Managing Diversity in Städten und Stadtteilen – eine Zukunftsaufgabe

Kontakt:

Barbara John, Senat von Berlin, Beuthstr. 6-8, 10117 Berlin, Tel.: 030/9026 5604, Email: barbara.john@senbjs.verwalt-berlin.de


Der Welt-Migrationsbericht 2003 der Internationalen Organisation für Migration (IOM) räumt mit einigen Klischees auf, die sich im Laufe der vergangenen Jahrzehnte zur Wanderung und Einwanderung gebildet und verfestigt haben. Danach wird z.B. die klassische auf Dauer angelegte Einwanderung künftig wohl an Bedeutung verlieren, während die kurzfristige Pendel-Migration zunimmt. Als gesicherte Erkenntnis kann auch gelten, dass nach Jahren anhaltender Wanderung in viele Länder Westeuropas die herkömmlichen Abgrenzungen zwischen Sprach- Kultur und Religionsgruppen durchlässiger werden bzw. sich sogar auflösen.
Entwickelt sich auf diese Weise im Kleinstschritten die globale Gesellschaft innerhalb nationalstaatlicher Grenzen? Dafür sprechen viele unabweisbare Fakten, die gerade in städtischen Ballungszentren zu beobachten sind. Am auffälligsten vollzieht sich dieser Wandel in den Schulen, gerade auch in Innenstadtbezirken, wo Jugendliche aus unterschiedlichen Sprach- und Religionsgruppen zusammentreffen. Oft sind es die Aufsteiger aus Migrantenfamilien in den Gymnasien und Gesamtschulen, die z. B. ihre Karriereplanung keineswegs auf Deutschland beschränken, sondern schon Fäden in andere Länder – oft durch längere Aufenthalte bei Verwandten - geknüpft haben. Religion, Muttersprache und kultureller Zusammenhalt dienen dabei als Türöffner in die Herkunftscommunity. Gegenüber der Mehrheitsgesellschaft wird religiös-kulturelle Selbstbehauptung als selbstverständliches Recht in einer demokratischen Gesellschaft gefordert, beim Bau von Kultstätten oder in der Kopftuchfrage; andererseits setzen die Familien darauf, dass die Kinder es bildungsmäßig sehr viel weiter bringen als die Elterngeneration.
Aber noch sind die Aufsteiger die Ausnahme. Das Leben vieler Migrantenfamilien in Deutschland wird durch sprachliche, wirtschaftliche und soziale Isolation geprägt. Bessere Integration, ein verstärkter Dialog und mehr Achtung für kulturelle Unterschiede werden gebraucht, damit Deutschland zu einem erfolgreichen Einwanderungsland wird.
Niemals zuvor waren lokale Gemeinden kulturell, religiös und ethnisch vielfältiger zusammengesetzt als derzeit. Es gilt, sich klar zu machen, welche Strukturen oder Institutionen wirken, um die wachsende Vielfalt einzuebnen bzw. sie zu schützen.


Wie ernst meinen wir es mit der Eingliederung?

Endlich haben wir uns wegbewegt von der eher akademischen Frage, was ist Integration und sind angekommen bei der selbstverpflichtenden Aufgabe: Wir wollen Integration. Grundsätzlich ist das kein neuer Appell. Aber der Horizont hat sich geweitet. Es geht auch um die Mehrheitsbevölkerung, denn Zuwanderer und Einheimische leben nicht einfach nebeneinander, sondern in einer dynamischen Beziehung zueinander; das trifft auch auf Minderheiten zu. Dabei entstehen typische soziale Konflikte in der Nachbarschaft, in Freizeiteinrichtungen und in der Schule.
Bei den einen gilt es, Überfremdungsängste zu mildern, bei den anderen Vertrauen und Bindungen an die kulturell fremde Umgebung zu schaffen.
Warum ist Integrationspolitik zu diesem Zeitpunkt von überragender Bedeutung?

  • Weil Einwanderung erst durch Integration fruchtbar wird und an Attraktivität gewinnt. Wir brauchen einen Wandel zu einer positiven Grundeinstellung gegenüber Einwanderung. Solange es nicht gelingt, die oft risikofreudigen und aktiven Einwanderer in absehbarer Zeit am hiesigen Arbeitsmarkt teilhaben zu lassen, wird die Skepsis, nicht selten auch die Ablehnung vieler Deutscher gegenüber Einwanderung anhalten. Die Einwanderungsgesellschaft muss von der Mehrheit der Bürger gewollt werden, will sie erfolgreich sein.

  • Weil wir in der Zukunft mehr Einwanderung brauchen. Wenn sich ein Grundkonsens zur Einwanderung zwischen Bevölkerung und Regierung nicht herstellen lässt, wird die strittige Einwanderungsdebatte andauern, von der das Signal einer nicht aufnahmebereiten Gesellschaft ausgeht. Weder kann damit der Wettbewerb um die "besten Köpfe" gewonnen werden, noch finden Integrationsprogramme ausreichende Unterstützung Ländern und Kommunen.

In der Kiezschule fällt die Entscheidung
Defizite in der schulischen und beruflichen Bildung treten in erheblichem Maß auch bei Kindern und Jugendlichen nichtdeutscher Herkunftssprache auf, die in Deutschland geboren oder aufgewachsen sind. Die schulische Bildung gehört also zu den Kernbereichen der Integration. Zahlreiche Vorschläge, wie die Zahl und die Qualität der Schulabschlüsse erhöht und verbessert werden könnten, begleiten derzeit die Diskussion. Es wird jedoch nicht ausreichen, hier und da die Lehrerausbildung zu optimieren, mehr Deutschkurse für ausländische Mütter einzuführen oder die Zahl der Kindergartenplätze zu erhöhen. Gebraucht werden längere Lernzeiten für Schüler nichtdeutscher Muttersprache, weil sie häufig deutsche Sprachkenntnisse und grundlegende Fertigkeiten und Orientierungen nur in der Schule lernen können. Ihre Familien sind mit der beiläufigen Vermittlung solcher Grundfertigkeiten überfordert. Die deutsche Sprache ist besonders für Kinder, die in Bezirken mit einem hohen Migrantenanteil aufwachsen, nur noch in der Schule Kommunikations- und Begegnungssprache. In der Familie, auf dem Spielplatz, in der Nachbarschaft kommt sie nicht vor. Wenn Kinder nichtdeutscher Muttersprache nur dieselbe Zahl an Unterrichtsstunden in der Schule absolvieren , bleibt die geforderte Chancengleichheit oft auf der Strecke. Deutschsprachige Kinder sprechen und hören Deutsch auch am Nachmittag beim Spielen, beim Besuch von Freunden und Verwandten, beim Sport.
Für viele Kinder aus Migrantenfamilien ist der Gebrauch der deutschen Sprache auf die Schule begrenzt. Für sie wäre der Besuch einer Ganztagsschule deshalb eine bahnbrechende Systemänderung, die ihre Chancen für einen qualifizierten Schulabschluss erheblich steigern würden. In vielen europäischen Ländern. hat sich diese Schulform schon längst durchgesetzt, zum Vorteil für die Kinder von Zuwanderern.


Mit den Institutionen ändern sich auch die Einstellungen

Wenn die deutsche Gesellschaft sich tatsächlich zur Integrationsgesellschaft weiterentwickeln soll, dann haben sich alle Institutionen, die Öffentlichen wie auch die Privaten auf strukturelle und inhaltliche Veränderungen einzustellen. Nicht nur die Schule, auch der öffentliche Dienst, die Polizei, die Justiz, die politischen Parteien, die Krankenhäuser, die Gewerkschaften, die Kammern, die Kirchen, die Banken, die Sportvereine – um einige zu nennen - müssen sich die Frage stellen, ob alles getan wird, Zuwanderern gegenüber Offenheit zu signalisieren oder sie bewusst oder unbeabsichtigt auszuschließen. Ist es wirklich unverzichtbar und noch zeitgemäß, um ein Beispiel zu nennen, wenn die Fleischerinnungen landauf, landab darauf bestehen, dass bei der Gesellenprüfung ein Schwein fachgerecht zerlegt wird? Warum kann es nicht auch ein Lamm sein? Muslimische Jugendliche sehen sich oft durch diese Bedingung ausgeschlossen, den Beruf des Fleischers zu erlernen. Erst durch eine wachsende interkulturelle Ausrichtung aller Institutionen werden die zugewanderten Minderheiten sich angesprochen fühlen und allmählich in diese Einrichtungen hineinwachsen, sie mitgestalten und weiterentwickeln und so die Bedeutung institutioneller Strukturen, die ursprünglich nur auf die Situation und Bedürfnisse deutscher Nutzer zugeschnitten waren, für die gesamte Wohnbevölkerung sichern und fördern. Noch stehen wir bei dieser Entwicklung am Anfang. Wo immer der Blick hinfällt, seien es die Medien, politische Entscheidungsgremien, der öffentliche Dienst, Vorstände von Sportverbänden, Zuwanderer dort anzutreffen, ist die große Ausnahme.
Die konsequente Einbeziehung der Minderheiten ist dabei erforderlich. Dazu gehört ihre Selbstorganisationen zu fördern und zu stabilisieren durch finanzielle Unterstützung wie durch gesellschaftliche Anerkennung. Werden diese Vereine ganz selbstverständlich bei lokalen Ereignissen eingeladen?


Kulturelle Differenz zulassen

Der aktuelle Streit über das Tragen von Kopftüchern in öffentlichen Einrichtungen zeigt, wie verunsichert die deutsche Gesellschaft ist, wenn mit der Zuwanderung auch Lebensstile und Lebensformen auftauchen, die als unmodern, ja als mittelalterlich angesehen werden. Das Verbieten, nicht das kluge Respektieren scheint sich in Deutschland als "Lösung" durchzusetzen, folgt man den Umfragen und den Erklärungen vieler Innen- und Bildungsminister. In einer Situation, in der das Aufeinanderzugehen gerade erst beginnt, ist es unklug und kurzsichtig starre Grenzen zu ziehen in der Art: wer ein Kopftuch trägt, der gefährdet die Demokratie. Abgesehen davon, dass diese staatliche Position Deutungen vorgibt, die dem Staat nicht zustehen, verhindern Verbote die soziale und gesellschaftliche Durchlässigkeit von Lebensformen. Soziale und gesellschaftliche Durchlässigkeit aufrechterhalten, das ist ein unverzichtbares Merkmal von erfolgreichen Einwanderungsgesellschaften. Dazu bedarf es verbindlicher Spielregeln für alle im Stadtteil, wenn kulturelle und religiöse Vielfalt nicht als bedrohlich und überfremdend empfunden werden soll. Toleranz üben, heißt nicht der Wertebeliebigkeit das Wort reden. Im Gegenteil: Toleranz im Sinne von Achtung und Respekt hat Werte zu verteidigen und nicht aufzugeben, z. B. das Recht eines jeden, sich im Stadtteil zwanglos bewegen zu können. Allein diese Selbstverständlichkeit bedeutet, Pflichten einzuhalten, die für alle gelten.