Was ist "Empowerment"?
Sammelkategorie und Konzept für eine Machtbildung von unten
"Empowerment" - das ist ein von der amerikanischen Bürgerrechts- und Frauenbewegung inspirierter und von Rappaport (1984) geprägter Begriff der organisierten Selbstbemächtigung von Menschen und enthält Aspekte für die Reflektion und Einschätzung von Gemeinwesenarbeit (GWA), sozialer Arbeit und sozialen Bewegungen hierzulande, und kann sich für die konzeptionelle Weiterentwicklung von GWA produktiv erweisen.
"Empowerment" - das ist zunächst eine tragfähige Sammelkategorie, der die Entwicklungen der hiesigen sozialen und politischen Bewegungen zugeordnet und auf den Begriff zu bringen sind. Sie verschafften sich in den letzten zwanzig Jahren gegen übermächtige Interessensgruppen Geltung und konnten einige ihrer Forderungen teilweise durchsetzen, und sie hatten selbst dann Wirkung in der Gesellschaft, wenn sie ihre selbst gesteckten Ziele nicht erreichten (Rammstedt 1978).
"Empowerment" ist ein Konzept, in dem bestehende Machtverhältnisse kritisch, d.h. mit der Perspektive der Veränderung aufgenommen werden; es ist ein Konzept von systematischer Selbstbemächtigung durch gute Organisation und geschickte Kooperation, ein Konzept mit dem eigene Machtquellen zu nutzen und Wege aus der Machtunterworfenheit heraus für mehr Selbstbestimmung und Eigenkontrolle zu finden sind. Dafür ist es grundlegend, Machtpositionen genauer zu analysieren und Behinderungs- und Begrenzungsmacht (Staub-Bernasconi, 1993) zu unterscheiden und die eigenen und fremden Machtquellen richtig wahrzunehmen.
Macht bedeutet die Chance, "den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen" (Max Weber, 1980); sie ist also - anders als es alltagssprachlich durchklingt - an und für sich nichts Schlechtes, es kommt vielmehr darauf an, für sich und andere etwas daraus zu machen. Macht ist auch nichts Unabänderliches und Statisches; Machtpositionen sind auf Zufuhr von Legitimation und Erneuerung angewiesen, sind angreifbar und schutzbedürftig.
"Empowerment" kann als Denkansatz dazu beitragen, die Macht- und Vorurteilstrukturen, Spannungen und Konflikte in den Arbeitsfeldern genauer auszuleuchten, zu beeinflussen und die Handlungskonzepte stärker daran auszurichten. Dafür wäre eine neue Qualität der Zusammenarbeit zwischen den politisch engagierten Fachkräften in den Institutionen und AkteurInnen in den Organisationen der Vernetzung, Praxisforschung und Weiterbildung anstrebenswert.
Wozu Empowerment ?
Strategien sind vorrangig auf das Selbstinteresse von AkteurInnen, ihre Kontexte, Aufgaben und Zielsetzungen zu klären. Es lohnt sich auch nach langjähriger Praxis die Zielperspektiven immer wieder genau zu prüfen, um Zielambivalenzen und Divergenzen zu erkennen, um sich zu vergewissern, inwieweit die verfolgten Wege tatsächlich noch auf das Ziel hinführen. So wird erkennbar, welche Umwege, Nebeneffekte und Risiken des Ansatzes in Kauf genommen und eingetreten sind. Ferner ist es wichtig, sich und anderen klar zu machen, welche heimliche Lehrpläne wirksam sind. Es reicht also nicht, die angestrebten und erreichten Verbesserungen der Lebensbedingungen zu vermelden, sondern auch danach zu fragen, was von den Beteiligten auf dem Weg dorthin zu erlernen ist.
Wenn wir z.B. von einem für die GWA typischen Grundsatzziel ausgehen: die Verbesserung der Lebensbedingungen von Menschen, die in einem bestimmten Gebiet wohnen, so wird daran schnell klar, dass dieses Ziel mehrdeutig ist und ganz unterschiedlich daran gearbeitet werden kann. Zunächst wäre zu konkretisieren, welche Zielgruppen welchen Alters und Geschlechts, welcher Herkunft und Lebenslage hauptsächlich gemeint sind. Genaugenommen beinhaltet das Ziel jedoch immer mindestens zweierlei: zum einen "Mehr Chancengleichheit", d.h. die Lebensqualität und soziale Sicherheit soll durch eine verstärkte Zufuhr von materiellen und personellen Ressourcen (Einkommen, Wohnraum, Infrastruktur, soziale Dienste, anwaltschaftliche und organisatorische Hilfen, Abbau von Sanktionsdruck, Benachteiligung und Diskriminierung) verbessert, und den Betroffenen mehr Mitbestimmung bei Entscheidungen gewährt werden. Zum anderen jedoch wird von diesen Menschen "Mehr Eigeninitiative und Selbsthilfe" verlangt, d.h. sie sollen ihre Lebensbedingungen selbst verändern, ihre eigenen Möglichkeiten und Kompetenzen nutzen, um unabhängiger und selbständiger zu werden. Es ist deshalb grundlegend in den Konzeptionen zu klären, welchen Stellenwert die Aspekte Versorgung (Ressourcenzufuhr u.a. durch fachliches Know-how) und Selbstorganisation (Interessenorganisation und Solidarisierung) haben sollen; und in der Praxis wäre darauf zu achten, welche Wechselwirkungen zwischen Hilfe für die AdressatInnen und ihrer Selbsttätigkeit auftreten. In dem Ruf nach mehr Chancengleichheit und Eigeninitiative und seiner unterschiedlichen Betonung in der Praxis schwingen verschiedene gesellschaftspolitische Grundvorstellungen über Soziale Sicherheit zwischen Sozialstaat und Zivilgesellschaft, zwischen einer hoheitlichen Vergesellschaftung (Rödel/Guldimann, 1978) oder autonomen Vergemeinschaftung sozialer Risiken mit, die sich in der GWA z.T. in konkurrierenden Auffassungen und Konzepten ausdrücken.
Handelt es sich hier um zwei voneinander abgewandte Seiten einer Medaille, oder um ganz verschiedene, untereinander nicht frei konvertierbare Währungen und wie könnte das Verschiedene für eine problemgemäße und menschengerechte Praxis füreinander übersetzt, produktiv kombiniert und umgemünzt werden?
Empowerment - ja, aber wie?
Soziale Selbsthilfe, Interessenorganisation von Betroffenen und Einmischung von Fachkräften beinhalten unterschiedliche Aspekte von Empowerment. Sie enthalten jeweils spezifische Risiken, die wachsen, je einseitiger und isolierter der Ansatz angewendet wird. Ihre Vernetzung ist für die Weiterentwicklung wirksamer Strategien von Machtbildung und Einmischung wichtig.
Die Ausgangsbedingungen und der Entwicklungsbedarf sind lokal und regional sehr verschieden. Die genannten Praxisformen sind nicht überall gleich ausgeprägt, und sie werden nicht von allen als gleichrangig erkannt und ernst genommen. Vieles passiert ungleichzeitig und läuft unvermittelt aneinander vorbei.
Empowerment, Soziale Selbsthilfe und Selbstorganisation
Zunächst einmal ist an die Selbstorganisation und Soziale Selbsthilfe (Runge/Vilmar, 1988) von Betroffenen zu denken, mit den Maximen von Selbstbestimmung, Eigenverantwortung, Freiwilligkeit, gegenseitiger Hilfe und Solidarität, an Interessengemeinschaften, die sich ohne institutionelle Förderung und Fachpersonal als Selbsthilfegruppe oder politische Initiative bilden, und oft nur begrenzte Kontakte zu den professionellen Diensten und den Institutionen unterhalten. Konstitutiv ist hier das Engagement für sich und Seinesgleichen, es kann aber auch deutlich darüber hinausreichen, wichtig bleibt jedoch die weitgehende Übereinstimmung von persönlichen Motiven und dem Zweck der Organisation. Solche Selbsthilfezusammenschlüsse sind in sozialen Brennpunkten allerdings seltener zu finden, als in besser situierten Milieus. Die hohe Bewertung des Prinzips der Selbstorganisation und der Umstand, dass Soziale Selbsthilfe anders als die klassische Ehrenamtlichkeit von Bürgerinnen weniger von sozial-karitativen Motiven lebt, kann die geringe Ambition von vielen selbstverwalteten Initiativen und Projekten erklären, ihr Engagement auf bestimmte Personenkreise und Problemgebiete auszuweiten. Hier stehen engagierte Einmischung für die eigenen Belange einer Enthaltsamkeit gegenüber, wenn es um andere Problembereiche geht.
Die kritische Distanz der Projekte Sozialer Selbsthilfe gegenüber den professionellen Regeldiensten und Institutionen wird oft mit schlechten Erfahrungen begründet, aber je mehr sie von wichtigen Informationen aus den institutionellen Bereichen abgekoppelt sind, desto schwerer fällt eine wirkungsvolle Einmischung in die lokale Sozialarbeitspolitik, desto höher ist das Risiko imaginierten Feindbildern aufzusitzen und desto schlechter sind die Durchsetzungschancen, weil die Gruppen in Konfliktfällen für ihre GegnerInnen in den Institutionen leicht zu marginalisieren sind (vgl. dazu Bitzan/Klöck 1993). Mit einer Selbstbegrenzung, Vereinseitigung oder Isolierung des Ansatzes wären also spezifische Probleme und Risiken verbunden. Die Wirkungschancen des Ansatzes hängen sehr von Vernetzung in punkto Information, Organisation, Argumentation und Begründung ab. Damit ist eine Vernetzungsstrategie gemeint, die in die Institutionen hineinreicht, mit der die Begrenzung auf das Selbstinteresse der Gruppe gelöst werden, sodass mehr gesamtheitliche Problemsicht und solidarische Hilfen entstehen können, die nicht unmittelbar an das Prinzip der Gegenseitigkeit, d.h. an Gegenleistungen gebunden wären. Und so wäre es möglich, Parteilichkeit für die Ausgegrenzten, die weit weniger Ressourcen zur Selbstorganisation haben, zu entwickeln, ihnen also entgegenzukommen und ein Mandat für Problemgebiete zu entwickeln. Für einen solchen Prozess wäre es wichtig, dass die GWA im Kontext der Sozialen Selbsthilfe wiederentdeckt wird.
Empowerment, Aktivierung und Interessenorganisation von Betroffenen
Die Aktivierung und Organisierung von Betroffenen beinhaltet die Maximen: Solidarisierung und Selbstorganisation, aber auch Parteilichkeit von externen AkteurInnen, die sich hier politisch engagieren wollen oder im Auftrag einer Institution hierher geschickt worden sind, und die trotz allen Unterschieden in Alter, Geschlecht und Herkunft versuchen wollen, die gemeinsamen Interessen der Menschen systematisch herauszufinden, zu bündeln und durchsetzungsfähig zu machen. In diesem Konzept z.B. von Community Organizing geht es einerseits darum, Abhängigkeiten und erlernte Hilflosigkeit abzubauen, die (Definitions-) Macht der ExpertInnen und Sanktionen zu begrenzen, und andererseits die Nützlichkeit von Solidarität zu erfahren, sich intern und extern mehr Anerkennung zu verschaffen, eigene Kompetenzen zu entdecken und zu entfalten, und auch einmal erfolgreich zu sein, um Selbstvertrauen und Mut zu schöpfen.
Im Erfolgsfalle wird erfahrbar, dass sich das eigene Engagement lohnt, dass mit der gemeinsamen Organisationsanstrengung und Solidarisierung etwas veränderbar wird, und dass man sich aufeinander verlassen kann. Wenn mit dem Ansatz keine externen Ressourcen einbezogen werden, schmoren die Betroffenen im eigenen Saft und bleiben auf sich alleine gestellt. Mit Niederlagen, Entmutigung und Resignation als Gegenteil von Empowerment wäre zu rechnen. Transparenz ist nötig, weil vieles von den Zugängen, Zuschreibungen und Zugehörigkeiten abhängt, d.h. wer wird in gelebten Vorurteilstrukturen wie angesprochen und einbezogen? Wie wird mit Dominanzen, Führungsansprüchen, Selbsteinschätzungen und Ausgrenzungen einzelner Gruppen umgegangen?
Die Unschärfe des Prinzips von Parteilichkeit stellt sich hier als ein Problem, für wen die eigenen organisatorischen Ressourcen konkret eingesetzt werden und für wen nicht. Es bedarf Klarheit, Geschicklichkeit und Entschlossenheit im Umgang mit den verschiedenen Gruppen, wenn die Aufgabenzuweisungen durch einzelne Führungscliquen ausbalanciert und eine einseitige Funktionalisierung vermieden werden sollen. Ohne eigene Kontexte zur Orientierung, Selbstvergewisserung und Grenzziehung gegenüber den organisierten BürgerInnen wäre die professionelle Rollendistanz und Handlungssicherheit schwer zu erhalten; hier wäre zu klären, wo Zurückhaltung und wo Entschiedenheit wichtig sind und beizeiten Grenzen abzuschätzen, an denen das Prinzip der Selbstbestimmung der organisierten BürgerInnen mit dem Selbstinteresse der OrganizerInnen und ihrer Willensbekundung in Konflikt gerät, um bei Fehlentwicklungen entschlossen gegenzusteuern.
Wenn z.B. ein gut funktionierender und erfolgreicher Bürgerverein, der fast alle Haushalte eines Viertels als Mitglieder organisiert hat und zu einem Sprachrohr in Mietangelegenheiten geworden ist, im Falle eines türkischen Gemüsehändlers, dessen Laden angezündet worden ist, keine Stellung bezieht und sich nicht solidarisiert, dann wäre, wie auch im Falle von Anfeindungen gegen Flüchtlinge, Konfliktfähigkeit auch innerhalb der Bürgerorganisation und die Stellungnahme, Eigeninitiative und Impulse der OrganizerInnen gefordert.
Bezogen auf die Arbeit, Planung und Gestaltung der sozialen Dienste und Einrichtungen, die nur einzelne Gruppen von BewohnerInnen direkt betreffen, aber die Lebensbedingungen in einem Viertel mitprägen, stellt sich die Frage inwieweit sich Organisationen von BürgerInnen auch in die lokale Sozialarbeitspolitik für die Verbesserung der Versorgung mit Dienstleistungen und zum Abbau von Sanktionen und Diskriminierungen einmischen können, sollen und wollen. Es wäre allerdings fragwürdig, wenn eine Einflussnahme immer nur durch Aktivierung und Selbstorganisation zustande kommen würden; dies könnte zur Überlastung der Betroffenenorganisation führen. Wenn die Voraussetzungen in Form von organisationsfähigen Problemstellungen dafür vorhanden wären, kann Community Organizing auch zur Einmischung in die lokale Sozialarbeitspolitik beitragen. Ansonsten wären Interessen und Kritik von Betroffenengruppen im Kontext fachpolitischer Initiativen vorzutragen.
Community Organizing kann gemeinwesenorientierte soziale Arbeit und eine problemangemessene und menschenwürdige Versorgung mit sozialen Diensten und Infrastrukturen nicht ersetzen, wohl aber zur Entwicklung von Partizipation und mehr Kontrolle der Institutionen durch das Gemeinwesen, zu mehr Transparenz und Öffentlichkeit beitragen.
Empowerment und Einmischung in Kommunalpolitik, Sozialarbeitspolitik und lokale Ökonomie
Unter eigenständigen Initiative von Fachkräften zur Verbesserung der Versorgungslage sind Ansätze zur Organisierung der Fachbasis und Planungskooperation, aber auch die stellvertretende Einmischung in die Kommunalpolitik oder in die lokale Ökonomie zu verstehen, und sie folgen den Maximen: Weiterentwicklung von Fachkompetenz und Anwaltschaftlichkeit.
Für dieses Konzept sind Fachleute am Werk, die ihre Arbeit problemgerecht und qualifiziert erledigen wollen und sich in interinstitutionellen Arbeitsgemeinschaften (z.B. nach § 78 KJHG für die Jugendhilfeplanung) zusammensetzen, mit den Entscheidungsträgern verhandeln, und dabei die Planungsbetroffenen mehr oder weniger informieren und beteiligen. Es geht ihnen um die Verbesserung von Wohnraum und Arbeitsbedingungen, Infrastrukturen und Diensten, um die Mitwirkung und Mitbestimmung von BürgerInnen, und um die Einmischung in die Kommunalpolitik und lokale Sozialarbeitspolitik (Müller/ Olk/ Otto 1983).
Manche AkteurInnen entwickeln ihre Kompetenzen deutlich über das Nur-Soziale hinaus, indem sie wirtschaftliche Projekte für den lokalen Arbeits- und Wohnungsmarkt, z.B. neue Wohnungsgenossenschaften, Beschäftigungs- und Qualifizierungsprojekte gründen.
Einen sozialen Brennpunkt mit einem Genossenschaftsmodell aufzukaufen bevor er zum Spekulationsobjekt wird, und ihn dann mit den BewohnerInnen in einer Kombination von Eigenarbeit und Beschäftigungs- und Qualifizierungsprojekt zu sanieren, kann für die Verbesserung der Lebensbedingungen der Menschen enorm produktiv sein. Die Vorgeschichte und der zeitliche Vorlauf, den ein Projekt hat, ob es von einer Gruppe im Alleingang oder mit breiter Beteiligung unternommen wurde, und inwieweit das Eigeninteressen und die Arbeit der Professionellen die Interessen der BewohnerInnen treffen, bilden die soziale und politische Verwurzelung und Vertrauensbasis dieses Ansatzes, und tragen zu seiner Legitimität bei.
Die Beteiligten und Betroffenen können dabei gesellschaftlich mehrerlei zu lernen: Es ist gut, dass es engagierte ExpertInnen gibt, deren Initiativen ungeahnte Möglichkeiten für die persönliche Entwicklung eröffnet; und es ist gut, von ihnen eine Chance zu bekommen.
Die Wohnungs-, Beschäftigungs- und Qualifizierungsprojekte dienen v.a. denjenigen als Ermutigung, die sich am Markt der Erwerbsarbeit und/oder in der Eigenarbeit als leistungsfähig erweisen können. Die Verbesserung ihrer individuellen Ausstiegschancen kann entsolidarisierende Wirkung haben, wenn die Leistungsfähigen aus dem Brennpunkt wegziehen und andere, in anderen Lebenslagen und mit weniger Motivation abgehängt werden.
Solche Nebeneffekte sind in integrierten quartierbezogenen Konzepten von Wohnungssicherung, Beschäftigung und Qualifizierung weniger zu erwarten. "Der gute Mensch von Sezuan" (Brecht) bezeugt jedoch eindrücklich, wie schnell solche Ansätze in den Widerspruch von (betriebs-) wirtschaftlichen und (sozial-) politischen Interessen geraten können, wenn sie nicht offen ausgetragen, sondern verschwiegen und ausgemauschelt werden. Jedenfalls jedoch ist es besser, einen guten Anwalt und einen Vermieter zu haben, der sich sozial- und wohnungspolitisch für einen einsetzt, statt einen Spekulanten oder eine Fondsverwaltung, hinter der die Eigentümer anonym bleiben (Bremen-Lüssum) und nicht zur Verantwortung gezogen werden können.
Sozial benachteiligte Menschen sind auf solche anwaltschaftlichen Hilfen tatsächlich mehr angewiesen, als die übrige Bürgerschaft, die sich, wenn nötig, einen guten Anwalt aussuchen und leisten können. So versteht sich, dass Anwaltschaftlichkeit, fachliches Engagement und Einmischung Pflastersteine auf dem Weg zu mehr Chancengleichheit, Vertrauensbildung und sozialer Sicherheit sind. Aber engagierte Eigeninitiativen von Fachkräften als Einmischung in Kommunalpolitik und lokale Ökonomie sind weder selbstverständlich noch sehr weit verbreitet; sie setzen ein entsprechendes Selbstinteresse voraus, stellen besondere Anforderungen an die Organisations- und Kompetenzentwicklung, und erfordern fähige Kooperations- und BündnispartnerInnen.
Die Organisierung der Fachbasis, die oft so fraktioniert und zerstritten ist und sich so machtunterworfen wie ihre Zielgruppen verhält, fällt auch nicht leicht. Die Motivationslagen, Eigeninteressen und Kompetenzen der KollegInnen sind sehr ungleich und werden von übergeordneten Organisationsinteressen ihrer teils konkurrierenden, teils blockbildenden Träger noch überlagert. Das macht die Situation oft so kompliziert.
Selbst wenn der Wille zur Kompetenzentwicklung und Einmischung bei einzelnen AkteurInnen vorhanden ist, so stehen in der Trägerkonstellation zusätzliche Konfliktherde bereit, auf denen verschiedene Süppchen kochen, die in den Koordinations- und Entscheidungsgremien auszulöffeln sind. Eine Planungskooperation von unten ist so schwierig, weil sie der Fachbasis immer dann entzogen und zur Chefsache gemacht werden kann, wenn Organisationsinteressen berührt werden. Weil damit immer zu rechnen ist, kommt es bei der Entwicklung von Kooperationsstrategien immer auch auf einen kritischen Blick auf Institutionen und Hierarchien an.
Die Wirksamkeit von trägerübergreifenden Arbeitsgemeinschaften hängt wesentlich davon ab, inwieweit die Beteiligten ihre Konflikt- und Durchsetzungsfähigkeit in ihren Institutionen und über sie hinaus entwickeln, weil ihre Innovationen ansonsten in der Konkurrenz von Trägern und AkteurInnen hängen bleiben.
Ein Kooperationsverbund beinhaltet die Chance, die Informationsbasis für konzertierte Aktionen gegen Restriktionen in der Kommunalpolitik und Praxiswiderstände in der Sozialarbeit zu verbessern. Würde jedoch bei solchen fachpolitischen Initiativen die Interessenorganisation von BürgerInnen vergessen oder nicht gleichrangig und konsequent daran gearbeitet, bekämen sie bedenkliche Schlagseite: Eine Machtbildung durch ExpertInnen an und für sich würde, selbst wenn der Ansatz von den AkteurInnen anwaltschaftlich gemeint wäre, die gesellschaftliche Tendenz der Einseitigkeit von Informationspolitik, der Verfestigung von Machtstrukturen und der Entmündigung durch ExpertInnen bestätigen. So würden die Kontrollverluste von Planungsbetroffenen verstärkt, die Expertenherrschaft verfeinert und Probleme verfachlicht.
Ein solcher Ansatz von Machtbildung wäre für die Zwecke der Machthaber leicht instrumentalisierbar. Deshalb kommt es hier unbedingt darauf an, mit bewusster Informationspolitik und einer Umkehrung des Informationsflusses (Mathiesen, 1986) Öffentlichkeit und Transparenz zu schaffen und Räume für Mitbestimmung zu öffnen. Ferner wäre Wert darauf zu legen, dass die Wirkungsweise des Ansatzes selbstkritisch analysiert und dargestellt wird: Wem bringt unsere Machtbildung welchen Nutzen; wem bringt sie nichts oder schadet sie? Die positiven wie die negativen Begleiteffekte wären von Wohnungs-, Beschäftigungs- und Qualifizierungsprojekten und von trägerübergreifenden Arbeitsgemeinschaften in Form einer Sozialbilanz zu dokumentieren.
Empowerment als Verbindung von Selbstorganisation und Professionalität: Anwaltschaft, Solidarität und Parteilichkeit ?
Für eine Kombination von Selbstorganisation und Professionalität, von Solidarisierung, Anwaltschaft und Parteilichkeit sprechen zunächst die spezifischen Risiken eines jeden Ansatzes, die umso höher einzuschätzen sind, desto isolierter vorgegangen wird. Trotz aller Unterschiede der Ansätze ist eine intensive Vernetzungstätigkeit aussichtsreich.
Sie wird je nach dem Entwicklungsstand von Sozialer Selbsthilfe, Trägerkonstellation und dem Zustand der Fachbasis für ein Gleichgewicht von Interessenorganisation und Einmischung regional und örtlich unterschiedliche Akzente setzen müssen. Eine qualifizierte Praxis und Innovationen erfordern überall beides, und ein Gleichgewicht von Engagement und Fachkompetenz, von Selbstinteresse und Solidarität, was ohne gemeinsame Arbeitszusammenhänge und einen funktionierenden Kooperationsverbund verschiedener Ansätze kaum zu bündeln wäre.
Die Unterversorgung mit sozialen Dienstleistungen ist ein Aspekt von Armut. Soziale Dienste können Lebensbedingungen von Menschen sehr belasten. Eine bessere Qualität entsteht ohne Einmischung in die kommunale Sozialpolitik und lokale Sozialarbeitspolitik meistens nicht. Eine Abstinenz der Sozialen Selbsthilfe, der Bürgerorganisation oder der Professionellen wäre in jedem Falle verkehrt. Nicht jede Form der fachlichen Eigeninitiative für Veränderungen in den Institutionen (z.B. in den Regeldiensten) wirkt für die Betroffenen entmündigend, sie sollten allerdings etwas davon erfahren, sonst wären Anwaltschaft und Parteilichkeit äußerst fragwürdig.
Fehlende Mitbestimmung und Kontrolle der Menschen über die Institutionen, die mit ihren Bediensteten tagtäglich in ihr Gemeinwesen hinein intervenieren, ist ebenfalls ein Aspekt von Armut. Die Skepsis gegenüber dem Eigensinn von Institutionen und ihren Professionellen ist angebracht, weil ohne Interessenorganisation von Betroffenen Beteiligung und Einfluss kaum ermöglicht werden. Hier stehen Fachkräfte in der Bringeschuld.
Interessenorganisation benötigt Informationen, Ressourcen und BündnispartnerInnen, weil im Falle von Fehlentwicklungen und Misserfolgen die Entmutigung groß wäre. Und Impulse von außen sind so wichtig, weil sonst das Risiko von unreflektierter Ausgrenzung anderer Menschen, von imaginierten Feindbildern und Bunkerdenken wächst (Grenzen der Solidarität). Für Menschen, die weder Ressourcen zur Selbstorganisation noch engagierte Anwälte haben, wäre es wichtig, dass das vorhandene Engagement im Gemeinwesen über die unmittelbaren Eigeninteressen gesellschaftlich ausgeweitet und eine pressure-group z.B. für Flüchtlinge entsteht. Das ist nicht überall der Fall (Grenzen der Selbstorganisation). Auch hier wäre die Anwaltschaft von Professionellen gefragt.
In Arbeitskontexten zwischen AkteurInnen aus der Sozialen Selbsthilfe, Bürgerorganisationen und Fachkräften aus den Institutionen besteht - trotz der zu erwartenden Konflikte - die Chance, Lösungsansätze zu finden, in denen der berechtigte, kritische Blick aufeinander konstruktiv genutzt wird und wechselseitig mehr Information, Transparenz und eine gesamtheitliche Problemsicht, sowie desweiteren ein gemeinschaftliches Mandat für die Beeinflussung der Entwicklungen im Gemeinwesen, entstehen. Für die Professionellen eröffnet eine Zusammenarbeit mit Interessenorganisationen und Fachkräften anderer Institutionen mehr Gelegenheit, sich - wenn nötig - vom Ressort- und Domänedenken des Trägers zu lösen und die Handlungsspielräume für sich und andere zu erweitern.
Empowerment als Kombination von Interessenorganisation und Einmischung zur Entwicklung von Gegenmacht
Die Lebenswelten, Lebenslagen und Formen der Lebensbewältigung von Menschen und ihre Problemsicht und Interessen sind mit der Tendenz einer Spaltung der Gesellschaft gegensätzlicher geworden. Die Organisierung von BürgerInnen ist schwieriger denn je, insofern sie sich nicht schon von sich aus als Selbsthilfegruppe oder eingebettet in eine breitere soziale oder politische Bewegung zusammenschließen. Auf die Innovationen und Schubkraft von neuen Bewegungen zu warten, wäre unbefriedigend. Fatalerweise laufen politische Bewegungen gegenwärtig in eine ganz verkehrte Richtung. Die gesellschaftlichen Spannungen, Feindseligkeiten und Resignation nehmen zu und das Wurzelwerk alter Vorurteilstrukturen steht im Verteilungskampf von oben nach unten gut im Saft. Die organisationsbildende Kraft von Konfliktgegnern wird heute von rassistischen Kadergruppen gegen MigrantInnen und sozial Ausgegrenzte genutzt. Die eigentlich relevanten Konfliktparteien im oberen Bereich der gesellschaftlichen Hierarchie bleiben unangetastet.
In der GWA ist die Aufgabe, Interessen von Betroffenen zu organisieren, in den letzten Jahren nachrangiger behandelt worden, andere Arbeitsansätze und Organisationsformen mit kalkulierbaren Kooperationspartnern und zur Erschließung von Ressourcen wurden favorisiert. Diese Verlagerungen in der Strategiebildung sind nachvollziehbar und erfolgreich. Sie haben in vielen Projekten jedoch zur gänzlichen Vernachlässigung der Interessenorganisation von Menschen geführt, und es sind konzeptionelle Verkürzungen und methodische Ausblendungen entstanden. Das Schwierige ist seltener versucht und weniger darüber nachgedacht worden, was für die Organisisierung von Interessen konzeptionell und methodisch zu verbessern wäre. Künftig wird es in der GWA wieder mehr darum gehen müssen, den Blick für ihre eigene Machtquellen zu schärfen, den Willen der AkteurInnen zur Machtbildung zu stärken und die Entwicklung von Gegenmacht zu fördern. Dafür ist es wichtig, die Professionalität in einem politischen Sinne weiterzuentwickeln: Sozialpolitische Handlungskompetenz setzt eine politische Bewertung von Praxis voraus, die sich danach bemisst, wie mit den eigenen Ansätzen zur Verbesserung von Lebensbedingungen vorhandene Ressourcen verteilt, weitere aktiviert oder geschaffen werden. Dies setzt die Fähigkeit zur selbstkritischen Reflektion, die Aneignung zusätzlicher Kompetenzen für die Einmischung in Politik und Wirtschaft, sowie eine politische Qualität professioneller Rollendistanz voraus. Dazu gehört die Einsicht, dass zur Machtbildung das strategische Doppelspiel von drinnen und draußen und das Zusammenspiel mit Initiativgruppen wichtig ist, dass für konzertierte Aktionen an verlässlichen Vernetzungsstrukturen und einer bewussten Informationspolitik gearbeitet werden muss. So kann eine Professionalität entstehen, die ihr Mandat nicht nur von einer Institution ableitet, es für die Vernetzungsarbeit jedoch nutzt. Qualifizierte Praxis und Professionalität gehen im Arbeitsauftrag und Organisationsinteresse eines einzelnen Trägers nie restlos auf. Alleingänge führen im Arbeitsprinzip Gemeinwesenarbeit und angesichts der Komplexität von Aufgaben kaum zum Ziel.
Der Autor
Prof. Dr. Tilo Klöck, Diplom-Pädagoge, Sozialwissenschaftler, Jg. 1954, lehrt an der Fachhochschule München, Fachbereich Sozialwesen. Er leitet dort den Studienschwerpunkt Interkulturelle Arbeit und ist in den Reformbeirat des Sozialreferats München zur Dezentralisierung der größten Sozialverwaltung Deutschlands berufen worden. Und er evaluiert die Entwicklung und Perspektiven des Arbeitsprinzips Gemeinwesenarbeit für die Landeshauptstadt München.
Zuvor war er Dozent im Burckhardthaus Gelnhausen und an der Universität Tübingen in der Praxisforschung und als Jugendhilfeplaner. Und er war in der Selbstverwaltungswirtschaft tätig.
Einschlägige Publikationen im AG SPAK-Verlag: Solidarische Ökonomie und Empowerment (1998); Politikstrategien, Wendungen und Perspektiven (1994); Wer streitet denn mit Aschenputtel? Konfliktorientierung und Geschlechterdifferenz als Chance zur Politisierung der Sozialen Arbeit (1993).
Der vorstehende Artikel basiert auf bearbeiteten Auszügen aus Klöck, Tilo: Empowerment Bitzan/Klöck (Hg.): Politikstrategien, Wendungen und Perspektiven, GWA-Jahrbuch 5, AG SPAK München 1993