Analyse von Stadtteilgenossenschaften in Deutschland
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Dorothea Engelmann, Email: engelmann_dorothea@hotmail.com .
Der vorliegende Text ist Teil der Diplomarbeit "Welches Potenzial haben Formen solidarischer Ökonomie zur Bewältigung von Armut und Ausgrenzung und welchen Einfluss können sie auf die Gemeinwesenentwicklung nehmen? (Betrachtung am Beispiel der Stadtteilgenossenschaft)" an der Katholischen Fachhochschule Freiburg (eingereicht am 31.12.2009)
Die komplette Diplomarbeit können Sie hier als pdf-Datei incl. kurzem Anhang (Experteninterviews) » downloaden (163 Seiten, 1.280 kB)
1 Methodisches Vorgehen
1.1 Annahme
Es wird im Vorfeld dieser Arbeit angenommen, dass Stadtteilgenossenschaften ein besonderes Instrument der Solidarischen Ökonomie darstellen. Durch ihre genossenschaftliche Charakteristik in Verbindung mit der Stadtteilorientierung stecken sie voller Potenzial, den zunehmenden Herausforderungen gesellschaftlicher Armuts- und Ausgrenzungsprozesse entgegenzuwirken. Einerseits verfolgen sie das Ziel, Beschäftigung im Stadtteil zu schaffen, gerade für Zielgruppen, denen der reguläre Zugang zum Arbeitsmarkt verwehrt bleibt. Andererseits fördern sie Lernprozesse, um Partizipation und Integration von Menschen innerhalb der Genossenschaft, aber auch im Gemeinwesen zu ermöglichen. Die Produkte bzw. Dienstleistungen der Stadtteilgenossenschaften tragen zu einer positiven Gemeinwesenentwicklung bei, da sich bedürfnisorientiert für eine infrastrukturelle Verbesserung und die Stärkung lokaler Ökonomie eingesetzt wird. Als Form der Solidarischen Ökonomie eröffnen Stadtteilgenossenschaften einen Zugang zu Erfahrungen alternativer Wertevorstellungen zum Thema Wirtschaft, Arbeit und Soziales. Das Gemeinwesen und somit auch die Stadtteilgenossenschaft wird als Lernraum betrachtet, in dem Integration nicht nur über Arbeit und Wertschätzung nicht nur über Leistungsfähigkeit erfolgt.
1.2 Ziel der Untersuchung
In der Untersuchung wird zunächst das Ziel verfolgt, eine Übersicht aller bestehenden und ehemaligen Stadtteilgenossenschaften in Deutschland zu entwickeln. Es gilt herauszufinden, inwiefern sie durch ein einheitliches Konzept gestaltet, oder welche Typen von Stadtteilgenossenschaften zu differenzieren sind. Sie werden bezüglich ihrer Zielvorstellungen und Potenziale untersucht, um ein Gesamtbild der Chancen von Stadtteilgenossenschaften zu entwickeln. Auch die Herausforderungen zur Implementierung der Genossenschaften im Gemeinwesen stehen im Zentrum der Betrachtung, ebenso die Bedingungen diese genannten Hürden erfolgreich zu überwinden. Abschließend wird verdeutlicht, welche Rolle die Soziale Arbeit oder explizit die Gemeinwesenarbeit bei der Etablierung von Stadtteilgenossenschaften übernimmt.
1.3 Vorstellung der Methodik
Die Analyse der Stadtteilgenossenschaften erfolgt auf Grundlage von ExpertInneninterviews mit VertreterInnen der Stadtteilgenossenschaften und einer Sekundäranalyse des zur Verfügung stehenden Informationsmaterials.
Die Stadtteilgenossenschaften wurden über das Handelsregister der Länder, Suchmaschinen im Internet und persönliche Informationen von Burghard Flieger, Genossenschaftsexperte und Vorstand der innova eG in Freiburg, ausfindig gemacht. Da es kein Register über alle bestehenden Stadtteilgenossenschaften in Deutschland gibt, besteht in dieser Arbeit kein Anspruch auf Vollständigkeit. Die Recherche wurde durch eine schwach ausgeprägte Öffentlichkeitsarbeit (Unaktualität des Internetauftritts, wenige Publikationen) der Stadtteilgenossenschaften erschwert. Gründe hierfür liegen möglicherweise bei den vor allem ehrenamtlich geprägten Strukturen der Stadtteilgenossenschaften, deren zeitliche Kapazitäten natürlich begrenzt sind.
Für die Analyse der Stadtteilgenossenschaften war vorerst eine Sekundäranalyse von Konzepten, Planungsvorhaben und Evaluationsberichten der Stadtteilgenossenschaften vorgesehen. Nach der ersten Kontaktaufnahme mit acht Stadtteilgenossenschaften zeichnete sich ab, dass nur wenig Analysematerial zur Verfügung stehen wird. Es lässt sich auch hier vermuten, dass aufgrund der ehrenamtlichen und wenig professionellen Strukturen der Genossenschaftsleitung die Kapazitäten kaum für ausführliche Evaluationen gegeben sind.
Aufgrund dessen wurden im Folgenden Telefoninterviews mit VertreterInnen der Stadtteilgenossenschaften geplant. Die Methodik der ExpertInneninterviews bietet sich an, um den zeitlichen und formellen Aufwand der VertreterInnen der Stadtteilgenossenschaften so gering wie möglich zu gestalten und darüber hinaus persönliche Erfahrungen und Einschätzungen der Befragten erhalten zu können und ein direktes Eingehen auf Gesagtes zu ermöglichen. Ein offener Fragekatalog (Anhang) konnte erstellt werden und sollte als flexibler Leitfaden für die Telefongespräche dienen. Die Fragen standen den Interviewpartnern in Auszügen im Vorfeld der Gespräche zur Verfügung. Fünf der acht durchgeführten ExpertInneninterviews konnten in Einverständnis der Gesprächspartner aufgezeichnet werden. Anschließend wurden jene Gesprächsteile, die für die Analyse der Stadtteilgenossenschaft relevant sind, transkribiert 1 und den Interviewten zugesandt. Von den restlichen drei Telefoninterviews wurden Gedächtnisprotokolle angefertigt (Anhang). Die Auswertung erfolgte durch die Zuordnung von Gesprächsinhalten entsprechend den Kategorien Selbstverständnis der Stadtteilgenossenschaften; Gründungsnotwendigkeit und Ausgangslage; Zielsetzungen; Potenziale und Funktionen der Stadtteilgenossenschaft; Hürden und Herausforderungen, Bezüge zur Sozialen Arbeit sowie Bedingungen und Forderungen für ein erfolgreiches Handeln der Stadtteilgenossenschaften.
Die Sekundäranalyse erfolgte auf Grundlage der Homepages der Stadtteilgenossenschaften, vereinzelten Publikationen in Online-Medien oder Tagungsdokumentationen sowie zugesandten Dokumenten vonseiten der Stadtteilgenossenschaften. Der Großteil der Dokumente war sehr hilfreich, um einen Eindruck der Tätigkeiten der Stadtteilgenossenschaften zu gewinnen. Teilweise stellte sich die Auswertung des Materials jedoch durch nicht aktuelle Informationen und sehr unterschiedliche Qualität der Dokumente als problematisch heraus.
2 Auswertung der Sekundäranalyse und ExpertInneninterviews
2.1 Übersicht bestehender und ehemaliger Stadtteilgenossenschaften
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Typ |
Stadtteilgenossenschaft |
existiert |
Bestehen (Eintrag ins Genossenschaftsregister) |
Besondere Kennzeichen |
1. |
G |
Stadtteilgenossenschaft Wedding eG Berlin |
x |
seit Oktober 2000 (März 2001) |
Vgl. Kapitel 5.2.2 |
2. |
Q |
Geos eG Wuppertal |
x |
seit März 2008 |
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3. |
Q |
made in Hasenbergl eG München |
x |
seit April 2002 (Dezember 2002) |
|
4. |
G |
Stadtteilgenossenschaft Plattenberg eG Berlin |
x |
seit Januar 2003 (August 2003) |
|
5. |
Q |
Sozialer Betrieb Sulzbach eG |
x |
seit Mai 2006 (März 2007) |
|
6. |
G |
Netzwerk Wehlheiden eG Kassel |
x |
seit Oktober 2007 |
|
7. |
S |
Stadtteilgenossenschaft Gaarden eG Kiel |
x |
seit Mai 2007 |
|
8. |
|
Wohnungsgenossenschaft Am Beutelweg eG Trier |
-/x |
seit 1991 (Beschäftigungsorientierung v.a. innerhalb der Tochterfirma HVS GmbH bis 2006)
|
|
9. |
G |
Stadtteilgenossenschaft WiWAt eG Mühlheim am Rhein (Kontakt: Heinz Weinhausen, Tel.: 0221/6403152, www.wiwateg.org) |
x |
seit Oktober 2001 (Oktober 2002), bisher Geschäftsbetrieb nicht aufgenommen |
zu den Bürgerdiensten Köln-Mühlheim e.V gehörend, WiWAt eG fungiert als Sekundärgenossenschaft, derzeit in Verhandlung mit politischen Institutionen und Eigentümern des Geländes eines alten Güterbahnhofs (Industriebrache „Alter Güterbahnhof“ Mühlheim), Erprobung neues Bürgerbeteiligungs- und Planungsverfahren („advocacy-planning“) |
10. |
G |
Rundulm Betreuung eG (Kontakt: Tel.: 0731/14020539, www.rundulm.de) |
x |
seit Juli 2007 (Februar 2008) |
durch Projekt LINK qualifizierte TeilnehmerInnen in Altenpflege und Gebäudereinigung gründen auf dem Weg in die Selbstständigkeit die eG, Angebote: Haus- und Gebäudereinigung, Gartenarbeit, Hausmeisterarbeiten, häusliche Pflege |
11. |
Q |
Stadtteilgenossenschaft HaWei eG Freiburg (Kontakt: Gerald Lackenberger, Nachbarschaftswerk Haslach eV, Tel.: 0761/7679005, |
i. Gr. |
Planung seit 2008 |
Verhandlung mit Kooperationspartnern (u.a. Stadtbau Freiburg GmbH) Qualifizierung von Langzeitarbeitslosen aus dem Stadtteil: Quartiershelfer (einfache handwerkliche Leistungen), Alltagsbegleiter (in Familien oder für pflegende Angehörige), Schneiderei, Beratung bzgl. Energiesparen und Sanierung |
12. |
Q |
Stadtteilgenossenschaft LuSt eG in Lurup/ Hamburg (Kontakt: Sabine Tengeler, Luruper Forum/Stadtteilbeirat, Tel.: 040/822960-511, sabine.tengeler@hamburg.de) |
- |
November 2003 (März 2004) bis 2008 (Auflösung läuft) |
Entwicklung „Lurup Card“ (Rabatt für Karteninhaber bei teilnehmendes Stadtteilunternehmen) – besteht nicht mehr; hervorgegangen sind Stadtteiltheater (Theater der LuSt) und Bücherhalle Lurup |
13. |
Q |
Stadtteilgenossenschaft Sonnenberg eG Chemnitz (Kontakt: Elke Koch, Sonnenberg sozial eV, Tel.: 0371/ 4331669, www.sonnenberg-chemnitz.de) |
- |
Juni 2005 bis Mitte 2009 (Umwandlung in eV) |
starke Beteiligung am Stadtumbau/ Stadtentwicklung durch Markt- und Bedarfsanalysen konzipierte Geschäftsfelder; starke Zusammenarbeit mit im Stadtteil ansässigen Verein (finanzielle Entlastung) |
14. |
|
Stadtteilgenossenschaft Schöneberg eG Berlin (Kontakt: Elisabeth Voß, NETZ für Selbstverwaltung und Kooperation Berlin-Brandenburg e.V., Tel.: 030/2169105, www.netz-bb.de) |
- |
nie als eG gegründet |
Ausgearbeitet als Konzept mit der Zielsetzung Unternehmenskooperationen, Existenzförderung, Selbsthilfe und Projektentwicklung im Stadtteil zu fördern |
15. |
Q |
Stadtteilgenossenschaft Stötteritzer Margerite eG Leipzig (Kontakt: Achim Richter, Netzwerk der Eigeninitiative e.V., Tel.: 0341/2280518, www.stoetteritz.de) |
- |
Mai 1999 (Februar 2001) bis 2004 (Umwandlung in eV) |
Träger arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen und als Arbeitsförderbetrieb für Langzeitarbeitslose, Frauen und Jugendliche im Rahmen von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen
Initiierung baulicher, kultureller, sozialarbeiterischer als auch Gemeinwesen-Projekte im Stadtteil: Einrichtung Künstleragentur, Tonstudio, Sanierung denkmalwerter Gebäude, „Literaturhaus Stötteritz“, „Canapee“(Gastronomieunternehmen) |
16. |
G |
Gemeinschaftsdienste Pfefferwerk eG Berlin (Kontakt: Tel.: 030/44383434 www.pfefferwerk.de) |
- |
April 2000 (September 2000) bis ca. 2003 (Weiterarbeit im Pfefferwerk-Verbund) |
Eingliederung der eG in umfangreiche Tätigkeiten des Pfefferwerk-Verbunds Geschäftsfelder: Wach- und Objektschutz, Haus-Services, Nähwerkstatt und Änderungsschneiderei |
Tabelle 9: Kontaktaufnahme mit den hier aufgelisteten Stadtteilgenossenschaften, Versuch einer Typologisierung (G...gewerblich orientiert, Q...aus Quartiersmanagement entstanden, S... Sozialgenossenschaft als Trägerverbund)
2.2 Kurzcharakteristik bestehender Stadtteilgenossenschaften 2
1. Stadtteilgenossenschaft Wedding eG in Berlin
Kontakt |
Willy Achter/Thomas Müller; Sprengelstraße 15, Berlin Wedding 13353, Email: info@stadtteilgenossenschaft-wedding.de, Internet: www.stadtteilgenossenschaft-wedding.de, Telefon: 030/45490444 Fax: 030/45490445 |
Arbeitsfelder |
im Wirtschaftsnetzwerk (Maler und Lackierer, Bauhandwerk, Hausservice, unternehmensbezogene Dienstleistungen und Stadtteilmarketing) übernimmt die Stadtteilgenossenschaft die Funktion einer Dienstleistungsagentur und koordiniert die Zusammenarbeit der Mitgliedsbetriebe sowie die Partnerschaftsprojekte zur Stadtteilentwicklung |
Ziele |
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Gründung |
Oktober 2000 (von 37 Bewohnern, Arbeitslosen, gemeinnützigen Organisationen und lokalen Betrieben) |
Mitglieder |
90-100 Mitglieder |
Beschäftigte |
6 Beschäftigte im Stammbetrieb, Netzwerk: 23 Mitgliedsbetriebe (2009) mit circa 80 Beschäftigten (2006) |
2. Genossenschaft Elberfeld-Osterbaum eG (GEOS) in Wuppertal
Kontakt |
Monika Salewski (stellv. Aufsichtsrätin); Dr. Arno Mersmann/ Gertrud Heinrichs (Vorstand); Deweerthstr. 8, 42107 Wuppertal, Tel.: 0202/4962025 Fax: 0202/4962028, Email: geos-eg@t-online.de, Internet: www.geos-eg.de |
Arbeitsfelder |
haushaltsnahe und handwerkliche Dienstleistungen "rund um Haus und Wohnen" für öffentliche, gewerbliche und private Kunden |
Ziele |
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Gründung |
März 2008 aus einem Kreis engagierter BürgerInnen in Wuppertal-Elberfeld |
Mitgliederzahl |
25, aktiv circa 6 |
Beschäftigte |
3 Beschäftigte nach §16(e) SGB II |
3. „made in hasenbergl eG“ in München
Kontakt |
Peter Ottmann; made in hasenbergl eG, Fortnerstrasse 2, 80933 München, Tel.: 089/5388 6746 Fax 089/53886755, Email: mail@made-in-hasenbergl.de, Internet: www.made-in-hasenbergl.de |
Angebote |
handwerkliche Dienstleistungen (Fußböden aus „Ortsterrazzo“) |
Ziele |
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Gründung |
April 2002 |
Beschäftigte |
zwischen 2-10 projektbezogene Beschäftigte, Jugendliche arbeiten kurzfristig mit, wechselnd |
Mitglieder |
30 Mitglieder mit ausschließlich förderndem Charakter (u.a. Referat für Arbeit und Wirtschaft in München, Planungsreferat, Sozialer Beratungsdienst, Junge Arbeit e.V.) |
4. Stadtteilgenossenschaft Plattenberg eG in Berlin
Kontakt |
Hans-Joachim Ukrow; Glambecker Ring 80 - 82, 12679 Berlin Marzahn, Tel.: 030 / 93026212 oder 030 / 9328152 Fax: 030 / 3046608, Email: plattenberg@plattenberg.de, Internet: www.plattenberg.de |
Arbeitsfelder |
Gastronomie (Catering, KITA- und Schulessen), Instandhaltungs- und Reinigungsbereich, Internetcafé |
Ziele |
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Gründung |
Januar 2003, Eintragung August 2003 |
Mitglieder |
11 Mitglieder (v.a. im Stadtteil ansässige Vereine) |
Beschäftigte |
7 Festangestellte |
5. Sozialer Betrieb Sulzbach eG
Kontakt |
Ursula Quack, Grubenstraße 5, 66280 Sulzbach - Altenwald, Tel.: 06897/841060 Fax: 06897/819710, Email: info@sbs-eg.de, Internet: www.sbs-eg.de |
Angebote |
Gebäudereinigung, Landschaftspflege,Haushaltsnahe Dienstleistungen (u.a. „Stromspar-Check“) |
Ziele |
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Gründung |
Mai 2006 |
Beschäftigte |
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Mitglieder |
46 Mitglieder (Diakonisches Werk an der Saar, Caritasverband Saarbrücken, Arbeiterwohlfahrt Saar und OV Sulzbach, Stadt Sulzbach, Stadtwerke Sulzbach, Kolping Werk Saar, Einzelpersonen...) |
6. Netzwerk Wehlheiden eG in Kassel
Kontakt |
Detlef Manke, Netzwerk Wehlheiden eG, Schönfelder Str. 10a, 34121 Kassel, Tel.: 0561/202 80 75, Internet: www.rnf-nordhessen.de |
Angebote |
Handwerkliche Dienstleitungen der im Netzwerk beteiligten Handwerker (arbeiten autonom oder zusammen) |
Ziele |
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Gründung |
Mitte 2007 |
Mitglieder |
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Beschäftigte |
in jedem Handwerksbetrieb circa 5-6 Angestellte |
7. Stadtteilgenossenschaft Gaarden eG Kiel
Kontakt |
Ulrike Pirwitz, Vinetazentrum (Mehr-Generationen-Haus), Elisabethstraße 64, 24143 Kiel, Tel.: 0431 - 260 45 30, Mail: Stadtteilgenossenschaft@vinetazentrum.de; Internet: www.vinetazentrum.de |
Arbeitsfelder |
die Stadtteilgenossenschaft Gaarden eG (als Mehrgenerationenhaus) ist Zentrum für Kultur, Bildung, Beratung, Begegnung und soziale Dienstleistungen |
Ziele |
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Gründung |
Mai 2007 (mit der Einrichtung des Mehrgenerationenhauses) |
Mitglieder |
14 Mitglieder (darunter Arbeiter-Samariter-Bund LV Schleswig-Holstein e.V., Kreisverband der Arbeiterwohlfahrt e.V., Caritasverband für Schleswig-Holstein e.V., Fair und Schnell, Die Frauensuchtberatung Schleswig-Holstein, Haus der Kirche, Landeshauptstadt Kiel, Kinder- und Jugendhilfe-Verbund gGmbH) |
8. Wohnungsgenossenschaft Am Beutelweg Trier eG 3
Kontakt |
Röntgenstraße 4, 54292 Trier, Telefon: 0651/14547-0 Fax: 0651/14547-27, E-Mail: info@wogebe.de, Internet: www.wogebe.de |
Ziele |
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Gründung |
1991 |
Mitglieder |
670 Mitglieder |
Beschäftigte der eG |
Personal Wohnungsbewirtschaftung
Personal Betreuung und Soziale Projekte
Hauptamtliche Geschäftsführung |
2.3 Was ist unter Stadtteilgenossenschaften zu verstehen und wie verstehen sie sich selbst?
Im Sinne des §1 GenG können Stadtteilgenossenschaften als stadtteilorientierte „Gesellschaften von nicht geschlossener Mitgliederzahl, deren Zweck darauf gerichtet ist, den Erwerb oder die Wirtschaft ihrer Mitglieder oder deren soziale oder kulturelle Belange durch gemeinschaftlichen Geschäftsbetrieb zu fördern […]“, verstanden werden. Sie erbringen (Dienst-)Leistungen für Mitglieder und das Gemeinwesen und sind gekennzeichnet durch eine unabhängige Unternehmensführung und demokratische Entscheidungsstrukturen. Merkmal der Stadtteilgenossenschaft ist die Verbindung von Gemeinwesenarbeit mit lokaler Ökonomie, wirtschaftlichen Tätigkeiten mit sozialen Funktionen, BürgerInnenengagement mit sozialer Selbsthilfe, gemeinnützigem Charakter mit Ertragsorientierung, Umsetzung integrierter Stadtteilkonzepte mit Interesseneinbindungen, Nutzung und Erweiterung sozialen Kapitals mit externer Unterstützung (Vgl. Flieger, 2008a).
Elisabeth Voß (von der Planungsgruppe Stadtteilgenossenschaft Schöneberg eG) betont bei der Frage nach dem Verständnis von Stadtteilgenossenschaften, dass es kein spezifisches Modell gebe. „Wobei alle zustimmen würden, wäre zu sagen, es gibt unterschiedliche Akteure, unterschiedlicher Herkunft mit unterschiedlichen Interessen, auch solche, die sie innerhalb der Genossenschaft verwirklichen wollen, mit einem lokalen Bezug. […] Ob man dann ein Hausprojekt oder eine Art Erzeuger-Verbraucher-Projekt oder Stadtteilbegrünung macht, das sind so unterschiedliche Betätigungsfelder, die mit lokalen Erfordernissen und den Bedürfnissen der Beteiligten zu tun haben.“ (Voß: A4 4)
In Anbetracht unterschiedlicher Bedarfe und Erfordernisse im Stadtteil sind unterschiedliche Entstehungs- und Entwicklungslinien der kontaktierten Stadtteilgenossenschaften festzustellen. Es können drei Typen von Stadtteilgenossenschaften unterschieden werden: aus dem Quartiersmanagement bzw. aus Stadtteilarbeit entstehende, gewerblich orientierte und die als Trägerorganisation verschiedener Institutionen fungierende Stadtteilgenossenschaften. Stadtteilgenossenschaften können in der Systematik der Genossenschafstypen als Multistakeholder-Genossenschaften in der Kategorie der Selbsthilfegenossenschaften verortet werden. Es besteht keine eindeutige Definition darüber, wie sie strukturiert und aufgebaut sind, welche Ziele sie verfolgen oder wie ihre Funktionen zu gestalten sind. Dazu gibt es zumindest deutschlandweit eine zu geringe Anzahl und eine sehr divergierende Empirie über Tätigkeiten der Stadtteilgenossenschaften.
Es lässt sich zusammenfassend formulieren: In Stadtteilgenossenschaften schließen sich zwei oder mehr AkteurInnen mit unterschiedlichen Förderinteressen in einem Gemeinwesen zusammen, die eine nachhaltige Verbesserung der Lebensbedingungen vor Ort anstreben.
Das Selbstverständnis der befragten Einrichtungen als Stadtteilgenossenschaften wird in den Gesprächen wenig betont. Die Bedeutung des Stadteilbezugs kam deutlich hervor, da zum einen der Anspruch besteht, Beschäftigte unter den BewohnerInnen des Stadtteils zu gewinnen, zum anderen die (Dienst-)Leistungen im Stadtteil und in erster Linie für den Stadtteil zu produzieren (z.B. Hasenbergl, Sulzbach). Vor allem bei den gewerblich orientierten Stadtteilgenossenschaften (Wehlheiden eG oder Geos eG) ist dies jedoch nicht ausschließlich der Fall.
Die Zustimmung mit der Idee der Genossenschaft gilt insbesondere den genossenschaftlichen Grundprinzipien, was Willy Achter (Wedding) zum Ausdruck bringt: „Mit der Genossenschaft sind Prinzipien verbunden: Selbsthilfe und Selbstverwaltung. […] Das entspricht so unserer Philosophie – nicht immer auf jemanden zu warten, der einem Arbeit bringt, sondern gucken, wie wir selber was machen können. Und handelt es sich natürlich über die Gremien um ein demokratisches Modell […].“ (Achter: A45) Die Wahl der Rechtsform eG stand dabei nicht bei jeder der befragten Genossenschaften im Vordergrund, wozu sich Hans-Joachim Ukrow von der Stadtteilgenossenschaft Plattenberg eG sehr klar äußert: „Wir haben die Genossenschaft gegründet, weil wir kein Geld hatten, sonst hätten wir auch eine GmbH gegründet.“ (Ukrow: A25) Die Identifikation als Soziales Unternehmen, das insbesondere Arbeitsplätze für die BewohnerInnen des Quartiers schafft, kommt deutlicher hervor 5. Darüber hinaus verdeutlicht Achter, die Bedeutung der Genossenschaftsinhalte gegenüber der eG als Rechtsform an sich: „Aber eine Genossenschaft per se ist ja nicht gut oder besser als irgendein anderes Unternehmen, es gibt in der Wirtschaft auch ganz normale private Unternehmen, die hohe soziale Ansprüche verfolgen. Die Rechtsform allein macht es nicht. Das muss auch mit den Inhalten zu tun haben.“ (Achter: A47)
2.4 Ausgangssituation und Notwendigkeiten
Aufgrund einer zunehmend privatisierten Daseinsvorsorge kommunaler Einrichtungen sowie unterfinanzierter kommunaler Haushalte verlieren die Kommunen ihre Souveränität und Selbstverantwortung und können ihrer eigentlichen Aufgabe, der Regelung aller Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft in eigener Verantwortung (i.S. Art. 28 (2) GG), nicht nachkommen.
Auch für die Plattenberg eG war es eine der Gründungsmotivationen, das soziokulturelle Zentrum „Kiez-Haus Marzahn“ finanziell zu unterstützen: „Einer der Gründe für die Genossenschaft war zunächst ein finanzieller. Weil wir den freien Träger, den Verein, die Projekte, die in diesem Verein laufen, mitfinanzieren wollen, da wir keinerlei finanzielle Unterstützung seitens des Bezirks haben. Damit wäre er auch, so wie viele andere freie Träger oder Vereine hier in Marzahn, den Bach runter gegangen, die wären gestorben. Seitdem die finanzielle Misere hier in Berlin so zugeschlagen hat, sind von den sozialen Trägern hier über 50% gestorben. Und das wollten wir nicht.“ (Ukrow: A24) Daraus schließend galt es aus dieser bedrängenden Lage eine Organisation zu etablieren, die ohne staatliche oder kommunale Fördermittel auskommen konnte.
Willy Achter erläutert die Intension der Stadtteilgenossenschaft Wedding als Entwicklung einer nachhaltigen Struktur der Bürgerbeteiligung, die durch kommunale Strukturen nicht gegeben wäre: „Wir sind davon ausgegangen, dass das Quartiersmanagement irgendwann nicht mehr da ist und bis dahin wollen wir einen Trägerverbund aufbauen und einen Ort geschaffen haben, wo sich dauerhaft Menschen für das Quartier engagieren können.“(Achter: A44f.)
Für alle befragten Stadtteilgenossenschaften ist es maßgebender Ansporn eine lokalökonomische Alternative gegen die sich gerade im Quartier abzeichnenden anwachsenden Armuts- und Ausgrenzungstendenzen zu entwickeln. Das Augenmerk liegt gerade bei dem Teil der Stadtteilbevölkerung, die von dauerhafter Ausgrenzung des Ersten Arbeitsmarktes bedroht und ihnen Chancen der Re-Integration verwehrt sind: langzeitarbeitslose und junge Menschen. „Mich hat die Not dieser Kinder angekotzt. Das war der Grund. Es kann doch nicht sein, dass ein 22jähriger Bengel, gesund, Kraft strotzend, dass der plötzlich von Sozialhilfe lebt.“ (Ukrow: A26)
Desweiteren ist festzustellen, dass eine regionale oder kommunale Wertschöpfung in vielen Bereichen der Stadtteile bzw. der lokalen Ökonomie nicht mehr stattfinden kann. Peter Ottmann (Vorstand „made in hasenbergl eG“) bezeichnet es als Herausforderung gerade in monostrukturelle Quartiere, in denen es kaum Wirtschaftsstrukturen gibt, zu investieren. „Ich denke, das ist nach wie vor ein Problem in diesen Stadtquartieren, die von ihrem Ursprung her sehr einseitig in ihren lokalökonomischen Zielrichtungen strukturiert sind.“ (Ottmann: A19) Es zeichnet sich ab, dass seitens der AkteurInnen der Stadtteilgenossenschaft Folgeerscheinungen sozialräumlicher Segregrationsprozesse (geringe Kaufkraft, schlechte Infrastruktur) als Notwendigkeit für eine Entwicklung lokalökonomischer Strukturen wahrgenommen werden.
Die Tätigkeiten der „made in hasenbergl eG“, die Stadtteilgenossenschaft Wedding oder auch Sonnenberg eG waren an Stadtentwicklungs- Stadtumbauprozesse geknüpft. Die betroffenen BürgerInnen sollten in die Prozesse eingebunden werden und beim Schaffen von neuem Wohnraum, sozialer und gewerblicher Infrastruktur aktiv beteiligt sein. „Wir haben zunächst versucht, die madonnischen Maßnahmen in ein kommunikatives Feld zu bringen. In ein Feld von Teilhabe und stadtteilökonomische Perspektiven, wobei uns das Stadtteilmarketing auch sehr wichtig ist.“ (Peter Ottmann: A17)
Um die Steuerung und Gestaltung des Sozialraums wieder zu ermöglichen, bedarf es einer Aufwertung lokalökonomischer Selbstorganisation. Die Genossenschaft, als Urform der Stadtentwicklung 6, bietet sich dafür an. Statt die BürgerInnen einer Stadt als deren Kunden zu betrachten, geht es um die kollektive Nutzung der Stadt als Gemeinwesen, basierend auf eine gemeinschaftliche Infrastruktur und Selbstverwaltung.
2.5 Ziele der Stadtteilgenossenschaften
Stadtteilgenossenschaften verbinden als intermediäre Organisation die lokalwirtschaftlichen, öffentlichen und zivilgesellschaftlichen AkteurInnen und Belange. Durch die Struktur der Multistakeholder-Genossenschaft ist es durchaus möglich, dass Genossenschaftsmitglieder unterschiedliche Ziele verfolgen. Dennoch ist es vordergründig zielgruppenübergreifend und gemeinwesenorientiert zu handeln, was den Fördergedanken der Genossenschaft gegenüber Nicht-Mitgliedern hervorhebt.
Die Zielstellung der Stadtteilgenossenschaften lassen sich in drei Kategorien untergliedern: (1) soziale, (2) gemeinwesenorientierte und (3) ökonomische Ziele.
(1) Bei jeder der befragten Stadtteilgenossenschaften (ausgenommen der WOGEBE) liegt die höchste Priorität auf der Verfolgung beschäftigungswirksamer Zielsetzungen. „Ich bin der Meinung ein Arbeitsplatz ist auch eine soziale Leistung.“ (Ukrow: A25) Dabei geht es nicht lediglich um die Schaffung von Arbeitsplätzen, sondern um das Gestalten positiver Arbeitsbedingungen. Die Stadtteilgenossenschaften Plattenberg eG und Wedding betonen die Verwirklichung von sozialversicherungspflichtigen unbefristeten Stellen, für die ein fairer Lohn gezahlt werden soll. Dies trifft auch für den Sozialen Betrieb Sulzbach und das Netzwerk Wehlheiden zu. „Wir wollten hier handfeste Sachen schaffen, keine Leute ausbeuten, sondern Leuten helfen wieder auf die Beine zu kommen.“ (Ukrow: A25) Die Stellen sind zum Großteil subventioniert, beispielsweise bei GEOS eG, die nach §16(e) SGB II Leistungen zur Beschäftigungsförderung von Langzeitarbeitslosen erhalten. Wedding und Wehheiden sind Betriebe am Ersten Arbeitsmarkt und kommen ohne öffentliche Fördermittel aus. Die restlichen Stadtteilgenossenschaften bezeichnen die (Re-)Integration ihrer Beschäftigten in den Ersten Arbeitsmarkt als Ziel. Entweder dienen sie als Sprungbrett und streben automatisch eine hohe Beschäftigten-Fluktuation an (Ukrow (A24): „Diese Leute wurden uns dann zum Teil abgeworben und das war eigentlich das, was wir erreichen wollten.“). Oder sie realisieren Stellen ohne öffentliche Förderung innerhalb ihrer genossenschaftlichen Strukturen. „Diese „§16(e) Förderung“ läuft für ein Jahr und kann für ein Jahr verlängert werden. Wenn dann auch die Verlängerung abgelaufen ist, wollen wir sicher gehen, dass sie einen festen Arbeitsplatz haben. Ich denke, das ist machbar und realisierbar.“ (Salewski: A9)
(2) Die gemeinwesenorientierte Zielsetzung richtet sich insbesondere bei den aus dem Quartiersmanagement und aus Stadtentwicklungsprozessen entstandenen Stadtteilgenossenschaften auf Erhalt und Verbesserung sozialer Strukturen, wohnortnaher Dienstleistungs- und baulicher Infrastruktur. Die Plattenberg eG gründete sich beispielsweise konkret mit dem Ziel des Erhalts des Stadtteilvereins. Im Hasenbergl dient die Stadtteilgenossenschaft als Unterstützerstruktur von Architekten und Stadtplanern zur Schaffung neuen Wohnraums, sozialer und gewerblicher Infrastruktur und der Aufwertung des Außenraums (Vgl. Ottmann: A17). Ottmann spricht im Gespräch sehr deutlich die Notwendigkeit der Imageaufwertung benachteiligter Stadtteile an. Des weiteren wird durch die Stadtteilgenossenschaft eine nachhaltige Struktur verstärkter gemeinwesenbezogener Bürgerbeteiligung durch den Einbezug verschiedener lokaler AkteurInnen geschaffen.
(3) Durch lokale kooperative Wirtschafts- bzw. Unternehmensnetzwerke kann eine Werterhaltung und eigenständige Wertschöpfung im lokalen Raum stattfinden, wie es sich die Stadtteilgenossenschaften Wedding eG oder Wehlheiden eG zum Ziel gesetzt haben. „Das ist ja die Besonderheit der Stadtteilgenossenschaft, das wir von einem lokalen Wirtschaftsnetzwerk reden. Wir sind 23 Unternehmen im Moment. Und die Stadtteilgenossenschaft hat in dem Rahmen die Funktion einerseits Aufträge zu vermitteln, oder zu gucken, wo man eine Bietergemeinschaft machen kann […].“ (Achter: A41) So kann die Erhaltung, Bewirtschaftung und Zuteilung von Ressourcen ermöglicht und durch die Verhinderung dysfunktionaler Ressourcenabflüsse die lokalökonomische Basis gestärkt werden. Verfolgt wird dabei auch der Einbezug von ExistenzgründerInnen, wie es bei der Schöneberg eG geplant und bspw. in der RundUlm eG durchgeführt wird. Auch die Einbindung von Migrantenökonomien ist von Bedeutung. Anspruch bei der Verwirklichung ökonomischer wie sozialer Zielsetzungen ist eine ökologische Nachhaltigkeit, hierfür ist das Netzwerk Wehheiden beispielhaft.
2.6 Potenziale und Funktionen der Stadtteilgenossenschaft
Bereits in Kapitel 3.3 wurden die Potenziale von Genossenschaften als (1) gemeinschaftliche Daseinsvorsorge, (2) Innovation, (3) demokratische Partizipation und (4) soziale Verantwortung beschrieben, worauf nun Bezug genommen wird.
(1) Die Stadtteilgenossenschaft verbindet Wohnen, nahräumliche Versorgung, bauliche Entwicklung, Gesundheit und Soziales und fördert die dafür erforderlichen Infrastrukturleistungen. Konkret erfolgt die Förderung durch die bereits benannte Beteiligung an Stadtentwicklungsprozessen (Hasenbergl, Wedding, Sonnenberg), Unterstützung soziokultureller Zentren (Plattenberg, Wedding) oder Dienstleistungsangebote für den Nahraum (Sulzbach, Ulm, GEOS).
(2) Die Stadtteilgenossenschaft ist durch eine Vielzahl sehr unterschiedlicher Interessenträger geprägt, was einerseits Konflikte hervorbringen kann, andererseits auch ein Zusammenführen ganz verschiedener Kompetenzen bedeutet und Chancen bietet. Sie können Motor sozialer Veränderungen und wirtschaftlicher Entwicklungen sein, da keiner der Stakeholder seine Identität aufgibt.
Die Unternehmens- und Wirtschaftsnetzwerke innerhalb der stadtteilgenossenschaftlichen Kooperation dienen einerseits dem Ausbau des lokalen Arbeitsmarktes, andererseits fördern sie die Stabilisation und Risikovermeidung des Einzelunternehmens. Genossenschaften sind Organisationen der Kooperation und Gemeinschaftlichkeit, was als Motor für Innovation zu betrachten ist (Synergieeffekte). „Es ist einfacher in der Gruppe Unternehmer zu sein, als wenn jeder seine Sache allein macht. Auch in Hinblick auf Bildung und Kultur haben Genossenschaften etwas zu bieten. Wenn man zusammen arbeitet und ein gemeinsames Ziel hat, dann wird man auch gemeinsam andere Dinge tun und es findet ein Transfer statt.“ (Katja Buch (A38), Plattenberg eG 7) Das Gemeinschaftsgefühl und sich gegenseitig zu kennen spielt auch für Detlef Manke von der Stadtteilgenossenschaft Wehlheiden eG eine wichtige Rolle. Die Entwicklungen energetischer Sanierungen haben durch die Zusammenarbeit wesentlich an Qualität gewonnen, auch das Potenzial nachhaltiger Entwicklungen wird gestärkt. Nachhaltige Strukturen werden durch die rechtlichen Rahmenbedingungen der Genossenschaften begünstigt. Eine verpflichtende Wirtschaftsprüfung wird zweijährlich durchgeführt, um Insolvenzen zu vermeiden. Somit können wirtschaftliche Kontinuität und Beständigkeit gewährleistet werden.
Ökonomische Innovation wird ebenso durch das genossenschaftliche Identitätsprinzip gefördert. Sind die Beschäftigten auch Mitglieder der Genossenschaft, sind sie Arbeitnehmer und Arbeitgeber zugleich und demnach für ihre eigene Stelle mitverantwortlich. „Ansonsten muss sich jeder einzelne, der hier bei uns arbeitet darüber im Klaren sein, dass es sein Arbeitsplatz ist, dass er keinen anderen finanziert, der auf seine Kosten lebt, dass alles was er macht, im Grunde genommen für seinen Arbeitsplatz da ist.“(Ukrow: A26)
Die Stadtteilgenossenschaft besitzt das Potenzial als Wirtschafts- und Sozialorganisation die unterschiedlichen Interessen vielfältiger AkteurInnen zu fördern. Als Wirtschaftsorganisation fördert die Genossenschaft ihre Mitglieder, als am Markt agierende und wettbewerbsfähige Einrichtung. Die Berücksichtigung der Interessen der einzelnen AkteurInnen erfolgt als Sozialorganisation. BewohnerInnen des Stadtteils erfahren einen Nutzen, indem der Stadtteil aufgewertet und Kommunikationsstrukturen ermöglicht werden. Mitglieder des Kleingewerbes oder Einzelhändler profitieren von einer Verbesserung der Kaufkraft im Stadtteil, also der Stärkung lokaler Ökonomie. Vorherig Erwerbslose erhalten als Mitarbeiter der Genossenschaft Beschäftigung, Vergütung und Mitspracherechte. Soziale Institutionen und PolitikerInnen als Mitglieder der Stadtteilgenossenschaft sind gefördert, wenn sie einen Imagegewinn durch die Umsetzung erfolgreicher Modellprojekte erfahren. 8
(3) Das genossenschaftliche Demokratieprinzip lebt von der Partizipation der Genossenschaftsmitglieder. In den interviewten Genossenschaften sind die Beschäftigten der Genossenschaft jedoch meist keine Mitglieder, was grundsätzlich jedoch möglich wäre. Dennoch zählt es in den befragten Stadtteilgenossenschaften zum Grundprinzip, Mitbestimmungs- und Entscheidungsformen mit den Beschäftigten zu etablieren. Diese finden in Teambesprechungen, Planungstreffen o.ä. statt. „Und Mitspracherechte der Kollegen, die bei uns eingestellt sind, wenn es um Arbeit geht, um Verbesserung, dann gibt’s die immer. Dafür haben wir zehn offene Ohren, das wollen wir auf jeden Fall.“ (Ukrow: A26) Für die Mitglieder der Genossenschaft besteht die Möglichkeit der Partizipation über Gremien, wie beispielsweise der Mitgliederversammlung. „Und handelt es sich natürlich über die Gremien um ein demokratisches Modell, da jedes Mitglied auch Eigentümer des Unternehmens ist und über die Generalversammlung und bei sonstigen Aktivitäten es möglich ist, Einfluss zu haben und mitzubestimmen. […] Das ist für mich etwas Besonderes, wenn man bei der Generalversammlung zusammensitzt neben den Nachbarn, die eher ein ideelles Interesse haben oder neben Mitgliedsbetrieben, die eher ein wirtschaftliches Interesse haben.“ (Achter: A42)
Die Identifikation mit der Genossenschaft erfolgt nach Erfahrungen von Ursula Quack (Sulzbach) nicht über eine Mitgliedschaft, sondern darüber wie die Beschäftigten über Arbeitsprozesse mitbestimmen und eigene Entscheidungen getroffen werden können. Auch in Hasenbergl üben die Jugendlichen über Diskussionen und Meinungsaustausch Einfluss auf die Projektentwicklungen aus. „Der andere Schwerpunkt, der noch wichtiger ist, ist mit Kindern und Jugendlichen gemeinsam Projekte zu gestalten und entwickeln.“ (Ottmann: A17)
Letztlich ist die Identifikation mit der Genossenschaft als Grundlage der Partizipation und demokratischer Strukturen als individuelle Entwicklung zu betrachten: „Das ist letztendlich ein ideeller Wunsch, nach der Identifikation. Aber die Identifikation wächst bei jedem Menschen individuell und aus unterschiedlichen Gründen, die einen, weil wir gut mit ihnen umgehen, die anderen, weil sie vielleicht viel Geld verdienen oder überhaupt einen Arbeitsplatz haben und für andere ist es ein ganz normaler Job.“ (Achter: A42)
(4) Die sozialen Potenziale der Stadtteilgenossenschaft beziehen sich auf die Verantwortungsübernahme gegenüber Beschäftigungsförderung, Stärkung der Gemeinwesen und dem Ausbau von Gerechtigkeitsstrukturen.
Das Schaffen von Arbeitsplätzen ist oberstes Anliegen der befragten Stadtteilgenossenschaften. Gleichermaßen bedeutend, ist es auch, diese Beschäftigung als Lernraum und Entwicklungsmöglichkeit zu betrachten und zu gestalten. „Ein Verein ist bei der beruflichen Integration von Jugendlichen und jungen Erwachsenen immer ein geschützter Raum, wie auch immer man das betreibt. Die Genossenschaft daneben ist eine Möglichkeit, den etwas ‚raueren Wind’ des Ersten Arbeitsmarktes miteinander zu verkoppeln, ohne das gleich der Rausschmiss erfolgt. Oder beispielsweise ein Jugendlicher, der in der Genossenschaft arbeitet, erhält über den Verein ein Sprach- bzw. Kommunikationstraining. Der Verein und die Genossenschaft lassen sich wirklich gut miteinander verbinden.“ (Ukrow: A32) Ursula Quack äußert sich diesbezüglich ähnlich und prangert an, dass den Menschen der Zugang zum Ersten Arbeitsmarkt nicht aufgrund fehlender Kompetenzen verwehrt ist, sondern durch das Fehlen der Bescheinigung ihrer Qualifikationen (Zertifikate, Zeugnisse). Auf Qualifikationsmaßnahmen der informellen Ebene über Erfahrungsaustausch wird in Sulzbach viel Wert gelegt. In Wedding konnte diesbezüglich die Erfahrung gemacht werden, dass jene Benachteiligte am Ersten Arbeitsmarkt für die Stadtteilgenossenschaft wesentliche Ressourcen bereitstellten, wodurch eine besondere Wertschätzung und Gefühl des Gebrauchtwerdens vermittelt werden konnte: „Da war da Thema, dass die über 50Jährigen, die nichts mehr wert sind in unserer Gesellschaft, genau diejenigen waren, die wir gebraucht haben.“ (Achter: A43) Die Stadtteilgenossenschaft besitzt das Potenzial, ökonomische und soziale Aufgaben parallel zu verfolgen und Partizipations- und Empowermentprozessen zu ermöglichen. Dieses Potenzial persönlicher Aufwertung setzt neues Engagement und Einsatzbereitschaft frei. Stadtteilgenossenschaften sind besonders geeignet, um Benachteiligte durch Beteiligung zu fördern.
Die Genossenschaft als privatwirtschaftliches, nicht gemeinnütziges Unternehmen bietet sich an, eine qualitative Existenzgrundlage ihrer Angestellten darzustellen. „[...] wir wollten nicht in den Bereich der Arbeitsmarktpolitik verortet werden, sozusagen als 'Durchlauferhitzer' von ABM-Maßnahmen. Wir wollten dauerhaft sozialversicherungspflichtige Beschäftigung schaffen.“ (Achter: A45)
Die Förderung und Stärkung des Gemeinwesens findet auf verschiedenen Ebenen statt, die bereits mehrfach erläutert wurden. „Aus meiner Sicht könnten Genossenschaften ein Modell zur Stärkung des Gemeinwesens sein. Genossenschaften vereinen wirtschaftliche Existenzsicherung und soziale Beziehungen.“ (Buch 9 : A38) Die Stadtteilgenossenschaft bietet die Möglichkeit, neben sozialen stadtteilorientierten Entwicklungsprojekten die Gemeinwesenökonomie in den Vordergrund zu rücken. „Außerdem haben wir gesagt, wir brauchen auch Akteure, die nicht nur im sozialen Bereich gucken, sondern auch ökonomisch gucken, wie können wir Arbeitsplätze schaffen.“ (Achter: A45) Die Bedürfnisse der BewohnerInnen im Stadtteil werden ganzheitlich wahrgenommen und um die häufig vernachlässigte ökonomische Dimension erweitert. Da sich Stadtteilgenossenschaften dem Konkurrenzverhalten am Markt stellen müssen, ist es für sie erforderlich Marktnischen ausfindig zu machen, die sie mit ihren zur Verfügung stehenden Ressourcen bedienen können. Es ist davon auszugehen, dass Marktnischen, den nicht befriedigten Bedürfnissen im Gemeinwesen entsprechen, deren Bedienung für herkömmliche Unternehmen nicht rentabel erscheint. Die Besonderheit der Stadtteilgenossenschaft besteht darin, Arbeitsplätze vor Ort zu schaffen, für die BewohnerInnen im Stadtteil, die sich durch ihre Angebote u.a. für die Aufwertung des lokalen Nahraums engagieren. Die Imageaufwertung durch geschaffene Strukturen der Stadtteilgenossenschaften in stark stigmatisierten Stadtteilen ist wesentliches Kriterium, um den Zusammenhalt und die Identifikation der StadtteilbewohnerInnen zu stärken: „Aber das Quartier stand plötzlich in einem völlig anderen Kontext. Im Normalfall wird im Regionalteil nur über Kriminalität geschrieben und nun war es mal andersrum.“ (Ottmann: A20) Die Stadtteilgenossenschaft als Struktur der Gerechtigkeitsförderung zu betrachten, entsteht durch ihre Funktion, ihre Tätigkeiten an den Bedürfnissen der Menschen vor Ort zu orientieren, das Miteinander im Gemeinwesen zu stärken und hierarchische Beziehungsstrukturen innerhalb einer Organisation abzubauen: „Ich glaube, die Genossenschaft ist eine Chance etwas der Globalisierung entgegenzusetzen. Dass man sich wieder darauf besinnt, was man zum Leben braucht. Wenn man die Solidarität der Leute untereinander entwickelt, dass sie in ihrem Gemeinwesen leben, dafür auch produzieren und Beziehungen untereinander aufbauen, dann kann die Genossenschaft ein Modell sein, was dem Globalisierungstrend und der Anonymität entgegenwirkt.“ (Buch 10 : A37) Ursula Quack (Sulzbach) empfindet die genossenschaftlichen Grundprinzipien als gerechtigkeitsfördernd, da sie beispielsweise den ehrenamtlichen Vorstand der eG als Gegenpol einer macht- und gewinnorientierten Geschäftsleitung einer GmbH wahrnimmt.
Die Gleichstellung und Kooperation aller Mitglieder durch das Demokratieprinzip der Genossenschaft birgt das Potenzial, das sonst übliche Machtgefälle zwischen den AkteurInnen eines profitorientierten Gewerbes, des öffentlichen Bereichs und dem intermediären Sektor abzubauen. Die Stadtteilgenossenschaft dient demnach als Machtausgleichstrategie.
2.7 Hürden und Herausforderungen für die Stadtteilgenossenschaft
Trotz dem bedeutungsvollen Potenzial, das für eine umfangreiche Etablierung von Stadtteilgenossenschaften sprechen sollte, mangelt es derzeit an deren Vorkommen. Gründe hierfür können in (1) ökonomischen und marktideologischen Unvereinbarkeiten, (2) strukturellen Schwierigkeiten, (3) sozialen und (4) institutionell-politischen Herausforderungen gesehen werden.
(1) Die größte ökonomische Herausforderung der Stadtteilgenossenschaft stellt die Wettbewerbsfähigkeit dar. Das heißt, einerseits muss bereits im Gründungsprozess eine tragfähige Geschäftsidee entwickelt werden, andererseits muss sich diese in ihrer Umsetzung gegenüber zahlreicher Konkurrenzunternehmen auf dem Markt behaupten, was unter der Bedingung in einem monostrukturellen Quartier verortet zu sein, weiter erschwert wird. „Wir müssen unsere Qualität mit professionellen großen Firmen vergleichen können, zum Beispiel mit der großen Reinigungsfirma ‚Gegenbauer und Bosse’. Wir müssen einfach dagegen halten können, sodass wir eine Qualität abliefern, dass die uns nehmen und nicht ‚Gegenbauer’.“ (Ukroww 11 : A33) Vor allem in den von den Stadtteilgenossenschaften meist angebotenen Dienstleistungen besteht ein enormes Konkurrenzverhalten, mit dem Resultat der Senkung des Preises der Dienstleitungen, was vermehrt zur Entwicklung von „Billiglöhnen“ führt, das heißt außerhalb Tarif gezahlter Arbeitnehmerentlohnung. Besonders große Konzerne (u.a. auch Wohlfahrtsverbände) stellen durch ihre Einstellung gegenüber Lohnzahlungen für die Stadtteilgenossenschaften in dieser Sparte eine große Konkurrenz dar.
Des weiteren ist die Auftragsakquise als ökonomische Herausforderung zu benennen. Sie ist zum einen sehr aufwendig, zum anderen durch strukturelle und politische Hürden gekennzeichnet, auf die an späterer Stelle eingegangen wird. Es ist weiterhin aufzuführen, dass die Eigenkapitalschöpfung der Genossenschaften gerade in der Gründungsphase äußerst gering ist. Sobanski beleuchtet in einer Studie der Otto Brenner Stiftung (2003) insbesondere die (betriebs-)wirtschaftlichen Herausforderungen von Stadtteilgenossenschaften und Beschäftigungsinitiativen. Aus Sicht der Genossenschaftsleitung bestehen häufig Schwierigkeiten aufgrund eines geringen oder kaum ausreichenden Eigenkapitals, wodurch „es kein oder kein ausreichendes finanzielles Polster gibt“ (Sobanski: 72). Dadurch müssen Genossenschaften schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt Verschuldungen eingehen.
Verstärkt wird dies durch sehr schlechte Bedingungen der Kreditvergabe für Genossenschaften. „Beispielsweise gibt es für Genossenschaften einen Kredit, dessen Zinsen so hoch sind, dass Hypothekenzinsen darunter liegen. Das ist einfach für Leute, die aus der Arbeitslosigkeit kommen, nicht machbar.“ (Buch 12 : A38) Als finanzielle Hürde ist außerdem die zweijährlich stattfindende Prüfung des Prüfungsverbandes zu benennen. „Ein teures Gleis. Weil die Prüfungsverbände in der überwiegenden Zahl sehr viel Geld fordern, was in keinem Verhältnis zu ihrer zu leistenden Arbeit steht.“ (Voß: A4) Auch die Stadtteilgenossenschaft Lurup konnte die Kosten für die Prüfungen nicht stemmen und sah sich aufgrund dessen zur Auflösung der eG gezwungen.
(2) Strukturelle Herausforderungen der Stadtteilgenossenschaften stellten offensichtlich die Interessenvielfalt innerhalb einer Multistakeholder-Genossenschaft dar. „Und die 90 Mitglieder haben 90 unterschiedliche Interessen. Darauf muss man aufpassen als Vorstand und Geschäftsführung, dass man nicht nur eigene Interessen verfolgt, sondern die Kommunikation mit den Partnern und den Mitgliedern sucht.“ (Achter: A46) In Sulzbach ist das Demokratieprinzip gefährdet, da einzelne Mitglieder der Genossenschaft als größere Investoren mehr Stimmrechte verlangen (genannt wurden u.a. Wohlfahrtsverbände). Detlef Manke (Wehlheiden) benannte unter den verschiedenen Interessen der Genossenschaftsmitglieder das Profitinteresse als das größte der zu begegnenden Herausforderungen, da ein Lernprozess dahinter stehe, die Intension der Genossenschaft nicht als eigene Gewinnschöpfung zu begreifen (A50).
Die ökonomischen Unsicherheiten gefährden den Nachhaltigkeitscharakter der Stadtteilgenossenschaft, da Stellen häufig nur kurzfristig finanziert werden können (Sulzbach). Ottmann sieht die Nachhaltigkeit aufgrund der ehrenamtlichen Ausführung des Vorstands bedroht. „Als Herausforderung sehe ich die Lösung des Problems der Ehrenamtlichkeit. Da