Die internationale Bibliothek

Implementation im Rahmen des Internationalen Bibliotheksstipendiums der Bertelsmann Stiftung und BI International


(Vortrag im Rahmen der Tagung "Immigrazione e biblioteche pubbliche: progetti di integrazione e prospettive in Italia e Germania" der Goethe Institute Inter Nationes Genua und Neapel am 9.12.2002 in Neapel)

Kontakt: 

Stadtbuecherei Frankfurt am Main, Birgit Lotz (44.6 Dezentrale Bibliotheken/Leitung), Zeil 17 - 21, 60313 Frankfurt am Main, Tel.: 069 / 212-38354, Fax: 069/212-37949, eMail: birgit.lotz@stadt-frankfurt.de

Eine ausführlichere Projektbeschreibung finden Sie unter: http://www.bertelsmann-stiftung.de/documents/Lotz_Endfassung_uw021220.pdf 


1.) New York – Queens Library - Das Internationale Bibliotheksstipendium der Bertelsmann Stiftung und BI International

Perspektiven für eine "Internationale Bibliothek" kennen zu lernen, so lautete der Arbeitsauftrag im Rahmen des 18-monatigen Internationalen Bibliotheksstipendiums der Bertelsmann Stiftung und BI- International, das die Abteilungsleiterin der Dezentralen Bibliotheken der Stadtbücherei Frankfurt am Main, Birgit Lotz, im Mai 2001 erhalten hatte. Das Bibliotheksstipendium – Ende 2002 lief der zweite Zyklus an – hat zum Ziel, je vier Führungskräfte aus dem deutschen Bibliothekswesen zu fördern. Beabsichtigt ist, dass diese durch einen vierwöchigen Aufenthalt in führenden internationalen Bibliotheken best practices im Ausland kennen lernen und anschließend in Deutschland umsetzen. Die Ergebnisse sollen der Fachöffentlichkeit zugänglich gemacht werden und dienen so dem Wissenstransfer.
Aufgabe war es nun, für "Die Internationale Bibliothek" während des vierwöchigen Aufenthaltes im Sommer 2001 in der "State-of-the-art"-Bibliothek auf diesem Gebiet, in der Queens Borough Public Library in New York, zu recherchieren. Im Mittelpunkt standen Angebote und Services diese Bibliothek für ausländische Mitbürger. Daneben waren in zweiter Linie auch die dafür nötigen Kompetenzen der Bibliotheksmitarbeiter Bestandteil der Untersuchung in der Queens Library. Im September 2001, direkt nach der Rückkehr aus New York, berichtete Frau Lotz allen Kolleg/innen der Stadtbücherei über New York und von der Queens Library. Kurz darauf gab es bereits verschiedene Rückmeldungen dahingehend, dass bereits vom Vortrag Impulse auf die Arbeit hier in der Stadtbücherei ausgegangen sind. Der "Blick über den Zaun" hatte sich also schon gelohnt ...
Die knapp acht Millionen Einwohner umfassende City of New York besteht aus fünf Bezirken, sogenannten Boroughs (The Bronx, Brooklyn, Manhattan, Queens und Staten Island), die von drei voneinander völlig unabhängigen Bibliothekssystemen mit jeweils zahlreichen Zweigstellen versorgt werden. Queens, wie Brooklyn am westlichen Ende von Long Island gelegen, wird erschlossen durch das 63 Standorte umfassende Bibliotheksnetz der Queens Borough Public Library (QBPL), dem fünftgrößten Bibliothekssystem der Vereinigten Staaten. Die höchsten Zahlen dieser drei New Yorker Bibliothekssysteme kann die QBPL nachweisen: Jährlich werden 17,5 Millionen Medien ausgeliehen und die Zahl von 16,6 Millionen Besuchern ermittelt.
Der Borough Queens hat etwa 2 Millionen Einwohner; gemäß neuester Ergebnisse der alle zehn Jahre statt findenden Volkszählung aus dem Jahre 2000 leben in diesem New Yorker Borough Menschen aus mehr als 160 Nationen zusammen; jeder dritte Einwohner stammt aus einem anderen Land als den Vereinigten Staaten und in etwa der Hälfte aller Haushalte wird eine andere Sprache als Englisch gesprochen. Diese sich kontinuierlich wandelnde Einwohnerschaft des sprachlich und kulturell sehr verschiedenartigen Borough Queens bringt sich stets ändernde Bedürfnisse und Anforderungen an die Bibliothek mit sich.
Vordringliches Ziel der QBPL ist es, die Bedürfnisse der Community zu erfüllen bzw. sogar zu antizipierten – Kundenorientierung im weitesten Sinne stellt das oberste Prinzip für Zielgruppendefinition und vorausschauende Maßnahmenplanung dar. Die Queens Library ist sich dabei der Vielfalt der dynamischen Bevölkerung ihres Einzuggebiets bewusst und sieht ihre Aufgabe vor allem darin, für diese Zielgruppe spezielle bibliothekarische Dienstleistungen anzubieten. 1977 entschied daher das damalige Direktorium der Queens Library mit LSCA-Mitteln, das zunächst auf fünf Jahre begrenzte New Americans Project (NAP, später: New Americans Program), wie es damals noch hieß, zu gründen. Ziel war es dabei, einen systemweiten Service zu gewährleisten und sich nicht nur auf ein Teilgebiet des Borough zu beschränken. Dennoch stand im Mittelpunkt, zum einen ein Angebot zu kreieren, das auf die jeweilige Bevölkerung des Einzugsgebietes einer Zweigstelle zugeschnitten ist. Zum anderen sollte bewusst der Service nicht auf rein bibliothekarische Dienstleistungen beschränkt sein, sondern um Bereiche erweitert werden, die normalerweise Bibliotheken nicht anbieten. Explizit war es also Ziel, nicht nur "books on shelfs waiting for users" anzubieten, sondern aktiv auf Leser zuzugehen und "to create work that normally libraries don’t do". Eindeutiges Ziel aller Aktivitäten des New Americans Program der Queens Library ist es – vereinfacht ausgedrückt –, zunächst die neu ins Land gekommenen Einwanderer in die Bibliotheken zu bringen und sie somit auf die Existenz von Bibliotheken hinzuweisen und ihnen deren Aufgaben näher zu bringen. Als zweiter Schritt folgt dann die Entfaltung des professionellen bibliothekarischen Könnens, also des zielgruppenspezifischen Bibliotheksangebots.
NAP wurde als eigene Einheit gegründet, zu deren ausschließlichem Aufgabengebiet es gehören sollte, Services für neue Immigranten zu entwickeln und anzubieten. Wichtig war es hierbei, dass sich ganztags ein professionell besetztes Team um diese Angebote kümmern sollte. Mit diesem Schritt fiel die Entscheidung, längerfristig Services eines größeren Ausmaßes für die multikulturelle Zielgruppe anzubieten – ein Entschluss, der von den NAP-Teammitgliedern als Garant für konstante qualitative Angebote und dadurch letztlich als Durchbruch zum Erfolg angesehen wird. Bereits früh zeichnete sich ab, dass Mitarbeiter mit speziellen Sprachkenntnissen für den Erfolg von NAP unabdingbar sind: Das heutige Team hat (muttersprachliche) Kenntnisse in Spanisch, Italienisch, Portugiesisch, Französisch, Chinesisch, Tagalog, Russisch und Jiddisch; darüber hinaus beherrschen fast alle Mitarbeiter weitere Sprachen.
Gleich von Anfang an wurde die Arbeit von NAP von zwei wesentlichen Säulen getragen, die auch heute für den anhaltenden Erfolg verantwortlich sind: "community analysis and partnership building with other agencies serving immigrants". Um bekannt zu bleiben, baut die Queens Library persönliche Kontakte aus, ist auf Stadtteilfesten präsent und gibt stets Pressemitteilungen auch an Medien anderer Ethnien in New York. Neben den Kooperationen mit anderen Einrichtungen, die für und mit Immigranten arbeiten, räumt die Queens Library insbesondere der statistischen Analyse der Community einen sehr hohen Stellenwert ein: Heute ist eine Mitarbeiterin von NAP in Vollzeit ausschließlich mit der Auswertung von offiziellen Statistiken und deren Aufbereitung für bibliothekarische Zwecke beschäftigt. Die statistischen Auswertungen werden für alle Planungen und zur Konzeptionierung von Maßnahmen der Queens Library herangezogen: Sie dienen den Mitarbeitern des NAP-Teams zur Koordinierung von Veranstaltungen, bei der Entscheidung, welche Medien in welchen Sprachen für eine Zweigstelle angeschafft bzw. makuliert werden sollen usw.
Der Service, der heute zu den erfolgreichsten bzw. am weitesten verbreiteten Angeboten von NAP gehört, sind ESOL-Kurse (English for speakers of other languages) für Erwachsene ab 16 Jahren. Jedes Jahr werden knapp 80 Sprachkurse in 24 Bibliotheken und in den 6 Adult Learning Centers der QBPL für Teilnehmer kostenlos angeboten und stark nachgefragt. Die Bibliothek betreut damit jährlich knapp 3000 Lernende aus circa 80 Herkunftsstaaten und mit etwa 50 verschiedenen Muttersprachen. Damit rangiert die Queens Library U.S.-weit an erster Stelle der bibliothekarischen Anbieter von Englisch-Kursen für Sprecher anderer Sprachen.
Die ESOL-Kurse verfolgen neben dem Ziel der Vermittlung von Englischkenntnissen auch die Absicht, den Lernenden die Gelegenheit zu geben, die Benutzung von Bibliotheken zu erlernen: Dazu erhält jeder Lernende einen Nutzungsausweis und eine Bibliotheksführung; ebenso wird in jede Unterrichtseinheit eine "library lesson tailored to the Queens Library" integriert. Darüber hinaus werden in Fortgeschrittenenkursen Informationen über naturalization processes und PC- bzw. Internetkenntnisse vermittelt. Neben diesen reinen Sprachlernkursen bietet die Queens Library auch ESOL Literacy classes für diejenigen an, die in ihren Muttersprachen nicht lesen und/oder schreiben können. Es wird vonseiten NAP großer Wert auf professionelle Kursleitung gelegt: Alle ESOL-Kurse werden von einer bibliothekarischen Fachkraft mit einer spezifischen ESOL-Ausbildung zentral betreut und koordiniert, der eine assistentische Kraft zur Seite steht. Beide managen und überwachen etwa 25 Teilzeitkräfte, die die Kurse halten und die ebenfalls ESOL-Abschlüsse nachweisen müssen.
Neben den Sprachkursen bietet NAP weitere Veranstaltungen in den Bibliotheken der Queens Library an: Es sind dies vor allem die Coping Skills- und die Performing Arts/Cultural Arts-Veranstaltungen, für die die QBPL mittlerweile international bekannt ist. Im Berichtsjahr 2000/2001 wurden insgesamt 92 Veranstaltungen angeboten (10 Coping Skills- und 82 Cultural Arts-Veranstaltungen), bei denen zusammen 6213 Teilnehmer (296 bzw. 5917) gezählt wurden.
Die Coping Skills-Programme gelten zusammen mit den ESOL-Kursen als das vitalste Element zur Kontaktaufnahme von Neuzugezogenen untereinander und mit der Bibliothek. Diese Veranstaltungen bringen die Menschen in die Bibliothek und legen so die Basis zur Bindung an die QBPL. Vorträge und Workshops, die von Fachleuten in den in Queens am meisten gesprochenen Sprachen gehalten werden, vermitteln im Rahmen der Coping Skills-Veranstaltungen Informationen und Wissen zu allen Themen, die die Immigranten in ihrem täglichen Leben benötigen. Dazu gehören Veranstaltungen zu den Themengebieten Immigration und relevante Gesetze und Regelungen, Arbeitssuche, berufliche Fort- und Weiterbildung, Gesundheit und Erziehung.
Wie die vorgenannten Veranstaltungen dienen auch die Performing Arts Programs/Cultural Arts hauptsächlich dazu, Neuzugezogene auf die Bibliothek und ihre Angebote aufmerksam zu machen und sie in die Queens Library zu bringen. Daneben soll auch der Vielfalt des Borough und seinen verschiedenen Kulturen Rechnung getragen werden. Diese Veranstaltungen haben künstlerische Darbietungen aus den verschiedensten Bereichen und Kulturen zum Inhalt. Ziele der Performing Arts Programs/Cultural Arts-Veranstaltungen, die stets zahlreiche Besucher auch aus anderen Ethnien verzeichnen, sind:

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      • die kulturelle Vielfalt des Borough Queens soll abgebildet werden
      • die Akkulturation der Neuzugezogenen soll erleichtert werden bei gleichzeitigem Erhalt der Muttersprachen
      • mit diesen Angeboten soll auch das interkulturelle Verständnis der ethnischen Gruppen untereinander begünstigt werden.

Über das Angebot von Kursen und Veranstaltungen hinaus betreibt NAP Bestandsaufbau und verwaltet Spezialsammlungen in fünf Sprachen: So ist es eine der Aufgaben von NAP, über einen eigenen Etat Medien in anderen Sprachen als Englisch für die Zentralbibliothek und insbesondere für die Zweigstellen zu erwerben. Voraussetzung ist wiederum eine genaue Community analysis. Die erworbenen Medien werden Bestandteil des Bestandes der Zweigstelle. Die speziell für diesen Zweck ausgesuchten Medien decken ein breites thematisches Spektrum ab, das von übersetzten Bestsellern, Ratgebern bis zu Klassikern der jeweiligen Sprache reicht und auch ESOL-Lernmaterialien beinhaltet. Die Bibliothek verfolgt auch hier das Ziel, Immigranten nicht nur die Akkulturation über Englischkenntnisse zu ermöglichen, sondern sie auch dabei zu unterstützen, ihre Muttersprachen und Heimatkulturen zu bewahren. So stellen die Sondersammlungen Say Si (Spanisch), Ni Hao (Chinesisch), Hannara (Koreanisch), Privyet (Russisch) und Namaste-Adaab (Bengali, Gujarati, Hindi, Malayalam, Punjabi und Urdu) Bücher, CD, (Sprach-)Videos, Zeitschriften u.v.m. in den in Queens am weitesten verbreiteten Sprachen zur Verfügung. Daneben werden für die einzelnen Zweigstellen je nach deren Bedürfnissen – u.U. auch mit deren Etat – Medien angeschafft in den Sprachen Französisch, Griechisch, Haiti-Kreol, Hebräisch, Italienisch, Polnisch, Portugiesisch usw.
NAP verfügt auch über eigene Bestände, die es über den Mail a book-Service kostenfrei an Privatpersonen, die in Queens leben, versendet, auch an Personen, die keinen Leserausweis haben. Hierfür erstellt NAP annotierte Listen mit jeweils knapp über 120 Titeln, erhältlich in den sieben Sprachen Chinesisch, Französisch, Griechisch, Italienisch, Koreanisch, Russisch und Spanisch. Der Interessent kreuzt die Titel an, die er gerne lesen möchte, schickt die Liste zurück und erhält die Bücher zusammen mit einem adressierten Label für die kostenfreie Rücksendung per Post geschickt. Für den Leser entstehen dabei in der Regel keine Kosten. Pro Monat versendet das NAP-Team über den Mail a book-Service, der Schwellenängste abbauen helfen soll, zwischen 20 und 40 Bücher; knapp 400 waren es im Fiscal Year 2000.


2.) Die Stadtbücherei Frankfurt am Main

Die Stadtbücherei Frankfurt am Main ist ein großstädtisches Bibliothekssystem. Sie besteht aus der Zentralen Erwachsenenbibliothek mit der Musikbibliothek, der Zentralen Kinder und Jugendbibliothek, 19 Stadtteilbibliotheken und einer Fahrbibliothek mit zwei Bücherbussen. Darüber hinaus versorgt die Schulbibliothekarische Arbeitsstelle mit über 50 Schulen ein gutes Drittel der Frankfurter Schulen mit bibliothekarischem Know-How und Medien.
Die Stadtbücherei Frankfurt am Main – mit gut 1,2 Millionen Besuchen pro Jahr die bestbesuchte städtische Einrichtung – stellt etwa 1 Million Medien für die gut 650.000 Einwohner der Stadt bereit; etwa 2/3 der Medien sind für Erwachsene und 1/3 für Kinder. Doch im Bereich der Veranstaltungsarbeit überwiegen die Kinder ganz deutlich: Kinder und Jugendliche gehören zu der Hauptzielgruppe der Stadtbücherei Frankfurt am Main. Daneben bilden traditionell Bestände in Fremdsprachen (hauptsächlich in der Zentralen Erwachsenenbibliothek) ein Angebotsschwerpunkt. In Frankfurt am Main leben etwa 180 Nationen zusammen und haben etwa 1/3 der Bevölkerung keinen deutschen Pass, die Zahl derer, die Deutsch nicht als Muttersprache sprechen, ist wesentlich höher.
Da multikulturelle Bibliotheksarbeit in Frankfurt bereits seit langem zu den Aufgaben der Stadtbücherei gehört, bestehen bereits einige Kooperationen zu Einrichtungen und Institutionen, die mit oder für Migrant/innen arbeiten. Hier ist vor allem das für Frankfurt spezifische Amt für Multikulturelle Angelegenheiten (AmkA) zu nennen. Das AmkA wurde 1989 von der Stadtregierung eingerichtet, "um die rechtliche und soziale Integration der unterschiedlichen sozialen und nationalen Gruppen und Minderheiten weiter voran zu bringen, ihre Partizipation am gesellschaftlichen Leben und das friedliche Zusammenleben untereinander zu fördern". Für die Implementation im Rahmen des Bertelsmann-Projektes wurde die Kooperation mit dem AmkA, die sich bisher hauptsächlich auf die Zentrale Erwachsenenbibliothek bezog, auf den Bereich der Stadtteilbibliotheken und das AmkA-Projekt "Sprach- und Orientierungskurse" erweitert.


3.) Die Internationale Bibliothek - Implementation in der StB Gallus im Rahmen des Bertelsmann-Projektes

Während der auf die Recherche folgenden Implementierungsphase (Januar bis August 2002), wurden zunächst erfolgsversprechende Teile des New Yorker Angebots auf ihre Eignung für eine Umsetzung in der Stadtbücherei Frankfurt am Main hin untersucht und die Stadtteilbibliothek (StB) Gallus als Projektbibliothek festgelegt. Deren Leiterin Frau Schumann und Frau Lotz entwickelten auf der Basis der Kooperation mit dem Frankfurter Amt für Multikulturelle Angelegenheiten (AmkA) im Rahmen des Pilotprojekts der Sprach- und Orientierungskurse ein Konzept, das den speziellen Bedürfnissen der Zielgruppe der neuzugezogenen erwachsenen Migranten gerecht werden sollte.
Mit Beginn der Implementation Anfang des Jahres 2002 an hatte sich das Stipendium gewandelt: Nunmehr stand nicht mehr der Rechercheaufenthalt im Mittelpunkt, sondern die Umsetzung in der Stadtbücherei Frankfurt am Main. In die Konzeptionierung und Umsetzung waren nicht nur und in ganz intensiver Weise das Team der StB Gallus einbezogen, hier vor allem Frau Schumann, sondern auch die Fremdsprachenlektorin, die Abteilung Zentrale Medienbearbeitung und die Öffentlichkeitsarbeit. Das Projekt hatte sich zu einem Projekt der Stadtbücherei Frankfurt am Main entwickelt; an der im Rahmen der Maßnahmen des Projekts stattfindenden Mitarbeiter-Fortbildung nahmen bis auf zwei Ausnahmen Kolleg/innen aus allen Abteilungen des Hauses teil.

Das Modellprojekt "Die Internationale Bibliothek" in der StB Gallus umfasst folgende Bausteine:

  • Eine Pressekonferenz mit Frau Stadträtin Jutta Ebeling in der StB Gallus mit anschließendem Eröffnungsfest am 23.4.02, mit 250 Teilnehmern sehr gut besucht, bildete den Auftakt zur Implementierung des Projektes und trug zur Bekanntheit des Angebotes wesentlich bei.
  • Ein attraktiver sehr gut genutzter Medienbestand zum Thema "Deutsch lehren – Deutsch lernen" (DaF-Sprachkurse, Wörterbücher, leichte Lesestoffe, Übungsbücher) bildet die Grundlage für weitere spezifische Angebote.
  • Selbstlernplätze mit 4 Kassettenrekordern mit CD-Playern sind eingerichtet worden und stehen denjenigen zur Verfügung, die in der Bibliothek lernen und üben wollen.
  • In der StB Gallus findet ein Teil der vom städtischen Amt für multikulturelle Angelegenheiten veranstalteten Orientierungskurse für türkische Neufrankfurter statt. Diese in der Herkunftssprache abgehaltenen Kurse vermitteln den Teilnehmern erste landeskundliche Kenntnisse, z.B. über den Staatsaufbau und das Ausbildungswesen in Deutschland. Daneben lernen die Migranten in Exkursionen ganz praktische Dinge, z.B., wie sie die öffentlichen Verkehrsmittel benutzen oder wie die Mülltrennung in Deutschland funktioniert – und welche Angebote eine öffentliche Bibliothek bereit hält.
  • Eingebettet in das Curriculum der Sprach- und Orientierungskurse, wurde ein modernes modellhaftes Bibliothekseinführungskonzept für die Zielgruppe der ausländischen neuzugezogenen Erwachsenen entwickelt, das modernen pädagogischen Anforderungen gerecht wird. Die Bibliothekseinführung ist interaktiv, handlungsorientiert und arbeitet mit Bildern. Zum Einstieg berichten die Teilnehmer mit Hilfe eines bebilderten Würfels von ihren bisherigen Bibliothekserfahrungen. Im zweiten Teil der Führung lernen sie die Angebote der Stadtteilbibliothek Gallus kennen, insbesondere den Deutschlernbestand und die Selbstlernplätze. Danach suchen sie in einem Suchspiel die Medien in der Bibliothek. Indem sie die gefundenen Medien selbst auf einen Musterausweis verbuchen, lernen die Teilnehmer die Ausleihbedingungen kennen. Mithilfe des bebilderten Würfels erschließen sie sich dann im vierten Schritt selbst die Anmeldebedingungen. Die Erarbeitung des OPAC anhand von Übungsaufgaben schließt die Bibliothekseinführung ab. 25 von bisher 54 Orientierungskursen des AmkA haben bis Ende 2002 eine Einführung in die Stadtteilbibliothek Gallus erhalten. Sollte dieses als Pilot erarbeitetes Konzept in die bundesweiten Maßnahmen im Rahmen des Zuwanderungsgesetzes einfließen, ist es gelungen, auch in diesem Kontext Bibliotheken zu verankern.
  • Eng verknüpft mit der Bibliothekseinführung ist die Multiplikatorenschulung für die Orientierungskurslehrer, die bei der Bibliothekseinführung eine bedeutende Rolle spielen, weil sie die Gespräche zwischen Bibliothekarin und Teilnehmern aus dem Deutschen in die Herkunftssprache und wieder zurückübersetzen müssen. Anfang Mai 2002 fand daher eine Schulung der Trainer in der Zentralen Erwachsenenbibliothek und der Stadtteilbibliothek Gallus statt, die ihnen Kenntnisse über das Bibliothekssystem der Stadtbücherei Frankfurt am Main und über Bibliotheken im Allgemeinen vermittelte, ihnen aber auch die Bibliothekseinführung als einen wichtigen und interessanten Baustein der Orientierungskurse näher brachte.
  • Mit der annotierten Linksammlung "Türkisch in Frankfurt", die über die Webseite der Stadteilbibliothek Gallus zur Verfügung steht, wurde das zielgruppenspezifische Angebot vor Ort um eine virtuelle Variante ergänzt.
  • Ein zweitägiges Seminar "Dialog der Kulturen" vermittelte interkulturelle Kompetenzen an Mitarbeiter aus fast allen Bereichen der Stadtbücherei und trug so auch dazu bei, das Projekt in einem Teilbereich auf andere Abteilungen des Hauses auszuweiten.
  • In der Folge des Seminars bildete sich eine Projektgruppe, die vor allem praktische Handreichungen erarbeitet und Arbeitsmittel erstellt. Erstes Ergebnis ist ein Glossar, das demnächst für alle Bibliotheken zur Verfügung steht.
  • Fachbesuche von Bibliothekskolleg/innen, z.B. aus Stuttgart und Köln, sowie Vorträge (z.B. beim Bibliothekartag in Augsburg, Migrationstagung des Goethe-Instituts Inter Nationes in Neapel) und Berichte (z.B. im BuB, BIX-Magazin der Bertelsmann-Stiftung) machen das Projekt und die Angebote der Stadtbücherei Frankfurt bekannt.

Innerhalb des relativ kurzen Zeitraums von Januar bis Juli 2002 entstand ein kleines, aber rundes Angebot, dessen Akzeptanz bei der Zielgruppe sich vor allem durch einen deutlichen Besuchszahlenanstieg in der StB Gallus abzeichnet. Es gilt nun, diese Maßnahmen im Anschluss an die Projektphase zu sichern und zu erweitern. Denkbar sind hier neben einem Ausbau der Angebote in der StB Gallus die Erweiterung auf andere Stadtteilbibliotheken, aber auch auf weitere Zielgruppen (Kinder- und Jugendliche) und Inhalte (Alphabetisierung).