HEi - Haus der Eigenarbeit in München
Kontakt:
Dr. Elisabeth Redler, Haus der Eigenarbeit, Wörthstr. 42 /Rgb., 81667 München, Tel. 089- 448 06 23, Durchwahl 489 205 47, Fax 089- 489 52 204, Email: redler@hei-muenchen.de, Internet: www.hei-muenchen.de
Jahrelang firmierte das Münchner Haus der Eigenarbeit, kurz HEi, unter dem Begriff "Freizeitwerkstätten". Wie andere sog. Freizeitstätten bietet es aber längst mehr als Unterhaltung, Hobby und Entspannung. Welches sind die Elemente, die Menschen dabei unterstützen, die wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen zu meistern?
Schon im Abschlusspanel der Jahrestagung Stadtteilarbeit 2005 ging es um die Bedeutung von Stadtteilzentren für Menschen in schwierigen sozioökonomischen Verhältnissen. Was haben sie zu bieten angesichts wachsender Armut, schwindender Erwerbsarbeit, drohenden Auseinanderfallens der Gesellschaft?
Lassen Sie mich die Beiträge des HEi skizzieren.
Die Verbindung von "Freizeit" und Lernen bzw. Arbeit war von Anfang an Teil der Beschäftigung mit dem Thema Eigenarbeit, das die gemeinnützige Forschungsgesellschaft anstiftung in München zu einem ihrer zentralen Forschungsthemen machte. "Sinnvolle psychisch, sozial und ökonomisch bereichernde Tätigkeiten in der erwerbsarbeitsfreien Zeit, eine Verbesserung der Lebenslage durch Eigenarbeit, produktive statt konsumtive Nutzung der freien Zeit – das sind die Ziele, die das Engagement der anstiftung begründeten." (Redler 1991: 141). Die anstiftung geht davon aus, dass Menschen ein Bedürfnis nach selbst bestimmter Arbeit haben, dass ihnen aber insbesondere in den Städten häufig die entsprechende Infrastruktur, die Produktionsmittel und inzwischen auch das Wissen fehlen, um eigenproduktiv tätig zu werden. Deshalb engagiert sich die Forschungsgesellschaft für öffentliche Räume der Eigenarbeit und Selbstorganisation: Bürgerhäuser mit Laienwerkstätten, Interkulturelle Gärten u.a.m.
Sie schuf nach einer längeren Diskussions- und Recherchephase in München das HEi- Haus der Eigenarbeit. Seit 1987 können Münchner Bürgerinnen und Bürger das HEi, ein Bürgerhaus mit Laienwerkstätten und Mehrzweckräumen, für handwerkliche, soziale und kulturelle Eigenarbeit nutzen; und sie frequentieren es in großer Zahl. Jährlich werden 10.000 bis 14.000 Besuche gezählt; das sind 40 bis 60 BesucherInnen täglich, die die Vielfalt der Möglichkeiten im Haus für handwerkliche Eigenproduktion (Holz, Metall, Keramik, Papier, Schmuck, Textil, Polstern), für kulturelle Aktivitäten (Musik, Tanz, Literatur und Theater) und für soziale Bedürfnisse (informelle und Vereinstreffs, selbst organisierte Gruppen, Feiern) nutzen. Seit einigen Jahren kommen die HEi Mobilen Werkstätten auch in die Privathaushalte und unterstützen die Eigenarbeit zu Hause. Das HEi ist eingebunden in die Lokale Agenda 21, in die Münchner Tauschringe, in den Verbund der Sozialen Betriebe und auf Stadtteilebene in Facharbeitskreise und Aktionsbündnisse. Im Rahmen von Kooperationsprojekten mit Schulen, Volkshochschulen und anderen Bildungsträgern wächst die Bedeutung des HEi als Ort des Lernens.
An dem Modellprojekt orientiert sich inzwischen eine Reihe von Einrichtungen, die sich im "Netzwerk Eigenarbeit", das bis nach Südtirol reicht, locker zusammengeschlossen haben. Jede hat ihr eigenes regional geprägtes Profil. Mal steht die Nachbarschaft, mal die Region, mal das Handwerk, mal die Kultur mehr im Vordergrund. Ihre Angebote sind attraktiv für Menschen aus allen Altersgruppen und sozialen Schichten. Niemand muss sich einer Zielgruppe zuordnen, Verzehr- und Kaufzwang gibt es nicht, und die Menschen sind ohne Anmeldung und ohne Mitgliedsausweis willkommen. Die Einrichtungen zeigen, wie im öffentlichen Raum Anliegen sehr verschiedener Menschen erfüllt werden können –mit allen Freiheiten der Abgrenzung und gleichzeitig den Chancen der Begegnung und Überwindung von Grenzen. Das sind Anregungen für die Gestaltung von künftigen Lebensräumen, die sich auf weniger Erwerbsarbeit einstellen müssen. Urbane Subsistenz und Selbsthilfekompetenz werden zunehmend gefragt sein.
Ich ordne das HEi ein in die vielfältigen Ansätze zivilgesellschaftlicher Bewegungen in Deutschland, aber auch weltweit, die wirtschaftliche Kreisläufe vor Ort in Gang setzen oder erhalten, die zeigen, dass gesellschaftliche Integration und Teilhabe auch anders als über die Erwerbsarbeit vermittelt gelingen kann. Tauschsysteme, selbstorganisierte Wohn- und Arbeitsprojekte, Initiativen für regionales Wirtschaften u.a.m. Sie zeigen, dass Kooperation und Eigeninitiative – nicht nur in Krisenzeiten –- stützen und womöglich mit Gewinn an Lebensqualität einhergehen. Im Fokus stehen hier immer die gesellschaftlichen Nahräume (Gemeinden und Regionen). Auf lokaler Ebene ist sehr viel leichter die soziale Kohäsion herstellbar, um so etwas wie eine gemeinsame Anstrengung aller Beteiligten im Sinne einer eigenständigen Regionalentwicklung zustande zu bringen. "Aus den Folgen der Globalisierung resultiert ein Bedeutungszuwachs weltmarktunabhängiger Produktionsbereiche. Sie sichern die lokale Bedarfsdeckung, schaffen ein Klima der Nichterpressbarkeit, nutzen die lokalen Potentiale, agieren in kleinen Kreisläufen und werden damit den ökologischen Erfordernissen gerecht." (Elsen 1998:76)
Die Logik des kapitalistischen Marktes macht jedoch nicht Halt vor der Versorgungsarbeit, der Eigenarbeit und der gegenseitigen Hilfe. Die letzten Winkel der Tätigkeitsräume werden nach Vermarktungsmöglichkeiten für Waren und Dienstleistungen durchsucht, mit den entsprechenden negativen Folgen für die Subsistenz. Die angespannte Arbeitsmarktlage zwingt Menschen erst recht dazu, sich wie "Arbeitskraftunternehmer" zu verhalten, nötigt sie dazu, möglichst flexibel die Biografie an den Anforderungen der Erwerbsarbeit auszurichten. Unter solchen Bedingungen leidet der gesamte Bereich der Lebensweltökonomie, also die versorgungswirtschaftlichen bzw. nicht-kommerziell ausgerichteten Bereiche im Alltag, inklusive der Eigenarbeit. Eigenarbeit braucht Zeit, braucht soziale Zusammenhänge, braucht angestammte Orte – mit allgemeiner Flexibilisierung verträgt sie sich nur schlecht. Die "Krise" der formellen Wirtschaft verursacht auch einen Rückgang der informellen "Wirtschaftskraft". Konventionelle Politikkonzepte auch auf kommunaler Ebene betrachten vornehmlich das formelle System, suchen dort nach Lösungsmöglichkeiten und übersehen weitgehend die Qualitäten des Wirtschaftens im informellen Sektor. Dagegen haben Einrichtungen wie das Haus der Eigenarbeit in München genau diesen gesellschaftlichen Bereich jenseits von Markt und Staat im Blick: Unter welchen Bedingungen werden Menschen selber aktiv? Was bedeuten ihnen informelle Tätigkeiten, und welchen Wert haben diese für die Gesellschaft? Wie kann man eine subsistenzorientierte Alltagskultur als gesellschaftlichen Wert fördern und schützen?
Eigenarbeit heißt: Produktiv tätig werden im eigenen Auftrag und zum eigenen Nutzen – handwerklich, sozial oder kulturell. Arbeiten ist hier gebunden an die selbst formulierten Bedürfnisse und an deren Gebrauchswert, gemeinschaftliche Bedürfnisse und Nutzen eingeschlossen.
Diese gesellschaftlich wichtige Form von Arbeit aufzuwerten ist Anliegen des Hauses der Eigenarbeit. Praktische Fähigkeiten werden hier entwickelt und geübt. Und beim Tätigsein entsteht Respekt im Umgang mit Materie. Die erworbene Kompetenz verleiht ein Gefühl von Unabhängigkeit und Selbstwert. Manchmal entwickelt Eigenarbeit auch eine therapeutische Kraft – körperlich und seelisch. Oft macht es einfach Spaß, sich als Schöpfer/in von etwas Schönem oder Nützlichem zu erleben. Viele sagen, sie tanken Lebenskraft. Eine Besucherin: "Ich habe meinen Akku aufgeladen."
Entwicklung des HEi
Von 1987 bis 1990 dauerte die wissenschaftlich begleitete Aufbauphase (vgl. Redler 1991). Es zeigte sich, dass die Vision selbst bestimmter Tätigkeiten jenseits der Erwerbsarbeit in der Form eines Bürgerhauses Praxis werden konnte und von den Münchnern in Anspruch genommen wurde.
Bis zur Unabhängigkeit von der Forschungsgesellschaft anstiftung dauerte es noch einige Jahre. Seit 1995 leistet die Landeshauptstadt München wesentliche Beiträge zur Finanzierung des Hauses.
1999 bis 2002 wurde die Erweiterung der "Kommstruktur" um eine "Gehstruktur" erprobt. Die mobilen Werkstätten des HEi boten ihre Dienste in Privathaushalten und Wohnungsbau-Genossenschaften an.
Seit 2000 war der Verein auch aktiv, um die Idee und Praxis der Eigenarbeit in der Stadt und Region zu verbreiten. Er mischte bei der Lokalen Agenda 21 mit und legte den Grundstein für Schulprojekte, die heute ein wichtiges Standbein des Projektes sind. Hier sind wiederum oft die mobilen Werkstätten im Einsatz.
Die neueste Stufe der Vernetzung ist von dem Motto "Kooperation statt Konkurrenz" geprägt. Das HEi hat sich mit anderen offenen Werkstätten und Ateliers in München zu einem lockeren Netzwerk zusammengeschlossen und erhofft sich davon eine größere öffentliche Sichtbarkeit und Anziehungskraft in der Stadtgesellschaft.
Organisationsstruktur des HEi
Träger der Einrichtung ist der Verein zur Förderung von Eigenarbeit e.V., dessen anerkannter gemeinnütziger Zweck die Volksbildung ist.
Unterhalb der Leitung ist die Einrichtung in die Bereiche Verwaltung, Werkstätten, Empfang/Café sowie Öffentlichkeitsarbeit gegliedert.
Vor allem in den 7 Werkstätten ist der Großteil des 35köpfigen Teams beschäftigt: der Werkstattleiter, 24 Freie MitarbeiterInnen (Handwerker, Künstler), 2 Werkstatthelfer und der Hausmeister. Die Aufgabe des Empfangs teilen sich mehrere Personen, darunter die Leiterin, was auf den hohen Stellenwert des Besucherempfangs hinweist.
Das Werkstattcafé wird von einer Frau betreut, die als Langzeitarbeitslose über das Programm "Ü 58" angestellt ist. Nicht zu vergessen sind die Ehrenamtlichen, die in den Werkstätten mitarbeiten, allfällige Reparaturen übernehmen oder in der Öffentlichkeitsarbeit mitwirken.
Einzigartig ist die breite Angebotspalette, zunächst die Vielfalt der professionell ausgestatteten und betreuten Werkstätten, sodann die Offenheit für verschiedene Nutzungsformen (selbständige Nutzung mit Unterstützung des Werkstattdienstes, Nutzung mit Fachberatung – beide Formen spontan ohne Anmeldung – sowie Kursnutzung). Fachberater können nach Hause bestellt werden; Maschinen und Werkzeuge sind im Verleih. Material kann gekauft, aber auch mitgebracht werden. Die handwerkliche Eigenarbeit steht im Mittelpunkt, doch es ist auch Raum für kulturelle und soziale Aktivitäten. Seit Jahren trifft sich zum Beispiel jeden Donnerstag der Gesprächskreis "Der Berufung auf der Spur", in dem immer neue TeilnehmerInnen sich zu Erfahrungen und Strategien bei der Suche nach befriedigender Arbeit austauschen. Andere offene Kreise sind der interkulturelle Erfinderclub, der Solarstammtisch und der Baubiologische Arbeitskreis.
Folgende Organisationsmerkmale des HEi halte ich für zentral: Gute räumliche Erreichbarkeit, nutzerfreundliche Öffnungszeiten (auch abends und am Wochenende), Vielfalt der Werkstätten, professionelles Niveau der Ausstattung und der individuellen Beratung, Offenheit für jede/n. So zieht das HEi eine sozial gemischte Klientel an, Männer und Frauen aus allen Altersgruppen und verschiedenen Milieus.
Finanzierung
2008 belief sich das Budget auf etwas mehr als 415 000 €. 44 % der Mittel wurden aus Betriebseinnahmen, Beiträgen und Spenden aufgebracht; zusätzlich wurde für die Jugendarbeit des HEi ein Kleinbus gespendet. 30% machen die Zuschüsse der Stadt München aus; 4% kommt von der Arbeitsförderung herein. Für den Rest tritt eine Stiftung ein.
In der Kostenstruktur überwiegen mit 65% die Personalkosten (Gehälter und Honorare). Die übrigen 35% sind auf Raumkosten, Anschaffungen und Instandhaltung, Werbung, Verwaltung und Wareneingang verteilt.
Nutzungsstruktur
Die Nutzungen werden fast von Beginn an regelmäßig und komplett statistisch erfasst.
Es zeigt sich über die Jahre, dass die großen Werkstätten für Holz und Metall die meisten Einzelnutzungen verzeichnen (2008: zusammen 68 % der ca. 4000 Einzelnutzungen).
Die Anliegen der Werkstattbesucher sind vielfältig. Sie bauen, gestalten, reparieren und restaurieren, sie passen an, sie tüfteln und experimentieren, sie lernen. Junge Menschen entdecken Talente und Neigungen und fördern ihre Chancen auf dem Ausbildungsmarkt durch Zertifikate der HEi-Meister. Manche Existenzgründung wird durch Arbeiten im HEi erleichtert, z.B. durch den Eigenbau einer Ladeneinrichtung oder durch Reparatur einer Rikscha. Andere finden hier einen Ausgleich für ihre Berufstätigkeit, gelegentlich gar Heilung von Burnout, in der Regel persönliche Bestätigung von Kreativität und Kompetenz.
Befragt nach den Gründen des HEi-Besuchs, erwähnten die Befragten in einer Besucherstudie der anstiftung im Sommer 2005 (Redler/ Sulmowski 2005) vor allem die Ausstattung und Beratung, die das Selbermachen fördern, dann aber auch die angenehme, gesellige Atmosphäre. Einige Aussagen zur Qualität des HEi konnten gesammelt werden:
"Das Team ist sehr qualifiziert."
"Die Fachberatung ist anspruchsvoll."
"gute Stimmung und Hilfsbereitschaft"
"eine gesellige Umgebung mit herzlichen Begegnungen"
Das Wichtigste: "Ich kann mit meinen praktischen Fragen kommen."
"die Menschenfreundlichkeit"
"Man kann preiswert arbeiten."
Die Menschen erleben das HEi als einen Raum für ihre persönliche Entfaltung.
"Ich bekomme ein Gefühl der Schöpferfreude."
"Jeder kann sein eigenes Ding machen."
"Ich kann eigene Wünsche, eigene Ideen, eigene Entwürfe verwirklichen."
"Teilhabe an alternativen Netzen"
"Vieles ist möglich, über die eigenen Möglichkeiten – Raum, Werkzeuge, Wissen – hinaus."
" Hier kann man lernen, was man in der Schule und zu Hause nicht gelernt hat."
Wirkungen des HEi
Hohe Besucherzahlen bedeuten für das HEi, dass es gebraucht wird, dass es nicht an den Bedürfnissen der Bevölkerung in der Stadt und im Umland vorbei arbeitet. Andererseits ist der Zweck des Projekts erst dann voll erfüllt, wenn die Menschen die Eigenarbeit in ihren Alltag integriert haben, wenn z.B. das Konsumverhalten im Sinne der Nachhaltigkeit ausgerichtet wird. Was antworten die BesucherInnen auf die Frage nach Spuren des HEi im Alltag?
Hier treffen sie interessante Menschen, die sogar zu Freunden werden. An erster und zweiter Stelle stehen allerdings die selbst gefertigten Gegenstände und das neu Gelernte. Das führt bei einigen dazu, dass sich ihr Einkaufsverhalten geändert hat; bei einem etwas größeren Anteil haben sich zumindest bereits Sichtweisen und Interessen verändert. 11 der 157 Befragten berichten von Veränderungen im beruflichen Bereich.
Soziologen führten bereits 1997 eine Besucherstudie durch (Mutz et al. 1997). Sie kamen zu dem Urteil, dass öffentliche Eigenarbeit, wie das HEi sie ermöglicht, eine soziale Innovation sei. Sie machen das an Folgendem fest: Durch seine Offenheit und den Gemeinschaftscharakter unterstützt das HEi die Ressourcen seiner BesucherInnen. Das HEi ist attraktiv wegen seiner positiven sozialen Atmosphäre. Es hält Arbeitsmöglichkeiten bereit, die im Alltag sonst nicht unmittelbar verfügbar sind.
Das institutionelle Arrangement bietet offenbar Resonanz für sich wandelnde Lebens- und Arbeitssituationen, für sich verändernde Haltungen zu Arbeit und Leben. In Einrichtungen der Eigenarbeit öffnen sich neuartige Wege der Selbstorganisation, Eigenversorgung und Alltagsgestaltung. Solche offenen, von den BürgerInnen angeeigneten, mitgestalteten und mit Leben erfüllten Räume werden in der Stadtentwicklung immer wichtiger. Hier findet Empowerment statt. Für Menschen, die sich aufgrund der allenthalben geforderten Mobilität öfter im Leben neu sozial einrichten und neue Netze knüpfen müssen, sind gemeinschaftsstiftende öffentliche Räume eine Ressource von zunehmender Bedeutung.
Mutz et al. nennen das Angebot öffentlicher Eigenarbeit in Anlehnung an die Formulierung einer Nutzerin die "städtische Variante eines Dorfbrunnens". Durch die Kombination vielfältiger Begegnungs-, Freizeit-, Bildungs- und Handlungsangebote stellt das HEi eine einzigartige Institution dar. Es kommt einerseits den Bedürfnissen nach einer selbst bestimmten Lebensgestaltung entgegen und wirkt andererseits den Gefahren von gesellschaftlicher Segmentierung oder Isolation entgegen.
In Zeiten, in denen den Menschen die Anpassung an prekärer werdende Lebensbedingungen abverlangt wird, sind regional geprägte Orte der Eigenarbeit geeignet, Identität zu bewahren und Kräfte zu stärken, mit denen man individuell oder gemeinschaftlich den neuen Anforderungen und Zumutungen etwas entgegensetzen kann. Und hier zeigt sich die Bedeutung von Eigenarbeit für die Bewältigung des sozioökonomischen Wandels.
Wo die Erwerbsarbeit als bislang wichtigste Institution sozialer Integration verschwindet, wird die Bedeutung informeller Lebens- und Arbeitswelten für Identitätsbildungsprozesse und gesellschaftliche Integrationsprozesse künftig zunehmen. Soziale Integration entsteht nicht im luftleeren Raum, sie muss sich materialisieren, wenn nicht im Betrieb oder im Büro, dann z. B. indem man (gemeinsam) produktiv tätig ist, ob im Haus der Eigenarbeit oder in der Nachbarschaft, in der Stadtteilinitiative oder im Kleingarten. Jenseits der gewachsenen Traditionen kann sich Eigenarbeit entwickeln, wenn die nötigen Produktionsmittel (Gartenland, Nachbarschaftswerkstätten und, wenn nötig, Wissen) zur Verfügung stehen.
Die Erfahrungen im HEi und an anderen Orten der Eigenarbeit geben Anhaltspunkte, die von Stadtplanern aufgegriffen werden könnten. Sie sollten sich bei ihren Bemühungen um die Revitalisierung der Innenstädte stärker um öffentliche Orte der Eigenarbeit kümmern. Dann kann man darauf vertrauen, dass die BürgerInnen einen Teil ihrer Versorgung selber in die Hand nehmen.
Politisches Ziel ist die weitere Verbreitung von Orten der Eigenarbeit. Diese sollten zur kommunalen Grundausstattung gehören. Warum sollte es nicht in jedem Stadtteil, in jedem Landkreis offene Werkstätten und gemeinschaftlich genutztes Gartenland geben? Die Vision von fest in der Kommune oder Region verankerten Orten der Eigenarbeit sieht so aus: Es sind offene Räume zum Tätigwerden, Labors zum Experimentieren, Lernorte für das, was für die Bewältigung des Alltags nötig ist, aber auch für das, was das Leben lebenswert macht. Im besten Sinne sind es Bürgerhäuser der Selbstorganisation und Begegnung.
Literatur:
- Baier, Andrea/ Redler, Elisabeth( 2006): Eigenarbeit in Zeiten wirtschaftlicher Globalisierung. in: Jochimsen, Maren A./ Knobloch, Ulrike (Hg.) Lebensweltökonomie in Zeiten wirtschaftlicher Globalisierung, Bielefeld: Kleine Verlag.
- Elsen, Susanne (1998): Gemeinwesenarbeit und Gemeinwesenökonomie im Zeitalter der "Globalisierung", in: Klöck, Thilo (Hg.): Solidarische Ökonomie und Empowerment. Gemeinwesenarbeit Jahrbuch 6, Neu-Ulm: AG SPAK-Bücher, 69-98.
- Mutz, Gerd/ Kühnlein, Irene/ Burda-Viering, Martina/ Holzer, Boris (1997): Eigenarbeit hat einen Ort. Öffentliche Eigenarbeit im HEi, München: anstiftung.
- Redler, Elisabeth (1991): Einladung zum Abenteuer Eigenarbeit, anstiftung Papers, München.
- Redler, Elisabeth (1998): Tätigkeit statt Warenkauf, in: Politische Ökologie 54, 65-70.
- Redler, Elisabeth (2006²): Praxis bildet. Eigenarbeitszentren als Partner der Schulen, Ein Forschungsbericht der anstiftung, München
- Redler, Elisabeth/ Reinecke, Ingrid (2005): Anders arbeiten. Was bringt Eigenarbeit?, in: Contraste 245, Februar 2005, 1, 7-9.
- Redler, Elisabeth/ Sulmowski, Jedrzej (2005): Besucherforschung im Haus der Eigenarbeit (HEi) 2005. Ausgewählte Ergebnisse. Unveröffentlichtes Manuskript, München: anstiftung.
- http://www.anstiftung-ertomis.de/opencms/opencms/offene_werkstaetten