Gemeinwesenökonomie – als eine Strategie oder nur Krisenintervention?

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Was ist Gemeinwesenökonomie?

Die 90er Jahre des 20. Jahrhunderts waren geprägt vom Prozess der » Globalisierung. Als eine der Folgen wird die Ausbreitung von Armut und Arbeitslosigkeit als Massenphänomen gesehen und für immer mehr Personen stellt sich die Frage, wie sie ihre Existenz sichern können. Die Menschen werden nicht mehr in ausreichendem Maß gesellschaftlich integriert und ziehen sich immer häufiger in ihr unmittelbares Lebensumfeld zurück. So entwickeln sich allerorts Krisenregionen und benachteiligte Gebiete.  Die lokalen Gemeinwesen erhalten so eine neue Aufgabe, sie sollten wieder zu einem Ort für die tägliche Lebensbewältigung der Menschen werden. Da die Chance auf eine marktvermittelte existenzsichernde Lohnarbeit sinkt, müssen sich eigenständige Ökonomien entwickeln und aktive » zivilgesellschaftliche Gemeinwesen gefördert werden. Durch die vermehrte soziale Ausgrenzung sowie die Zunahme von individuellen Notsituationen sind für die Wiedergewinnung gesellschaftlicher Handlungsfähigkeit Gegenmodelle notwendig, die helfen, den regionalen Strukturwandel existenzsichernd zu überleben.
» Gemeinwesenökonomie ist eine „menschenorientierte Wirtschaftskultur“, die sich als Gegenökonomie und nicht als revolutionäre Bewegung versteht. Sie setzt dort an, „wo öffentliche Sozialpolitik nicht mehr greift, da es zu einer Ausgrenzung und Abkopplung vom » ersten Sektor gekommen ist“ (Elsen, 1998, S. 78). Es geht also um die konkrete Gestaltung des wirtschaftlichen Handelns sowie des sozialen Zusammenlebens. Dabei wird sich verstärkt auf die Bedürfnisse des Menschen bezogen. Die Nachbarschafts- und Selbsthilfestrukturen sollen gestärkt werden. Brigitte Voß hat eine generelle Grundstruktur für die Entwicklung von Gemeinwesenökonomie herausgearbeitet, unabhängig von länderspezifischen Unterschieden. Sie beschreibt die fünf Schritte wie folgt:

  • „ausgehend von privaten Initiativen der Hilfe zur Selbsthilfe (z. B. in den Settlements und Nachbarschaftsheimen)
  • formiert sich eine eigenständige Gemeinwesen-Selbsthilfe-Bewegung (z.B. in den voluntary organizations und communtiy associations),
  • die sich zunehmend politisch engagiert (z.B. in community organizing),
  • mit steigender öffentlichen Anerkennung in verschiedene Arbeitsbereiche ausdifferenziert (z.B. community development und community planning)
  • und schließlich selbst ökonomisch aktiv wird (z.B. in community development corporations, community businesses und social enterprises)“ (Voß in Widersprüche, 1997, S. 102).

 Gemeinwesenökonomie grenzt sich insbesondere durch den Bezug und die Konzentration auf das Gemeinwesen oder eine bestimmte soziale Gemeinschaft von den anderen Formen der Ökonomie ab und entsteht genau dort, „wo Elemente Lokaler Ökonomie und Sozialer Ökonomie zusammenkommen“ (Voß in Widersprüche, 1997, S. 101). In der Literatur differieren die Darstellungen der Begrifflichkeiten, was auf eine unterschiedliche Denktradition der Verfasser hinweist. Begriffe wie „solidarische Ökonomie", „Dritter Sektor" oder „Lokale Ökonomie" werden oft nicht genau voneinander abgegrenzt, da es viele konzeptionelle Gemeinsamkeiten gibt. Die Verwendung jeweiliger Termini weist unter anderem auf den unterschiedlichen Adressatenbezug hin und kennzeichnet die verschiedenen Rahmenbedingungen. Um einen kurzen Überblick zu geben, soll im Folgenden die begriffliche Unterscheidung von Klöck (1998) dargestellt werden, der durch die Begriffsvielfalt auf voneinander isolierte Diskurse schließt.

  1. Lokale Ökonomie begreift den Ort als Wirtschaftseinheit und als Raum der Existenzsicherung; dabei sind alle Formen der Produktion und » Reproduktion mit einbezogen. Ökonomie bezieht sich hier, in ihrer ursprünglichen Übersetzung von „oikos“, auf das „Ganze Haus“. Es geht folglich um eine Gesamtperspektive, wobei es möglich ist, verschiedene Wirtschaftsweisen zu betrachten, von der Hauswirtschaft bis zur Marktökonomie.  Den Bezugsrahmen bildet ein bestimmtes Territorium, wobei die eigene Entwicklungsdynamik der jeweiligen Orte Beachtung findet, die durch Fördermittel oder Kürzungen von außen beeinflusst wird. Dabei ist entscheidend, dass ein Gemeinwesen nicht als ein beliebiger Standort gesehen wird, sondern die historisch gewachsenen Strukturen und die kulturelle Identität werden hervor gehoben.
  2. Soziale Ökonomie wird in Deutschland häufig als Synonym für den » Dritten Sektor gebraucht und es geht dabei primär um nicht-profitorientierte und nicht-staatliche Aktivitäten.
    Soziale und Lokale Ökonomie legen den Fokus auf die analytische Betrachtung der Marktkonstellationen und Rahmenbedingungen innerhalb eines Raumes mit den jeweiligen Ressourcen und Defiziten.
  3. Gemeinwesenökonomie legt den Fokus auf benachteiligte Sozialräume. Hier sollen Partizipationsansprüche und Forderungen einer „Sozialplanung von unten“ formuliert werden. Dabei fungiert die Gemeinwesenökonomie als intermediäre Instanz und ist ein „normatives und handlungsorientiertes Programm“. Sie soll vor allem dort entstehen, „wo soziale Gruppen oder ganze Stadtteile oder Bezirke immer mehr von den ökonomischen Entwicklungen des ersten Sektors der Privatwirtschaft abgekoppelt und ausgegrenzt werden und öffentliche Sozialpolitik nicht mehr wirkt“ (Klöck, 1998, S. 15).
  4. Solidarische Ökonomie hat ihre Tradition in der Genossenschaftsbewegung sowie in der alternativen Ökonomie und birgt einen Doppelcharakter in sich: einerseits ist sie an die herrschende Wirtschaftsstruktur gebunden, weist jedoch andererseits darüber hinaus. In der solidarischen Ökonomie spielen die sozialen Bewegungen mit den jeweiligen Akteuren und dem dazu gehörigen Milieu eine tragende Rolle.
    Solidarität ist in der Gemeinwesenökonomie und in der solidarischen Ökonomie handlungsleitendes Prinzip.

Die „Interdisziplinäre Forschungsgruppe Lokale Ökonomie“ der Technischen Universität Berlin (2000) hat ein Modell entwickelt, welches die Abgrenzung der "Lokalen Ökonomie", der "Sozialen Ökonomie", der "Gemeinwesenökonomie" sowie der "Solidarischen Ökonomie" verdeutlicht.

Der Versuch einer Unterscheidung

Quelle: » www.stadtteilarbeit.de/Seiten/Theorie/knabe/lokale_oekonomie.htm


Idee

Die Wurzeln der Gemeinwesenökonomie können in der » Settlementbewegung und in der Genossenschaftsbewegung gefunden werden. In Chicago wurde mit dem » Hull House vor mehr als einhundert Jahren eine modellhafte Gemeinwesenarbeit entwickelt. Die damaligen Bemühungen von Jane Adams wurden von Elsen (1998) rezipiert, welche eine „Vielzahl von sozialpolitischer, sozialkultureller, wissenschaftlicher und ökologischer Aktivitäten, die von diesem Settlement als Kristallisationspunkt in einem problembelasteten Stadtteil“ ausgingen, herausgearbeitet hat (Elsen, 1998, S. 233). Im Kontext sozialer Bewegungen sind ebenso Ursprünge für das Selbstverständnis von Gemeinwesenökonomie zu finden, wie auch die Weiterentwicklung von Gemeinwesenarbeit mit ihren integrierten Elementen, auf diese Wurzeln hinweist. Kooperation statt Konkurrenz und bestmögliches Miteinander statt Gegeneinander sind dabei leitende Prinzipien. „Gemeinwesenökonomie folgt einem menschenzentrierten Entwicklungsmodell, welches sich an den Bedürfnissen und Kapazitäten der Menschen orientiert“ (Elsen, 1998, S. 75). Es geht um einen ganzheitlichen Ansatz und um eine Ökonomie, die sich für den Erhalt der Lebenszusammenhänge in den Gemeinwesen einsetzt.
Gemeinwesenökonomie kann in einer Zeit der Globalisierung als Mittel zur Existenzsicherung verstanden werden. Es soll eine Form der Selbsthilfe zur Beschaffung von Kapital und Arbeit auf regionaler Ebene und das Erlangen von Selbstständigkeit erreicht werden. Für die soziale Ökonomie ist es grundlegend, dass diese nach zivilgesellschaftlichen und demokratischen Formen organisiert wird. Das Gemeinwesen soll so zum Kristallisationspunkt von Lebenszusammenhängen werden. Die allseits vorhandenen Individualisierungstendenzen sind für das Schaffen neuer Handlungsformen zu nutzen. Elsen streicht heraus, dass es primär nicht um wirtschaftlich attraktive Standorte geht, sondern vielmehr um zukunftsfähige Lebensorte. Bei dem Programm der Gemeinwesenökonomie geht es um ein Gegenmodell von unten, welches einen solidaritätsstiftenden Kontext erfordert. Es wird eine Ökonomie angestrebt, die in den soziokulturellen Rahmen eingebettet ist und ein bedarfsorientiertes Wirtschaften umsetzt. Dies trägt die Hoffnung in sich, auf eine Zukunft der Zivilgesellschaft hinzuführen.


Gesellschaftliche Situation

„Denn wer da hat, dem wird gegeben werden, und er wird die Fülle haben; wer aber nicht hat, dem wird auch was er hat, genommen werden. Und den unnützen Knecht werft in die Finsternis hinaus“ (Matthäus 25, S. 29 ff.).
Im Jahr 2003 geht nicht die Arbeit aus, sondern die Arbeitsplätze. Da es sich hierbei um eine strukturelle Folge der Marktwirtschaft handelt, ist nicht von einer vorübergehenden Massenarbeitslosigkeit auszugehen. In Folge der Ausweitung der Krise des Kapitalismus steigen stattdessen die Arbeitslosenzahlen stetig und die Angst vor einer erneuten Rezession reißt nicht ab. Die kapitalistische Marktwirtschaft wirkt mit ihrer Totalität bis in die Tiefenstrukturen der Gesellschaft und jedes Einzelnen.  Kapitalismus produziert Ungleichheit und erzeugt eine Kultur des Egoismus sowie der Verantwortungslosigkeit zugunsten individuellen Erfolges. Auch die Bundesregierung forciert im Rahmen der geplanten Reformen (Agenda 2010) einen sozialen und ideologischen Umbau der Gesellschaft, den Bundeskanzler Schröder damit begründet, dass Sozialabbau notwendig sei, um Deutschland auf einem „guten Weg“ zu halten. Die sozialen Sicherungssysteme sollen so neu justiert werden, dass die Sozialstaatlichkeit insgesamt erhalten bleiben kann.
Wie das Zitat aus der Bibel zeigt, wurden schon im Neuen Testament die Grundzüge einer reformierten Sozialpolitik dargelegt. Bundeskanzler Schröder sagt, „wer zumutbare Kriterien ablehnt – wir werden die Zumutbarkeitskriterien verändern – , der wird mit Sanktionen rechnen müssen“ (Schröder zitiert in Frank, 2003, S. 30 f.). Der Druck auf die Arbeitnehmer erhöht sich zusehends. Flexibilität, Mobilität sowie Gesundheit gehören zu den dominierenden Schlagworten. Die Wirkung dieser steigenden Anforderungen beschreibt Elsen (1998) als psychiatrisierend und dequalifizierend, was sich auch durch eine zunehmende Entsolidarisierung auf die Gesellschaft auswirkt.
Die gegenwärtige Zeit ist von Zukunftsängsten und Perspektivlosigkeit der Menschen geprägt. Der Prozess der Globalisierung schreitet nicht nur auf internationaler Ebene voran, sondern wirkt sich auch auf den Alltag des Lebens im Gemeinwesen aus. Die Folge des Wandels, verbunden mit Arbeitslosigkeit und sozialer Ausgrenzung, führt häufig zu einer Verkehrung der Opfer zu Tätern, indem die Menschen für ihr Scheitern selbst verantwortlich gemacht werden. Die mit gesellschaftlichen Ursachen verknüpften kollektiven Fragestellungen sollen individuell gelöst werden. Auf die Personen, die diesen allgemeinen Konsens nicht teilen, wird mit Unverständnis reagiert. Neu ist dabei die Komplexität der ökonomischen, sozialen und ökologischen Problemlagen. Dies erfordert einen neuen Handlungsansatz, der genau diese Gemengelage zum Ausgangspunkt seiner Intervention macht. Somit begründet sich die Entwicklung einer Ökonomie für „das ganze Haus“.


Ziele

Mit Gemeinwesenökonomie wird die Entwicklung einer Gegenwirtschaft verfolgt, die sich für den Erhalt der Lebenszusammenhänge im Gemeinwesen einsetzt. Der ganzheitliche Ansatz versucht, die Unabhängigkeit der Menschen zu stärken und deren Erpressbarkeit durch die globalen Märkte zu minimieren. Dabei ist die Schaffung neuer Existenzgrundlagen sowie die Ermöglichung wirtschaftlicher Eigenaktivitäten, jenseits vom globalen Arbeitsmarkt, auf dem die betroffenen  Personen in der Regel keine Chance haben, ein zentraler Ansatzpunkt. Kleine Tauschsysteme, Produktivgenossenschaften und neue Formen des gemeinsamen Lebens und Arbeitens sollen entwickelt werden. Dabei geht es um eine Mischung von » Eigen- und Erwerbsarbeit sowie die Förderung von Kooperativen, um eine ökonomische Selbstorganisation durchzusetzen. „Die regionale Förderation kann verknüpft werden, Genossenschaften und Vereine dienen dabei als Organisationsformen“ (Wallimann in Klöck, 1998, S. 61). Ziel ist eine Bündelung der vorhandenen Ressourcen und deren Stärkung durch gegenseitige Kooperation. Dabei ist von entscheidender Bedeutung, dass die Menschen Verantwortung übernehmen und sich als ein Teil des Ganzen empfinden. Sie sollten auf diese Weise Erfahrungen von ganzheitlicher menschlicher Betätigung und Entfaltung machen. Zentrale Aufgabe in der Gemeinwesenökonomie ist es, die umfassenden Zusammenhänge und die gesellschaftliche Komplexität deutlich zu machen. Das Verstehen der Kausalitäten und Wechselwirkungen gesellschaftlicher Realität schafft die Voraussetzung zur Beteiligung und aktiven Gestaltung zukünftiger Lebenswelt.


Leitbilder

Der Konkurrenzlogik im Kapitalismus müssen in der Gemeinwesenökonomie bewusst andere Leitbilder und Koordinationsprinzipien entgegengesetzt werden. Diese sollen sich innerhalb des Gemeinwesens eigenständig entwickeln, um eine selbstbewusste Verortung in der Gesellschaft zu ermöglichen. Elsen (1998) zeigt auf, dass die kooperative Selbsthilfe und menschengerechte Ökonomie auf eine lange Ideengeschichte zurück blicken kann. Seit Beginn der Ausbeutung der menschlichen Arbeitskraft gab es verschiedene Bestrebungen, Alternativen zu entwickeln, die dem Menschen eher gerecht werden (Elsen, 1998, S. 54 ff.). Dabei muss es zu einer Neubewertung der verschiedensten gesellschaftlichen Tätigkeiten kommen, die keinen Marktwert besitzen. Hierzu ist es erforderlich, die Rolle der Arbeit neu zu definieren, damit diese nicht mehr als menschliche Betätigung, sondern als menschliche Beschäftigung im Zentrum steht. André Gorz (1991) plädiert für eine Entkopplung von Einkommen und Erwerbsarbeit, wobei an Stelle von kapitalbringender Arbeit andere Arbeitsformen treten könnten. Gorz steht für die Versuche, zur herkömmlichen Erwerbsgesellschaft Alternativen aufzuzeigen. Er gilt als Vordenker für ein neues Gemeinwesen und prägte den Begriff der „autonomen Tätigkeitsgesellschaft“, die in den „mikrosozialen Sphären“ organisiert werden soll. Elsen beschreibt ein Koordinationsprinzip der „verpflichteten Kooperation“, mit reflektierter Solidarität als Basiswerte (Elsen, 1998, S. 85). Ausgangspunkt bildet dabei ein Leitbild mit den Vorstellungen von einem „Recht auf Gemeinheit“, welches soziale Gerechtigkeit und Teilhabe impliziert. Dieses steht konträr zu den Ideen, die das Recht des Stärkeren betonen. Louis Blanc (1811 - 1882), der von Marx als ein utopischer Sozialist bezeichnet wurde, war ein Verfechter der These, dass Konkurrenz nicht Wohlstand schaffe, sondern die Ursache für eine allgemeine Verarmung sei. Es geht also generell um ein anderes Bild vom Menschen, als jenes, das uns täglich vermittelt wird. Bei diesem allgemein gültigen stehen Werte wie Flexibilität im Vordergrund; jede Person soll unabhängig von sozialen Bindungen sein, die den Aufstieg hindern könnten. Der Mensch in der Gemeinwesenökonomie soll anders sein. Autonom denkend, den eigenen Lebensstil verwirklichen wollend, kooperierend, an Utopien glaubend und vielleicht sogar ein bisschen rebellisch seiend. Dem „homo oeconomicus“, wo durch individuelles Handeln egoistische Ziele verfolgt werden, steht ein Leitbild des „homo cooperativus“, dessen Handlungsweisen altruistisch motiviert sind, entgegen (Elsen, 1998, S. 86 ff.).


Umsetzung

Was bedeutet dies für die Sozialarbeit?

Für die Sozialarbeit ist das ein Plädoyer für eine qualifizierte und erweiterte Gemeinwesenarbeit, da diese ein Arbeitsprinzip für die Gemeinwesenökonomie sein könnte. Dies geht mit veränderten » Anforderungen an die professionellen Kompetenzen einher. Bei der Funktionserweiterung von Gemeinwesenarbeit besteht die neue Qualität darin, sich in die lokale Ökonomie einzumischen, Vernetzungsarbeit zu leisten und Kooperation statt Konkurrenz zu fördern. Dabei steht allerdings nicht unmittelbar das Anwenden bestimmter Techniken oder Methoden im Vordergrund, sondern das konkrete Handeln. Es ist nicht ganz unproblematisch, diesen Anspruch in die Praxis umzusetzen und dort auch einzulösen, da innerhalb der Sozialarbeit noch immer der Glaube an den Sozialstaat mit seinen angebotenen Lösungen dominiert. Es wird kritisiert, dass die Interventionen der Gemeinwesenarbeit häufig soziokulturell und sozialpädagogisch ausgerichtet sind, als auf Gemeinschaftlichkeit und aktive Marktorientierung zu zielen. Sozialarbeit vermag zwar professionelle Lösungsansätze für inhumane Wohnsituationen, Langzeitarbeitslosigkeit und Ausgrenzung anzubieten. Diese sind jedoch immer nur einseitig auf das Individuum oder die soziale Gruppe gerichtet und die Probleme werden nicht gesellschaftsbezogen gelöst. Auch die Sozialarbeit muss der veränderten Situation Rechnung tragen und reflektieren, dass die Probleme der Arbeitslosigkeit nicht auf den Einzelnen abgewälzt werden können. „Soziale Probleme sind stets im Gesellschafts- und Wirtschaftssystem zu verorten, wenn die Sozialarbeit der Gefahr eines blinden Aktionismus entgehen will" (Ries in Sahle/ Scurell, 2001, S. 45).
Exemplarisch für eine mögliche Praxis ist die Entwicklung des Gemeinwesenprojektes » Bürgerhaus Trier - Nord und seine Folgeprojekte. Gemeinwesenökonomie benötigt für die Umsetzung einer nachhaltigen, stabilen Entwicklung unterstützende Strukturen. Es wird von vielen ungenutzten Fertigkeiten und Möglichkeiten der Menschen vor Ort ausgegangen, die integriert werden sollen. Mit der Förderung ökonomischer Aktivitäten werden gemeinwesenorientierte Zielsetzungen verfolgt. Über die Angebote verschiedener Qualifizierungsprojekte in Zusammenarbeit mit verschiedenen Firmen, soll die lokale Ökonomie gestärkt werden. Die zentrale Strategie für gemeinwesenorientiertes Vorgehen ist die Beteiligung und Aktivierung der Bewohner. Diese erfolgt konkret in Stadtteilkonferenzen oder themenspezifisch über städtebauliche Projekte. Ein Mietercafé, das „kommunikative Herzstück“ dient als Ort für kulturelle Aktivitäten (Binne in Sahle/Scurell, 2001, S. 200). Über gezielte Kinder- und Jugendarbeit werden auch diese integriert und ihren Bedürfnissen wird Beachtung geschenkt.


Historische Bedeutung

Da es sich bei der Gemeinwesenökonomie um eine sehr aktuelle Entwicklung handelt, ist es problematisch, eine Prognose für die weitere Bedeutung dieser alternativen Wirtschaftsweise zu geben. Offensichtlich ist, dass die Abhängigkeit der verschiedenen Initiativen und Programme von staatlichen Finanzierungsmitteln deren unabhängige Entwicklung jenseits von Staat und Kapital unmöglich macht. Rita Sahle stellt fest, dass „Geld als Synonym für den Zugang zu Macht und Ressourcen“ fungiert (Sahle, 2002, S. 136). Von daher ist es notwendig, eine grundsätzlichere Kritik zu formulieren, um hieraus fortschrittliche, emanzipative und wegweisende Strategien zu entwickeln. Brigitte Voß sieht zum Beispiel in der Schaffung von Arbeitsplätzen, durch neu geschaffene Stadtteilinitiativen und Projekte eine positive Entwicklung. Sie bezieht sich dabei unter anderem auf die verstärkte Nutzung von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, EU-Förderprogrammen sowie auf das Programm Arbeit statt Sozialhilfe (Voß in Widersprüche, 1997, S. 103). Meines Erachtens sind dies keine Beispiele für eine menschengerechte Ökonomie, bei der die Förderung von Selbstbewusstsein und Selbstständigkeit eine zentrale Zielstellung ist. Die Zukunft der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM) ist immer wieder unklar. Dies schafft Unsicherheiten, wodurch das Vertrauen in solche Programme geschwächt wird. Durch die staatlich vorbestimmten Anforderungen, dass es sich um zusätzliche, gemeinnützige sowie überflüssige Arbeit handeln soll, wird beabsichtigt nicht in den Arbeitsmarkt einzugreifen. Für diese Programme sind konzeptionelle Richtlinien notwendig, die eine Dauer von mindestens 2 Jahren mit eventuell weiterer Perspektive sichern. Außerdem sollte durch die Zusammenarbeit mit zuverlässigen Betrieben die Ernsthaftigkeit vermittelt werden, um es nicht als bloße Arbeitsbeschaffungsmaßnahme  zu installieren. Voß bezeichnet die Vermittlung von Ausgegrenzten und Integrierten als eine neuartige, intermediäre Aufgabe. In der Praxis kann davon jedoch nicht ausgegangen werden, denn bei der Arbeits- und Trainingsmaßnahmenvermittlung geht es nicht vordringlich um eine konstruktive Auseinandersetzung darüber, wie der Betroffene nach seinen Vorstellungen wieder integriert werden kann. Häufig handelt es sich vielmehr um Disziplinierungsmaßnahmen, wobei die individuellen Wünsche und Bedürfnisse der Arbeitslosen eine untergeordnete Rolle spielen. Ehrenamtliche Tätigkeiten werden nicht honoriert, sondern bestenfalls mit Kürzungen geahndet. So existiert die weit verbreitete Erwartung, dass ein erwerbsfähiges Mitglied der Gesellschaft einer geregelten Erwerbsarbeit nachgeht und sich damit den materiellen Unterhalt sichert. Durch Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen wird diese Vorstellung noch zementiert und das Ziel, zur herkömmlichen Erwerbsgesellschaft Alternativen aufzuzeigen, weit verfehlt. Die historische Bedeutung der Gemeinwesenökonomie wird stark davon abhängen, wie viel Gegenmacht der entgrenzten Wirtschaft entgegentritt, um zukunftsfähige Alternativen zu schaffen und inwieweit gängige Vorstellungen grundlegend überprüft werden.


Übungsfragen

  • Wo sehen Sie die Wurzeln von Gemeinwesenökonomie? Welche Elemente vorheriger Ansätze erkennen sie?
  • Vergleichen Sie die Prinzipien der „Dominanten Ökonomie“ mit denen der „Gemeinwesenökonomie“.
  • Welchen aktuellen Anforderungen versucht Gemeinwesenökonomie gerecht zu werden? Aus welcher Konsequenz wird verstärkt auf die Entwicklung von Gemeinwesenökonomie gesetzt?
  • Worin bestehen dabei die spezifischen Chancen?
  • Erstellen Sie ein Konzept für die Umsetzung von Gemeinwesenökonomie.
  • Was sind die Unterschiede zum Ansatz des Quartiersmanagement?
  • Ist Gemeinwesenökonomie ein Arbeitsfeld der Sozialarbeit? Begründen Sie ihre Antwort.