Volksheim (Hamburg) - 2. Phase von 1920 – 1929

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Eine Organisation wird demokratisiert – Die Jugendbewegung forciert den Richtungswechsel


Was war das Hamburger Volksheim?

In seiner mittlerweile über einhundertjährigen Geschichte veränderte sich das Profil des Volksheimes, gewissermaßen im Gleichklang mit der geschichtlichen Entwicklung Deutschlands, mehrmals grundlegend. Um den historischen und inhaltlichen Prozess des Volksheimes dennoch adäquat nachzeichnen zu können, erscheint es sinnvoll, die Entwicklung in vier, sich überlappende Phasen einzuteilen. Als Anhaltspunkt dafür dienen die zahlreichen Satzungsänderungen des Vereins Volksheim e.V..
Der erste Abschnitt reicht von der Gründung im Jahr 1901 bis in die Anfänge der Weimarer Republik 1920. Hier beginnt die zweite Phase, die etwa 1929 endet. Die darauf folgende dritte Etappe wird unterbrochen durch die Herrschaft der Nationalsozialisten und den 2. Weltkrieg. In dieser Zeit steht das Volksheim – ähnlich wie andere gleichgeschaltete Nachbarschaftsheime – voll unter dem Diktat der NSDAP und übernimmt propagandistische, kontrollierende und versorgende Aufgaben. Mit der Neugründung 1945 kommt es vor allem programmatisch zu einer Fortsetzung, der vor der Nazizeit begonnenen dritten Etappe. Schon wenige Jahre nach Ende des 2. Weltkrieges verändert sich das inhaltliche Profil des Volkheimes und mündet erneut in einer geänderten Satzung und in einem neuen Namen. In der damit begonnenen vierten Phase heißt das Volksheim "Kulturelle Vereinigung Volksheim e.V.".
Ausgelöst durch die Reformbereitschaft der Jugendbewegung und durch den Erneuerungsbedarf nach dem 1. Weltkrieg erlebt das Volksheim 19 Jahre nach seiner Gründung eine bis dahin nie da gewesene inhaltliche wie organisatorische Entfaltung.

Idee

Mit der » Satzungsänderung des Jahres 1920 wandelte sich nicht nur das äußere Erscheinungsbild des Volksheimes, sondern vor allem auch die Altersstruktur der Mitglieder. Die veränderten Rahmenbedingungen zogen die inhaltliche Angleichung einiger Tätigkeitsschwerpunkte nach sich. Ausgelöst wurde die Debatte, die letztlich zu einer demokratischeren Organisationsstruktur innerhalb des Volksheimes führen sollte, von den Teilnehmern der Lehrlings- und Gehilfenvereine. Der Grund, warum es in den bis dahin recht autoritär geführten Jugendgruppen zum Richtungsstreit kam, liegt in dem Einfluss der sich zusehends ausbreitenden » Jugendbewegung sowie in einer generellen Glaubwürdigkeitskrise der bisherigen Autoritäten nach dem 1. Weltkrieg begründet. Bereits ab 1900 etablierte sich in Deutschland die sogenannte "Wandervogel-Bewegung", die als Vorläufer der Pfadfindergruppen gilt. Gemeinsam mit 14 anderen Jugendgruppierungen erfolgte 1913 der Zusammenschluss zur "Freideutschen Jugend", die ihren Glaubenssatz in der sogenannten "Meißnerformel" festschrieb. Darin heißt es unter anderem: "Die Freideutsche Jugend will nach eigener Bestimmung vor eigener Verantwortung in innerer Wahrhaftigkeit ihr Leben gestalten. Für diese innere Freiheit tritt sie unter allen Umständen geschlossen ein (» http://www.payer.de/kommkulturen/kultur062.htm)". Diese Jugendbewegung verstand sich bewusst als Protestbewegung gegen die Generation, die Deutschland in den Krieg geführt hatte und auch danach nicht in der Lage war, eine ehrliche und verheißungsvolle Lebensperspektive aufzuzeigen. Die Teile der Jugend, die durch diese Bewegung erfasst wurden, weigerten sich an einem Erziehungsprozess teilzunehmen, der ausschließlich durch eben jene Erwachsene gesteuert wurde, welche die Orientierungslosigkeit der Kinder und Jugendlichen fortwährend für ihre Ziele ausnutzten. Darum sollten die neuen Leiter der Jugendgruppen auch aus den eigenen Reihen kommen. Innerhalb der verschiedenen Volksheim-Jugendgruppen entstand vor diesem Hintergrund und durch die erzwungenen Mitbestimmungsmöglichkeiten eine Dynamik, die es den Verantwortlichen (namentlich Walther Classen) unmöglich machte, an ihrem fürsorgerischen und jugendpflegerischen Konzept festzuhalten. Die Jugendlichen setzten von nun an verstärkt auf das Prinzip der Selbsterziehung und auf kritische Partnerschaft mit den erwachsenen Entscheidungsträgern.
Damit kam gleichsam auch die Leitidee der frühen Volksheim-Jahre auf den Prüfstand. Die Überbrückung sozialer Gegensätze hatte für das Bürgertum besonderen Eile und Charme, solange die gewaltsame und umfassende Veränderung der bestehenden Macht- und Besitzverhältnisse noch abwendbar erschien. Mit den überwältigenden Wahlerfolgen der Sozialdemokraten und Sozialisten ab 1912 und der Revolution des Jahres 1918 verlor jedoch diese Hoffnung letztlich an Substanz. Westerkamp liefert zu diesem Aspekt ein treffendes Zitat von Heitmann:
"Als werbende Grundidee ist der Gedanke der Überbrückung in dem Zeitalter der Sozialisierung, der Einheitsschule und des demokratischen Wahlrechts schlechterdings unmöglich geworden. – Mit Recht wird der Arbeiter fragen: Ihr wollt überbrücken? Lieber Freund, die Zeiten sind vorbei, wo das nötig war. Wir sorgen dafür, dass die Überbrückungsarbeit überflüssig wird. Und ebenso wird die andere Seite sagen: Lieber Freund, du scherzest, wir sollen überbrücken? Das sind vergangene Zeiten! Wir wollen froh sein, wenn man nicht mit dem Schlitten über uns hinwegfährt" (Westerkamp zitiert Heitmann in Soziale Arbeitsgemeinschaft Ost, 1929, S. 9)
Die veränderte gesellschaftliche Situation, sowie die reformierten Organisationsstrukturen führten im Grunde zu einer Umkehr der Kräfteverhältnisse innerhalb des Vereins. Konnte in den ersten zwei Jahrzehnten Volksheim-Arbeit eine weitgehende Dominanz und Eindimensionalität von Seiten des Bürgertums feststellt werden, so kam es ab 1920 zu einem deutliche Übergewicht der proletarischen Arbeiterschaft. Dessen ungeachtet blieb aber auch in dem geänderten Zweckparagraphen der neuen Satzung das Postulat der parteipolitischen und konfessionellen Neutralität erhalten. Wie aus dem Text der Satzung hervorgeht, gehörte es dennoch zu den vornehmlichen Aufgaben des Volksheimes, Einigkeit zu stiften. Diese ist freilich – im Gegensatz zum ursprünglichen Ansatz – nicht mehr nur in dem Verhältnis zwischen arm und reich oder Klassen und Schichten zu begreifen, sondern vielmehr in der Förderung von (Volks-) Gemeinschaften und Gemeinsamkeiten innerhalb der Arbeiterschaft und der Jugend. An dieser Stelle wird deutlich, dass die settlementtypische Grundhaltung, die auf Klassenversöhnung ausgerichtet war, einer sozialpädagogischen Einstellung mit dem Ziel der Gemeinschaftsbildung gewichen ist (Oelschlägel in Sozial Extra 11/91, S. 14).

Gesellschaftliche Situation

Die fundamentalen Veränderungen innerhalb der deutschen Staats- und Gesellschaftsordnung, die durch das Ende des ersten Weltkrieges und durch die unmittelbar anschließende Novemberrevolution ausgelöst wurden, fanden ihren Widerhall in fast allen Bereichen menschlichen Lebens. Darum kann es auch kaum verwundern, dass die Phase der tiefgreifenden Erneuerung im Hamburger Volksheim mit diesem großen Umbruch innerhalb der deutsche Geschichte einher ging. Auf Grund der Vielzahl an historischen, gesellschaftlichen und politischen Ereignissen in dieser Zeit kann die Darstellung der gesellschaftlichen Situation der » Weimarer Republik in diesem Rahmen doch nur fragmentarisch bleiben.
Das Ende des 1. Weltkrieges bedeutete zugleich das Ende der Monarchie in Deutschland. Noch vor Abschluss der letzten Kriegshandlungen wurde in den höchsten kaiserlichen und militärischen Kreisen die Übergabe der Regierungsgewalt an eine » Mitte-Links-Koalition unter Führung des Prinzen Max von Baden beschlossen. Der Gedanke, der hinter diesem Vorhaben stand, zielte darauf ab, die Schmach des verlorenen Krieges sowie die zu erwartenden » exorbitant hohen Reparationsleistungen und Gebietsabtretungen, aber auch die nötige Aufbauarbeit in die Verantwortung einer sozialdemokratisch besetzten Regierung abzuschieben. Trotz des formalen Regierungswechsels kam es Ende Oktober 1918 zu dem » Aufstand der Kieler Matrosen, in dessen Folge sich die Revolution wie ein Strohfeuer über ganz Deutschland ausbreitete. Unter dem Druck der revoltierenden und streikenden Massen dankte Kaiser Wilhelm II am 9. November des Jahres 1918 offiziell ab. Kurze Zeit später rief Philipp Scheidemann, Fraktionsvorsitzender der Mehrheitssozialdemokraten, » von einem Fenster des Reichtages aus die erste deutsche Republik aus. Die folgenden Jahre der Weimarer Republik waren gekennzeichnet durch eine fast unüberschaubare Menge an politischen Strömungen, Notverordnungen, wechselnden Regierungen, politischen Ränkespielen und Intrigen sowie einer auf Interessenausgleich abzielenden Außenpolitik. Bestrebungen, einen gewissen Normalitätszustand zu erreichen und diesen zu stabilisieren, scheiterten immer wieder an dem Machtanspruch einzelner Parteien oder Splittergruppen bzw. der Einmischung von Teilen des Militärs in die aktive Politik. Begünstigend hierfür wirkte u.a. die fragile Mehrheitenverteilung innerhalb des Reichstages, die » Machtfülle des Reichspräsidenten, sowie die äußerst angespannte wirtschaftliche und soziale Lage. In den 15 Jahren ihres Bestehens regierten allein über 30 Regierungen die neugegründete Republik. Durch ihre mitunter fahrlässigen politischen Handlungen waren sie entweder mit politischem Kalkül, oder durch Naivität an der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten entscheidend mit beteiligt (Sturm in Bundeszentrale für politische Bildung Nr. 261/1998, S. 56ff.)
Just in dem Moment, als die alte Staats- und Gesellschaftsordnung 1918 zusammenbrach, entzweite sich die sozialistische Arbeiterbewegung unwiderruflich. Während die Mehrheitssozialdemokraten (MSPD) zusammen mit der Mehrheit der bürgerlichen Parteien für die Gründung eines parlamentarischen Staates mit demokratischer Verfassung eintraten, forderte der radikalere Flügel der Arbeiterbewegung, die Unabhängige Sozialdemokratische Partei (USPD) gemeinsam mit dem Spartakusbund, die Einführung einer sozialistischen Räterepublik nach sowjetischem Vorbild. Das Programm der MSPD sah überdies – im Gegensatz zu dem der USPD und späteren KPD – keine Enteignung und Sozialisierung der Produktionsmittel im Sinne der Theorie des revolutionären Marxismus mehr vor. Vielmehr blieben die kapitalistisch-monarchistischen Strukturen innerhalb von Wirtschaft, Heer und Bürokratie faktisch unberührt Diese Politik der Anpassung und des rationalen Ausgleichs zwischen den verschiedenen Gruppierungen führte letztlich zu einer noch deutlicheren Abgrenzung der USPD (ab 1920 in KPD und SPD aufgegangen) von den ehemaligen Weggefährten. Im Laufe der Entwicklung der Weimarer Republik radikalisierte und isolierte sich die KPD zunehmend, bis schließlich die SPD (1920 umbenannt) zum unmittelbaren politischen Hauptgegner wurde. Selbst temporäre Koalitionen mit rechtsradikalen Parteien, wie beispielweise mit der NSDAP, wurden billigend in Kauf genommen. Als 1933 Hitlers Ernennung zum Reichskanzler erfolgte, war es die SPD, die ein Angebot der KPD zur Bildung einer "Einheitsfront" ausschlug und damit die letzte Chance zur Verhinderung der folgenreichen NS-Herrschaft vergab.
Auch in anderer Hinsicht wirkten sich die politischen Wirren nachhaltig auf die Belange der Bevölkerung aus. Um die Zinszahlungen und Schuldentilgung der Kriegs- und Reparationskredite weiterhin zu gewährleisten und um die Produktionsausfälle des durch Frankreich besetzen Ruhrgebietes zu kompensieren, nahmen die wechselnden Regierungen stetig neue Kredite auf. Der Druck und die Ausgabe von neuen Banknoten durch die Reichsbank erfolgte in gleichem Maße, wie der Staatshaushalt ausgeglichen werden musste und Devisen zur Reparationszahlung eingekauft wurden. Auf diese Weise entwickelte sich die ohnehin schon galoppierende Inflation ab Juli 1923 zur Hyperinflation. Die » Geldmenge stieg ins Astronomische, bevor die Mark letztlich ihre Funktion als Tausch und Wertsicherungsmittel vollständig verlor. Zu den » Gewinnern dieser Entwicklung zählten all jene, die mit dem neuen Geld schlagartig ihre (Vorkriegs-) Schulden abbezahlen konnten, beispielsweise auch Mieter und Pächter, die einen vertraglich festgelegten Zins monatlich zu entrichten hatten. Die Verlierer der Hyperinflation waren neben den Gläubigern, die vielen Bezieher fester Geldeinkommen (Arbeitnehmer, Rentner, Invaliden, Vermieter etc.) ebenso wie die vielen Besitzer von Sparguthaben. Diejenigen, die alles verloren, waren in der übergroßen Mehrheit.
Die Jahre zwischen 1924 und 1928 waren eine Phase des wirtschaftlichen Aufschwungs. Die Industriegüterproduktion sowie der Warenexport überstiegen erstmals das Vorkriegsniveau, und die Arbeitslosenzahl erreichte 1928 mit 1,8 Millionen Erwerbslosen den niedrigsten Stand in den zwanziger Jahren. Deutschland war zu dieser Zeit in besonders hohem Maße von dem Warenexport ins Ausland und der allgemeinen Weltwirtschaftslage abhängig. Als es im Oktober 1929 zum » New Yorker Börsenkrach kam, in dessen Folge nicht nur die Nordamerikanische Wirtschaft sondern auch große Teile der » Weltwirtschaft kollabierten, löste das eine bisher nicht für möglich gehaltene Kettenreaktion aus. Der amtierende Reichskanzler Brüning reagierte auf diese dramatische Entwicklung mit einer » Deflationspolitik. Das Ziel dieses – aus heutiger Sicht – volkswirtschaftlich verheerenden Vorgehens sollte die Zahlungsunfähigkeit des Reiches und somit die endgültige und für Deutschland günstige Neuregelung der Reparationsforderungen sein. Das Ausbluten der Wirtschaft nahmen Brüning und sein Kabinett dabei ebenso in Kauf, wie die massenhafte Verarmung der Bevölkerung und 1932 über » 6 Millionen Arbeitslose.
Die Regierung Hitler legte 1933 gleich nach Amtsantritt, ein auf Kredit finanziertes Arbeitsbeschaffungsprogramm auf, das zugleich als Initialzündung für die gesamte Wirtschaft galt. Mit der Überwindung der Wirtschaftskrise erfüllte Hitler die in ihn und seine Regierung gesetzten Hoffnungen weitgehend.

"Es wäre für Deutschland und die Welt besser gewesen, wenn Hitler als Reichskanzler ... diese Hoffnung enttäuscht hätte. Weil sein Kabinett sie aber erfüllte, auf schnellem Wege und mit einfachen Mitteln, die auch Brüning hätte einsetzten können, wurden aus den Wählern der NSDAP dankbare Nationalsozialisten, die nunmehr Jahre hindurch für richtig hielten, was Hitler anordnete. Ohne diese Dankbarkeit der Massen, die nach 1933 wieder einen Arbeitsplatz gefunden hatten, hätte Hitler seine außenpolitischen Abenteuer und seinen innenpolitischen Terror nicht wagen können."

Quelle: Ziemer, 1971, S. 57

Ziele

Ähnlich wie in den ersten zwei Jahrzehnten der Hamburger Nachbarschaftsarbeit versuchten auch die reformfreudigen Jugendgruppen, die das Erscheinungsbild des Volksheimes fortan bestimmten, Einigkeit zwischen den verschiedenen Volksschichten zu stiften. Das dahinter stehende Ziel, die gesellschaftliche Integration aller Volksschichten, sollte jedoch aus eigener Zielbestimmung und nicht länger durch Klassenversöhnung bzw. Anpassung an die Interessen und Neigungen der besitzenden und gebildeten bürgerlichen Klasse erreicht werden. Vielmehr rückte nun Gemeinschaftsbildung sowie ganzheitliches Erleben, als Instrument zur Beteiligung aller, in den Mittelpunkt der Arbeit. Nachdem die Satzung nun zumindest formal demokratische Züge aufwies, sollte das Volksheim zu einem Ort der verschiedenen Lebensauffassungen und des gegenseitigen Lernens werden. Wie die weitere Entwicklung jedoch zeigt, gelang es der mitunter recht elitär auftretenden Jugendbewegung nur in Ansätzen, diese verschiedenen Lebenswirklichkeiten miteinander zu verflechten. So mussten sich die Verantwortlichen bereits 1917 (also mitten im Richtungsstreit) in einer Mitgliederversammlung den Vorwurf gefallen lassen, dass sie eine Auslese unter den Besuchern treffen würden. Der Vorwurf lautete weiterhin: "ihrem Ursprung nach schließt sie (die Jugendbewegung) auch praktisch jeden aus, der nicht über bestimmte Bildung und gewisse freie Zeit verfügt" (von Kietzell zitiert aus den Monatlichen Mitteilungen 2/3-1917 in Krahulec, 1993, S. 85).
Im letzten Passus des neuen Zweckparagraphen, der die "Stärkung des Gefühls der gegenseitigen Verantwortung" einmahnt, klingt noch einmal die Notwendigkeit zur praktischen Solidarität an, welche gerade in den Hunger- und Mangeljahren der Nachkriegszeit von außerordentlicher Bedeutung war (von Kietzell in Krahulec, 1993, S. 86).

Leitbilder

An die Grundüberzeugung der Gründungsjahre anschließend, wurde der persönlichen Begegnung immer noch eine besondere Bedeutung bei der Ausbildung von zwischenmenschlichen Beziehungen beigemessen. Allerdings ging es dabei nicht mehr nur um die Beziehung zwischen Gast und Mitarbeiter. Von nun an wurden vor allem die Beziehungen und das Gemeinschaftsgefühl zwischen den Gästen und innerhalb der Gruppen gefördert. Die klassenversöhnende Komponente der Settlement-Arbeit trat damit völlig in den Hintergrund.
Ihrem Ansatz nach ließen sich die jugendbewegten Gruppen nicht mehr von Autoritäten beeinflussen, denen sie sowohl als Erwachsene, wie auch als Gruppenführer nicht mehr vertrauten. Stattdessen favorisierten sie das Prinzip der selbstgeführten Jugendgruppen, in denen Selbsterziehung zum leitenden Prinzip wurde. Damit setzte erstmals eine gewisse Emanzipation gegenüber der Erziehung durch Erwachsene ein. Die Glaubwürdigkeitskrise der kaisertreuen Generation, welche mit heldenhaft-mythisch verklärten Durchhalteparolen die Orientierungslosigkeit der Jugend für ihre Zwecke missbrauchte, macht deutlich, wie tief der Riss nicht nur in der Gesellschaft, sondern auch durch das Hamburger Volksheim verlaufen musste. Das mag auch einer der Gründe gewesen sein, weshalb innerhalb der Jugendbewegung ein stark naturalistisch-romantisch geprägtes Weltbild herrschte. Die Natur, und die mit ihr verbundene Reinheit sowie Unverfälschtheit, wurde als Gegenstück zu der moralisch verkommenen, engen und monotonen Stadt stilisiert. Nur durch den » Aufenthalt und die Bewegung im Freien sei es möglich, den "Plunder der Zivilisation... (abzuwerfen, A. d. A.) ...und wesentliche und echte Erlebnisse" zu erfahren (von Kietzell zitiert einen Jugendgruppenleiter in Krahulec, 1993, S. 85). Die Natur wurde für viele perspektivlose und enttäuschte Jugendliche dieser Jahre zur eigentlichen Fluchtmöglichkeit, wobei die Jugendbewegung ihr Ausdruck war.
Auch in der geänderten Satzung des Jahres 1920 tauchte erneut der Ausschluss jeglicher parteipolitischer und konfessioneller Parteibestrebungen auf. Für die Geschäftsführerin der Sozialen Arbeitsgemeinschaft Ost drückte sich in der angesprochenen Passage die Absicht aus, "dass man zu jener Zeit Menschen aller Volksschichten in Wirklichkeit gar nicht wollte, oder sie wenigstens nur gegen von vornherein bedingungslose Unterwerfung" akzeptierte (Westerkamp in Soziale Arbeitsgemeinschaft Ost, 1929, S. 10). Schließlich gehörten die Jahre der Weimarer Republik zu den turbulentesten, gesellschaftspolitischen Phasen der deutschen Geschichte. Schon aufgrund der ständig erforderlichen Neuwahlen, den Massenstreiks und den Großdemonstrationen war es so gut wie unmöglich, sich der politischen Parteinahme zu enthalten. Die damit qua Satzung festgeschriebene gesellschaftliche Isolation begünstigte zugleich die » Elitenbildung innerhalb des Volksheimes nicht unerheblich.


Umsetzung

Mit der Öffnung der Beitrittsvoraussetzungen – zugunsten einer demokratischeren Satzung – änderte sich die Altersstruktur, sowie das Kräfteverhältnis innerhalb des Volksheimes. Die jugendlichen Mitglieder wurden zur treibenden Kraft im Verein. Der damit zugleich eingeläutete Rückgang an zahlungsfähigen und -willigen Mitgliedern stürzte die Organisation in eine ernsthafte finanzielle Krise. Über lange Abschnitte konnte in den zwanziger Jahren kein hauptamtlicher Mitarbeiter mehr bezahlt werden. Auf diese Weise bildete sich ein fester Stamm an ehrenamtlichen Helfern heraus, der wiederum ein Betreiben der Rechtsauskunftsstelle und der Theatertätigkeit erst möglich machte.

Jugendarbeit

Die Angebotsstruktur des Hamburger Volksheimes wurde in den Nachkriegsjahren eindeutig durch die Jugendarbeit und den Reformwillen der jugendbewegten Gruppen beherrscht. In den vormals streng geführten Lehrlings- und Gehilfenvereinen setzten sich die selbst geführten Jugendgruppen durch. Die angebotenen Aktivitäten tragen deutlich die Handschrift der Jugendbewegung, sowohl was das Vokabular, als auch was die strikte Naturorientierung betrifft. So kann es ebenfalls nicht verwundern, wenn im Mittelpunkt des kulturellen Gruppenlebens die gemeinsamen Ausflüge und Wanderungen standen. Die Teilnehmer an den Streifzügen in die Umgebung gehörten zum überwiegenden Teil der Altersklasse der 12 bis 20 Jährigen an. Die Gruppenleiter waren meist drei bis sechs Jahre älter als die Gruppenmitglieder, was unter anderem aus Autoritätsgründen als vorteilhaft angesehen wurde. In der Gemeinschaft unter Gleichgesonnenen suchten sie nichtalltägliche, ganzheitliche Erfahrungen und Abenteuer, die mit allen Sinnen erfahrbar waren. Die Reiseziele beschränkten sich dabei nicht nur auf die unmittelbare Hamburger Umgebung – auch Fahrten bis nach Lappland und Afrika krönten das Programm. Die mit den Aktivitäten (wieder-) gewonnene und erlebte Freiheit bildete das Gegengewicht zu einem Alltag, der insbesondere in den Nachkriegsjahren von Perspektivlosigkeit und Resignation geprägt war (Sabelus in Lindner, 1997, S. 105ff.).
Während der Weimarer Jahre erweiterte sich die kulturelle Angebotspalette um ein neues Element. Es waren die neugegründeten Tanz- und Volksschauspielgruppen. Sie fanden rasch Anklang in der Nachbarschaft und prägen letztlich das Bild des Vereins bis in unsere Tage.


Historische Bedeutung

Es der Aspekt der Demokratisierung einer vormals einseitig ausgerichteten Organisation, der als historisch bedeutsam gelten kann. Mit geballtem und energischem Auftreten forderte die Jugendbewegung ein Mitbestimmungsrecht über den weiteren Weg "ihres" Volksheimes ein. Dass die damit verbundenen Einschnitte in die finanzielle und personelle Konstitution des Vereins durch eine Vielzahl ehrenamtlicher Helfer und Spender kompensiert werden konnten, erscheint in jedem Fall bemerkenswert. Gerade dieser organisatorische Weg gilt bei zahlreichen soziokulturellen Vereinen und Projekten heutzutage als die einzige Möglichkeit ihr Bestehen, und damit gesellschaftlich notwendige Arbeit abzusichern. Insofern nahmen die Aktiven im Volksheim auch hier eine Vorreiterposition ein.
Eine weitere Besonderheit der zweiten Phase ist der Abschied von der Klassenüberbrückungsidee. Indem die organisatorischen Hemmnisse mit der neuen Satzung überwunden wurden, "fiel die Schranke zwischen Besuchern und Mitarbeitern" (Oestreich, 1965, S. 49). Der beabsichtigten Klassenversöhnung hätte nun eigentlich nichts mehr im Wege gestanden, doch die Leitidee der Gründerjahre hatte an Kraft verloren, und die bürgerlichen Mitarbeiter wendeten sich mehrheitlich vom Volksheim ab. Und dennoch: Trotzt aller Einschränkungen, etwa dem Grundsatz der parteipolitischen Neutralität, wandelte sich das Volksheim in dieser Etappe von einem Heim für das Volk zu einem Heim des Volkes (von Kietzell in Krahulec, 1993, S. 75, Hervorhebungen nicht im Original).


Fragen zum Hamburger Volksheim der 2. Phase

  • Wie kam es zum Richtungswechsel im Konzept des Hamburger Volksheimes? Gehen Sie dabei auch auf die gesellschafts- und sozialpolitischen Rahmenbedingungen ein.
  • An welchen Stellen fanden originäre Elemente der Jugendbewegung Eingang in das Konzept? Erläutern Sie diese.
  • Wie Bewerten sie den Abschied von der "Klassenüberbrückungsidee" vor dem Hintergrund der allgemeinen Ziele der Settlement-Bewegung?
  • Warum ist wichtig bei der Betrachtung der Entwicklung der Gemeinwesenarbeit in Deutschland die zweite Phase des Volksheimes zu betrachten?