Gratis-Bazar Wien

Ein lokalökonomisches Projekt, mit dem für einige Globalisierungsbenachteiligte ein kleiner Anteil Lebensqualität zurückerobert wird

Zur Illustration siehe auch das » Video zum Projekt!


Kontakt:

Stadtteilzentrum Bassena, Am Schöpfwerk 29/14, A-1120 Wien, Internet: www.bassena.at

Das Stadtteilzentrum Bassena ist eine Einrichtung des Vereins Wiener Jugendzentren (www.jugendzentren.at)


Die Globalisierung bringt der gesamten Welt Vor- aber auch Nachteile. Einer der Gewinne ist der grenzenlose Transport von Informationen – das Internet.

Ungerechtigkeit in der Verteilung von Macht und Ressourcen führen jedoch dazu, dass die Globalisierung viele Verlierer hat. Sie finden sich auf der ganzen Welt verstreut. Auch in Österreich, einem der 10 reichsten Länder der Welt, breitet sich Arbeitslosigkeit, Armut und Hoffnungslosigkeit aus.

Der Wohlfahrtsstaat leistet nicht mehr das, was einen gerechten Ausgleich herstellen würde. Laut dem Armuts- und Reichtumsbericht für Österreich, der bereits in seinem Titel diese Polarisierung ausdrückt, nimmt in Österreich der Reichtum stark zu. Dieser Armuts- und Reichtumsbericht bestätigt, dass es in Österreich Geld- und Sachvermögen im Wert von mehr als 2.100 Mrd. Euro gibt und dass Reichtum und Vermögen um Prozentsätze wachsen, wie man sie von der Gesamtwirtschaft, der Beschäftigung, den Löhnen oder Pensionen schon lange nicht mehr kennt.

Es gibt also auf der einen Seite eine wachsende Bruttowertschöpfung. Allein das Kapitalvermögen der hundert reichsten Österreicher wächst pro Jahr um mehrere Millionen Euro durch die Zinsen weiter.

Gleichzeitig wächst in Österreich auch die Armut. "Das einkommensschwächste Viertel der österreichischen Bevölkerung verfügt über jährlich weniger als 12.868 ,-Euro. Das reichste Viertel hat hingegen ein Jahreseinkommen von zumindest 22.404,- Euro. 60% des mittleren Einkommens bilden nach europäischem Standard die so genannte Armutsgefährdungsschwelle. Menschen, die weniger als 10.182,- Euro pro Jahr (oder 848,- Euro pro Monat) zur Verfügung haben, gelten als armutsgefährdet. Im Jahr 2004 waren rund 1.030.000 Personen betroffen. Das sind 13% der Bevölkerung. Während das Armutsrisiko bei in Österreich geborenen Personen 11% beträgt, sind Eingebürgerte mit 23% und besonders Migrantinnen und Migranten mit 28% deutlich armutsgefährdeter. Ein wesentlicher Faktor, der mit einer überdurchschnittlichen Armutsgefährdung einhergeht, ist die Bildung. Personen mit nur Pflichtschulabschluss haben ein Armutsrisiko von 18%."


Ausgangslage für das beschriebene Projekt

Im Stadtteil Schöpfwerk, am südlichen Rande Wiens, leben in vier benachbarten kommunalen Wohnsiedlungen etwa 8.000 Menschen. In den letzten fünf Jahren hat sich die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung stark verändert. Bei einer Fluktuation von geschätzten 10-15 % pro Jahr besiedeln tendenziell Familien mit ausländischer Herkunft die leer gewordenen Wohnungen und bilden nach Schätzungen des Stadtteilzentrums Bassena gegenwärtig eine Durchmischung von 50:50 Prozent (eine Hälfte der BewohnerInnen sind österreichischer Herkunft, die andere Hälfte kommt aus verschiedenen anderen Ländern). Traditionellerweise leben im Gemeindebau eher Menschen mit niedrigerem Einkommen. Die ökonomische Situation von allein erziehenden Frauen und kinderreichen Familien wird dramatisch schlechter. Viele können sich in ihrer Armut die Reparatur eines defekten Haushaltsgerätes oder den Neuankauf von Kleidung nicht leisten, weil die unterstützenden Maßnahmen der Sozialhilfe dafür nicht ausreichen. Das Gefühl der Benachteiligung vermischt sich häufig mit ausgrenzenden Bemerkungen und Verhaltensweisen.

Gemeinwesenarbeit:

  • Beschäftigung mit sozialen Problemlagen
  • Linderung und Veränderung

Deshalb soll das Augenmerk im Gemeinwesen darauf gelegt werden, dass gerade jene, die einen erschwerten Zugang zu Ressourcen haben, Möglichkeiten der Teilhabe an gesellschaftlichem Tun bekommen. Die sozialen Problemlagen werden individuell und kollektiv bearbeitet. Es ist in der Regel nicht die Schuld der Einzelnen, dass sie keinen Job haben, es gibt dafür strukturelle Gründe, die erkannt werden können. Das Stadtteilzentrum stellt eine passende Infrastruktur für Einzel- und Gruppengespräche zur Verfügung, in der die Menschen selbst aktiv werden und ihre materielle und persönliche Lebenssituation ein Stück weit verbessern können.

Vorgangsweise

Von Herbst 2004 bis Februar 2005 erstellte das Stadtteilzentrum Bassena Am Schöpfwerk gemeinsam mit zwei Studentinnen der FH-Campus Wien, Studienlehrgang Sozialarbeit, ein Konzept für den Gratis-Bazar.

Es sollte ein mobiler Laden (Regale auf Rädern) entstehen, der an zwei Tagen in der Woche in den Räumen des Stadtteilzentrums Waren aller Art kostenlos anbietet. Die angebotenen Waren werden von Menschen gebracht, die sie nicht mehr benötigen.

Der Titel "Gratis-Bazar" wurde bewusst gewählt, um mit einem orientalischen Ambiente gerade auch die ausländischen MitbewohnerInnen anzusprechen, zu denen bislang eher wenig Kontakte bestanden.

  • Wer hat, kann bringen
  • Wer braucht, kann abholen

Das Modell Gratis-Bazar oder Kostnix-Laden existiert schon seit einigen Jahren in Deutschland. Geleitet wird das Projekt vom Ziel, mit bestehenden Ressourcen schonend umzugehen und neue Formen des Wirtschaftens zu erproben. In unserer Überflussgesellschaft haben viele Menschen Dinge, die sie nicht mehr brauchen und die zu schade sind, um weggeworfen zu werden. Andere können dadurch ihre Lebensqualität – unabhängig vom Geldbesitz – verbessern. 

Ziel

Es sollte ein Ort der Kommunikation für die gesamte Diversität des Stadtteils sein. Dort soll zugleich ein geldfreier Umschlagplatz für Gebrauchsgegenstände geschaffen werden, an dem alle (Altersgruppen, Nationalitäten) teilhaben können. 

"Geschäftsregeln"

Jeder Mensch jeglichen Alters und jeglicher Nationalität kann an den beiden wöchentlichen Bazar-Tagen pro Tag drei Dinge aussuchen (für ganz kleine Kinder, die selber noch nichts aussuchen können, machen das die Eltern oder größeren Geschwister) und gratis mitnehmen. Die Drei-Dinge-Regel verhindert eine kommerzielle Nutzung und führt dazu, dass die BesucherInnen sich üblicherweise sehr bewusst entscheiden, welche drei Dinge für sie am nützlichsten oder begehrtesten sind. 

Bringen

Viele Leute haben Dinge, die sie nicht mehr brauchen und die zu schade sind, um weggeworfen zu werden. Diese Dinge können in den Gratis- Bazar gebracht werden. (Kleider gewaschen, Geräte funktionstüchtig). Große Gegenstände (z.B. Möbel) können nicht abgegeben, jedoch entsprechende Angaben auf einem schwarzen Brett im Gratis- Bazar ausgehängt werden.

Durch Mundpropaganda kommen gelegentlich die Waren von Wohnungsräumungen in riesigen Mengen ins Haus. Es sind in erster Linie Textilien und Haushaltsartikel und Geschirr, Haushaltsgeräte, PCs, Bücher, Spielsachen. Viele BringerInnen vertrauen den großen Organisationen nicht so recht und bringen ihre Waren lieber in dieses kleine, überschaubare Projekt, wo sie sich selbst überzeugen können, dass nichts kommerziell verwertet wird. 

Gratis-Bazar-Team

Im Stadtteilzentrum wurde nach Frauen gesucht, die gerne im Bazar ehrenamtlich mitarbeiten. Seit Beginn im Februar 2005 hat das Gratis-Bazar-Team - 12 Frauen, je zur Hälfte österreichische und ägyptische Frauen - 1.188 ehrenamtliche Stunden im Bazar gearbeitet. Die Tätigkeiten reichen vom ständigen Einräumen der eingetroffenen Waren und Ordnung halten bis zum Führen einer detaillierten Warenausgangsstatistik und dem Betreuen der Cafeteria, in der gegen eine geringe Spende Kaffee getrunken werden kann und viele Gespräche zwischen Menschen aller Kulturen stattfinden. Dort vernetzen sich die BesucherInnen über alle ideologischen und ethnischen Grenzen hinweg und helfen einander gegenseitig.

Die Frauen des Gratis-Bazar-Teams machen regelmäßig gemeinsame ägyptisch-österreichische Frühstücke und achten im Bazar sehr sensibel auf gleichberechtigte Behandlung aller BesucherInnen aus den verschiedenen Kulturräumen. 


Bisherige Erfahrungen

Das ursprüngliche Projektziel (40 tägliche BesucherInnen) konnte mit über 100 täglichen BesucherInnen weit übertroffen werden.

Der Gratis-Bazar erwirtschaftet keine monetären Unkostenbeiträge oder Überschüsse, weil er im Rahmen des Stadtteilzentrums angesiedelt ist, das als von der Stadt subventionierte Einrichtung (Träger Verein Wiener Jugendzentren) u.a. die Aufgabe wahrnimmt, ImpulsgeberIn für Prozesse der Steigerung der Lebensqualität im Stadtteil zu sein.

Der wirtschaftliche Erfolg des Gratis-Bazars ist dennoch zu messen. 32.676 umgesetzte Waren in 11 Monaten (Februar 05 bis Jänner 06, an insgesamt 92 Öffnungstagen). Wenn pro Kleidungsstück Euro 3,-, pro Elektrogerät Euro 5,-, pro Geschirrteil Euro 1,- angenommen wird, stellt der "Umsatz" mit diesen niedrig angenommen Geldwerten Euro 62.000,- dar. Das sind Waren, die von den Menschen kostenlos mitgenommen werden konnten. Dazu kommen tausende Bücher und Zeitschriften, Audio- und Videokasetten, die in dieser Berechnung gar nicht monetär bewertet wurden.

Evaluation

In einem Forschungsprojekt am FH Campus Wien wurde im Sommer 2006 der Gratis-Bazar von einer Gruppe von StudentInnen des Studiengangs Sozialarbeit evaluiert. Dabei untersuchten die StudentInnen die Frage, wie weit der Gratis-Bazar Selbstorganisation und aktive Selbstbestimmung fördert und wie die Zeit, die im Gratis-Bazar verbracht wird, empfunden wird. Es wurde festgestellt, dass die NutzerInnen inspiriert werden, in ihrem Umfeld selbst aktiv ähnliche Projekt zu initiieren. Die ehrenamtlichen MitarbeiterInnen haben an sozialer Kompetenz gewonnen und sind motiviert, sich für andere Projekte zu engagieren – durch gegenseitige Unterstützung wird z.B. gemeinsame Kinderbetreuung realisiert.

Für die Ehrenamtlichen bedeutet die Mitarbeit im Gratis-Bazar eine sinnvolle Alternative zum herkömmlichen Lebensalltag und einen hohen Wert in ihrer Zeitgestaltung. Sie wären emotional am stärksten betroffen, wenn es diese Möglichkeit nicht mehr gäbe und sind sich nicht sicher, ob sie Alternativen finden würden. Die NutzerInnen wären finanziell am stärksten betroffen und müssten sich nach Alternativen umsehen. Was die Kommunikation mit den verschiedenen Kulturen betrifft, so sind positive Integrationsprozesse am deutlichsten in der Gruppe der Ehrenamtlichen erkennbar. Die StudentInnen stellten die Hypothese auf, dass positive Integrationsprozesse, für die der Gratis-Bazar einen geeigneten Ort anbietet, sich erst längerfristig einstellen werden.