gEMiDe

Modellprojekt zur Förderung des gesellschaftlichen Engagements von MigrantInnen und eingebürgerten Deutschen durch ehrenamtliche Tätigkeit


Kontakt:

Hülya Feise, Modellprojekt "gEMiDe", BTEU, Wilhelm-Bluhm-Straße 20, 30451 Hannover, Tel.: 0511 / 2135363, Fax: 0511 / 2133529, eMail: gemide@bteu.de; Internet: http://www.bteu.de/modules.php?op=modload&name=News&file=article&sid=316&mode=thread&order=0&thold=0


In der niedersächsischen Landeshauptstadt Hannover leben fast 510 000 Menschen. Davon haben etwas über 75 500 Menschen eine andere Staatsangehörigkeit als die deutsche. 162 Nationalitäten (einschließlich der deutschen) sind in Hannover vertreten.
Einheimische und Zugewanderte respektieren sich zwar gegenseitig, Berührungspunkte bleiben aber weitgehend auf volksgruppenübergreifende Musik- oder ähnliche Kulturereignisse beschränkt. Die Vertreterinnen und Vertreter der verschiedenen Zuwanderergruppen sind in ihren jeweiligen Gruppen gut organisiert, was je nach Größe der Gruppe auch öffentlich sichtbar ist. Die Kommunikation im täglichen Leben findet zwischen Einheimischen und Zugewanderten jedoch eher nur auf geschäftlicher Ebene statt, d.h.: privat bleibt frau/man lieber unter sich.
Viele Migrantinnen und Migranten leben in Deutschland immer noch sehr isoliert. Die Männer gehen ihrer Arbeit nach, die Frauen sitzen zuhause oder gehen für ein paar Stunden putzen und kommen schon allein aufgrund der Sprachbarriere kaum in Kontakt mit Vertreterinnen und Vertretern der deutschen Gesellschaft.
Genau dort setzt nun die Arbeit unseres Modellprojektes an: es bildet eine Schnittstelle zwischen an ehrenamtlicher Tätigkeit interessierten Migrantinnen und Migranten und bedürftigen, einsamen oder einfach interessierten Einheimischen. Da durch die Ehrenamtlichkeit naturgemäß das "geschäftsmäßige" einer Beziehung wegfällt, haben MigrantInnen und Einheimische die Möglichkeit, sich vorurteilsfrei, gleichberechtigt und auf der selben Augenhöhe zu begegnen.
Einige der Mitarbeiterinnen erlebten zum ersten Mal, dass z.B. ein deutscher Haushalt nicht so sehr viel anders aussieht als der ihrige. Sie genießen es, nicht mehr in erster Linie als "Ausländerin", sondern vielmehr lediglich als Mensch, der etwas tut beurteilt zu werden.
"Seit ich in Deutschland bin, werde ich immer nur als Türkin gesehen. Ich werde gefragt, wie es in meinem Land ist. Seit ich als freiwillige Lehrerin arbeite, stellt man mir andere Fragen; meine Person und der Inhalt meiner Arbeit stehen plötzlich im Vordergrund: 'Wie ist es, mit Analphabeten zu arbeiten?', oder 'Wieso sind Sie Märchenerzählerin?'" (Naciye K.)
Die Arbeiten, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von gEMiDe verrichten, haben einen doppelt positiven Effekt: Sie sind nützlich für die Gesellschaft und sie helfen ihnen selbst, mit der Gesellschaft, in der sie ihr Leben verbringen, in Kontakt zu treten.
Durch ideelle und finanzielle Unterstützung der Landeshauptstadt Hannover (insbesondere durch das Referat für interkulturelle Angelegenheiten) und unter Anknüpfung an die Leitlinie "Demokratische Teilhabe" wurde die Projektidee entwickelt, sich ab Mitte des Jahres 2001 an alle Migrantinnen und Migranten und eingebürgerte Deutsche zu wenden, mit dem Ziel die gegenseitige Integrationsbereitschaft und den Ausbau der individuellen Fähigkeiten zu fördern.
Wichtig hierfür war eine konkrete Ansprechpartnerin mit interkulturellen Erfahrungen und Fähigkeiten, die selber eine Migrationsgeschichte hat und MigrantInnen in einer Mittlerrolle die einzelnen Bereiche innerhalb der Gesellschaft nahe bringt.
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer können untereinander und mit deutschen Familien oder Einzelpersonen auf einer Ebene kommunizieren. Sie bewegen sich bei ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit im bikulturellen Raum und haben dort die Möglichkeit, Impulse auszutauschen, die eine Grundlage für Kommunikation in kultureller Vielfalt bilden.
Grundsätzliches Ziel ist die Förderung der gegenseitigen Integrationsbereitschaft und Fähigkeiten sowie der gegenseitigen Anerkennung von Deutschen und MigrantInnen.
Ein weiteres Ziel ist es, bei den Betroffenen die Selbsthilfepotentiale zu fördern und die Qualifizierung zur Lösung sozialer Probleme, die Aufrechterhaltung oder Neuorganisation sozialer Kontakte zu schaffen, zu befähigen und zu unterstützen, ihre mitgebrachte Lebensgeschichte in Interaktion mit der neuen Umgebung zu erweitern.
Als erstes haben betreute Einzelpersonen, Familien, Behinderte, usw. einen individuellen Nutzen aus den Besuchen und dem Engagement der Ehrenamtlichen. Innerhalb von wenigen Wochen konnte durch die – nicht bezahlte - Vorarbeit des Projektes in den Jahren 2000 und erste Hälfte 2001 ein von allen Seiten vielbeachtetes und gelobtes Modellprojekt aufgebaut werden. (u.a. Anerkennungsurkunde des Bundespräsidenten wg. WETTBEWERB ZUR INTEGRATION VON ZUWANDERERN, am 22.08.2002 ).
Das von der Stadt Hannover aufgestellte Erfolgskriterium "betreute Personen" ist über Erwarten erfüllt (ca. 80 betreute Personen) worden, das Erfolgskriterium TeilnehmerInnen wird über die Kapazitäten der Gruppen hinaus genutzt.
Auf der einen Seite wurde mit und von MigrantInnen und eingebürgerten Deutschen - über die Erwartung von vielen hinaus - mit großem Erfolg gearbeitet, auf der anderen ist die Sensibilisierung und interkulturelle Öffnung der Regeldienste und anderer städtischer Institutionen Voraussetzung und Ziel der gleichberechtigten demokratischen Teilhabe und Entwicklung der Stadtgesellschaft.
Mit über 20 Institutionen von MigrantInnen und der hannoverschen Regeleinrichtungen wurden Kontakte aufgebaut und institutionalisiert, bzw. Kooperationen aufgebaut. Hierdurch und durch die aktive Teilnahme an Gremien zur interkulturellen Öffnung von Verwaltung und sozialen Institutionen wurde und wird in Zukunft die Präsenz und Partizipation von MigrantInnen an der Bürgergesellschaft verstärkt.
Das Modellprojekt arbeitet u.a. zusammen mit der Informations- und Koordinationsstelle für ehrenamtliche Mitarbeit (IKEM), der Arbeiterwohlfahrt, dem Kommunalen Sozialdienst, dem Diakonischen Betreuungsverein, dem Jugendamt und der Integrierten Gesamtschule (IGS) Hannover-Mühlenberg. In Kooperation mit FAUST e.V. findet zweimal im Jahr eine große Feier für die ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter als Dankeschön statt.
Zielgruppe sind an ehrenamtlicher Tätigkeit interessierte Migrantinnen und Migranten, die Deutsche besuchen wollen, aber auch umgekehrt, an ehrenamtlicher Tätigkeit interessierte Deutsche, die MigrantInnen besuchen wollen.
Mittlerweile 54 Frauen und Mädchen und vier Männer sind ehrenamtlich in den unterschiedlichsten Bereichen unterwegs:
Vereinsarbeit, Unterricht, Kultur, Soziales, Projektarbeit, Frauenarbeit, Arbeit mit älteren MigrantInnen, Beratung, Tagungen, Veranstaltungen, humanitäre Hilfe, Konzerte, mit Kindern Bibel und Koran lernen, Alphabetisierungskurse, Übersetzungen, Bedürftige besuchen, Formulare ausfüllen, Büroarbeit, Altenhilfe, Umwelt und Kinder, Kinderbetreuung, Hilfe bei Erziehung, Flüchtlingsbetreuung, Öffentlichkeitsarbeit, Gottesdienst, Gemeindearbeit, Freizeit, Sport, Seminare, Jugendarbeit, Technik, Radioarbeit, Moderation, Interview, Bildende und darstellende Kunst.
Die ehrenamtlich tätigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter treffen sich jeden Freitag in der Zeit von 13.00 bis 17.00 Uhr. Bei diesen Treffen werden Erfahrungen ausgetauscht, Probleme in der Gruppe besprochen, Aufgaben verteilt etc. Sie erhalten bei Bedarf Supervision. Telefonkarten, Arbeitsmaterial und Fahrkarten werden gestellt. Es werden Weiterbildungsmöglichkeiten angeboten und wahrgenommen bei Tagungen, Supervision u.a. Wichtig ist uns die aktive Beteiligung und Ausgestaltung der Öffentlichkeitsarbeit im Radio, bei Veranstaltungen, in der Presse u.v.m.
In Kooperation mit der Volkshochschule Hannover findet seit Januar 2003 ein Deutschkurs für Migrantinnen und Migranten, die am Modellprojekt mitarbeiten, statt. Der Unterricht wird mit aus der ehrenamtlichen Arbeit entstehenden Themen praxisnah gestaltet.
Geplant ist noch im Jahr 2003 der Beginn eines Computer- und Internetkurses in Zusammenarbeit mit der Bezirksregierung Hannover.

Unser Motto ist: "Die Integration von MigrantInnen fängt nicht in der Politik an, sondern im Alltag."