Die vernetzte Stadtteilarbeit Kronsberg

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Antje Kaul, Soziales & kulturelles Stadtteilzentrum KroKuS, Thie 6, 30539 Hannover, Tel.: 0511/168-34263, Email: antje.kaul@hannover-stadt.de, Internet: http://www.hannover.de/stadtteilzentren/krokus/


Entstehung des Kronsbergs

Im Zusammenhang mit der EXPO 2000 entwickelte die Stadt Hannover ein neues Wohngebiet, welches seit dem Jahr 2000 dreitausend Wohneinheiten umfasst, wovon ca. 350 Reihenhäuser sind. Die Stadt Hannover verband mit der Planung des neuen Stadtteils den Anspruch und die Herausforderung, zukunftsweisende Ansätze und Wege für eine nachhaltige Stadtentwicklung (Städtebau und Landschaftsplanung, Ökologie und Technik, kulturelles und soziales Leben) zu verwirklichen. Es sollte ein sozial- und umweltverträglicher Stadtteil mit einem lebendigen und tragfähigen lokalen Gemeinwesen entstehen, in dem die Bewohnerinnen und Bewohner die Möglichkeit haben müssen, ihren Lebenszusammenhang in verschiedenen Bereichen (Umwelt und Technik, Wohnen und Arbeit, Erziehung und Bildung, Zusammenleben und Kommunikation, Freizeit und Konsum) aktiv zu gestalten. Dabei erfordert es das Anforderungsprofil für den neuen Stadtteil am Kronsberg in besonderer Weise, den ökologischen Gedanken verstärkt im unmittelbaren Alltagszusammenhang der Menschen zu verankern und zugleich zu berücksichtigen, dass die Stärkung von ökologischem Bewusstsein und Handeln nur über soziale Prozesse möglich ist. Der sozialen und kulturellen Infrastruktur kommt hierbei eine bedeutende Rolle zu, da sie die Menschen in ihren unterschiedlichsten Alltagssituationen erreicht, bzw. in ihren Einrichtungen Alltagserfahrungen entstehen und Verhaltensweisen mitgeprägt werden.
In der Vergangenheit sind neue Stadtteile häufig zunächst weitgehend ohne soziale und kulturelle Infrastruktureinrichtungen entstanden. Dies führte in der Folge oftmals zu Anonymität, geringer Identifikation mit dem Wohnquartier, Vandalismus und auch zu sozialen Spannungen. Diese Fehler sollten bei der Entwicklung des Stadtteils Kronsberg von vorne herein durch eine sozial- und umweltverträgliche Stadtteilgestaltung vermieden werden.
Vor diesem Hintergrund soll die soziale und kulturelle Infrastruktur dazu beitragen, Menschen in ihrem Alltag zu unterstützen, ihre Persönlichkeitsbildung zu fördern, Kontakte und Handlungsspielräume zu ermöglichen, soziale Netzwerke zu knüpfen und Verantwortungsbewusstsein für das Zusammenleben zu erzeugen. Gerade in Anbetracht der heutigen Vielfalt der Lebensformen, der sozialen und ökologischen Risiken der Lebensbewältigung und einer zunehmenden Individualisierung der Lebensverhältnisse ist es besonders wichtig, eine soziale und kulturelle Infrastruktur mit entsprechenden Einrichtungs- und Organisationsformen zu schaffen, die Orientierungs- und Handlungsmöglichkeiten eröffnen, sowie integrativ und präventiv wirkt.
In diesem Zusammenhang muss die soziale und kulturelle Infrastruktur sowohl zielgruppenbezogene als auch zielgruppenübergreifende Angebote für Information, Kommunikation und Partizipation bieten. Sie muss zum einen gesellschaftliche Themen aufgreifen, und sie muss zum anderen geeignet sein, auf lebenslagen- und lebensphasenspezifische Bedürfnisse und Verhaltensweisen, Gefährdungen und Belastungen einzugehen.
Am Kronsberg sollten im Rahmen eines ämterübergreifenden integrativen Ansatzes der gesamte Bereich der sozialen und kulturellen Stadtteilarbeit in einem ganzheitlichen Arbeitsfeld zusammengeführt werden: Soziale, kulturelle - und am Kronsberg erstmalig auch ökologische - Inhalte sollen alters- und zielgruppenübergreifend umgesetzt werden. Dies schließt ergänzende zielgruppenspezifische Angebote ausdrücklich nicht aus.
Diesem integrativen Arbeitsansatz entspricht in der personellen Umsetzung ein ressortübergreifendes Team für Stadtteilarbeit, das seine Arbeitsschwerpunkte nicht mehr an Ämtergrenzen oder Zielgruppen orientiert, sondern ganzheitlich und flexibel auf die Bedürfnisse und die sich wandelnden Bedarfe im Stadtteil reagiert. ( aus. Konzeptdrucksache 1997)
Bereits während der Bauphase war ein Anwaltsplaner tätig, der Beteiligungsstrukturen mit den zukünftigen EinwohnerInnen und Alt-Bemerödern entwickelte. Mit Beginn des Bezuges des Kronsberges Ende 1998 waren außer dem Anwaltsplaner, eine Fachkraft für Stadtteilkulturarbeit, eine für Gemeinwesenarbeit, sowie die beiden "Fieldworker" tätig. Und es gab eine Kontaktstelle für Umwelt und Kommunikation (KUKA).


Soziale Infrastruktur

Es leben z.Zt. ca 6600 Menschen am Kronsberg, wovon knapp 28 % unter 18 Jahre alt ist. Es werden überdurchschnittlich viele Kinder geboren. Im Jahr 2004 jeden 3. Tag eines. Es leben wenig über 65-Jährige am Kronsberg. Der Ausländer- und Aussiedleranteil liegt mit knapp 30% weit über dem Stadtdurchschnitt. Ebenso ist ein überdurchschnittlicher Anteil von Arbeitslosen und Armutsbevölkerung zu verzeichnen. Trotzdem ist der Kronsberg kein Brennpunkt. Dies führen wir hauptsächlich auf das gute Bildungsniveau der EinwohnerInnen zurück. Am Kronsberg befinden sich 4 Kitas, 2 Kinderläden, das diakonische Werk mit MigrantInnenberatung , das Kirchenzentrum, 1 Grundschule, 1 Schulzentrum Haupt- und Realschule und eine integrierte Gesamtschule.
Zum Stadtteilzentrum KroKuS gehören noch vier "Verfügungsflächen" und das "Spielhaus". Das Spielhaus wird im Vormittagsbereich von Eltern mit Kindern bis zu fünf Jahren besucht. Im Nachmittagsbereich laufen zumeist Kurse für Kinder von 6 – 12 Jahren, wobei der Anteil der 8-jährigen Kinder den Schwerpunkt ausmacht. Kinder ab neun Jahren kommen lieber in das Stadteilzentrum KroKuS. Die anderen "Verfügungsflächen" werden für differenzierte Angebote genutzt oder von den EinwohnerInnen eigenverantwortlich bewirtschaftet Dazu gehört u.a. inzwischen der ehemalige Stadtteiltreff, in dem zwölf Mütter einen Kinder-Second-Hand-Shop auf Freiwilligenbasis betreiben. Ausgehend davon, dass ein Stadtteilzentrum mit seinen Angeboten eher mittelschichtsorientierte Erwachsene anspricht, sind die Verfügungsflächen als weiteres niedrigschwelliges Angebot zu verstehen. Um eine bildungsferne Schicht, aber auch die Zielgruppe der MigrantInnen zu erreichen, ist es unerlässlich vor Ort Angebote zu machen, d.h. in den einzelnen Wohnkarrees. Dies ist sehr aufwändig, aber wir möchten alle beteiligen und nicht nur diejenigen, die kommen.


Der KroKuS und seine Organisation

Mit dem Konzept der "Vernetzten Stadtteilarbeit" hat die Stadt Hannover ein organisatorisches Neuland betreten. Es ist ein dezernats- und fachbereichsübergreifendes Organisationsmodell mit einem gemeinsamen Personal- und Bewirtschaftungspool. Beteiligt sind das Kultur- und Schuldezernat und Jugend- und Sozialdezernat, sowie die Fachbereiche Bibliothek & Schulen, Bildung &Qualifizierung und Jugend & Familie. Die beteiligten vier Bereiche stellen jeweils eine Fachberatung, aus deren Kreis alle drei Jahre ein Koordinator gewählt wird. Dieser ist u.a. direkter Vorgesetzter der KroKuS-Leitung.
Im Stadtteilzentrum KroKuS arbeiten derzeit 16 Festangestellte auf 14 Planstellen, davon sind z.Zt. 3 Stellen mit dem Schwerpunkt Kinder- und Jugendarbeit, 1 Stelle Stadtteilkulturarbeit, 1 Stelle Gemeinwesenarbeit, 1 Stelle Familienarbeit, 4 Stellen Stadtteilbibliothek, 1 Verwaltungsstelle, 3 Stellen für Service & Betrieb vorgesehen. Das Team hat den Auftrag schwerpunktübergreifend zu arbeiten, d.h. zum Beispiel, dass die MitarbeiterInnen der verschiedenen Schwerpunkte gemeinsam Kinder- und Jugendangebote oder auch Kulturangebote installieren und dies in Kooperation mit dem Fachmann/frau.des jeweiligen Schwerpunktes oder eines anderen Trägers vor Ort.
Die Angebote sowie die inhaltlichen Schwerpunkte der Pädagogen und Bibliothek richten sich vor allem nach dem Bedarf im Stadtteil. Dies bedeutet konkret, dass bei veränderten Bedarfen im Stadtteil die pädagogischen Schwerpunkte verändert werden können. Eine Verschiebung in der Sozialstruktur des Stadtteiles - z.B. weniger Jugendliche, dafür mehr SeniorInnen - kann zur Folge haben, dass sich ein Schwerpunkt hauptsächlich mit SeniorInnenarbeit beschäftigt. Die jeweilige Fachlichkeit wird durch die zuständigen Fachberatungen der jeweiligen Fachbereiche gewährleistet.
Das Team macht eine gemeinsame Jahresplanung ausgerichtet an den Bedarfen im Stadtteil und unter der Berücksichtigung von Beteiligung und Nachhaltigkeit. Die MitarbeiterInnen wählen alle 3 Jahre eine gemeinsame KroKuS-Leitung, die die Dienstaufsicht hat und die Fachaufsicht in Bezug auf die Gesamtkonzeption des Hauses.


Was ist denn nun wirklich anders an der "gelebten" Vernetzung im KroKuS im Vergleich zu "normalen" Stadtteilen?

Vernetzung impliziert m.E. den zielgruppenübergreifenden Ansatz, auf jeden Fall erleichtert Vernetzung diesen erheblich. An den folgenden Punkten soll deutlich werden, was an dem vernetzten Arbeiten im KroKuS anders ist, gemessen an anderen Stadtteilen.

  1. Selbstständigkeit als Team
    Durch die Bewirtschaftung des eigenen Budgets sind wir unabhängig von Genehmigungen etc.. Wir orientieren uns bei den Angeboten nach den Bedarfen im Stadtteil und der mit den Fachberatungen abgestimmten Jahresplanung.
  2. Schnelles bedarfsorientiertes Handeln
    Wir können äußerst schnell auf kritische Entwicklungen im Stadtteil reagieren. Z.B. Jugendliche, die sich nächtens in einem der Innenhöfe treffen und die Bewohnerinnen um die Nachtruhe bringen. Sofortige – d.h. spätestens 1 Tag nach Bekanntwerden des Problems - Zugeharbeit und eine gemeinsame Versammlung mit MieterInnen und Jugendlichen, um Lösungen zu finden.
  3. Vielseitige Kompetenzen in einem Team
    Dies befruchtet die inhaltliche Arbeit sehr. Man beleuchtet ein Problem aus unterschiedlicher professioneller Sicht, woraus Lerneffekte für alle Teammitglieder erfolgen. Außerdem ist ein schnelles Zugreifen auf die anderen Kompetenzen möglich. Hinzu kommt, dass manch ein Teammitglied neue Kompetenzen an sich entdeckt. Dieses Miteinander setzt noch mal mehr Energien und Kreativität frei, was letztendlich auch zu einer guten Motivation beiträgt, aber auch für lebendige Angebote sorgt.
  4. Abstimmungsaufwand in die Verwaltung
    Dieser ist wesentlich geringer als normalerweise, was u.a. natürlich mit dem eigenen Budget zusammen hängt. Zum anderen mit dem Interesse aller beteiligten Fachbereiche an einer positiven Entwicklung des Kronsbergs.
  5. Entscheidungsspielraum im Stadtbezirk
    Auch dieser ist größer, was sicherlich auch am Budget und der Personalressource im Stadtbezirk liegt. Z.B. hat die Stadtbezirksrunde 2003 beschlossen, ein an den Kronsberg angrenzendes, benachteiligtes Wohngebiet zu aktivieren, d.h. nachbarschaftsfördernde Maßnahmen zu starten und mit den BewohnerInnen zu untersuchen, ob Nachbarschaftsräume für Gruppen zu bekommen sind und eine Verbesserung des Außengeländes, vor allem der Spielplätze, möglich ist.
    Vernetzung im gesamten Stadtbezirk (über den Kronsberg hinaus) hat für uns eine hohe Priorität. Inzwischen sind wir "die Spinne im Netz", daraus folgt Pkt. 6:
  6. Ressourcen- und Infopool
    Der KroKuS ist inzwischen ein Ressourcen- und Infopool für den gesamten Stadtbezirk. Davon partizipieren nicht nur die EinwohnerInnen, sondern auch die anderen Träger und die Verwaltung.
  7. Bürgernähe
    Dadurch, dass der KroKuS mehrere Professionen/Schwerpunkte unter einem Dach birgt, gibt es mehr und auch qualitativ intensivere Bürgernähe als in anderen Stadtteilen, wo BürgerInnen sich an einzelne Institutionen wenden müssen. Es wird niemand von uns weggeschickt, wir bemühen uns alle Fragen zu beantworten. Natürlich verweisen wir bei Eheproblemen etc. an die zuständigen Stellen. Jugendliche und Kinder werden bei prekären familiären Problemen von uns zu den zuständigen Stellen begleitet.
    Bei Bedarf werden Räumlichkeiten mietfrei an Müttergruppen, Elterninitiativen und dgl. abgegeben. Dafür unterstützen diese uns bei Bedarf in der Stadtteilarbeit.
  8. Freiwilligengewinnung
    Auf Grund dessen (s.7) ist auch die Freiwilligenrekrutierung einfacher. Die Arbeit des KroKuS am Kronsberg wird inzwischen von knapp 60 Freiwilligen regelmäßig unterstützt. Ohne dieses Engagement könnten wir ein derartiges Angebot am Kronsberg gar nicht aufrecht erhalten.
  9. Belastung
    Als eher belastend wird der interne Abstimmungsaufwand empfunden, weil wir uns als eine Einheit darstellen möchten. Hinzu kommt das Gefühl "Diener zweier Herren" zu sein. Damit sind die Parallelstrukturen gemeint, nämlich die Eingebundenheit in den eigenen Fachbereich und gleichzeitig die Einheit im KroKuS zu leben.

Schwerpunktübergreifende Teamarbeit:

  • gemeinsame Projekte, z.B. "Vorhang auf – Familie im Blickpunkt ", "Internationaler Markt der Möglichkeiten"; Seifenkistenrennen und vieles mehr
  • gemeinsame Jahresplanung + Budgetverantwortung
  • gemeinsame Verantwortung für das Haus und seine Verfügungsflächen
  • Gremienarbeit
  • "Vernetzte Dienste"

Im Kontext mit den gemeinsamen Projekten ist die Bündelung von Kompetenzen hervor zu heben. Das vielschichtige professionelle Herangehen an ein Projekt erfordert zwar manche Diskussion, ist jedoch wesentlich fruchtbarer und das Projekt wird "bunter". Auch wenn es in der Planung und Durchführung manchen Stress gibt, erhöht diese Art von vernetzter Arbeit die Kreativität sowie die Motivation der Beteiligten.
Nicht außer Acht zu lassen ist, dass durch die Personalbündelung – alles unter einem Dach – gegenseitige Vertretung gewährleistet ist und somit Kontinuität, Zuverlässigkeit und Verbindlichkeit für die EinwohnerInnen so weit wie möglich garantiert ist.
Wir haben uns in diesem Jahr besonders mit dem Begriff "Nachhaltigkeit" beschäftigt und einen Nachhaltigkeitscheck entwickelt, der uns die Planung von Angeboten und deren Evaluation erleichtert. Wir sind dabei, kleine Schritte in Bezug auf globale Verantwortung und ökologisches Bewusstsein umzusetzen. Konkret bedeutet dies, dass wir nur noch fairgehandelten Kaffee und Tee kaufen, es im Jugendcafe "gesunde Brötchen" als Snack gibt und versuchen unseren Abfall zu reduzieren. Wir hoffen, dass durch die gemeinsame Veranstaltungsplanung unter Berücksichtigung einiger AGENDA-21-Aspekte mit den BewohnerInnen, der KroKuS als Vorbild fungieren kann.
Zudem sind wir gerade dabei, einen KroKuS-Beirat zu gründen mit BewohnerInnen aus sieben unterschiedlichen Zielgruppen. Der KroKuS-Beirat soll ein eigenes Budget bekommen, um eigene Veranstaltungen durchführen zu können, natürlich unter gesetzten Rahmenbedingungen. Davon versprechen wir uns eine Veranstaltungsbreite, die evtl. auch bildungsfernere Menschen in den KroKuS lockt

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die ursprünglichen konzeptionellen Ideen und damit verbundenen Hoffnungen auf Synergieeffekte, erfolgreich umgesetzt werden konnten. Wichtig für diesen Erfolg ist jedoch u.E. auch gewesen, dass die vernetzte Stadtteilarbeit zeitgleich mit dem Bezug des Kronsberges installiert wurde.