Appreciative Inquiry
Bestehende Potenziale freilegen und für die Organisation nutzbar machen
In jeder Organisation gibt es herausragende Erlebnisse. Wenn diese identifiziert und analysiert sind, werden sie von den Mitarbeitern in der Zukunft wiederholt, und die Organisation damit zum Erfolg gebracht. Appreciative Inquiry (AI) - frei übersetzt - ,,wertschätzende Erkundung und Entwicklung" richtet den Fokus auf das Positive in der Organisation - auf jenes, was bereits gut funktioniert. Dadurch verändert es das Denken der Mitarbeiter und des Managements. Appreciative Inquiry, eine Methode, welche die Life Giving Forces einer Organisation zum Vorschein bringt. Die Schlüsselfaktoren, die der Organisation Vitalität, Kraft und Erfolg bringen.
AI ist ein Instrument der Organisationsentwicklung, bei dem es darum geht, das Beste innerhalb einer Organisation zu erkunden, es wertzuschätzen und weiter zu entwickeln. In jeder Organisation gibt es Dinge, die gut funktionieren. Jeder Mitarbeiter hat im Laufe seiner Unternehmenszugehörigkeit erfolgreich gearbeitet, hat Höhepunkte bei sich und anderen erlebt und für das Unternehmen einen wichtigen Beitrag geleistet. Diese Erlebnisse und Erfahrungen bilden die Grundlage für den AI-Prozess. Stets haben die Mitarbeiter Ideale von ihrer Zukunft und ihrer Organisation. Jede Organisation hat Schlüsselfaktoren, die Live Giving Forces, die ihr Vitalität und Kraft geben, um erfolgreich zu sein. AI ist die gemeinschaftliche Suche nach genau dem, was bereits da ist und schon ein Mal erfolgreich machte. AI geht an den Kern der Organisation, nämlich an die Potenziale der Individuen, an die Informationen, an die erreichten Höhepunkte, an geschätzte Werte, an die Geschichten, die im Tagesgeschehen erzählt werden, an die Tradition, Leidenschaft und Träume der Menschen.
AI ist auch eine Form der Unternehmensanalyse. Die Zusammenhänge zwischen Rahmenbedingungen und erlebten Höhepunkten werden transparent gemacht. Was hat es möglich gemacht, ein Gipfelerlebnis zu erfahren? Welche Bedingungen im Umfeld (Arbeitsplatz, Aufgabe, Führung, Zusammenarbeit, Struktur usw.) haben dazu beigetragen? Wenn Mitarbeiter diese Rahmenbedingungen kennen, wissen sie, was sie tun müssen, damit sie mehr davon bekommen können. Durch diese Analyse können sie ihre positiven Erfahrungen verstehen und sie gewollt herbeirufen. Sie bauen ihre Zukunft auf ihren eigenen Errungenschaften aus der Vergangenheit und in der Gegenwart auf. So binden sie die Zukunft fest an ihre individuelle Realität. Daraus entwickelt sich ihr festes Vertrauen, dass großes Potenzial in ihnen steckt.
Abbildung 1: Bedeutung von Appreciative Inquiry |
AI konzentriert sich darauf, Wege und Lösungen für Veränderungen zu erarbeiten. Von dem mehr zu tun, das bereits gelingt, ist das entscheidende Motto. Die Aufmerksamkeit wird auf jenes gelenkt, das Realität werden soll. Denn die Organisation bewegt sich dort hin, wo die Aufmerksamkeit ihrer Mitglieder sie hingelenkt.
Der Fokus des traditionellen Problemlösungsansatzes ist eher darauf gerichtet, das zu beseitigen, was nicht gut läuft. Es wird analysiert, wo Probleme liegen. Ursachen werden gefunden und Gegenmaßnahmen entwickelt. Misserfolge lassen sich natürlich immer finden, wenn danach gesucht wird. Aus Fehlern lernen, so heißt es meist. Allerdings auf Fehler, Mängel und Schwächen zu schauen verbreitet eine schlechte Stimmung. Demotivation, Hoffnungslosigkeit und Unlust sind oft die Folge. Gefühle, die wenig dazu beitragen, engagiert und mutig Veränderungen voranzubringen. Hingegen setzt der Blick auf das Positive Menschen in Bewegung. Die bereits gespürten positiven Erlebnisse lösen Motivation, Hoffnung und Vertrauen in die Zukunft aus. Es entsteht Lust auf das, was kommt. Die Zukunft ist nah, greifbar und für viele sichtbar. Hier entwickeln sich Kraft und Visionen zur Veränderung.
Abbildung 2: Konventioneller Ansatz und AI-Ansatz | |
Konventioneller Ansatz: Probleme lösen | AI-Ansatz: Wege und Lösungen finden |
Probleme identifizieren | Verstehen und wertschätzen dessen, ,,was an Gutem da ist" |
Ursachen analysieren | Entwerfen, ,,was gutes sein könnte" |
Mögliche Lösungen erarbeiten | Vereinbaren, ,,was sein sollte" |
Maßnahmen planen | Planen, ,,was zukünftig sein wird" |
Grundannahme: Die Organisation hat Probleme, die gelöst werden müssen. |
Grundannahme: Die Organisation hat ungeahntes Potenzial, das entdeckt werden möchte. |
David Cooperrider und Suresh Srivastva entwickelten 1987 an der Case Western Reserve University, USA, diese Interventionsmethode. Seitdem wurde AI in unzähligen Unternehmen und Institutionen weltweit erfolgreich eingesetzt, um unter anderem kulturellen Wandel einzuleiten, gemeinsame Visionen zu entwickeln, die Zusammenarbeit oder Qualität zu verbessern. Nun öffnen sich auch deutsche Unternehmen zunehmend diesem Ansatz.
Vier Phasen im AI-Prozess
Ein AI-Prozess besteht aus vier Phasen: der Discovery-Phase (Erkundung und Verstehen), der Dream-Phase (Visionieren), der Design-Phase (Gestalten) und der Destiny-Phase (Umsetzen). Nacheinander werden die einzelnen Phasen durchschritten. Da AI in einer Organisation nicht nur ein Mal durchgeführt werden kann, sondern wiederholt, sind
die Phasen wie in einem Zirkel aneinandergereiht, dem sogenannten 4-D-Zirkel.
Abbildung 3: Appreciative Inquiry 4-D-Zirkel
Die Discovery-Phase dient dem Erkunden dessen, was die Menschen in der Organisation erreicht haben, die Highlights der Vergangenheit und Gegenwart. Das Positive, die ,,Juwelen" der Organisation werden identifiziert, das was bereits da ist. Nach den Interviews werden diese im Zweiergespräch gefundenen ,,Juwelen" für den Kreis der Beteiligten sichtbar gemacht. Die Rahmenbedingungen, welche sie möglich machten, werden herausgefiltert und deren Zusammenhänge verstanden. Das Beste, was es bislang in der Organisation gibt, und das in der Zukunft ausgebaut werden soll, wird in dieser Phase identifiziert.
In der Dream-Phase wird darauf aufbauend entworfen, was sein könnte. Wie soll sich die Organisation entfalten? Welche Schätze sollen in die Zukunft getragen werden? Was sind die Wünsche des Einzelnen für sich selbst, für die Zusammenarbeit mit anderen und für die Organisation? Visionen werden entwickelt. Dies geschieht mit einem Zeithorizont von 5 25 Jahren und in Bezug auf die Kernthemen des Prozesses. Es werden keine abgehobenen Visionen entwickelt. Sondern die Wünsche und Ziele der befragten Personen, sowie die von ihnen genannten und ausbaufähigen Kernfaktoren einer gut funktionierenden Organisation in diesen Visionen verarbeitet. Motivation und Lust auf die Zukunft werden initiiert.
Methodisch kann dies je nach Größe der Gruppe ganz unterschiedlich geschehen. Doch meistens werden kreative Darstellungsformen gewählt, sei es die Collage oder der ,,Brief an einen Freund" aus dem Jahre 200x. Geführte Traumreisen können die Phantasie anregen und unbewusste Vorstellungen und Wünsche deutlich machen. Durch den Einsatz kreativer Methoden werden die Visionen greifbar und lebendig.
In der nächsten Phase, der des Design, werden die kreativen Visionen in klare Aussagen zur gewünschten Zukunft gefasst. Es entstehen Zukunftsaussagen (possibility statements). Dies sind Erklärungen, in denen die Vorstellungen der vorangegangenen Phasen auf das entsprechende Unternehmen hin konkretisiert werden. Die Visionen werden sozusagen auf unternehmerische Elemente, wie zum Beispiel Führung, Kommunikation, Personal, Strategie oder Struktur herunter gebrochen. Diese Elemente sind je Anwendungsanlass unterschiedlich. Raster, wie das 7S-Modell von McKinsey können ein ,,Geländer" darstellen, das hilft, alle wichtigen Felder abzudecken. Zu jedem der definierten Aspekte werden nun Zukunftsaussagen formuliert. Sie sind wie eine Brücke zwischen dem status quo und dem, was sein sollte. Sie beschreiben eine Idealvorstellung, stellen bisherige Annahmen und Muster in Frage und regen die Kreativität an. An diesem Punkt des AI-Prozesses wird vereinbart, was sein sollte.
Zukunftsaussagen werden bejahend formuliert, sind verständlich, nachvollziehbar, erstrebenswert, konkret und erreichbar. Sie sind ausdrucksstark und oft auch provokativ. Sie sind die Leitbilder des Prozesses. Der Anspruch an solche Aussagen ist hoch und deshalb wird viel Zeit für sie aufgewandt.
Ein Beispiel: Eine Vision kann beispielsweise folgendermaßen formuliert sein: ,,Die Zusammenarbeit verschiedener Abteilungen verläuft reibungslos. Die Mitarbeiter kennen sich alle persönlich sowie auch ihr Arbeitsgebiet. Sie wissen, wie sie sich gegenseitig unterstützen können und wo sie sich ergänzen." Verschiedene Elemente sind angesprochen, wie unter anderem Kommunikation (findet eine offene Kommunikation zwischen den Abteilungen statt?), Kultur (ist es üblich, sich zu unterstützen und persönlich zu kennen?), Personalentwicklung (sind die Mitarbeiter z. B. in Projektarbeit fortgebildet?).
Zu dieser Vision und in Bezug auf den ersten unternehmerischen Aspekt Kommunikation könnte eine Zukunftsaussage wie folgt lauten: ,,Wir wissen, dass unsere Abteilungen hervorragend zusammen arbeiten. Unsere Abstimmungen halten wir immer ein und können uns voll aufeinander verlassen. Bei Schwierigkeiten in der Ausführung verschiedener Aufgaben verstehen wir es, schnell gemeinsam Lösungen zu entwickeln. Notwendige Informationen gelangen unmittelbar an die richtigen Personen. Wir haben einen herzlichen Umgang miteinander und sind stolz darauf, uns gegenseitig motivieren zu können."
In der Destiny-Phase wird schließlich geplant, wie die formulierten Aussagen umgesetzt werden können oder was sie für das Verhalten jedes Beteiligten ganz konkret bedeuten. Wo genau lässt sich etwas bewegen und mit welchen Maßnahmen? Wer engagiert sich für welches Thema? Wie werden die Kollegen informiert? Und wie kann der positive Ansatz von AI im Alltag fortgesetzt werden? Hier wird geplant, was zukünftig sein wird. Die Open Space-Methode hat sich an dieser Stelle als effektives Instrument erwiesen.
Jeder kann sich für ein Thema engagieren, dass er oder sie voranbringen möchte und dazu einen Workshop einleiten. Selbst bestimmt und in Eigenregie werden so die ersten Veränderungsinitiativen gebildet.
Abbildung 4: Phasen und Ziele | |
Phasen | Ziel |
Discovery (Erkundung und Verstehen) |
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Dream (Visionieren) |
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Design (Gestalten) |
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Destiny (Umsetzen) |
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Die Kernthemen Mittelpunkt des Prozesses
Im Mittelpunkt der vier Phasen stehen die Kernthemen. Sie geben die Richtung der Veränderung vor. Die Richtung, in der die Mitarbeiter lernen und wachsen wollen. Wovon die Betroffenen mehr haben möchten. Sie zu bestimmen ist daher hochrelevant. Kernthemen können zu den unternehmerischen Aspekten, wie zum Beispiel Management, Kultur, Einführung neuer Mitarbeiter bzw. Personalentwicklung, Kundenservice, Qualität oder Zusammenarbeit formuliert werden. Die Liste der möglichen Kernthemen ist lang. Allerdings wird ein AI-Prozess jeweils nur zu drei bis maximal fünf Kernthemen durchgeführt.
Die Betroffenen können somit die anfallende Flut neuer Erkenntnisse und Geschichten noch verarbeiten und andere darüber informieren. Ferner kann diese Datenmenge für den weiteren Prozess aufbereitet werden. Für mehr Themen müsste ein weiterer AI-Prozess eingeleitet werden. Anhand der Kernthemen werden im späteren Verlauf die Fragen des Interviewleitfadens entwickelt.
Um diese Themen zu finden und schließlich zu formulieren, kommt im Vorfeld des AI-Prozesses eine Gruppe für bis zu zwei Tage zusammen. Bestenfalls trifft sich hier ein Querschnitt des betroffenen Personenkreises oder der Führungsstab der Organisation.
Für ein gutes Gelingen des AI-Prozesses ist es wichtig, dass sich diese Personen, auch als Multiplikatoren für den Prozess, den AI-Ansatz und die dahinter stehende Philosophie verstehen. Deshalb wird zu Beginn dieses ,,Topic Choice-Workshops" eine Einführung in AI gegeben. Dann erfolgt die Durchführung eines Basisinterviews zu den vier folgenden Schlüsselfragen:
- Beschreiben Sie einen Höhepunkt Ihrer unternehmerischen Zugehörigkeit. Eine Zeit, in der Sie sich lebendig und engagiert fühlten.
- Ohne bescheiden zu sein, was schätzen Sie besonders an sich selbst (als Freundin, Mutter, Kollegin, Chefin, Ehefrau usw.), an Ihrer Arbeit und an Ihrem Unternehmen?
- Wenn Sie jetzt an Ihr Unternehmen denken, was glauben Sie, sind die Kernfaktoren, die dieses Unternehmen so lebendig machen, ohne die es nicht das selbe wäre?
- Welche drei Wünsche hätten Sie für Ihre Organisation, um mehr Lebendigkeit und Erfolg zu erreichen.
Mit dieser Befragung werden mehrere Ziele verfolgt: Erstens werden die Faktoren, die der Organisation Vitalität und Kraft geben sichtbar. Zweitens werden die wichtigsten Wünsche an die Zukunft der Organisation deutlich. Und aus diesen beiden Betrachtungen können die Kernthemen ausgewählt werden, die durch den AI-Prozess vorangetrieben werden sollen.
Das Interview wird, wie im späteren AI-Prozess auch, zu zweit gegenseitig geführt. Vier Paare kommen danach gemeinsam an einem Tisch zusammen. Sie informieren sich über die wesentlichen Inhalte aus den Paar-Interviews. Im nächsten Schritt werden die grundlegenden Muster der Erzählungen und deren Gemeinsamkeiten herausgearbeitet und im Plenum gesammelt. Aus diesen wiederum werden die für alle Anwesenden wichtigsten Themen bestimmt. Sind diese Themen als Kernthemen für den Prozess lokalisiert, werden sie nach bestimmten Bedingungen formuliert. Sie sollen positiv und bestärkend sein, wie zum Beispiel ,,Makellose Qualität" statt ,,Qualitätsprobleme". Anspruchsvoll sollen sie sein, wie beispielsweise ,,Excellente Arbeitsumgebung" statt ,,Gute Arbeitsumgebung", und können manchmal auch paradox scheinen, wie folgende Beispiele: ,,Befreiende Strukturen" und ,,Blitzschnelle Konsensfindung". Des weiteren, sollen sie den Befragten inspirieren, Geschichten über außergewöhnliche Momente zu erzählen und Bilder sowie Ideen zu einer positiven Zukunft zu kreieren. Im nächsten Schritt werden zu diesen Kernthemen Fragen für ein umfangreiches Interview formuliert.
Das Interview, die Basis von AI
AI beginnt mit einem Abenteuer, das Discovery (Erkundung und Verstehen) genannt wird. Die Entdeckungsreise führt in die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Organisation und ihrer Mitarbeiter. Reisegefährt ist ein Interview, das die Beteiligten in der Regel paarweise und in beide Richtungen durchführen. Mal ist es ein Abteilungsleiter, der seinen Mitarbeiter befragt und danach umgekehrt. Mal interviewt ein Meister seinen Spartenleiter oder ein Auszubildender befragt ein Mitglied des Vorstandes. Auch können Kunden und Lieferanten eingeladen werden, sich am Prozess zu beteiligen.
Mit Hilfe eines Interviewleitfadens startet die Entdeckung der Momente, die für die Menschen besonders waren und der Schlüsselfaktoren, die der Organisation Vitalität und Stärke geben. Das Interview besteht aus drei Frageblöcken: 1. Fragen dazu, wie die Organisation generell erlebt wird, 2. Fragen zu den so genannten Kernthemen, die in der Organisation weiterentwickelt werden sollen und 3. Fragen zu den Energie bringenden Faktoren innerhalb einer Organisation und zu deren Zukunft. Bis zu 90 Minuten dauert ein Interview. Das folgende gekürzte Interview, ursprünglich für ein Bankinstitut entwickelt, gibt einen Einblick in die Struktur und den Charakter der Fragen.
Fragenblock 1: Organisation
- ,,Um zu beginnen, erzählen Sie mir bitte von Ihrer Anfangszeit in unserer Bank. Wann kamen Sie zu uns? Was hat Sie zu uns hin gezogen? Was waren Ihre ersten Eindrücke und was hat Sie am Anfang begeistert, als Sie zu uns kamen?
- Bitte erinnern Sie sich an eine Zeit, die für Sie ein echtes Highlight war. Eine Zeit, in der Sie besonders begeistert waren, sich wohl und lebendig fühlten. Eine Zeit, in der Sie engagiert waren und einen wichtigen Beitrag für Ihr Unternehmen leisteten. Was ist da geschehen? Was machte es möglich?
- Was schätzen Sie besonders an sich, an Ihrer Arbeit und an unserer Bank?
Fragenblock 2: Kernthemen
- Produkteinführung Wir legen Tempo vor
Bekanntlich fressen nicht die Großen die Kleinen, sondern die Schnellen die Langsamen. Daher wollen auch wir schnell sein - blitzschnell. Und das insbesondere bei der Einführung neuer Produkte. Unsere Kunden sollen uns als innovatives Bankinstitut wahrnehmen eines, das den anderen mehr als nur eine Nasenlänge voraus ist.
Erzählen Sie mir von einem Beispiel, wo wir ein Produkt sehr schnell im Markt eingeführt haben. Was ist genau geschehen? Was machte es möglich?
Welche Vorgehensweisen / Methoden / Einstellungen beobachten Sie bei den KollegInnen, die immer sehr schnell neue Produkte verkaufen?
Welche Vorgehensweisen / Methoden / Einstellungen beobachten Sie bei den Führungskräften der KollegInnen, die immer sehr schnell neue Produkte verkaufen?
Was könnten wir tun, um insgesamt bei der Einführung neuer Produkte noch schneller natürlich unter Beibehaltung unserer Beratungsqualität zu sein?
Fragenblock 3: Zukunft
- Welches sind Ihrer Meinung nach die Schlüsselfaktoren, die unserer Bank Vitalität und Kraft geben?
- Wenn Sie die Bank, wie immer Sie wollten, weiterentwickeln oder radikal verändern könnten, welche drei Dinge würden Sie tun, um unsere Vitalität, Kraft und unseren Erfolg nachhaltig zu steigern?
- Es ist das Jahr 2010 und wir sind über unsere kühnsten Träume hinaus erfolgreich geworden. Wie hat sich unsere Bank verändert?
Ziele des Interviews sind unter anderem, die individuell erlebten Höhepunkte und Erfolge und deren Bedingungen zu identifizieren, die Schlüsselfaktoren der Organisation zu entdecken, die ihr Vitalität geben, aus Erfahrungen zu lernen, die Stärken, Werte und Qualitäten der Organisation und des Einzelnen zu erkennen. Wünsche, Ziele und Träume für die Zukunft zu äußern und ein Bild für die Zukunft der Organisation zu skizzieren. Möglichkeiten für die Entwicklung werden aufgespürt und wertvolle Aspekte aus der Vergangenheit für die Zukunft nutzbar gemacht.
Nicht wie ein analytischer Forscher, sondern mit der unbefangenen Neugier, Anteilnahme und dem Staunen eines Kindes stellt der Interviewer seine Fragen. Den anderen wie ein Geschenk betrachten. Ihn wie ein Geheimnis behandeln, welches sich gerade lüftet.
Dieses sind Hinweise für das ,,methodische" Herangehen an die Interviews. Ergänzende Fragen dürfen gerne gestellt werden: ,,Warum empfinden sie das so? Was war Ihr eigener Beitrag? Wer hat sonst beigetragen? Warum war dieses Erlebnis für Sie so wichtig? Wie hat es Sie selbst verändert? Welche Rahmenbedingungen haben zu diesem Gipfelerlebnis geführt?" So bleibt es nicht bei dürren Antworten. Vielmehr entstehen lebendige Bilder und anschauliche Geschichten.
Die Interviews sind in der Regel ein schönes Erlebnis für beide Partner. Vergessene oder verschüttete Ereignisse, geknüpft an bestärkende und lebendige Emotionen werden wieder frei gelegt. Das Interview ist belebend. Die Menschen kommen einander näher. Sie tauschen Informationen aus. Geschichten werden erzählt. Die Kraft der Interviews entsteht vor allem durch den bejahenden und bestätigenden Charakter der Fragen. Es wird danach gefragt, welche persönlichen Ergebnisse der Befragte erreicht hat, wo er Anerkennung erfuhr, wo er sich engagierte, sich mutig oder produktiv empfand. Manchmal dauert es einige Momente, bis die befragte Person gelungene Situationen identifizieren kann, besonders wenn sie ihre Arbeitssituation sehr negativ sieht. Hier hilft die erkundende und wertschätzende Haltung des Fragenden, die Gipfelerlebnisse schließlich doch aufzuspüren.
Das Besondere dieser Interviews ist, dass sie beim Erzählenden Betroffenheit auslösen und manchmal auch den Fragenden stark berühren. Die befragte Person erlebt ihre positiven Erlebnisse ein zweites Mal. Der Zauber des Moments wird wieder lebendig und tut seine Wirkung. Wo vorher das Negative stark wahrgenommen wurde, wird jetzt wieder sichtbar, dass es auch viel Positives gibt. Negative Annahmen, wie ,,die Zusammenarbeit mit meinen Kollegen kann nie gut werden" werden so wieder revidiert. Es entstehen Lust, Hoffnung und Mut in Bezug auf die Zukunft.
Eine Grundannahme von AI besagt, dass wir immer das verstärken, worauf wir unsere Aufmerksamkeit richten. Daher sind die Interviewfragen, die die Aufmerksamkeit auf das Positive lenken, bereits eine Veränderung in die Richtung, in die geforscht wird. Jede Frage impliziert, was in diesem Prozess gefunden, welche Potenziale entdeckt und darüber hinaus entwickelt werden sollen. Eine Reflexion der eigenen Person, der Situation und der Organisation wird in Gang gebracht. Die Wahrnehmung verändert sich unmittelbar. Erfolge und deren Bedingungen werden in Zusammenhänge gebracht und verstanden. Der Gewinn des Interviews besteht u. a. darin, dass der Interviewte neue Erkenntnisse darüber erlangt, was seine Erfolgserlebnisse ausmachte.
Die Antworten auf die Interviewfragen werden in Form von Geschichten erzählt. Und kaum sind diese Geschichten bewusst, werden sie auch schon weitergegeben. So lässt sich beobachten, dass viele Menschen nach dem Interview ihre positivsten Erlebnisse erzählen, auf dem Gang, in der Pause, an der Kaffeemaschine usw.. Sie tragen die Geschichten und Zitate aus den Interviews weiter und sorgen damit für einen Umlauf positiver Erlebnisse und für eine Veränderung der Gespräche. Erzählungen von Misserfolgen werden ersetzt durch solche positiver Begebenheiten.
Bestehende negative Annahmen werden fallen gelassen und durch neue positiv gefärbte ersetzt. Annahmen, die die Menschen dazu bewegen, optimistisch von sich, von Ihrem Arbeitsplatz und ihrer Unternehmung zu denken und sich für deren Entwicklung einsetzen. Mit Hilfe der Sprache wird eine neue Realität geschaffen. Ein positives Image von der Organisation entsteht.
Der Interviewer schreibt die Erzählungen so detailliert wie möglich auf, oft in der ersten Erzählperson und im Stil des Erzählers. Das Ergebnis der Interviews ist eine Serie von Geschichten und Zitaten in der Sprache der befragten Personen. Sortiert und reduziert zu einem Bericht fließen sie dann in den weiteren Prozess ein.
Anwendung von AI: Zwei Fälle
AI kann mit kleinen und großen Gruppen oder sogar mit gesamten Systemen durchgeführt werden. Die Dauer eines Prozesses variiert. Er kann über einen Tag oder über zwei bis vier Tage auf einer AI-Veranstaltung, dem sogenannten AI-Summit, durchgeführt werden. AI kann auch über mehrere Monate bzw. Jahre den Arbeitsalltag begleitend angewandt werden. Die Teilnehmerzahl ist sehr unterschiedlich. So kann eine kleine Gruppe von sechs Personen bis zu mehrere tausend Menschen in einen AI-Prozess einbezogen werden. Ursprünglich entwickelten Cooperrider und Srivastva diese Methode für einen längeren Zeitraum. Erst später wurde der AI-Summit entwickelt. Im Folgenden werden einige unterschiedliche Vorgehensweisen illustriert. Darüber hinaus kann AI in vielen anderen Variationen durchgeführt werden, immer auf den jeweiligen Anwendungsanlass hin maßgeschneidert. Ungeachtet des Vorgehens werden die vier Phasen von AI (Discovery, Dream, Design und Destiny) durchlaufen. Die Gestaltung der methodischen Herangehensweise in den Phasen kann sehr unterschiedlich sein.
Qualitätssteigerung mit AI
Eine kleine amerikanische Presse- und Öffentlichkeitsfirma mit 20 Angestellten und 20 freiberuflichen Mitarbeitern führte AI zur Verbesserung der Qualität ihrer Arbeit durch. Die Wünsche und Anliegen der Kunden sollten in diesen Prozess integriert werden. Der AI-Prozess wurde gestartet mit der Befragung einiger Kunden bezüglich ihrer positiven Erfahrungen mit der Firma, ihrer Wünsche für die zukünftige Zusammenarbeit und ihren Einschätzungen bezüglich der Entwicklung der Firma in der Zukunft.
Darauf folgte ein eintägiger Workshop mit 16 Angestellten des Unternehmens. Ziel war es hier, durch gegenseitiges Befragen die Aspekte zu entdecken und zu verstehen, die es ermöglichten, hervorragende Arbeit zu leisten, um daraus die Kernthemen für die Interviews zu entwickeln. Eine Liste der Erfolgsaspekte wurde aufgestellt und mit den positiven Erfahrungen der Kunden verglichen. Die aufgelisteten Punkte wurden zu Kategorien verdichtet, welche die Kernthemen darstellten. Im folgenden Schritt entwickelten die 16 Teilnehmenden hierzu Interviewfragen für die kommende Phase.
Über die folgenden vier Wochen befragten diese 16 Interviewer die weiteren Angestellten und freiberuflichen Mitarbeiter (Discovery-Phase). Die Ergebnisse wurden in einem zweiten Workshop zusammengetragen. Visionierend erarbeiteten dort die Teilnehmenden, welche Ergebnisse die Interviews wohl in einem Jahr bringen würden (Dream-Phase). Die Inhalte dieser Phase wurden später in Zukunftsaussagen festgelegt (Design-Phase). Hier flossen nun auch die Wünsche und Anliegen der Kunden an die Firma in den Prozess ein. Zu einem Zeitpunkt, in dem die Mitarbeiter bereits motiviert waren, sich weiter zu entwickeln, sich in ihrem Selbstbild gestärkt fanden und die wünschenswerte Zukunft skizziert hatten. Die Mitarbeiter verglichen die Wünsche der Kunden mit ihren Zukunftsaussagen und fanden heraus, dass beides übereinstimmte. Darin bestätigt, dass die von Ihnen angestrebte Zukunft auch im Sinne der Kunden war, konnte nun geplant werden, wie sie diese Zukunft erreichen wollten (Destiny-Phase)
Teamentwicklung mit AI
Etwas verändert, kann AI als Instrument der Teamentwicklung angewandt werden. Beispielsweise können die Interviews nicht paarweise, sondern mit der gesamten Gruppe durchgeführt werden.
AI kann eingesetzt werden, um neue Teams darin zu unterstützen, schnell zusammenzuwachsen und ein gemeinsames förderndes Bild von ihrer zukünftigen Teamarbeit zu entwickeln. Dazu wird zu Beginn der gemeinsamen Arbeit ein Teamentwicklungs-Workshop durchgeführt. Alle Teammitglieder werden gebeten, Ihr bestes Gruppenerlebnis zu schildern. Dieses kann aus dem beruflichen oder privaten Kontext entstammen. Jedes Teammitglied berichtet von seinem Erlebnis. Um welche Situation es sich handelte, welche Aufgabe bewältigt wurde, welche Rahmenbedingungen diese Erfahrung ermöglichten und welches der jeweilige Beitrag zum Erfolg war. Die anderen hören aufmerksam zu und können, wie auch im Zweier-Interview, durch Fragen dem Erzählenden helfen, weitere Informationen freizulegen. Haben alle ihr bestes Teamerlebnis erzählt, werden gemeinsam die in den Geschichten genannten Attribute für ein erfolgreiches Team aufgelistet und im Konsens verabschiedet. Nun werden die Teammitglieder gebeten, aufzuzählen, was ihre Kolleginnen und Kollegen in der Gruppe bereits bis jetzt getan haben, um diese Eigenschaften zu fördern. Schließlich reflektieren sie ihr eigenes Verhalten hinsichtlich eines guten Teams.
In einer anderen Situation hat eine bereits bestehende Gruppe beispielsweise Konflikte mit ihrem Vorgesetzten mit beachtlichen negativen Auswirkungen auf ihre Arbeitsfähigkeit. Zu Beginn des Prozesses wird nach dem besten Teamerlebnis dieser Gruppe gefragt. Nach jeder Geschichte fragt der Prozessbegleiter die erzählende Person, wie sich der Vorgesetzte in der erzählten Situation verhalten hat. Die Eigenschaften eines guten Teams werden aufgelistet und dann die eines guten Vorgesetzten. Die Führungspersönlichkeit wird nach ihrer besten Erfahrung als Führungskraft gefragt. Danach erhält sie die Möglichkeit, sich auf die von der Gruppe gesammelten Führungsaspekte zu beziehen. Wenn die Situation es zulässt, kann auch ein Dialog zwischen Führung und Team eingeleitet werden.
Die Fragen entsprechen den jeweiligen Intentionen des AI-Prozesses: Geht es darum, in der Gruppe die Motivation für die Arbeit neu zu entfachen, wird danach gefragt, wann die Teammitglieder sich am meisten motiviert fühlten. Besteht in der Gruppe Angst, sich den anderen zu öffnen, wird danach gefragt, wann das Vertrauen gegenüber anderen Menschen am größten war. Es wird immer nach dem gefragt, wovon die Gruppen mehr haben möchte.
Anwendung von AI zur Veränderung größerer Systeme
Exemplarisch werden hier kurz vier Fälle beschrieben, wie AI auf größere Systeme angewandt werden kann. Die Beispiele unterscheiden sich u. a. in der Teilnehmerzahl, Dauer sowie Konzeption und vermitteln dadurch einen guten Einblick in die vielfältigen Anwendungen von AI.
Fall 1: Interviews (Discovery) über zwei bis drei Monate, danach zwei- bis dreitägiger Workshop (Dream, Design, Destiny)
Eine Planungsgruppe hat in einem zweitägigen Workshop die Kernthemen bestimmt und den Interviewleitfaden entwickelt. Nun beginnt die Discovery-Phase. Die Belegschaft wird durch eine Betriebsversammlung oder Unternehmenszeitung von dem anstehenden Prozess unterrichtet. Wer sich beteiligen möchte, kann sich melden, um die ersten Interviews durchzuführen. In einem dreistündigen Workshops erhalten die Pioniere dieses AI-Prozesses (zum Beispiel 50 Personen) eine kurze Einführung in die Methode und Hinweise für die Durchführung der Interviews. Die folgenden Monate beschäftigen sie sich dann damit (übrigens neben ihrer täglich zu verrichtenden Arbeit), ihre Kollegen, Vorgesetzten, Mitarbeiter oder Kunden zu ,,entdecken".
Zur Weiterverarbeitung der Daten kommen die Interviewer in einem zwei- bis dreitägigen Workshop zusammen. Gemeinsam durchlaufen sie die Phasen Dream, Design und Destiny. An Achtertischen erzählen sie sich die besonderen Geschichten und Zitate der von ihnen geführten Interviews. Was zeichnen die Erzählungen aus, welche Themen wurden häufig angesprochen? Welche Emotionen kamen zu Tage? Welche Schlüsselfaktoren wurden aufgeführt, die der Organisation Energie und Aufschwung bringen? Was wird gebraucht, um noch besser zu sein?
Alles Wichtige wird zusammengetragen, reflektiert und schließlich verdichtet. Danach folgt die Dream-Phase. In dieser Phase kreieren die Teilnehmenden Visionen für die Zukunft des Unternehmens, was sein könnte. Jeder Tisch entwickelt seine eigene Vision. Diese werden später in Form von Kollagen, Texten, Geschichten, Liedern usw. den anderen vorgestellt.
Im folgenden Schritt, in der Phase des Design, werden die Zukunftsaussagen, das was sein sollte, formuliert. Das praktische Vorgehen in dieser Phase des Design ist unterschiedlich. Jeder Tisch kann sich zum Beispiel einem Kernthema widmen, die Visionen zu diesem Thema betrachten, die Zukunftsaussagen dazu formulieren und diese anschließend dem Plenum vorstellen.
Schließlich geht es in der Destiny-Phase darum, die Zukunftsaussagen umzusetzen. Zum Beispiel mit der Open Space-Methode werden Ideen zur Umsetzung gesammelt, einzelne Schritte für die Realisierung der Ergebnisse geplant, Zuständigkeiten, Zeiten und Ressourcen festgelegt.
Dieser AI-Prozess kann ein weiteres Mal wiederholt werden. Jedoch können es das nächste Mal 100 Interviewer sein, die 1.000 Personen befragen. Es können die gleichen Kernthemen behandelt werden oder neue. Netzartig kann so schließlich die gesamte Belegschaft in einen Veränderungsprozess eingebunden werden.
Fall 2: Interviews begleitend, Interviewergebnisse zu einem Bericht zusammengefasst, eintägiger Visions-Workshops (Dream), Datenaufbereitung durch Auswertungsgruppe (Design, Destiny), sechs bis acht Monate
Anstatt die Daten der Interviews in einem Workshop gemeinsam aufzubereiten und in die nächsten Phasen fließen zu lassen, können sie an eine Sammelstelle geschickt werden, um dort von einer Auswertungsgruppe von acht bis zwölf Personen qualitativ aufbereitet zu werden. Die besten Geschichten werden in einem Bericht zusammengestellt, der an die Belegschaft verteilt wird. Wer interessiert ist, kann dann an einem eintägigen Visions-Workshops teilnehmen. Idealerweise nehmen bis zu 1.000 Personen an dieser Veranstaltung teil. So spüren sogleich viele, wenn nicht sogar alle von der Veränderung betroffenen Personen die Kraft der Visionen. Die Wünsche und Ziele der zuvor befragten Personen werden auf diesem Workshops zu Visionen verarbeitet. Die Ergebnisse dieser Veranstaltungen kommen abermals der Auswertungsgruppe zu. Sie wird im nächsten Schritt auf Basis der komprimierten Visionen Zukunftsaussagen formulieren und Maßnahmen für deren Umsetzung entwerfen.
Fall 3: Hunter Douglas Window Fashions, Interviews begleitend in drei Wellen, Visionsund Design-Workshops, Aktionsgruppen, zwei Jahre
Die Hunter Douglas Window Fashions Niederlassung in Broomfield in den USA startete AI mit 100 Mitarbeitern. Es waren Vertreter aus allen Bereichen der Niederlassung, allen Hierarchiestufen, Frauen und Männer jeden Alters. Sie entwickelten die Kernthemen, formulierten die Interviewfragen und starteten mit der ersten Welle der Befragung. Zwei Wochen später kamen 200 weitere Mitarbeiter hinzu. Die zweite Welle der Interviews wurde initiiert. Nach sechs Monaten war die Datenmenge von 450 Mitarbeitern und 75 Kunden, Lieferanten, Anteilseigenern u. a. aufbereitet. Nach einem weiteren halben Jahr war schließlich die gesamte Belegschaft von 1.000 Personen involviert. Nach dem ersten halben Jahr wurde eine Veranstaltung mit allen bis dahin befragten Personen veranstaltet, um zu klären, wohin sich die Organisation entwickeln sollte. In einer zweiten Veranstaltung, erneut ein halbes Jahr später, wurden wieder 500 Personen eingeladen, um ihre Zukunftsbilder zu gestalten.
Auch für die Design-Phase wurden etappenweise Veranstaltungen durchgeführt. Die auf diesen Veranstaltungen formulierten Zukunftsaussagen flossen sofort in die Organisation ein und beeinflussten die Folgeveranstaltungen. Zur Umsetzung der definierten Aussagen (Destiny) formierten sich innerhalb des Unternehmens Aktionsgruppen. Jeder konnte sich selbst bestimmt einer Gruppe anschließen. Die Gruppen arbeiteten selbstständig und eigenverantwortlich. Setzten sich eigene Ziele und Zeitpläne. Bestimmten eigene Maßnahmen und Zuständigkeiten und kooperierten mit anderen Aktionsgruppen, wenn sie es für notwendig erachteten.
Bereits nach einem Jahr (insgesamt dauerte der AI-Prozess zwei Jahre) konnte Hunter Douglas eine Erhöhung der Produktivität, des Umsatzes und des Mitarbeiterengagements nachweisen. Zurückgeführt werden konnte dieses Ergebnis u. a. darauf, dass die Mitarbeiter unternehmerische Ziele verstanden, sich mit ihnen identifizierten und ihre eigenen Leistungen mit diesen Zielen in Verbindung bringen konnten. Sie fühlten sich für ihre Arbeit verantwortlich, waren motivierter und kreativer. Dies wiederum lässt darauf schließen, dass das Selbstverständnis der Belegschaft durch die wieder erlebten Erfolge stieg, die Menschen ein positives Bild von sich, ihrer Arbeit, ihrer Organisation und von ihrer Zukunft aufbauten und lebten.
Fall 4: Der AI-Summit, zwei bis vier Tage, alle Phasen werden durchlaufen.
AI-Summits können mit einer großen Gruppe von 50 bis zu 2.500 Personen durchgeführt werden. Am ersten Tag des Summits werden paarweise die Interviews geführt. Im Anschluss daran tauschen die Teilnehmenden zu acht ihre Geschichten aus. In dieser Phase, wo die persönlichen Erlebnisse und Emotionen der Teilnehmenden die herausragende Rolle für den weiteren Verlauf der Veränderung spielen, ist Vertrauen der Unternehmensführung in die Mitarbeiter unabdingbar. Jede Geschichte, jede Emotion ist erlaubt, erwünscht und wird gewürdigt. Erst die ,,Erlaubnis", persönliche Geschichten erzählen zu dürfen, führt zu einer Offenlegung der tief liegenden Erfolgsfaktoren des Unternehmens. Im weiteren Verlauf visionieren die Teilnehmenden, formulieren Zukunftsaussagen und bestimmen Maßnahmen, wie bereits im Fall 1 beschrieben.
Fazit
Der Einsatz von AI fordert alle Betroffenen einer Organisation heraus. Denn diese Methode bringt sie dazu, vom häufig vorherrschenden problemorientierten zum positiven Denken zu wechseln. Im Sinne von AI ist es kontraproduktiv, auf die Probleme zu schauen und auf das, was in der Organisation nicht gut läuft. Wahrzunehmen, was schon gut gelingt, fällt jedoch oft schwer. Dieses muss gelernt werden und hierzu kann es nicht genug Multiplikatoren geben, die diesen Ansatz vorleben. Auf das Beste zu schauen birgt die Chance in sich, Vitalität und Kraft in die Organisation zu bringen. Es verändert die Menschen und ihre Einstellungen zu sich selbst, zu ihrer Arbeit und ihrer Organisation.
Die große Anpassungsfähigkeit von AI macht diesen Ansatz für eine Vielzahl von Anwendungsanlässen attraktiv. So kann AI beispielsweise zur Teamentwicklung, zur Produktentwicklung, zur Qualitätsverbesserung, bei Fusionen oder Unternehmenskulturveränderungen einsetzt werden. Er eignet sich zum Einsatz mit kleinen oder großen Gruppen bis hin zu gesamten Systemen. Die Anwendungsdauer kann über einen Tag oder mehrere Jahre, mit einer Teilnehmerzahl von zehn bis 2.500 Personen variieren.
AI ist jedoch keine Methode ohne Grenzen. Wenn innerhalb einer Organisation schnell unter Mitwirkung aller Betroffenen auf eine Situation reagiert werden muss, wenn in kürzester Zeit Ideen und Maßnahmen entwickelt werden sollen, sind sicherlich andere Interventionsmethoden geeigneter. Natürlich muss es sich bei einem AI-Prozess um einen ,,echten" Beteiligungsprozess handeln, bei dem das Wissen, die Erfahrungen und die positiven Bilder der Menschen von der Zukunft für eine Veränderung gebraucht werden. Und vor allem müssen diese ,,Juwelen" von der Führung wertgeschätzt werden. Ferner setzt der Einsatz von AI besonders seitens des Beraters aber auch der Organisation ein gewisses Verständnis über die Philosophie und Anwendung dieser Methode voraus. AI ist kein schnell erlerntes Instrument.
Besonders mit Blick auf die Lernende Organisation wird dieser potenzialorientierte Ansatz große Resonanz in Organisationsentwicklungsprozessen finden. Die Erfahrungen zeigen, dass das Vertrauen zwischen Mitarbeitern und Management wächst. Das deutsche Management zeigt verstärkt die Bereitschaft, sich auf innovative kraftvolle und positive Veränderungsprozesse und seine Wirkungen einzulassen.
Literatur
- Bushe, Gervase R., Appreciative Inquiry with Teams, in: The Organization Development Jounal, Heft 3/1995, S. 14-22
- Bushe, Gervase R., Advances in Appreciative Inquiry as an Organization Development Intervention, in: The Organization Development Jounal, Heft 3/1998, S. 41-50
- Cooperrider, David. L., Whitney, Diana, Collaborating for Change, Appreciative Inquiry, Berrett-Koehler Communications, San Francisco 1999
- Cooperrider, David., Sorensen, Peter F., Appreciative Inquiry, Rethinking Human Organization Toward a Positiv Theory of Change, Stipes Publishing, Champaign, Illinois 2000
- Hammond, Sue, The Thin Book of Appreciative Inquiry, Thin Book Publishing Co., Plano TX 1998
- Hammond, Sue und Royal, Cathy (Hrsg.), Lessons from the Field, Applying Appriciative Inquiry, Practical Press Inc., Plano TX 1998
- Head, Rpbert L., Appreciative Inquiry as a Team Development Intervention for Newly Formed Heterogeneous Groups, in: OD Practitioner, Heft 1/2000
- Holman, Peggy, Devane, Tom (Hrsg.), The Change Handbook, Group Methods for Shaping the Future, Berrett-Koehler Publishers, San Francisco 1999
- Maleh, Carole, Aus Erfolgen lernen, Appreciative Inquiry, in: ManagerSeminare, Heft 44/2000, S. 90-95