Empowermentprozesse und genossenschaftliches Handeln

Kontakt:

Prof. Dr. Susanne Elsen, Fachhochschule München, Leitung des Masterstudiengangs "Gemeinwesenentwicklung, Quartiersmanagement und Lokale Ökonomie", Tel: 089 12652323, e-mail: susanne.elsen@t-online.de

Referat gehalten auf der "Genossenschaftstagung 2003", Leipzig 


"Macht entspringt der menschlichen Fähigkeit, nicht nur zu handeln oder etwas zu tun, sondern sich mit anderen zusammenzuschließen und im Einvernehmen mit ihnen zu handeln."

Hannah Arendt: Macht und Gewalt 1985


Empowerment – Schritte aus der Machtlosigkeit

Empowerment wird mit dem Begriff "Selbstbemächtigung" übersetzt und meint die Stärkung von Autonomie und Selbstbestimmung. Beschrieben wird ein Entwicklungsprozess, in dem Menschen die Kraft gewinnen, die sie benötigen, um ein nach eigenem Drehbuch definiertes "besseres Leben" führen zu können. 

Ausgangspunkt dieses Prozesses ist das Erleben von Machtlosigkeit und Fremdbestimmung.
Die Wirkung der wiederholten Erfahrung des Ausgeliefert-Seins wird als "erlernte Hilflosigkeit" bezeichnet 1). Sie wird zur Haltung von Menschen, die immer wieder erleben müssen, dass alle ihre Anstrengungen, belastende Ereignisse zu beeinflussen, fehlschlagen. Die destruktiven Wirkungen z.B. von Dauerarbeitslosigkeit als tief greifendem Kontrollverlust im Zeitverlauf wurden eindrucksvoll von Marie Jahoda und Paul Lazarsfeld dokumentiert. 2)

Individuelles und gemeinsames produktives Agieren ist gleichzeitig Voraussetzung und Resultat des Prozesses, der schrittweisen Wiederaneignung von Kontrolle und Gestaltungsoptionen der eigenen und gemeinsamen Lebenszusammenhänge.

Die damit verbundenen Kontrollerfahrungen beruhen auf personalen Selbstveränderungen von Einzelnen und Gruppen durch Erfahrungen von Handlungsfähigkeit und verstärken diese gleichzeitig. Menschen, die keinen ausreichenden Zugang zu Ressourcen haben, mischen sich in Selbstorganisation in politische, ökonomische und soziale Zusammenhänge ein und initiieren dadurch ein kollektives Projekt mit dem Ziel der Umverteilung und Korrektur sozialer Ungleichheiten 3).

 

Diese Formen der Einmischung und Aneignung wirken über die individuelle und die Gruppenebene hinaus und initiieren sozialen Wandel im Sinne veränderter Machtkonstellationen im Gemeinwesen, tangieren Verhalten und Einstellung der Beteiligten und die gesellschaftlichen Strukturen, welche die Chancen und Benachteiligungen bedingen.
Beredtes Beispiel für Empowerment und sozialen Wandel und gleichzeitig Vorbild für die Rahmung des Prozesses ist das Settlement Hull-House, das Zentrum kritischen bürgerschaftlichen Engagements im Chicago des 19. Jahrhunderts, welches ausgehend von einem problemüberladenen Quartier lokal, national und international Reformen in Wirtschaft, Politik, Gesellschaft, Gesetzgebung, Wissenschaft und Infrastruktur realisierte, zu denen selbstverständlich auch lokale Genossenschaften gehörten. Die erste Unternehmensgründung von Hull-House war eine Wohnungsgenossenschaft für Arbeiterinnen, die aus der Sicherheit eines Dachs über dem Kopf auch an Streiks für bessere Arbeitsbedingungen teilnehmen konnten 4).
Die Wirksamkeit von Empowerment als Aneignung und Organisation von Gestaltungsmacht "von unten" wird aktuell dokumentiert durch die weltweite zivilgesellschaftliche Bewegung gegen die neoliberale Globalisierung. Diese Bewegung besteht aus einem weltweiten Netzwerk lokaler "one-issue-initiatives", die mit einem konkreten Anliegen, welches sie unmittelbar tangiert – die Interessen der Landlosen, der Kleinbauern oder der indigenen Völker – über definierbare Schritte des Empowerments in der globalen Zivilgesellschaft politikfähig werden. Die zivile Gegenmacht gegen die Entmachtung durch die transnationalen Konzerne verdeutlicht auch die Konfliktdynamik, die mit Empowermentprozessen einhergeht.
Die strukturellen Bedingungen und Folgen von Empowerment, die konfliktiven Veränderungen gesellschaftlicher Machtkonstellationen, werden in der psychosozialen Empowermentdiskussion nur wenig berücksichtigt. Empowerment ist keine "Methode". Es ist nicht zu trennen von realer Teilhabe an den zentralen sozialen, ökonomischen und politischen Ressourcen und Optionen einer Gesellschaft. Als Vertreterin der Gemeinwesenarbeit gilt mein besonderes Interesse benachteiligten Gruppen und Gemeinwesen. Die Verbesserung ihrer Lebensbedingungen ist ohne strukturelle Veränderungen nicht denkbar.


Genossenschaften und Community-Empowerment

Genossenschaften sind geradezu ideale Organisationen für die Einleitung und Ausweitung personaler, sozialer und struktureller Empowermentprozesse. Die Bündelung von Kräften und Ressourcen ermöglicht den Beteiligten soziale, ökonomische und politische Teilhabe und die individuelle und gemeinschaftliche Erfahrung von Handlungsfähigkeit. Gleichzeitig schafft genossenschaftliches Agieren die materiellen Voraussetzungen des Prozesses und seiner Weiterentwicklung.
Vernetztes genossenschaftliches Agieren im lokalen Raum nutzt die lokalen "Standortvorteile" Kooperation und soziales Kapital sowie die Möglichkeit, Synergien durch Bündnisse, Kombinationen und Lobbystrukturen zu erzeugen. Als "Multi-Stakeholder-Unternehmen" sind Genossenschaften eingebunden in die Pluralität lokaler AkteurInnen aus Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. Die Potentiale bürgerschaftlichen Engagements können so produktiv für das lokale Gemeinwesen und dessen Stärkung gegen die Unwägbarkeiten globaler Entgrenzungen genutzt und gefördert werden.
Lokale Genossenschaften sind im Gegensatz zur etatistischen deutschen Tradition der Gemeinwesenarbeit in der internationalen Fachdiskussion und Praxis zentrale Bestandteile des community-development 5). Dies hat leicht nachvollziehbare Gründe: Produktivgenossenschaften beziehen sich meist auf einen lokalen oder regionalen Markt und agieren in arbeitsintensiven Bereichen. Sie sind Akteure dezentraler Arbeitsorganisation und damit Gegenpole technologischer Zentralisierung. Sie folgen anderen Rentabilitätsmaßstäben (z.B. Belegschaftsbetriebe) und sind zudem gegenüber anderen Unternehmensformen stabiler. Keine andere Unternehmensform verzeichnet weniger Zusammenbrüche als Genossenschaften, was darauf zurück zu führen ist, dass die Last und die Risiken auf vielen Schultern lasten und dass aufgrund des Identitätsprinzips ein mehr an (extrafunktionalem) Engagement der Beteiligten eingebracht wird.
Die Wahrscheinlichkeit, in einem wirtschaftlichen Abschwung zu scheitern ist bei Kooperativen geringer, da die Kosten der Rezession auf alle Köpfe im Unternehmen verteilt werden können 6). Die Krisenbewältigung der 80er Jahre durch die weltweit größte Industriekooperative, den baskischen Mondragon-Verbund mit mehr als 53000 Mitgliedern, illustriert dies: Mitglieder, die nicht ausreichend beschäftigt waren, wurden nicht entlassen, sondern auf andere Kooperativen im Verbund verteilt. Die Arbeitszeiten wurden flexibilisiert und die genossenschaftseigene Bank half mit günstigen Krediten über die Liquiditätsengpässe. Die Wachstumsrate von Mondragon war ab Mitte der siebziger Jahre viermal so hoch wie in der übrigen spanischen Wirtschaft. Mittlerweile ist MCC das achtgrößte Unternehmen Spaniens. Im genossenschaftlichen Unternehmensverbund finden die Mitglieder nicht nur eigenständige Möglichkeiten der Existenzsicherung, sondern ein breites Spektrum an Waren und Dienstleistungen zur sozialen und gesundheitlichen Absicherung und der Bedarfsdeckung. Zu den Kooperativen im Verbund gehören heute die Caja Laboral mit 270 Filialen und der Pensions- und Krankenkasse Lagun-Aro, die Supermarktkette Eroski, Produktionsstätten für Halbleiter, Autoteile und Werkzeugmaschinen oder das Herzstück von Mondragon der Elektrogerätehersteller Fagor, der mit 4.300 Mitarbeitenden einen Umsatz von 700 Millionen Euro macht. Mondragon ist sicherlich eines der überzeugendsten Beispiele für ökonomisches und politisches Empowerment einer ganzen Region.
Das Interesse von Genossenschaftsmitgliedern an regional gebundenen Arbeitsplätzen ist langfristiger als das externer Investoren. Genossenschaften und kooperative Verbünde können das ökonomische "Rückgrat" einer Region im Umbruch bilden. Die Erhaltung, Bewirtschaftung und Zuteilung von Ressourcen und die Verhinderung dysfunktionaler Ressourcenabflüsse zur Stärkung der lokalen Basis sind wirksame Wege strukturellen Empowerments 7). Gerade der Ressourcenabfluss aus benachteiligten Gemeinwesen ist einer der Hauptgründe für die Abwärtsspirale, die segregierte Armutsquartiere entstehen lässt. Eine Unterbrechung und Umkehr hin zu "empowered communities" erfordert Ansätze der Schließung der Ressourcenkreisläufe 8). Mit Hilfe lokaler Genossenschaften, die in synergetischen Vernetzungen agieren und die Ressourcenbasis des Gemeinwesens und seiner BewohnerInnen in Form ökonomischer Kreisläufe (short circuits) stabilisieren, kann dies gelingen 9). Durch Reinvestitionen im lokalen Verbund der Unternehmen und Organisationen kann die materielle Basis des Gemeinwesens stabilisiert und erweitert werden.
Ein zentraler Aspekt darf hierbei nicht vernachlässigt werden: Genossenschaftliche und eigenwirtschaftliche Eigentumsformen 10) erhalten, nutzen und erzeugen in solidarökonomischen Formen zukunftsfähiges und emanzipatorisches gesellschaftliches Eigentum 11), welches nicht ausschließt, sondern Voraussetzung der Teilhabe aller, insbesondere der ökonomisch schwächeren Gesellschaftsmitglieder ist. Es gewährt den Zugang zu den zentralen Lebensvoraussetzungen die derzeit weltweit gnadenlos vermarktet, in Privateigentum überführt, und damit in zunehmendem Maße vielen Menschen enteignet werden (Wasserversorgung, Wohnraum, Boden, Soziales, Gesundheit Infrastruktur etc.-).
Zurück zum personalen Empowerment: Die Beteiligten erfahren, dass sie den wachsenden Abhängigkeiten von einem anonymen und globalisierten Markt mit Communitiy-Empowerment, der Stärkung der lokalen Fundamente des Zusammenlebens etwas entgegen halten können. Dies ist der Kern der Bemühungen südindischer KleinbäuerInnen, die sich gegen die Abhängigkeit von globalen Agrarkonzernen und die Enteignung ihrer Lebensgrundlagen wehren ebenso wie die von BewohnerInnen benachteiligter Quartiere in westlichen Industrieländern, die unter den Folgen sozialökonomischer Polarisierung und Spaltung leiden. Lokale Genossenschaften und kooperative Kreditsysteme sind die wichtigsten Grundlagen dieser weitreichenden sozialen, ökonomischen und politischen Empowermentstrategien auf lokaler Ebene, die in ihren Netzwerken z.B. im Weltsozialforum oder der attac-Bewegung bis auf die globale Ebene wirken.
Genossenschaften sind also "empowering organizations" für personale und soziale Selbstveränderung. Als "empowered organizations" sind sie Resultate dieser Prozesse und gleichzeitig Akteure strukturellen Empowerments auf der Ebene der Gemeinwesen. Dies fördert Schritte zu "empowered communities" - Transformationsprozesse hin zur Stärkung der Bürgergesellschaft, verbunden mit lokalökonomischen Alternativen freier Assoziationen von Bürgerinnen und Bürgern. Sie bewirken letztendlich eine Machtverschiebung zugunsten ziviler Selbstorganisation gegenüber den dominanten Systemen Staat und Markt.
Ich spreche von Möglichkeiten. Es wäre fatal anzunehmen, dass voraussetzungslos durch Genossenschaftsgründungen z.B. die sozialen und ökonomischen Probleme der Dauerarbeitslosigkeit zu lösen seien. Zu erwarten, dass Arbeit in überwiegend wenig lukrativen, arbeitsintensiven Bereichen ohne gezielte Förderung durch diejenigen Menschen zu erschließen sei, die über wenig oder kein materielles, wie verwertbares soziales, und allgemein auch über kein unmittelbar verwertbares Bildungs- und Wissenskapital verfügen, und zudem häufig geprägt sind von langjährigen Kontrollverlusten, ist mehr als naiv. Mit gezielter Förderung jedoch und unter bestimmten Rahmenbedingungen können genossenschaftliche Lösungen ihre nachhaltigen Wirkungen auf personaler und struktureller Ebene entfalten. Voraussetzungen und Rahmenbedingungen habe ich an anderen Stellen beschrieben 12).
Empowerment – soviel ist klar - passiert nicht, wenn Benachteiligten Rechte und Ressourcen entzogen werden, damit sie sich an den eigenen Haaren aus dem Sumpf ziehen – woran sie der Sozialstaat angeblich hindert. In der derzeitigen Diskussion um den "aktivierenden Staat" scheint jedoch gerade das gemeint zu sein.
Es bedarf - wenn Empowerment ernst gemeint ist, der Öffnung der etablierten gesellschaftlichen Systeme für eine grundlegende Demokratisierung und der aktiven Förderung von Selbstorganisation in Form struktureller und materieller Rahmung.
Diese Voraussetzungen werden mit hoher Wahrscheinlichkeit bereits auf strukturellen Empowermentprozessen beruhen, da sie in einem konfliktträchtigen sozialen, politischen und ökonomischen Kräftefeld verortet sind, die Veränderungen gesellschaftlicher Machtstrukturen erfordern.


Die Karten werden neu gemischt

Selbstorganisation ist kein sozial gleich verteiltes Gut. Ein Blick in Geschichte und Gegenwart zeigt in nahezu allen Gesellschaften, dass die Besitzenden ihre Interessen am besten zu organisieren vermögen. "Die Teilhabe an solidarischen Gemeinschaften ist keineswegs prinzipiell offen für alle. Die Teilhabe an Selbstorganisation folgt den Spuren einer "stillen" Selektivität, sie variiert entlang der Demarkationslinie sozialer Ungleichheit (Bildung, Einkommen, Macht). Und so ergeben sich auch hier alte Ungleichheitsrelationen: Im Gegensatz zu Angehörigen mittlerer und gehobener sozialkultureller Milieus verfügt vor allem die "klassische" Klientel sozialstaatlicher Dienstleistungsagenturen, nämlich Personen mit geringem Einkommen, niedriger allgemeiner und beruflicher Bildung und einer nur wenig vernehmbaren öffentlichen Stimme, kaum über das (ökonomische, kulturelle und soziale) Kapital, das nötig ist, um sich selbstbewusst schöpferisch in Assoziationen ... einzumischen 13)." Gerade die Ressourcenrestriktionen der ökonomischen und sozialen Benachteiligung wirken in der Weise, dass sie die kollektive Selbstorganisation der Benachteiligten, als einzige Möglichkeit zur Erweiterung der Macht- und Ressourcenlage, verhindern 14). Die Verfahren der Gemeinwesenarbeit, insbesondere des Community-Organizing und des Community-Education wirken machtausgleichend und ressourcenbildend und schaffen so die Voraussetzung für schrittweise Empowermenterfahrungen Benachteiligter.
Empowerment lässt sich mit einem Gesellschaftsspiel vergleichen. Neue SpielerInnen verschaffen sich Zugang, spielen auf ihre Weise mit und verändern die Regeln. Nicht nur die vorher vom Spiel Ausgeschlossenen, sondern alle MitspielerInnen müssen sich verändern, neue AkteurInnen mit ihren Ideen und Verfahren zulassen und sich in den Aushandlungsprozess um neue Regeln einlassen. Empowerment als Selbsthilfe und Selbstorganisation im politischen, sozialen und ökonomischen Bereich tangiert die Systeme Staat, Markt und Zivilgesellschaft und deren jeweilige Interessen und Zuständigkeiten. Sie verändert auch den Intermediären Sektor ("Dritten Sektor") zwischen diesen Systemen und erweitert seine Möglichkeiten.
Die Selbstorganisation von BürgerInnen orientiert sich am Eigennutz und öffnet die Tür zum Gemeinnutz. Es ist eigensinnig und eigenwillig 15). Sowohl die Ideen und Projekte ziviler Akteurinnen und Akteure als auch die Wege zu ihrer Erreichung sind meist unkonventionell, findig und synergetisch. Sie widersprechen den Vorstellungen etablierter Systeme in Verwaltung, Markt und Politik. In einem etatistischen System, als das Deutschland bezeichnet werden kann, stößt das Engagement von BürgerInnen außerhalb fremdbestimmter, funktionalisierter ehrenamtlicher Einsätze im Sozialbereich keineswegs auf Entgegenkommen. Wie verkrustete Strukturen in Wirtschaft, Wohlfahrtsverbänden, Politik und Verwaltung Engagementbereitschaft entgegenstehen, weist Helmut Klages in seiner lesenswerten Studie nach 16).
Sollen Bürgerinnen und Bürger in Selbstorganisation soziale und ökonomische Verantwortung übernehmen, müssen sie dies auch wirklich dürfen 17). Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Verbände müssen die zivilen AkteurInnen an den Nahtstellen ihrer Handlungsfelder oder Kompetenzbereiche zulassen und sie nicht, wie dies im Bereich ökonomischer Selbstorganisation Praxis ist, verhindern und vernichten, oder wie im Bereich sozialer und politischer Selbsthilfe und Selbstorganisation üblich, vereinnahmen und gängeln. Teilhabe der BürgerInnen erfordert die Bereitschaft der Beteiligten aus den etablierten Systemen, sich auf Neues lernend einzulassen und Macht zu teilen.
Dabei können alle AkteurInnen gewinnen, da neue Bündnisse und Partnerschaften, Synergien und Innovation aus dem Mischen der Karten entstehen können. Die Entwicklungspotentiale des "Ditten Sektors" – dem in der internationalen Diskussion auch Genossenschaften zugehören, mit seinen Nahtstellen zu Staat, Markt und Zivilgesellschaft und seinem bürgerschaftlichen Potential beruhen auf dieser Mischung, die die Kontrolllogik des Staates und die Kapitallogik des Marktes durch lebensweltliche Findigkeit und soziales Kapital relativiert und lebensnahe Lösungen generiert. Doch um dies wirksam werden zu lassen müssen sich alle bewegen, insbesondere auch der "dritte Sektor" selber.
Ein Beispiel 18):

"Neben dem Kongressgebäude, der ehemaligen stazione marittima, in dem für fünf Tage die "questione psychiatrica" verhandelt werden sollte, hatte die weißgestrichene "Adriana" angelegt – ein jugoslawisches Passagierschiff mit 600 Betten für die Kongressgäste. Dieses Schiff sorgte nicht nur für Unterkunft und Verpflegung, es war vielmehr so etwas wie eine politische Geste in Form von 20.000 Bruttoregistertonnen. Die Psychiatrie, von Haus auf beauftragt, Schmutz und Elend zu verwalten und das ausgeschlossene Drittel der Gesellschaft zu kontrollieren, erhob gewissermaßen Anspruch auf Luxus, auf ein Unternehmertum diesseits der Barriere des Sozialstaates... vier Mädchen, die man in der Bundesrepublik in einem Heim für verhaltensgestörte Jugendliche oder in einer Abteilung für Drogenabhängige gefunden hätte, managten seit einiger Zeit im Rahmen der Kooperative "Posto delle fragole" das kleine Hotel "Tritone" am Lido von Triest... Nun mussten sie abrupt von der Verwaltung eines dreißig-Zimmer-Hotels auf ein 600-Betten-Schiff umsteigen. Ergebnis: keine Klagen von den Gästen, aber eine totale Verunsicherung des Kreuzfahrtservices der sechzig Angestellten, die an Routine und Hierarchie gewöhnt waren. ...ein kleines Beispiel für eine Praxis, die in der Lage ist, Fähigkeiten von Menschen zu entfalten, weil sie Fähigkeiten voraussetzt.. 19)"

Zu bedenken ist, dass es sich um ein Beispiel handelt, welches professionell unterstützt und umfassend gerahmt ist. Es zielt seitens der InitiatorInnen auf eine neue professionelle Praxis und auf einen anderen gesellschaftlichen Umgang mit Marginalisierten. Seine Konfliktlinien verlaufen gegenüber der Expertokratie der Medizin und Psychiatrie und an den Nahtstellen von Staat und Markt sowie innerhalb des intermediären Bereiches der sozialen- und Gesundheitsdienste, der im Zentrum des Kräftefeldes steht.
In Deutschland weist dieser Bereich eine hohe Staatsnähe und –abhängigkeit auf und ist deshalb und aufgrund einseitiger Professionalisierung nur wenig experimetierfreudig. Die traditionelle Wohlfahrtspflege ist bemüht, das Monopol über den lukrativen, überwiegend staatsfinanzierten "Markt der Verwertung der nicht Verwertbaren" zu behalten, der sich unter dem Subsidiaritätsprinzip in Deutschland herausgebildet hat. Ich spreche von den großen Wohlfahrtsverbänden und nehme die Landschaft der kleinen Träger unter dem Dach des Partätischen aus. Genossenschaftliche Selbstorganisation im Sozialbereich und damit die Emanzipation der AdressatInnen steht ihrem Interesse entgegen. So wie Genossenschaften tendenziell den Markt ausschalten und Kapitalinteressen neutralisieren, können sie dysfunktionale Mittelabflüsse in wohlfahrtstaatliche Verbandsstrukturen und Hierarchien verhindern und die Mittel unmittelbar den NutzerInnen bzw. der Stabilisierung und Weiterentwicklung der Unternehmensaufgabe zukommen lassen.
Der Einfluss der Wohlfahrtsverbände im korporativen Staat íst auf lokaler Ebene sehr wirksam, indem sozialstaatliche Zuteilungen kanalisiert und auf deren Mühlen gelenkt werden. Auf nationaler und europäischer Ebene jedoch wirkt er im Sinne der Verhinderung der politischen und rechtlichen Voraussetzungen für selbstorganisierte Lösungen etwa in Form von Sozialgenossenschaften.
Die Kultur des Helfens der traditionellen Wohlfahrtspflege steht der Empowermentidee ebenso im Wege wie ihre Organisationsweise. Die traditionelle Wohlfahrtspflege ist, der Logik ihrer Organisationsweise entsprechend, durchdrungen von dem, was Paulo Freire als "antidialogische Kultur" bezeichnet. Sie äußert sich nicht in repressivem, jedoch in besorgtem, fürsorglichen Paternalismus. Empowerment im transitiven Sinne basiert auf Dialogkultur, die mehr und anderes meint als nur miteinander sprechen. Sie ist gekennzeichnet von Subjekten die sich zusammenfinden um in Kooperation, in Aktion und Refexion die Welt zu gestalten 20). Auch Professionelle die sich der Diskursethik der Dialogkultur verpflichtet haben, werden es unter diesen institutionell-organisatorischen Einbindungen sehr schwer haben. Dies vor allem ist es, was die Empowermentdiskussion in der psychosozialen Praxis überwiegend ignoriert.
Die ethischen Prämissen der Diskursethik 21) im professionellen Hilfeprozess erfordern die Anerkennung von Reziprozitätsnormen zwischen den Beteiligten. Unabdingbare Voraussetzung ist die apriorische Unterstellung gegenseitiger Verständigungsbereitschaft und die kontrafaktische Akzeptanz des Postulats von Gegenseitigkeit und Gleichheit als Voraussetzung für seine Einlösung. Reziprozitätserwartungen auf der Basis von Grundvorstellungen der Gleichbehandlung und Solidarität sind Bestandteile der Symmetrieerfordernisse jeder kommunikativen Alltagspraxis "in Form von allgemeinen und notwendigen Voraussetzungen kommunikativen Handelns. Ohne diese idealisierenden Unterstellungen kann niemand, unter wie immer repressiven gesellschaftlichen Strukturen verständigungsorientiert handeln. Vor allem in der reziproken Anerkennung zurechnungsfähiger Subjekte, die ihr Handeln an solchen Geltungsansprüchen orientieren, sind die Ideen von Gerechtigkeit und Solidarität schon gegenwärtig 22)." Die zumeist individualisierenden Diagnosen und Bearbeitungsweisen gesellschaftlicher Exclusionsfolgen, die Soziale Arbeit auf den Plan rufen, degradieren AdressatInnen zu Objekten ohne dass in reziproker Anerkennung gemeinsame Ziele und Lösungswege entwickelt werden können. Mit dieser professionellen Haltung verstärkt Soziale Arbeit die Folgen systembedingter Exklusionseffekte.
Eine diskursethisch fundierte Kultur der Sozialen Arbeit ist getragen vom Vertrauen in die "Fähigkeiten des Individuums, in eigener Kraft ein Mehr an Autonomie, Selbstverwirklichung und Lebenssouveränität zu erstreiten – und dies auch dort, wo das Lebensmanagement der Adressaten sozialer Hilfe unter einer Schicht von Abhängigkeit, Resignation und ohnmächtiger Gegenwehr verschüttet ist. 23)" Der Dialog zwischen Gleichen ersetzt in diesem Professionsverständnis die Hierarchie der Wissensstrukturen und der Definitionsmacht und stimuliert die eigenen Kräfte der AdressatInnen. Einen Fundus für diese Fachlichkeit des transitiven Empowerment bietet Paulo Freire´s Theorie und Praxis der "dialogischen Aktion", die auf Kooperation und Kommunikation beruht. 24)


Den Stein ins Rollen bringen

Schauen wir aus der Perspektive Benachteiligter auf die Dynamik des Gesellschaftsspiels, welches nicht nur die Benachteiligten selbst aufmischt. Sie veranschaulicht nicht nur den Prozessverlauf, sondern macht auch deutlich, wo Unterstützung– durch Professionelle oder bürgerschaftliche BündnispartnerInnen - sinnvoll oder notwendig sein kann.
Mit Blick auf die Ausgangssituation lassen sich zwei Zugänge zu Empowermentprozessen unterscheiden. Als reflexiver Prozess wirkt Selbstbemächtigung von Einzelnen und Gruppen im lebensweltlichen Zusammenhang, wie er beispielsweise in sozialen Bewegungen und BürgerInneninitiativen gegeben ist. Ausgangssituation ist häufig eine krisenhafte Zuspitzung der Lebenssituation die ein Aufbäumen und die Mobilisierung letzter Reserven verursacht: "jetzt ist Schluss!" In der ersten Phase des Empowerments erfolgt aufgrund eines emotionalen und kognitiven Erlebnisses ein Bruch mit der Alltagswahrnehmung der "erlernten Hilflosigkeit". Menschen treten aus ihrer Machtlosigkeit und Resignation heraus. Der eigene Standort verändert sich dann grundlegend, wenn die symbolische Macht von Autoritäten verblasst, "die kochen auch nur mit Wasser". Menschen lernen, ihren eigenen Fähigkeiten zunehmend vertrauen zu können.
Freire bezeichnet diesen ersten Schritt des Empowerments als "Entmythologisierung" in dem Menschen ein transitiv-kritisches Bewusstsein erlangen, mit dem sie die Ursachen ihrer Lebenssituation erkennen und die Bereitschaft und Fähigkeit zur Veränderung gemeinsam mit anderen Betroffenen entwickeln.
Im transitiven Sinne erfolgt der Anstoß dazu von außen. Hier geht es um eine professionelle Praxis der Förderung von Selbstbemächtigung beispielsweise in der psychosozialen Arbeit, in der Entwicklungszusammenarbeit oder auch der alternativen Arbeitsmarktpolitik. Zwei Komponenten bilden gemeinsam das Zielsystem transitiven Empowerments: die Förderung partizipatorischer Kompetenz und der Aufbau von Solidargemeinschaften zur Einforderung und Realisierung politischer, sozialer und ökonomischer Teilhabe. Was aber motiviert Menschen zu partizipatorischen Akten und zum Aufbau von Solidargemeinschaften?
Community-Organizing nach Saul Alinsky zielt insbesondere auf diesen ersten Schritt der Mobilisierung und Artikulation eigener und gemeinsamer Anliegen benachteiligter Menschen in einem lokalen oder regionalen Zusammenhang. Um die Eigeninteressen zu berühren, bedarf es nach Alinsky eines kommunikativen Zugangs der frei von Moral und Druck ist. Es geht um Dialog, der im Erfahrungsbereich des Menschen liegen muss. Mobilisierbar sind die konkreten existenziellen Lebensinteressen von Einzelnen und Gruppen in spezifischen Betroffenheitslagen, ihre Relevanzstrukturen und nicht etwa abstrakte Zielsetzungen 25).
Genossenschaftliche Selbsthilfe, die eine Aussicht auf eigenständige Existenzsicherung eröffnet, ist in diesem Sinne von höchster Relevanz für die Menschen, denen diese Möglichkeit vorenthalten wird und denen aus ökonomischen Gründen auch attraktive alternative Betätigungsfelder fehlen. Die Verbesserung der eigenen und gemeinsamen materiellen Lebenssituation ist ein zentrales Anliegen sozioökonomisch benachteiligter Menschen.
Nicht nur die Förderung von Entwicklungsperspektiven artikulationsschwacher Menschen, diese jedoch in besonderer Weise, bedarf der kompetenten Unterstützung. Einerseits sind die Betroffenen besonders unterstützungsbedürftig weil sie von Entwertungserfahrungen geprägt sind, andererseits sind die zu organisierenden Aufgaben im Kontext tragfähiger ökonomischere Selbsthilfe und Selbstorganisation hoch komplex und, wie noch ausgeführt werden soll, gegen sehr wirksame Widerstände durchzusetzen 26). Es bedarf der professionellen Begleitung, Förderung und Unterstützung solcher Empowermentprozesse um nicht weitere Mißerfolgserlebnisse zu erzeugen.
Professionelle Förderungen der grundlegenden personalen Kompetenzen benachteiligter Menschen zielen in der ersten Phase auf die Förderung des Umdenkens und die Erweiterung von Lebensvorstellungen z.B. mit Hilfe von Visualisierungen, paradoxen Interventionen und der bewussten Fokussierung eigener Ressourcen und Potentiale.
In der zweiten Phase werden die AkteurInnen, getragen vom Gefühl kollektiver Stärke fähig, Niederlagen durchzustehen, Strategien zu entwickeln und BündnispartnerInnen zu suchen. Sie sind fähig, in Solidargemeinschaften Ressourcen erschließen und gestaltend Einfluss auf ihre Lebensbedingungen nehmen. Diese Phase ist es, die insbesondere dann, wenn es sich um weniger artikulations- und organisationsfähige Gruppen handelt, der strategischen Unterstützung bedarf. Entwickelte Selbstorganisationsfähigkeit erwächst auf der Basis der Lernprozesse, die in den ersten beiden Phasen stattfinden. Die AkteurInnen werden ernst zu nehmende VerhandlungspartnerInnen für Politik, Wirtschaft und Verwaltung.
Neben den aktivierenden Verfahren der Gemeinwesenarbeit halte ich folgende methodische Zugänge für geeignet, Selbstorganisationsprozesse Benachteiligter in Gang zu setzen. Es handelt sich um erste Schritte der personalen Stärkung, sozialen Einbindung und Partizipationsförderung als Voraussetzung für anspruchsvollere Formen der Selbstorganisation.

  1. Unterstützungsmanagement mit der Zielsetzung, mit und zugunsten Einzelner und kleiner Gruppen ein solides Ressourcen-Netzwerk zu schaffen und persönliche Befähigungen spezifisch zu stärken. Individuelle Ohnmachtserfahrungen brechen auf, wenn benachteiligte Menschen in Austausch treten, und in neuen Solidarzusammenhängen materielle, kognitive und informationelle Unterstützung und emotionale Anerkennung finden.
  2. Biographiearbeit: Eine neue Standortbestimmung von Menschen mit langjährigen Entwertungserfahrungen erfordert eine Kontextualisierung, in der Selbst- und Problemwahrnehmungen rekonstruiert, analysiert und dekonstruiert werden. Methoden der "Selbstnarration" können dazu führen, dass Menschen mit Entwertungserfahrungen ihren Lebenslauf nicht als reine Aneinanderreihung von Misserfolgen wahrnehmen, sondern auf die Spur ihrer Stärken und gelungenen Lebenssituationen geraten und die strukturellen Ursachen ihrer Misserfolge erkennen. Beispiele für eine solche Arbeit im kollektiven Zusammenhang finden sich in der Pädagogik der Befreiung nach Paulo Freire. Auch sie hat ihren Kontext in der kooperativen Tätigkeit benachteiligter Menschen 27).

Die auf personale Befähigung zielenden Ansätze bleiben jedoch wirkungslos, wenn nicht materielle, rechtliche und politische Rahmenbedingungen zur Herausbildung einer gemeinwesenökonomischen Basisökonomie in Deutschland vergleichbar anderer europäischen Staaten geschaffen werden. Diese Voraussetzungen und Rahmenbedingungen wurden an anderer Stelle ausführlich beschrieben 28).


Empowerment, Macht und Konflikt

Wer von "Empowerment" spricht, kann von Macht nicht schweigen, denn wenn es um die Aneignung von Gestaltungsoptionen eher machtloser Gesellschaftsmitglieder auf personaler, sozialer, politischer und gar ökonomischer Ebene geht, verändert dies die strukturell ungleiche Verteilung von Handlungsoptionen, Ressourcen und Einflussmöglichkeiten. Es handelt sich bei Empowerment "um einen konflikthaften Prozeß der Umverteilung von politischer Macht, in dessen Verlauf Menschen oder Gruppen von Menschen aus einer Position relativer Machtunterlegenheit austreten und sich ein Mehr an demokratischem Partizipationsvermögen und politischer Entscheidungsmacht aneignen. 29)" Es geht bei Empowerment, wie Tilo Klöck sagt, um die Beeinflussung der strukturell ungleichen Verteilung von Ressourcen, Macht und Einfußnahme zugunsten Benachteiligter 30). Empowerment" bewirkt Machtausgleich durch eine veränderte Teilhabe an materiellen und immateriellen Ressourcen zugunsten machtunterlegener Gruppen. Verändert sich die Position von Machtunterlegenen, so ist dies nur möglich durch die Abgabe von Macht der Überlegenen, was sich im Ergebnis nicht zwangsläufig zu ihrem Nachteil auswirkt.
Saul Alinsky, Basisdemokrat und Vordenker der Empowermentidee geht mit seinem Konzept des community-organizing, der Selbstorganisation der Interessen Benachteiligter von der Perspektive sozialen Wandels durch Konflikt und Machtumverteilung aus 31). Nach seiner Darlegung ist Konflikt das Feuer unter dem Kessel der Demokratie. Der Prozess des Aufbaus von Organisationsfähigkeit Benachteiligter vollzieht sich durch die Bündelung ihrer Kräfte. In Strategien der Auseinandersetzung mit dominanten Gegnern um die Durchsetzung von Zielen die das eigene und gemeinsame Leben betreffen, erfahren sie ihre abgestimmte, kollektive Handlungsfähigkeit um daran Schritt für Schritt zu wachsen.
Gerade im Zusammenhang von genossenschaftlicher Selbstorganisation und Empowerment benachteiligter gesellschaftlicher Gruppierungen, sind die Konflikthaftigkeit des Ansinnens und die Frage der materiellen und nichtmateriellen Voraussetzungen sehr ernst zu nehmen.
Geht es um eigenständige Existenzsicherung von Arbeitslosen und Armen, um Möglichkeiten genossenschaftlicher Wohnungsversorgung derer, die im Markt keine Chancen haben, um selbstorganisierte Alternativen zu traditionellen sozialen Diensten etc., tangieren die Konfliktlinien die Machtzentren des korporatistischen Staates sowie die dominanten Interessenorganisationen der Zivilgesellschaft und des Marktes.
Die Widerstände und Verhinderungsstrategien gegen Einzelinitiativen produktiver Eigenständigkeit sind vielfältig – was alle wissen, die in diesem Feld agieren. Wirksamer noch sind sie gegen die Versuche, politische Voraussetzungen für die Zulassung und Förderung eines eigenständigen kooperativen Sektors zu schaffen. Die Entwicklung eines solchen lokalen Basissektors wäre eine Antwort auf zahlreiche ökonomische und soziale Fragen, die weltweit unter den Folgen der neoliberalen Globalisierung aufgeworfen werden 32).
Mit der schrittweisen Wirkung struktureller Empowermentprozesse werden die Konfliktlinien und -schauplätze komplexer. Gerade an den Widerständen können die Akteure wachsen und die Empowermenteffekte verstärken sich dann. Doch an diesen Widerständen scheitert auch die Selbstorganisation Benachteiligter aufgrund der kumulierenden Wirkung sozialer, materieller und kultureller Kapitalschwäche und des schwierigen Konfliktfeldes in dem sie sich im Gegenwind behaupten muss.
Es gilt zu bedenken, dass soziale und ökonomische Selbstorganisation Benachteiligter eine der Konsequenzen des Endes der arbeitsteiligen sozialen Marktwirtschaft darstellt. Sie stellt einen sehr weitgehenden Bruch mit der Organisation zentraler gesellschaftlicher Bereiche dar und ist auch deshalb höchst konfliktiv. Selbstorganisation ersetzt nicht die sozialstaatliche Absicherung von Lebensrisiken, doch ist ihre aktive Förderung eine vorrangige gesellschaftliche Entwicklungsaufgabe um soziale Integration und eigenständige Existenzsicherung von Menschen und die Zukunftsfähigkeit der Gemeinwesen zu sichern.
Bürgerschaftliche Selbstorganisation ist auch zu denken im Kontext der Neuorganisation gemeinwohlorientierter Aufgaben (Versorgung, öffentliche Infrastruktur, low-tech-Produktion, Bildung, Soziales, Beschäftigung und Qualifizierung, ökologische Lösungen etc.),. Das Soziale ist Teil eines Zielsystems aus Existenzsicherung, sozialer Integration, politischer und ökologischer Entwicklung in konkreten lebensweltnahen Projekten und Unternehmen. Es flankiert nicht eine gesellschaftsexterne Ökonomie, sondern integriert Wirtschaften und Soziales in den gesellschaftlichen Lebenszusammenhang.
Von anderen Ländern, insbesondere Italien und Frankreich oder sogar den USA können wir viel lernen. Italien hat z.B. mit überzeugenden Resultaten bemerkenswerte Voraussetzungen zur Förderung des lokalen Kooperativenbereiches (u.a. Sozialgenossenschaften) geschaffen 33).
In Deutschland müssen sich Genossenschaften, sofern sie die hohen Zugangshürden überwunden haben, alternativ- und schutzlos behaupten. Es bedarf zur Entfaltung der Potentiale lokaler Selbstorganisation und Selbsthilfe der aktiven Förderung auf der Basis politischen Willens und der Einbindung der unterschiedlichen Kräfte mit dem Ziel der Stärkung der lokalen Handlungsoptionen.


Empowerment, lokaler Konsens und empowered community

Zwei Aspekte halte ich für zentral, wenn es um community-empowerment geht: Konflikt und Machtausgleich auf der einen, Konsens, Kohäsion und Bündnisse - auch antagonistischer Art - auf der anderen Seite.
Die Erhaltung und Entwicklung der lokalen sozialen, ökologischen und ökonomischen Grundlagen ist ein konsensfähiges Interesse, welches andere Interessengegensätze zu überbrücken vermag. Gerade genossenschaftliche Lösungen als multi-stakeholder- Unternehmen sind ideale Organisationen nachhaltiger Entwicklung starker lokaler Gemeinwesen in einer globalisierten Welt. Auf der Basis von lokalem Konsens lassen sich die Ressourcen mit dem Ziel community-empowerment bündeln und nutzbar machen. Damit kann der Enteignung der Gemeinwesen durch anonyme globale Kräfte entgegen gewirkt werden. Eine wirkliche Chance, Entwicklungen in diese Richtung zu initiieren und tragfähig zu machen, stellt das EU-Programm EQUAL dar, welches in diesem Band dargestellt wird.
Genossenschaftliche Assoziationsmuster eröffnen unter den gegebenen Bedingungen neue Möglichkeiten bürgerschaftlicher Kooperation und Absicherung auf Gegenseitigkeit durch die produktive Nutzung der Potenziale von Bürgerinnen und Bürgern 34). Bürgerschaftliche Verantwortungsübernahme kann auch heißen, als Promotorin eigene Kompetenzen und Ressourcen zugunsten gemeinwesenökonomischer Lösungen einzubringen 35). Die Bereitschaft von BürgerInnen ihre Potentiale für das Gemeinwesen einzubringen ist dann groß, wenn nicht instrumentalierte Möglichkeiten und eine kooperative Infrastruktur eröffnet werden. Denkbar und auch real vorfindbar sind u.a. solidarische Sozialgenossenschaften, deren Mitglieder mit und zugunsten Betroffener agieren. Die besondere Produktivität des Genossenschaftsberiebes und die Effektivität der Sozialorganisation sind auf den Verzicht von Gewinnausschüttungen und den Einsatz professionellen Ehrenamtes – beispielsweise der Geschäftsführung – sowie die intensive Vernetzung zurück zu führen. Die Mitgliederförderung der nicht betroffenen und nutznießenden Mitglieder bezieht sich auf immaterielle Gratifikationen – etwa die Anerkennung von Engagement und der Zugewinn an gesellschaftlichem Einfluss 36). Die Verhinderungsstrategien in Gesellschaft, Politik und Wirtschaft – auch des traditionellen Genossenschaftswesens - stehen diesem Potential bürgerschaftlichen Engagements jedoch immer noch entgegen 37).
Ein Beispiel bürgerschaftlicher Solidarökonomie:

Die Genossenschaft am Beutelweg mit ihren Tochterunternehmen 38) hat sich in einem Problemquartier in Trier in einem Problemquartier in Trier in den vergangenen 11 Jahren zu einem Unternehmensverbund entwickelt, der heute über mehr als 450 Wohneinheiten und über Gewerbebetriebe mit mehr als 70 Arbeitsplätzen - überwiegend in Handwerk und Dienstleistung - verfügt. in einem Problemquartier in Trier NutzungseigentümerInnen sind die sozial und ökonomisch benachteiligten BewohnerInnen des Stadtteils selbst. Dieser Unternehmensverbund steht auch aufgrund seines Erfolges in einem höchst komplexen und gefährlichen Konfliktfeld mit lokaler, regionaler und überregionaler Poltik, organisierter Handwerkerschaft (obwohl selbst Mitglied der Kammer), Banken, örtlicher Wohnungswirtschaft, traditionellen Wohlfahrtsverbänden, örtlicher "Hofberichterstattung" und vielen anderen dauerhaften oder situativen Gegnern und Konkurrenten. Reussieren und vor allem Überleben in einem solchen Gegenwind, heißt dass man warm angezogen sein muss. Das aber sind die sozial benachteiligten StadtteilbewohnerInnen nicht.
Es gibt viele Gründe dafür dass es diese Genossenschaft und ihre Tochterunternehmen immer noch gibt. Der bedeutendste Stabilisationsfaktor besteht jedoch in einem dichten Netz aus PromotorInnen und bürgerschaftlich engagierten Frauen und Männern aus allen gesellschaftlichen Schichten und Bereichen – aus Politik, Kirche, Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft – die sich als Personen mit ihrer Arbeitskraft und ihren Verbindungen, Ideen und Kompetenzen wie ein Schutzwall um das Projekt formiert haben und gemeinsam mit den BewohnerInnen und NutznießerInnen das Interesse haben, ihr Unternehmen zu verteidigen und stark zu machen. Sie bringen ihre Zeit, ihr Engagement und ihr Know-How in das Unternehmen ein und bewirken dadurch einen klassenübergreifenden Brückenschlag nach dem Vorbild von Hull-House vor mehr als 150 Jahren.
Nicht nur die benachteiligten BewohnerInnen wachsen an diesem Modell, sondern alle Beteiligten und, wie sich über die lange Zeit zeigt, auch Gegner oder ehemalige Gegner. So wirkt diese innovative, unkonventionelle Form lokalönomischer Problemlösung auch auf den politischen mainstream.
Es ist eine besonders wirksame Form bürgerschaftlichen Engagements von Frauen und Männern aus eher begünstigten Lebenslagen die mit und für Benachteiligte an einem gesellschaftlichen Machtausgleich arbeiten und selbstbestimmt ihre Potentiale, Findigkeiten und Interessen einbringen und sich dadurch auch selbst verwirklichen. Bürgerschaftliche Solidarunternehmen könnten gerade am Ende der Erwerbsarbeitsgesellschaft ein Modell zivilgesellschaftlicher Gestaltungsmöglichkeiten werden.

Zivile Selbstorganisation im politischen, sozialen und ökonomischen Bereich erfordert institutionelle Öffnung, die Enthierarchisierung, Dezentralisierung und Entdifferenzierung insbesondere lokaler Institutionen und Organisationen. Ziel ist es, der Engagementbereitschaft von BürgerInnen keine Verhinderungsstrukturen in den Weg zu stellen. Die Potentiale und die Engagementbereitschaft von BürgerInnen im lokalen Kontext brauchen experimentierfreudige und offene Politik- und Verwaltungsstrukturen und AkteurInnen in diesen Systemen, die aktiv nach innen und außen für eine bürgergesellschaftliche Politikkultur der Erschließung und Rahmung von Möglichkeiten eintreten. Ihr Interesse sollte es sein, Selbstorganisationsprozesse insbesondere benachteiligter Gruppen aktiv zu fördern und gerade genossenschaftlichen Lösungen den Vorrang zu geben. Aktive Förderung heißt nicht nur finanzielle Unterstützung der Gründungsphase, sondern umfassende Rahmung und Überzeugungsarbeit ebenso wie eine kooperative Infrastruktur und insbesondere die Erhaltung von Handlungsfeldern und Möglichkeiten der Bedarfsdeckung lokaler Bevölkerung. Der Privatisierungswahn der Kommunen stellt besonders dies in Frage. Genossenschaften wären in vielen Bereichen eine ernst zu nehmende Alternative die die Kontrolle über lokale Ressourcen und Optionen sichern könnte 39). Als bürgerschaftliche Assoziationen sind sie auch Alternativen zu den Abhängigkeiten von Staat und Markt. Insbesondere im Kontext der Diskussion um den "befähigenden Staat" und den Überlegungen zu einer aktivierenden Sozialpolitik wäre die aktive Förderung und Innovation der Voraussetzungen für genossenschaftliche Lösungen zur Neuorganisation öffentlicher und privater Belange sowie zur Übernahme der Aufgaben, die aus veränderten gesellschaftlichen Bedarfen resultieren, von hohem Interesse.

Es gibt in Deutschland nach meiner Kenntnis nur wenige Beispiele aktiver Förderung genossenschaftlicher Problemlösungen in benachteiligten Quartieren durch kommunale Politik. Deshalb möchte ich abschließend über positive Ausnahmen aus München berichten. Eines der Beispiele wird in diesem Band von Marion Schöne vorgestellt:
Das Amt für Arbeit und Wirtschaft der Stadt München fördert derzeit drei innovative Genossenschaftsunternehmen, die benachteiligten Menschen existenzsichernde Arbeitsplätze bieten. Die Förderung geht weit über die finanzielle Anschubfinanzierung hinaus. Es wäre falsch, von einem "Amt" alleine zu sprechen. Es sind engagierte Frauen und Männer in diesem Amt, die die Entwicklungen mit viel persönlichem Engagement aktiv vorantreiben und auch als Personen tragen, die die Vernetzungsarbeit und die politische Überzeugungsarbeit leisten und die Aktiven vor Ort unterstützen.
Neben der Dienstleistungsgenossenschaft "Hausgemacht 40)", sind es die in diesem Jahr gegründeten beiden Produktivgenossenschaften unter dem label: "made in hasenbergl". Es handelt sich um ein mobiles Diningunternehmen, welches Großbaustellen beliefert und um eine Produktivgenossenschaft, die hochkarätige Terraozzoböden insbesondere für Gewerbebauten herstellt. Beide Genossenschaften haben durch ihre guten Geschäftsideen und die aktive Unterstützung im lokalen Umfeld sicher gute Chancen, eigenständig und dauerhaft tragfähig zu werden.

 


Fußnoten:

  1. Seligman, M.: Erlernte Hilflosigkeit. Wien 1979
  2. Jahoda, M./Lazarsfeld, P./Zeisel, H.: Die Arbeitslosen von Marienthal. Frankfurt am Main 1975
  3. Herriger, N.: Empowerment in der Sozialen Arbeit Stuttagrt/Berlin/Köln 2002
  4. Addams, Jane: Zwanzig Jahre soziale Frauenarbeit in Chicago. München 1913
  5. z.B. Campfens, Hubert: Community Development Around the World. Toronto, Buffalo, London 1999
  6. Food Whyte, William/King Whyte, Kathleen: Makin Mondragon: The Growth and Dynamics of the Worker Cooperative Complex. New York 1988
  7. Vergl.: Kretzmann, John/McKnight, John: Building Communities from the inside out. Chicago 1993
  8. Rubin, Herbert: There Aren´t going to be any bakeries here..In: Social Problems. Vol 41, No 3 August 1994 S. 401f.
  9. Elsen, Susanne/Löns, Nikola/Ries, Heinz A./ Steinmetz, Bernd: Aus der Not geboren. In: Elsen, Susanne u.a. (Hrsg.): Sozialen Wandel gestalten. Neuwied 2000 S. 261 f.
  10. Haug, Wolfgang Fritz: Eigentum. In: Historisch-Kritisches Wörterbuch Berlin; Hamburg 1998
  11. Ries, Heinz: Wohnen, Arbeiten, Teilhaben als Basis einer lokalen Ökonomie. In: Sahle, Rita/Scurrell, Babette (Hrsg.): Lokale Ökonomie. Freiburg 2001 S. 48
  12. Elsen, Susanne: Läßt sich Gemeinwesenökonomie durch Genossenschaften aktivieren? In: Flieger, Burghard: Sozialgenossenschaften. Neu-Ulm 2003 S. 57 f.
  13. Herriger, Norbert: a.a.O. S. 137
  14. Karsch, Thomas: Kollektives Handeln der Armen als Voraussetzung für Entwicklung. Frankfurt am Main 1997
  15. Boll, Joachim/Huß, Reinhard/Kiehle, Wolfgang: Mieter bestimmen mit, Darmstadt 1993
  16. Klages, Helmut: Der Blockierte Mensch. Frankfurt/New York 2002
  17. Verg.: Klages, Helmut: Der blockierte Mensch. Frankfurt/New York 2002
  18. dem in der internationalen Diskussion auch die Genossenschaften zugerechnet werden.
  19. aus: Stark, Wolfgang: Empowerment. Freiburg 1996 S. 166
  20. Figueroa, Dimas: Paulo Freire. Hamburg 1989
  21. Habermas, Jürgen: Erläuterungen zur Diskursethik. Frankfurt am Main 1991
  22. Habermas, Jürgen: (1991) S. 71
  23. Herriger, Norbert: Empowerment in der Sozialen Arbeit. 2. Auflage Stuttagrt/Berlin/Köln 2002 S. 71
  24. Dabisch, JoachimSchulze, Heinz (Hrsg.): Befreiung und Menschlichkeit. Neu-Ulm 1991
  25. Alinsky, Saul: Anleitung zum Mächtigsein. Bornheim 1993
  26. vergl.: Elsen, Susanne/Ries, Heinz A. Hrsg.): Sozialen Wandel gestalten - Lernen für die Zivilgesellschaft, Neuwied 2000
  27. Figueroa, Dimas: Paulo Freire. Hannover 1989 oder: Dabisch, Joachim/Schulze, Heinz (Hrsg.): Befreiung und Menschlichkeit. Neu-Ulm 1991
  28. Elsen, Susanne (2003): a.a.O.
  29. vergl.: Herriger, Norbert: a.a.O.
  30. Klöck, Tilo (Hrsg.): Solidarische Ökonomie und Empowerment. Neu Ulm 1998
  31. Alinsky wurde 1909 in einem üblen Slum von Chicago geboren. Seine Praxis der politischen Organisation der Artikulationsschwachen ist heute von höchster Aktualität. vergl.: Alinsky, Saul: Anleitung zum Mächtigsein. Bornheim 1983
  32. vergl: Elsen, Susanne: Gemeinwesenökonomie. Neuwied 1998 und Sozialen Wandel gestalten. Neuwied 2000
  33. vergl.: Elsen, Susanne (1998) a.a.O.
  34. Pankoke, Eckart: Freie Assoziationen. In: Zimmer, Annette/Nährlich, Stefan (Hrsg.): Engagierte Bürgerschaft. Opladen 2000 S. 189
  35. Vergl.: Elsen, Susanne u.a.: Die Genossenschaft am Beutelweg. In: Elsen, Susanne/Ries, Heinz u.a. (Hrsg.): Sozialen Wandel gestalten. Neuwied 2000 S. 269
  36. Flieger, Burghard: Sozialgenossenschaften als Perspektive für den sozialen Sektor in Deutschland. In: Flieger, Burghard: Sozialgenossenschaften. Neu-Ulm 2003
  37. vergl.: Elsen, Susanne (2003) a.a.O.
  38. die Autorin ist Mitbegründerin und langjährig bürgerschaftlich im Unternehmensverbund engagiert
  39. Novy, Klaus: (1986), a.a.O., in: Berger, Johannes/Domeyer, Volker/Funder, Maria/Voigt-Weber, Lore (Hrsg.): a.a.O., S. 91.
  40. Siehe Darstellung von Marion Schöne in diesem Band