil mitgetragen wird. Auch Gemeinwesenarbeit hat den Stadtteil insgesamt im Blick, aber die Veränderungen ergeben sich aus den einzelnen Puzzleteilen, die als Projekte zusammengetragen werden. Quartiersmanagement dagegen konzipiert die Entwicklung eines Stadtteils insgesamt von seinem Bedarf her.
Wo Gemeinwesenarbeit Vernetzungen aufbaut und unterstützt, sind diese horizontal im Stadtteil angelegt: Beteiligt sind die örtlichen Akteure, vor allem die Fachbasis der Sozialarbeit, der Schulen und Kultur-Einrichtungen, die Kirchen und Vereine. Es gibt horizontale Vernetzungen der örtlichen Geschäftsleute, der Handwerksbetriebe o.ä. Im Quartiersmanagement kommt dazu die vertikale Vernetzung, also die Koordinationsrunden, in denen VertreterInnen von Behörden, Wirtschaftsunternehmen, Verbänden oder der Politik sitzen, die von außerhalb des Stadtteils in diesen hineinwirken. Es gibt mehrere Handlungsfelder (Wohnungsbau, Straßenbau, Errichtung sozialer oder kultureller Einrichtungen, Schaffung von Arbeitsplätzen o.a.), wo nur durch Impulse von außen in das Gebiet hinein etwas bewirkt werden kann. Sicher ist auch Gemeinwesenarbeit immer wieder darum bemüht, für bestimmte Projekte stadtteilexterne Ressourcen zu erschließen. Anders das Quartiersmanagement: Hier stehen für eine begrenzte Frist erhebliche Fördermittel zur Verfügung, die angemessen verplant werden müssen. Die Perspektiven unterscheiden sich: Es heißt nicht wie bei der Gemeinwesenarbeit: "Wir haben ein Projekt, woher bekommen wir eine finanzielle Förderung?" Sondern: "Wir haben einen erheblichen Geldbetrag zu verplanen, wo finden wir geeignete Projekte?"
Ein anderer wesentlicher Unterschied liegt darin, dass Gemeinwesenarbeit fast immer längerfristig angelegt ist, aus gutem Grund, denn die Aktivierung und der Aufbau nachhaltiger Projekte und Gruppen ist nur über einen längeren Zeitraum anzugehen. Quartiersmanagement ist für die Dauer des Programms "Soziale Stadt" vorgesehen, also in der Regel für drei Jahre.
Andererseits ist der Provokation eindeutig zu widersprechen, im Quartiersmanagement gehe es "nicht mehr um Sozialarbeit". Im Gegenteil, Quartiersmanagement ist darauf angewiesen, dass Gemeinwesenarbeit als eine Form weiterentwickelter Sozialarbeit ihre Kompetenzen einbringt, damit die Fehler früherer Sanierungsmaßnahmen nicht wiederholt werden und der Prozess hin zu einer "Sozialen Stadt" wirksam realisiert wird.
Unbedingt eingebracht werden muss die Aktivierung als Kernkompetenz der Gemeinwesenarbeit.
Aktivierung meint verschiedene, auf Grund professioneller Erfahrung standardisierte, aber ständig weiterentwickelte Arbeitsformen,

  • mit denen Menschen eines Wohngebietes bzw. dort lebende Gruppen angesprochen und in Kontakt miteinander gebracht werden
  • mit dem Ziel, dass sie sich gemeinsamer Bedürfnisse, Belastungen, Ideen und Stärken bewusst werden,
  • ermutigt und befähigt werden, Ziele und Vorgehensweisen zu beraten und zu vereinbaren,
  • entsprechende Aktivitäten durchführen, ihre Konflikte dabei regeln und ihre Erfolge feiern,
  • ihr Selbstbewusstsein und ihre Identifikation mit ihrer Lebenswelt vertiefen,
  • neue Formen der Kommunikation und gegenseitigen Selbsthilfe im Alltag entwickeln.
  • Aktivierung thematisiert zunächst und überwiegend den Nahbereich der unmittelbar eigenen Lebenserfahrung;
  • Aktivierung kann auch zur Gründung von Stadtteilprojekten und zur Mitarbeit darin führen;
  • Aktivierung kann darüber hinaus auf Beteiligung an Planungsprozessen für lebensweltübergreifende Fragen des Stadtteils abzielen.
  • Aktivierung wird eingeleitet und begleitet von dafür ausgebildeten Fachleuten, die sich aber so schnell wie irgend möglich zurücknehmen, um der Eigeninitiative Raum zu lassen.

Th. Franke nennt folgende "direkte Techniken" zur Aktivierung:

  • Aktivierende Befragungen (unter anderem zur Ermittlung aktueller Probleme im Wohngebiet);
  • Arbeit mit einzelnen Personen (z.B. Beratungsangebote aus dem Bereich "Hilfe zur Selbsthilfe");
  • informelle Gespräche (beispielsweise zu Problemen im Quartier, zwischen einzelnen Gruppen oder auch bezüglich der eigenen Lebenssituation);
  • aufsuchende Arbeit, Streetwork;
  • Mund-zu-Mund-Propaganda' (Aktivierung über Multiplikatorinnen und Multiplikatoren);
  • Befähigung einzelner BewohnerInnen zur Übernahme von Aufgaben im Gemeinwesen (z.B. Ausbildung Einzelner zu ‚BewohnermoderatorInnen');
  • Vernetzung von und Vermittlung zwischen einzelnen Akteuren, Institutionen und Organisationen, Schlichtung von Interessenkonflikten (Mediation);
  • BewohnerInnen-, EinwohnerInnen-, Blockversammlungen;
  • Angebot regelmäßig stattfindender offener Nachbarschaftstreffs (z.B. Stammtische);
  • Angebot offener Treffs für bestimmte Zielgruppen (z.B. MigrantInnen);
  • Feste (z.B. Stadtteil- und Straßenfeste, Vereinsfeste, Sportfeste, Einweihungsfeste, Jubiläen);
  • (zielgruppenspezifische) Veranstaltungen und Aktionen (z.B. Sport- und Freizeitangebote für Kinder und Jugendliche);
  • Gebiets- und Gebäudebegehungen mit QuartiersbewohnerInnen sowie anderen lokal wirksamen/verantwortlichen Akteuren;
  • Informationsangebote und -veranstaltungen zu allen Belangen der integrierten Stadtteilentwicklung;
  • Wettbewerbe;
  • Unterschriftensammlungen. 

(Franke 2002: 3).

Beteiligung der Bewohnerschaft ist etwas anderes als Aktivierung und davon zu unterscheiden.
Hier wird zwar "Beteiligung am Gesellschaftsprozess" in einem umfassenden Sinn verstanden, der auch z.B. die informelle Beteiligung an Nachbarschaftskontakten einschließt. Wenn jedoch von Beteiligung im Zusammenhang mit Entwicklungsplanung gesprochen wird, dann ist etwas spezielles gemeint, nämlich die Mitwirkung an formellen Prozessen. 
Beteiligungsverfahren haben bestimmte Strukturen:

  • Termine, zu denen eingeladen wird,
  • Tagesordnungen,
  • Diskussionsleitungen bzw. Moderationen,
  • häufig auch Geschäftsordnungen,
  • formalisierte Entscheidungsverfahren,
  • Regelungen, wer teilnehmen und entscheiden darf, häufig nach einem Delegationsschlüssel.

Beteiligungsverfahren haben einen bestimmten Stil, es wird auf Ergebnisorientierung geachtet, Argumente haben Vorrang vor Gefühlen und Scherzen, Emotionen müssen unterdrückt werden. Wer eine höhere Bildung hat, ist bevorzugt, weil die Themen auf der Ebene sprachlicher Abstraktion verhandelt werden.
"Über die klassischen Formen kommunaler Beteiligungspraxis werden genau diejenigen Bevölkerungsgruppen bevorzugt, die ohnehin auf der Sonnenseite dieser Gesellschaft stehen, denn derlei Verfahren, selbst wenn sie methodisch sauber durchgeführt werden, orientieren sich fast immer an klassischen bürgerlichen Mittelschichtstandards. Geordnete Bewohnerversammlungen, oder Runde Tische, methodisch sauber moderiert, grenzen jedoch diejenigen Bevölkerungsgruppen aus, die sich eher ungeordnet, lautstark und anarchisch äußern und bei denen der Unterschied zwischen guter Laune und Randale nicht immer so genau zu erkennen ist" (Hinte 1998: 155).
Beteiligungsverfahren müssen nicht immer so wie von Hinte beschrieben ablaufen. Es soll auch nicht bestritten werden, dass für Entscheidungen zur Stadtteilplanung geordnete Verfahren und Entscheidungen notwendig sind. Aber dass nicht nur Angehörige der Mittelschicht daran mitwirken, ist nicht nur eine Frage aufmerksamer Moderation, die sich auch auf solche Menschen einstellt, die in disziplinierten, strukturierten Verfahren weniger geübt sind. Vielmehr brauchen solche Beteiligungsgremien einen Unterbau, nämlich die Aktivierung, durch die auch sprachlich nicht so gewandte Bevölkerungsgruppen ermutigt werden, ihre eigenen Interessen, Ideen und Beiträge ernst zu nehmen, Selbstbewusstsein zu entwickeln und sich mit ihren Belangen in die Verhandlungen einzubringen.
Es reicht also sicher nicht, um Beteiligung der Bewohnerschaft zu erreichen, Einladungen auszuhängen oder in Zeitungen zu veröffentlichen. Erforderlich ist, dass ein Zutrauen zur Eigenkompetenz auch bei den Bevölkerungsgruppen erreicht wird, die sich bislang aus der Stadtteilöffentlichkeit herausgehalten haben. Aktivierendes Empowerment, eine Begegnung der diversen Submilieus des Stadtteils, die Erfahrung von Alltagskommunikation, verlässlicher Solidarität und dass es sich lohnt, sich für die eigene Umgebung einzusetzen, - alles dies sind Voraussetzungen für eine "BewohnerInnenbeteiligung", die mehr ist als das Mitreden von einigen, wenigen mittelschichtigen BürgerInnen im Fachgespräch mit den Experten aus Politik, Wirtschaft und Verwaltung.
Aktivierung ist eine spezifische professionelle Kompetenz, für die Aus- bzw. Weiterbildung, berufliche Erfahrung und sehr viel Zeit erforderlich ist. Wichtig ist ebenfalls eine hohe Akzeptanz im Quartier, die nur durch längere Arbeit dort erworben werden kann. Aktivierende Gespräche am Kiosk mit jungen Arbeitslosen, bei Hausbesuchen von Migrantenfamilien, auf Versammlungen der Agenda-Gruppe oder einer Mieterinitiative und im anschließenden Kneipenbesuch können nicht "zwischendurch" zwischen den Verhandlungen mit Wirtschaftsführern, DezernentInnen und Politikern geführt werden. 
Der professionelle Beitrag, den Gemeinwesenarbeit ins Quartiersmanagement einbringen muss, besteht sicher nicht nur in der Durchführung von Aktivierungsstrategien. Die erforderliche Akzeptanz erwächst nicht allein daraus, dass die Menschen aufgefordert werden, selber etwas zu tun. Auch die anderen, oben genannten Kompetenzen der Gemeinwesenarbeit gehören dazu, z.B. die Projekte, durch die die Bevölkerung erlebt, dass tatsächliche Verbesserungen erreicht werden oder die Vorteile, die sich aus lokaler Ökonomie ergeben. Wichtig sind die Begegnungen der Milieus, die Veranstaltungen einer Stadtteilkultur, die Medien einer Stadtteilöffentlichkeit, die wiederentdeckten Traditionen oder weitere Aktionen, mit denen die Gemeinwesenarbeit eine Soziale Stadt lebendig werden lässt.


Fazit: 

Quartiersmanagement ist eine Zusammenstellung von Funktion, die in Kooperation unterschiedlicher professioneller Kompetenzen ausgeführt wird. Gemeinwesenarbeit ist dabei unverzichtbar, soll wirklich eine Soziale Stadt entstehen. Qualifikation für moderne Planungsverfahren ist ebenfalls wichtig, je nach Gebiet werden Kaufleute, TechnikerInnen oder ArchitektInnen gebraucht. Kompetenzen und Zuständigkeiten sind kaum prinzipiell abzugrenzen, die jeweiligen Handlungsfelder müssen je nach situativem Kontext vereinbart werden. 
Die Mitarbeit im Quartiersmanagement bietet der Gemeinwesenarbeit die große Chance, zu ihren Wurzeln zurückzukehren und ihre Stärken einzubringen.


Literatur:

  • Alisch, Monika (1998): Stadtteilmanagement - zwischen politischer Strategie und Beruhigungsmittel; in: Alisch, M. (Hg.): Stadtteilmanagement. Opladen, S.7-22
  • ARGEBAU (2000): Leitfaden zur Ausgestaltung der Gemeinschaftsinitiative "Soziale Stadt"; in: Difu (Hg.): Programmgrundlagen. Berlin, S. 1-18
  • Deutsches Institut für Urbanistik (2000): Soziale Stadt. Info 2. Berlin
  • Deutsches Institut für Urbanistik (2001): Impulskongress Quartiermanagement. Dokumentation. Berlin
  • Elsen, Susanne (1998): Gemeinwesenökonomie - eine Antwort auf Arbeitslosigkeit, Armut und soziale Ausgrenzung? Neuwied
  • Franke, Thomas/Löhr, Rolf-Peter ( 2000): Überlegungen zum Quartiermanagement; in: Deutsches Institut für Urbanistik. Soziale Stadt. Info 2. Berlin, S. 2-3
  • Franke, Thomas (2002): Aktivierung und Beteiligung im Rahmen des Programms "Soziale Stadt". In Deutsches Institut für Urbanistik, Info 7, Berlin
  • Hauser, Richard und Hephziba (1971): Die kommende Gesellschaft. Augsburg
  • Hinte, Wolfgang (1998): Bewohner ermutigen, aktivieren, organisieren - Methoden und Strukturen für ein effektives Stadtteilmanagement; in: ALISCH, M. (Hg.): Stadtteilmanagement. Opladen, S.153 - 170
  • Institut für Landes. und Stadtentwicklungsforschung des Landes Nordrhein-Westfalen (2000): Analyse der Umsetzung des integrierten Handlungsprogrammes für Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf. Dortmund
  • Löhr, Rolf-Peter (2000): Bundesweite Erfahrungen und Erkenntnisse für die Praxis aus der Begleitforschung des Bundes mit dem Programm "Soziale Stadt". www.sozialestadt.de 
  • Müller; C.W.(2000): Zwischen individuellem Almosen und sozialstaatlichen Rechtsanspruch; in: VERBAND FÜR SOZIAL-KULTURELLE ARBEIT E. V. Berlin, S. 39-43
  • Oelschlägel, Dieter (1986): Strategiediskussion in der Sozialen Arbeit und das Arbeitsprinzip Gemeinwesenarbeit. in: Mühlfeld, Claus u.a.: GWA, Frankfurt/Main
  • Rothschuh, Michael (2001): Soziale Beziehungen stiften, Quartiersmanagement aus der Sicht der Sozialen Arbeit. In: foco-Rundbrief, Sommer 2001
  • Staroste (2001): www.stadtteilarbeit.de, zitiert nach Rothschuh, Michael (2001):Soziale Beziehungen stiften, Quartiersmanagement aus der Sicht der Sozialen Arbeit. In: foco-Rundbrief, Sommer 2001
  • Senat von Berlin (1999): Öffentliche Ausschreibung Quartiersmanagement. www.sensut.berlin.de.
  • Victor Gollancz-Stiftung (1975): Materialien 8 zur Jugend- und Sozialarbeit, Frankfurt/Main.

1) An der Ev. Fachhochschule in Hamburg gibt es in Kooperation mit der Ev. Fachhochschule Hannover eine einjährige entsprechende Weiterbildung.