Koordinierte Alphabetisierung (Koala)

Am Beispiel der Grundschule an der Schonnebecker Straße (Städtische Gemeinschaftsgrundschule)


Kontakt:

Sieglinde Schwede, Schulleiterin der GGS Schonnebecker Straße (Städtische Gemeinschaftsgrundschule), Schonnebecker Str. 32, 45884 Gelsenkirchen, Tel.: 0209-134632, Email: 119039@schule.nrw.de


Vorbemerkung

An den Grundschulen NRWs wird bei der Einschulung immer noch festgestellt, dass die meisten Migrantenkinder der 3. Generation nicht über eine ausreichende Sprachkompetenz in Deutsch verfügen. Ein umfangreiches Sprachförderprogramm im Elementarbereich und ein halbes Jahr vor der Einschulung durch die Grundschulen, das durch das Land gefördert wird, verbessert allmählich die Situation. Das Hauptproblem bleibt, dass auch die Sprachentwicklung in der Herkunftssprache nicht altersgemäß vollzogen ist. Wie inzwischen hinreichend bekannt ist, ist die Sprachentwicklung in der Zweitsprache abhängig von der Sprachentwicklung in der Herkunftssprache.
Das Kollegium an der GGS Schonnebecker Straße entschloss sich daher vor fünf Jahren, zielgerichtet darauf zu reagieren, um die Kinder nicht mit ihrer Zweisprachigkeit, die zu einer doppelten Halbsprachigkeit führen kann, und ihrer Bikulturalität allein zu lassen. Wir entwickelten für unsere Schule ein Konzept zur koordinierten Alphabetisierung in Deutsch und Türkisch in Anlehnung an das Hessener Modell. Es sieht vor, mindestens im ersten Schuljahr die koordinierte Alphabetisierung durchzuführen. Sinnvoll und wünschenswert ist die Durchführung in allen vier Grundschuljahren.
Hinter der Abkürzung "Koala" steckt ein Programm, die "KOordinierte ALphabetisierung im Anfangsunterricht" in den Sprachen Deutsch und Türkisch.
Koala ist für uns der Weg, zweisprachige Kinder zweisprachig zu alphabetisieren, ihre Kompetenzen zu nutzen und sie planvoll zu fördern. Koala ist die systematische und organisierte Absprache innerhalb eines gemeinsamen Konzepts zwischen der Klassenlehrerin und der Muttersprachenlehrerin hinsichtlich der Alphabetisierung, der Unterrichtsmethode, der kontrastiven Arbeit und der Sachunterrichtsthemen.


1. Koala in anderen Bundesländern

Berlin ist der Vorreiter der zweisprachigen Alphabetisierung Seit fast 20 Jahren betreut die Arbeitsstelle zweisprachige Erziehung das Projekt in verschiedenen Grundschulen und entwickelte umfangreiches Arbeitsmaterial dafür.
In Hessen erprobte Frau Nakipoglu-Schimang ein Konzept zur koordinierten Alphabetisierung, das sie als Pilot-Projekt an der Francke-Schule in Frankfurt/Main durchführte. Nach der Berufung als Fachberaterin in das HKM konnte Koala an verschiedenen Grundschulen Hessens entstehen.
In NRW profitierten wir von den Erfahrungen der Berliner und Hessen, die ihre Konzepte in Fachtagungen vorstellten. Die Hauptstelle RAA NRW und die regionalen RAAs (Regionale Arbeitstelle zur Förderung von Kindern und Jugendlichen aus Zuwandererfamilien) machten es sich zur Aufgabe, den Schulen die Idee von Koala vorzustellen und ihnen Fortbildung anzubieten.
Die RAA Gelsenkirchen unterstützte das Koala-Projekt im Schuljahr 2001/02 durch die Bereitstellung von 14 Verbindungslehrerstellen für 7 Grundschulen, die mit Koala begannen. Die Lehrer/innen-Teams (Klassenlehrerin plus Muttersprachenlehrerin) nahmen in dem Schuljahr und im folgenden an Fortbildungsveranstaltungen teil, um ihre Kompetenz zu erweitern und ihnen ein Forum für den Austausch zu bieten.


2. Zielsetzung des Projekts

Wir vertreten die Meinung, dass wir bei zweisprachigen Kindern die Herkunftssprache nicht ausklammern dürfen, da sie ist ein Teil ihrer Identität ist. Wir dulden nicht nur die Herkunftssprache, sondern wir fördern sie. Daraus ergibt sich für unsere Arbeit folgende Konsequenz:

  • Alphabetisierung von zweisprachigen Kindern in zwei Sprachen durch eine systematische Alphabetisierungsmethode
  • Nutzung der Sprachenvielfalt und –kompetenz der Kinder für interkulturelles Lernen
  • Sensibilisierung für Mehrsprachigkeit

3. Die Umsetzung des Projekts

3.1 Rahmenbedingungen

Wichtig für die Umsetzung des Koala-Projekts ist, dass alle Beteiligten eingebunden sind: Schulleitung, das gesamte Kollegium und die Elternschaft.
Die Schule muss ein Konzept erstellen, das auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten ist. Das Projekt wird scheitern, wenn es nur "nebenbei" läuft, es muss strukturiert sein, die Zielsetzung und die Durchführung müssen klar sein. Die verbindlichen Vereinbarungen müssen von allen Seiten erfüllt werden.
Das gesamte Kollegium muss mit einbezogen werden, da ein Konzept, das nur von Einzelpersonen getragen wird, keine Chance hat, wenn diese Personen ausfallen.
Ein wesentlicher Punkt ist die Einbeziehung der Eltern. Sie müssen rechtzeitig (vor der Klassenbildung) über das Konzept informiert werden. Aus meiner Erfahrung ist die Zusammenarbeit mit den Eltern besser, wenn sie sich bewusst für die Koala-Klasse entschieden haben.
Es empfiehlt sich, das Konzept in der Schulkonferenz vorzustellen und es "unter den Augen der Schulkonferenz" zu erproben. Wird Koala in das Schulprogramm aufgenommen, ist die Schulkonferenz wieder gefragt.
Wünschenswert ist die Unterstützung des Projekts durch die Schulaufsicht. Nur wenn sie Koala als sinnvoll ansieht, wird sie die erforderlichen Lehrerstunden zuweisen.

3.2 Anforderungen an die Lehrerteams

Koala fordert den Lehrerinnen und Lehrern ein anderes Rollenverständnis ab; gefragt ist nicht der Einzelkämpfer, der alles kann und alleine macht, sondern der teamfähige Partner. Die Anforderungen sind im wesentlichen:

  • Bereitschaft zur Kooperation
  • Die deutsche Lehrkraft sollte Einblicke in die Strukturen der türkischen Sprache haben.
  • Die türkische Lehrkraft sollte über gute deutsche Sprachkenntnisse verfügen.
  • Gleichberechtigung im Unterricht

3.3 Umsetzung des koordinierten Alphabetisierung

Die Umsetzung des Konzepts beginnt mit der Klassenbildung. Nach der Erfahrung mit multinationalen Klassen, entschieden wir uns, die Koala-Klassen möglichst nur mit deutschen und türkischen Kindern zu bilden. Der Gewinn für die Kinder ist bei dieser Zusammensetzung größer. Die Eltern geben nach einer Informationsveranstaltung im Januar ihr Votum ab. Das führte in diesem Jahr (Schuljahr 2003/2004) bei fünf ersten Klassen zur Bildung von 3 Koala-Klassen und 2 normalen Regelklassen.
Die Arbeit der Klassenlehrerinnen und der Muttersprachenlehrerin beginnt mit der didaktischen, methodischen und inhaltlichen Koordination. Sie setzen sich mindestens einmal in der Woche zusammen und planen Unterricht.
Die Alphabetisierung wird (mit Ausnahme auf wenige Buchstaben, die gemeinsam eingeführt werden) in der Regelklasse in deutsch durchgeführt. Zeitversetzt arbeitet die Muttersprachenlehrerin mit den eingeführten Buchstaben im Muttersprachenunterricht (MSU). Dabei werden zunächst die phonem- und graphemgleichen, dann die –ähnlichen und zuletzt die –unterschiedlichen Buchstaben eingeführt.
Unserer Schule entwickelte eine Anlauttabelle, in der 17 Anlaute im Deutschen und im Türkischen mit gleichen Objekten dargestellt sind. Die Arbeit mit dieser Anlauttabelle erleichtert den zweisprachigen Kindern das freie Schreiben, da sie nicht ständig umdenken müssen.
Einmal wöchentlich finden Team-Teaching-Stunden statt, in denen zweisprachiger Unterricht erteilt wird.
Die Migrantenkinder, deren Sprachkompetenz noch nicht ausreicht, bekommen zusätzlich Förderung in Deutsch als Zweitsprache. In diesen Stunden wird der Wortschatz erweitert, Satzmuster eingeübt und die eingeführten Buchstaben wiederholt.
In den Koala-Klassen ist für die deutschen Kinder Türkisch die Begegnungssprache. In diesem Schuljahr erproben wir ein neues Konzept "Frühes Fremdsprachenlernen" in zwei Klassen. Wir erarbeiteten ein Konzept zum bilingualen Erlernen der Sprachen Deutsch und Türkisch mittels einer Geschichte eines kleinen Dinokroks, das kleine Abenteuer erlebt. Es ist systematisch aufgebaut und zeigt große Erfolge durch wiederholtes Sprechen, Singen und Spielen der Abenteuer.


4. Bedeutung der Team-Teaching-Stunden

Die Team-Teaching-Stunden (TT-Stunden) werden besonders intensiv vorbereitet. Sie sind das Kernstück des gemeinsamen Unterrichts. Die weiteren Unterrichtsstunden des Regelunterrichts und des Muttersprachenunterrichts richten sich danach.
Die Ritualisierung von Unterrichtssequenzen und Klassenregeln, die gemeinsame Einführung von Freier Arbeit und Wochenplanarbeit vermittelt den Kindern Sicherheit, Klarheit und Verbindlichkeit, da die Regeln für den Unterricht beider Lehrerinnen gelten.
Die gemeinsame Arbeit an einem sachunterrichtlichen Thema oder an einem Projekt und die damit verbundenen Wortschatzerweiterung in beiden Sprachen entspricht unserer Zielsetzung, die Erst- und Zweitsprache gleichermaßen zu fördern. Nach der TT-Stunde wird das Thema in dem Regelunterricht in Deutsch und im MSU in Türkisch weiter behandelt.
Von Anfang an wird in den TT-Stunden kontrastiv gearbeitet. Nur wenn die Kinder die Unterschiede in der deutschen und türkischen Sprache kennen, können sie Fehler vermeiden. Den deutschen Kindern kommt diese Sprachbetrachtung zu gute, ihnen werden Regeln und Phänomene der deutschen Sprache bewusster.
Das Erkennen von grammatischen Strukturen und ihre progressive Erweiterung sind ebenfalls Themen für die TT-Stunden. In diesen Stunden sehen wir wieder einen Gewinn für deutsche und türkische Kinder.


5. Ergebnisse unserer Arbeit

Wir können auf einige Jahre Koala zurück blicken und Ergebnisse feststellen. Trotzdem kann ich nicht generalisieren und sagen, dass Koala die einzige Methode ist, den Schulerfolg bei türkischen Kindern zu erhöhen. Eine wissenschaftliche Untersuchung und Auswertung wurde bisher nicht vorgenommen. Trotzdem sind einige Erfahrungen für Koala symptomatisch, sie möchte ich hier benennen:
Durch Koala erfahren die türkischen Kinder eine Ich-Stärkung. Normalerweise verhalten sie sich im Regelunterricht abwartend, sprechen kaum oder gar nicht und äußern sich nur in kleineren Gruppen (zum Beispiel im Förderunterricht). In den Koala-Klassen zeigt sich eine erhöhte Gesprächsbereitschaft bei den türkischen Kindern, sie wissen, dass sie auch türkisch sprechen dürfen und verstanden werden. Das fördert die Lernbereitschaft und Motivation der Kinder insgesamt.
Der Exkurs in die türkische Sprache ist für die deutschen Kinder wiederum eine hilfreiche Erfahrung, sie stellen fest, wie es ist, eine fremde Sprache nicht zu verstehen. Das fördert die Hilfsbereitschaft und die Bereitschaft zur Zusammenarbeit.
In den Koala-Klassen stellt man eine große Akzeptanz der unterschiedlichen Sprachen und Kulturen fest. Eine positive Lern- und Arbeitsatmosphäre ist nur eine Auswirkung darauf.
Ob sich die regelmäßige Sprachbetrachtung auf das Fremdsprachenlernen (Englisch ab Klasse 3) positiv auswirkt, wird man am Ende der Grundschulzeit feststellen.


6. Schlussbemerkung

Koala ist mehr als eine Alphabetisierungsmethode. Es ist die Idee von gemeinsamem Unterricht verschiedener Kulturen und die Umsetzung von Verständnis und Toleranz.