Bürgergutachten durch Planungszellen
Kontakt:
Diplom Geograph Benno Trütken, Forum b - Büro für Beteiligungsverfahren, Dorfmüllerstr. 27, 49584 Fürstenau, Tel. & Fax: 05901-9618-88/77, Email: BTBeteiligungsverfahren@t-online.de, Internet: http://www.forumb.de/
Die Definition der Planungszelle aus der ersten Auflage des Dienel’schen Basistextes von 1977 besitzt auch nach 30 Jahren noch Gültigkeit:
"Die Planungszelle ist eine Gruppe von Bürgern, die nach einem Zufallsverfahren ausgewählt und für begrenzte Zeit von ihren arbeitsalltäglichen Verpflichtungen vergütet freigestellt worden sind, um, assistiert von Prozessbegleitern, Lösungen für vorgegebene lösbare Planungsprobleme Probleme zu erarbeiten."
Was sind Planungszellen?
Die Regelgröße einer Planungszelle beträgt ca. 25 Personen. Diese über die Einwohnermeldeämter ausgewählten Bürgerinnen und Bürger erhalten die Möglichkeit, vier Tage an der Lösung eines öffentlichen Problems zu arbeiten. Die Repräsentativität und damit die Durchsetzungskraft der Empfehlungen wird dadurch gesteigert, dass mehrere Planungszellen zu einer Problematik arbeiten (bisher max. 24 Planungszellen). Im Laufe des Verfahrens teilen sich die 25 Teilnehmenden einer Planungszelle in immer wieder neu zusammengestellte Kleingruppen à 5 Personen auf, um dort die zuvor erhaltenen Informationen von Experten/innen und Betroffenen, sowie Ergebnisse von Begehungen und Hearings mit ihren Alltagserfahrungen zu vergleichen und zu bewerten.
Phasen
Informations- und Beratungsphase
Tag der
Empfehlungen
Donnerstag
Tage
Familie
Montag
Familie + Institutionen
Dienstag
Institutionen +Nahraum
Mittwoch
8.00-9.30
9.00-10.30Erste Einstellungen
Kinderbetreuung
Schule I
Reflexion
Kaffeepause
10.00-11.30
11.00-12.30Erziehungskompetenz
Praxistest
Schule II
Empfehlungen I
Mittagessen
12.30-14.00
13.30-15.00Familie &
NetzwerkeOpen Space
Räume für Kinder &
JugendlicheEmpfehlungen II
Kaffeepause
14.30-16.00
15.30-17.00Vereinbarkeit
Familie & BerufPlanungszirkel
Partizipation
Abschlussrunde
Die einzelnen Arbeitsphasen von etwa 1,5 Stunden unterteilen sich in der Regel in eine kurze Einführungsphase durch den Moderator, einen Informations-Input (z.B. Experten-Referat, Hearing, Besichtigung), Bearbeitung des Inputs in Kleingruppen, abschließende Besprechung und Bewertung im Plenum.
Beispiel: Montag 12.30 Uhr Familie & Netzwerke
Uhrzeit Min. Programm 12:30 05 Einführung in die Arbeitseinheit 12:35 25 Impulsreferat Familiäre Netzwerke 13:00 10 Sachliche Rückfragen 13:10 30 Gruppenarbeit 13:40 20 Ergebnispräsentation und Punktung 14.00 30 Kaffeepause
Wie läuft das Verfahren ab?
Der Auftraggeber des Planungszellenverfahrens (z.B. Rat oder Ministerium) gibt eine konkrete, genau abgegrenzte Problemlage zur Bearbeitung an einen unabhängigen Durchführungsträger. Dieser erstellt Programm und Zeitplan des Beteiligungsverfahrens, betreut das Auswahlverfahren, organisiert die notwendige Öffentlichkeitsarbeit im Vorfeld und den Ablauf und ist auch für die Moderation sowie die Zusammenfassung der Ergebnisse im Bürgergutachten zuständig. Im Bürgergutachten wird die Arbeitsaufgabe ebenso erläutert wie das Verfahren, die Ergebnisse und ihre Entstehungshintergründe. Des weiteren werden das Programm und die soziodemographischen Merkmale der beteiligten BürgerInnen vorgestellt. Das Bürgergutachten wird jedem Teilnehmenden überreicht und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht, womit der gesamte Prozess für alle Interessierten transparent gehalten wird.
Welche Voraussetzungen gibt es für Planungszellen?
Das Verfahren muss ergebnisoffen sein, die Teilnehmenden müssen sich klar darüber sein, dass sie "nur" Empfehlungen abgeben, auf der anderen Seite sollte mit dem Auftraggeber vereinbart werden, dass die Empfehlungen entweder umgesetzt werden oder eine begründete Ablehnung erfolgt. Der Durchführungsträger muss für alle Beteiligten erkennbar neutral sein und die notwendigen Kenntnisse für die Durchführung des Verfahrens Planungszelle besitzen. Um die Qualität des Verfahrens zu sichern wurde der Begriff Planungszelle von Mitarbeitern der Forschungsstelle Bürgerbeteiligung & Planungsverfahren geschützt. Wer ein Beteiligungsverfahren mit dem Namen Planungszelle durchführen möchte muss dazu bei dem hierfür gegründeten "institut für bürgergutachten gmbh, citizen-consult" eine Qualitätskontrolle über sich ergehen lassen.
Was unterscheidet Planungszellen von anderen Beteiligungsverfahren? Der wesentliche Vorteil der Planungszelle gegenüber anderen Beteiligungsverfahren liegt in der Auswahl der Teilnehmenden. Während politische Beteiligung sich zumeist auf eine durchaus berechtigte Betroffenenbeteiligung beschränkt, werden in den Planungszellen per Zufall ausgewählte Menschen beteiligt, die in der Regel kein individuelles Eigeninteresse mit dem zu lösenden Problem verbindet. Planungszellen sind deshalb geeignet, für die Gemeinschaft tragbare Lösungsvorschläge zu erarbeiten. Bei einer auf die Interessierten beschränkten Beteiligung hingegen zeigen Praxiserfahrungen, "dass es in erster Linie negativ Betroffene sind, die für eine Mitwirkung mobilisiert werden können. Sie beurteilen den Planungsgegenstand vor allem aufgrund der speziellen Auswirkungen auf die eigenen Interessen und vernachlässigen den übergeordneten Gesamtzusammenhang. Nachträgliche, punktuelle Korrekturarbeit wirkt der konsistenten und konzeptionellen Planungsarbeit jedoch weitgehend entgegen"
Und die Betroffenen?
Die Zufallsauswahl der Bürgergutachterinnen und Bürgergutachter ermöglicht prinzipiell die Teilnahme von Mitgliedern aller gesellschaftlichen Gruppen. Die Möglichkeit, vor einer Art "neutraler Jury" die eigene Meinung geordnet in den Planungsprozess einbringen zu können, schafft Vertrauen bei den Betroffenen. Die Notwendigkeit, sich in der Informationsphase auf das Wesentliche und Machbare zu konzentrieren, unterstützt bei organisierten Interessengruppen den Meinungsbildungsprozess und die Entwicklung alternativer Überlegungen unter stärkerer Berücksichtigung von Fremdinteressen. Der Einblick in die Arbeit der Planungszellen durch begleitende Presseberichte und die Veröffentlichung der Ergebnisse im Bürgergutachten verschafft dem Entscheidungsprozess die nötige Transparenz und regt die themenbezogene Diskussion in der Gemeinschaft an.
Merkmale und Effekte der Planungszelle:
Merkmal Effekt
- Freistellung von arbeitsalltäglichen Verpflichtungen
- Abbau von Teilnahmehindernissen, erhält heterogene Gruppenstruktur
- Vergütung
- Symbol für Ernsthaftigkeit des Projektes
- Identifikation mit der Gutachterrolle
- Information durch Experten, Betroffene, Hearings und Begehungen
- informationsgesättigte Entscheidungen
- nachhaltige Empfehlungen
- Befristete Teilnahme (in der Regel 4 Tage)
- verhindert die Entstehung von verfahrensspezifischen Interessen
- Rotierende Kleingruppenarbeit
- hemmt Meinungsführerschaften
- Partizipation in allen Lebenserfahrungen
- erleichtert Meinungswechsel
- Zusammenfassung der Ergebnisse und des Ablaufs im Bürgergutachten
- Transparenz
- Arbeitsbasis für follow-up
- Basis für Evaluation
- Neutraler Durchführungsträger
- Vertrauensbasis für die Teilnahme
- Ausgeglichenheit der Informationseingabe
- Ausgeglichenheit der Moderation
- seriöse Zusammenfassung im Bürgergutachten
- Zufallsauswahl der BürgergutachterInnen (aus dem Einwohnermelderegister)
- Abbild der Ursprungsgesellschaft mit hoher Heterogenität
- Bürger- statt Betroffenenbeteiligung
- gewährleistet Gleichheitsgrundsatz
Beispiele bisheriger Planungszellen/Bürgergutachten
Projekt
Auftraggeber
Innenstadtsanierung Hagen-Haspe
Innenministerium NRW
Planung des Rathausplatzes Köln-Gürzenich
Stadt Köln/Städtebauministerium NRW
Entwicklung von Prüfkriterien für Warentests
Stiftung Warentest
Stadtentwicklung 2010
Stadt Solingen
Bürgergutachten ISDN
Bundesministerium für Post und Telekommunikation
Bewertung alternativer Autobahntrassen
Baskische Straßenverkehrsbehörde
Zusammenleben von Ausländern und Deutschen
Stadt Buxtehude
Attraktiver Öffentlicher Personennahverkehr in Hannover
ÜSTRA Hannoversche Verkehrsbetriebe AG
Lengerich 2047 – Vorbereitung eines städtbaulichen Ideenwettbewerbs
Stadt Lengerich
Merler Keil- Städtebauliche Entwicklung
Stadt Meckenheim
Bürgergutachten zum Verbraucherschutz in Bayern
Staatsminister für Gesundheit, Ernährung und Verbraucherschutz
Kinder in die Mitte – Empfehlungen für ein kinderfreundliches Vorarlberg
Landesregierung Vorarlberg
Wie hat sich das Verfahren weiterentwickelt?
Durch die Einbettung der Planungszellen in ein mehrstufiges dialogisches Verfahren, mit den Optionen einer vorgezogenen Zielgruppenbeteiligung (mit verschiedenen Methoden) und einer auf Wunsch möglichen Begleitung durch Umsetzungsgruppen wird das Verfahren für immer mehre Einsatzfelder interessant. Darüber hinaus wird mittlerweile mit Auftragsvergabe eine Zwischenpräsentation zur Ergebnisumsetzung vereinbart. Durch diese Vereinbarung wird die Auseinandersetzung mit den Ergebnissen auch nach dem Wechsel politischer Mehrheiten sichergestellt.