Charakteristik und Entwicklungslinien von Genossenschaften
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Dorothea Engelmann, Email: engelmann_dorothea@hotmail.com
Der vorliegende Text ist Teil der Diplomarbeit "Welches Potenzial haben Formen solidarischer Ökonomie zur Bewältigung von Armut und Ausgrenzung und welchen Einfluss können sie auf die Gemeinwesenentwicklung nehmen? (Betrachtung am Beispiel der Stadtteilgenossenschaft)" an der Katholischen Fachhochschule Freiburg (eingereicht am 31.12.2009)
1. Historie
Die 'modernen Genossenschaften' existieren seit mehr als 150 Jahren und sind durch eine Gründungswelle im internationalen Rahmen gekennzeichnet. Das Genossenschaftswesen hat vielfältige Entwicklungspfade, sozialistischer, liberaler oder neoliberaler und christlich-solidarischer Prägung. Hintergrund für die Entstehung und Verbreitung der Genossenschaften waren die industrielle Revolution und die Herausbildung eines von sozialer und ökonomischer Ungleichheit geprägten Systems. Die genossenschaftliche Organisation sollte dem entgegenwirken, indem die Erhaltung der Selbstständigkeit der Genossenschaftsmitglieder und deren Kreditfähigkeit und Kreditwürdigkeit gewährleistet wurden (Tschanen-Hauser: 118).
Der Ursprung der modernen Genossenschaftsbewegung liegt in England. Erstmals propagierte der Industrielle Robert Owen 1820 den Genossenschaftsgedanken und legte sein Fundament, diese ersten praktischen Versuche scheiterten jedoch. Im Jahr 1844 entwickelten 28 Weber die Prinzipien und Grundsätze für die Rochdaler Konsumgenossenschaft, auf deren Grundlage auch die spätere Genossenschaftsbewegung in Deutschland ihre Erfolge erzielte. Die Konsumgenossenschaft sollte Grundlage einer Vollgenossenschaft sein, die Lebens- und Wirtschaftsbereiche der Beteiligten einbezieht und sich zu einer nach eigenen Bedürfnissen selbstverwalteten und selbstversorgenden Gemeinschaft entwickelt. „Durch die Selbstorganisation sollte die wirtschaftliche Abhängigkeit der Arbeiter vom Prozess der Industrialisierung aufgehoben werden. Der Genossenschaftsgedanke war Träger einer erhofften Wirtschafts- und Sozialreform.“ (Mersmann: 17).
In Deutschland sind die Ursprünge der modernen Genossenschaftsbewegung durch den Einsatz von Friedrich Wilhelm Raiffeisen (1818-1888) und Hermann Schulze-Delitzsch (1808-1883) gelegt. Der bürgerlich-liberale Jurist Schulze-Delitzsch beeinflusste maßgeblich die Entwicklung des Genossenschaftsgesetzes, das auf die Preußische Gesetzgebung zurückgeht. Das Gesetz gibt den eingetragenen Genossenschaften organisatorische Regelungen vor, die sich an den genossenschaftlichen Prinzipien der Selbsthilfe, Selbstverantwortung und Selbstverwaltung ausrichten (Zerche u.a.: 10). Schulze-Delitzsch gründete 1847 die erste „Rohstoffassoziation“ für Tischler und Schuhmacher und 1850 den ersten „Vorschussverein“, der Vorläufer der heutigen Volksbanken (Vgl. Deutscher Genossenschafts- und Raiffeisenverband DGRV).
In den folgenden Jahrzehnten verbreitete sich die Genossenschaftsidee in Deutschland und zahlreiche Haushalte und Betriebe schlossen sich nach den Grundsätzen von Raiffeisen und Schulze-Delitzsch zusammen (Vgl. DGRV). Zahlenmäßig, aber auch von ihren sozialreformerischen Ansprüchen her erreichte die Genossenschaftsbewegung in Deutschland erst in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts ihren Höhepunkt, als sie in der organisierten Arbeiterschaft nahezu vollständig akzeptiert war. „Wenn man nun von der Genossenschaftsbewegung als der wirtschaftlichen „Dritten Säule“ der Arbeiterbewegung sprach, waren im Wesentlichen Konsumgenossenschaften gemeint.“ (Mersmann: 23) Die Anfänge der deutschen Genossenschaftsbewegung, die von bürgerlichen Reformen getragen wurde, waren darauf gerichtet, die wirtschaftlich Schwachen für den Markt konkurrenzfähig zu machen. Erst die Genossenschaften der Arbeiterbewegung verfolgten den Aufbau einer solidarisch strukturierten alternativen Ökonomie. Die kulturelle Verbundenheit innerhalb der Arbeiterbewegung ermöglichte die Entfaltung demokratischer und solidarischer Strukturen in den Genossenschaften. Da die Arbeiterbewegung weitgehend gesellschaftliche Ziele verfolgte, bedeutete genossenschaftlicher Zusammenschluss auch starke Solidarität nach außen (ebd.: 26ff).
Es ist möglich für die deutsche Genossenschaftsentwicklung fünf Gründungswellen zu unterscheiden (Mersmann/Novy: 33ff):
- in den 50er und 60er Jahren des 19. Jahrhunderts (Genossenschaftsgründungen von Handwerkern, Kleingewerbetreibenden und Landwirten)
- während der 90er Jahre bis in das erste Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts (Aufschwung der Arbeiterkonsumgenossenschaften und Arbeiterbaugenossenschaften)
- zu Beginn der Weimarer Republik (Bauhüttenbewegung, Aufschwung der Konsum- und Baugenossenschaften)
- nach Kriegsende 1945 (Neugründungen vor allem von Baugenossenschaften)
- seit Mitte der 70er Jahre (Alternativbewegung und Ansätze einer Selbsthilfeökonomie)
2 Charakteristik der Genossenschaften
Für die Charakterisierung von Genossenschaften stellen die Genossenschaftsprinzipien wesentliches Kriterium dar. Zu ihnen zählen einerseits die normativen Ansprüche von Selbsthilfe, Selbstverwaltung und Selbstverantwortung sowie das Förder-, Demokratie-, Identitäts- und Solidaritätsprinzip.
2.1 Normativer Anspruch der Selbsthilfe, Selbstverwaltung und Selbstverantwortung
Genossenschaften zählen in Deutschland zu den sog. Selbsthilfeorganisationen (SHO). Die Mitglieder der Genossenschaft haben mindestens ein gemeinsames Interesse, die sie in der Kooperation verwirklichen möchten. „Die Mitglieder einer Genossenschaft wollen in solidarischer Selbsthilfe ihr gemeinsames Interesse verfolgen.“ (Zerche u.a.: 11) Der Selbsthilfegedanke setzt die Freiwilligkeit des Beitritts und die Möglichkeit des Austritts aus einer Genossenschaft voraus, dies wird als „offene Mitgliedschaft“ bezeichnet. Selbsthilfe heißt in einem engen Verständnis auch Unabhängigkeit von Fremdhilfe, also Hilfe Dritter, wodurch die Abhängigkeit von den Interessen Dritter vermieden werden soll (ebd.: 11f.).
Die Selbstverwaltung ist durch zwei grundlegende Normen gekennzeichnet. Einerseits von Veränderung der Eigentumsverhältnisse in Richtung Kollektivierung, andererseits von Demokratie im Arbeitsleben durch Selbstbestimmung (Gubitzer: 15). Die Selbstverwaltung ergibt sich daraus, dass die Genossenschaften im Privateigentum der Mitglieder stehen und diese ihre Genossenschaft führen und kontrollieren. Die Organe der Rechtsform der eingetragenen Genossenschaft dürfen nur durch Mitglieder besetzt sein und werden demokratisch gewählt (Zerche u.a.: 12f.).
Das Prinzip der Selbstverantwortung bezieht sich auf die Haftung der Genossenschaft. Gläubigern gegenüber haftet allein der Genossenschaftsbetrieb (§2 GenG), erst im Konkursfall müssen Nachschüsse zur Konkursmasse geleistet werden, insofern dies in der Satzung vorgesehen ist. Über die selbst gestaltete Satzung ist der Ausschluss persönlicher Haftung möglich (ebd.: 13).
2.2 Die Grundprinzipien: Förder-, Demokratie-, Identitäts- und Solidaritätsprinzip
Das förderwirtschaftliche Agieren ist ein entscheidendes Charakteristikum von Genossenschaften und ist im Genossenschaftsgesetz verankert: Gesellschaften von nicht geschlossener Mitgliederzahl, deren Zweck darauf gerichtet ist, den Erwerb oder die Wirtschaft ihrer Mitglieder oder deren soziale oder kulturelle Belange durch gemeinschaftlichen Geschäftsbetrieb zu fördern (Genossenschaften), erwerben die Rechte einer "eingetragenen Genossenschaft" nach Maßgabe dieses Gesetzes. (§1 Abs.1 GenG) Die Genossenschaft dient als freiwilliger Zusammenschluss der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Förderung der Mitglieder und nicht zur Kapitalverwertung.
Das Demokratieprinzip verdeutlicht durch das „ein Mensch eine Stimme“-Konzept die Abgrenzung zu Kapitalgesellschaften. Unabhängig von der Anzahl der eingebrachten Kapitalanteile, der Erfahrung oder der Position verfügt jedes Genossenschaftsmitglied in der Generalversammlung formal über das gleiche Stimmrecht.
Die Genossenschaft schließt jeweils zwei normalerweise durch den Markt getrennte Rollen im Interesse der Schwächeren zu einer Personengruppe der Genossenschaftsmitglieder zusammen – das Identitätsprinzip. Bei der Wohnungsbaugenossenschaft sind es MieterIn und VermieterIn, in der Konsumgenossenschaft VerbraucherIn und HändlerIn, in der Produktivgenossenschaft KapitaleignerIn und Beschäftigte und bei der Sozialgenossenschaft die Anbieter und Nutzer sozialer Dienstleistungen (Flieger, 2009).
Das Solidaritätsprinzip wurde erst später zu den genossenschaftlichen Grundprinzipien hinzugefügt und ist eher unter dem Begriff „Genossenschaftsgeist“ bekannt. Auswirkungen hat das Solidaritätsprinzip insbesondere auf die Unternehmenskultur von Genossenschaften bezüglich ihrer Werte, Einstellungen und Verhaltensweisen. Flieger betont vor allem die Bedeutung von Solidarität als Stabilitätsfaktor der Genossenschaft und ihren Stellenwert in Gründungs- und Krisenzeiten (ebd.). Des weiteren werden als wesentliche genossenschaftliche Prinzipien das Regionalprinzip (oder Kirchturmprinzip), Subsidiaritätsprinzip und Dezentralität bezeichnet.
Vom Internationalen Genossenschaftsbund (ICA) wurden in Anlehnung an die Rochdaler Pioniere die wesentlichen Prinzipien von Genossenschaften wie folgt zusammengetragen (Vgl. Elsen, 2007: 257):
- freiwillige und offene Mitgliedschaft
- demokratische Willensbildung
- wirtschaftliche Mitwirkung der Mitglieder
- Autonomie und Unabhängigkeit
- Ausbildung, Fortbildung und Information
- Kooperation mit anderen Genossenschaften
- Vorsorge für die Gemeinschaft der Mitglieder
2.3 Entscheidungs- und Partizipationsstrukturen der Genossenschaft
Die genossenschaftlichen Organe stellen die Generalversammlung (Legislative), der Vorstand (Exekutive) und der Aufsichtsrat (Judikative) dar (Zerche u.a.: 12). Die Entscheidungsstrukturen von Genossenschaften werden durch die Vorgaben des Genossenschaftsgesetzes determiniert. Sie schreibt für eine Genossenschaft mit mehr als 20 Mitglieder die oben genannten drei Organe vor. Darüber hinaus verfügen die Genossenschaften jedoch über gestaltbaren Spielraum.
Die Genossenschaft hat einen Vorstand (§24 GenG), der von der Mitgliederversammlung gewählt wird und von dieser auch wieder abberufen werden kann. Der Vorstand besteht mindestens zwei Mitgliedern, die bezahlt oder ehrenamtlich tätig sein können. Bei Genossenschaften mit nicht mehr als 20 Mitgliedern kann die Satzung bestimmen, dass der Vorstand aus einer Person besteht. Der Vorstand vertritt die Genossenschaft nach außen und leitet sie in eigener Verantwortung. Durch die Satzung kann die Zuständigkeit auf den Aufsichtsrat übertragen werden.
Der Aufsichtsrat (§36 GenG) wird ebenfalls von der Mitgliederversammlung gewählt und auch ggf. wieder abberufen. Er besteht aus drei Mitgliedern, die bezahlt oder ehrenamtlich tätig sein können. Die Mitglieder des Aufsichtsrates müssen, wie die des Vorstandes, Mitglieder der Genossenschaft sein. Die Hauptaufgabe des Aufsichtsrates besteht darin, den Vorstand zu überwachen (§38 GenG).
Das oberste Entscheidungsgremium der Genossenschaft ist die General- oder Mitgliederversammlung. Sie entscheidet über die Gestaltung der Satzung und damit auch über die Kompetenzregelung für Vorstand und Aufsichtsrat. Neben der Satzungsregelung ist die wichtigste Aufgabe der Mitgliederversammlung die Wahl oder Abberufung von Vorstand und Aufsichtsrat, darüber hinaus gehört es zu ihren Kompetenzen den Jahresabschluss festzustellen und über die Gewinnverteilung zu entscheiden.
Klemisch/Flieger (2007) sehen inzwischen die Gefahr einer zu starken Anpassung an die Entscheidungsstrukturen von etablierten Genossenschaften ihrer Wettbewerber. Durch den zunehmenden Wettbewerbsdruck und dem daraus resultierenden Größenwachstum entpuppt sich eine „Marktgenossenschaft“. Die einmal jährlich stattfindende Mitgliederversammlung nimmt immer mehr einen legitimatorischen Charakter an und kann eine direkte Beteiligung bei einer bestimmten Größenordnung kaum noch gewähren. Außerdem fordern sie eine Verbesserung der internen Kontrollmechanismen. Dem mit ehrenamtlichen Mitgliedern besetzten Aufsichtsrat soll die originäre Aufgabe zukommen, die Geschäftsführung des Vorstands zu kontrollieren. „Die oft übliche Beratung des Vorstands durch den Aufsichtsrat verletzt dessen Neutralität und durchbricht die erforderliche strikte Trennung von Geschäftsführung und deren Kontrolle.“ (ebd.) Neben den vorgeschriebenen Gremien, besteht auch die Möglichkeit der Installierung fakultativer Organe. Nach Klemisch/Flieger werden die Möglichkeiten der Partizipation vor allem durch diese fördernden und ergänzenden Organisationsstrukturen bestimmt. Die Institutionalisierung eines speziellen Partizipationsorgans, Bildung von Projektgruppen und lokale Basisgruppen können ergänzend eingeführt werden und stärken die direkte Beteiligungsfähigkeit.
2.4 Ehrenamt und Genossenschaft
Die Genossenschaft ist als Ort des aktiven Freiwilligenengagements zu betrachten. Durch das Merkmal der Selbsthilfe wird die Genossenschaft bereits zur Infrastruktur von Bürgerschaftlichem Engagement und trägt Funktionen auf gesellschaftlicher, organisatorischer und individueller Ebene. Alscher (2008: 94ff) findet in ihrer Untersuchung zu Ehrenamt und Genossenschaft heraus, dass es unterschiedliche Zugänge und auch Formen des Engagements in Genossenschaften gibt. Sie unterscheidet zwischen eigennützigen und formal angelegten Tätigkeiten (z.B. Funktion des Vorstands) und solchen Tätigkeiten, die sich an die breite Öffentlichkeit richten (z.B. der Einsatz zum Erhalt von Grünflächen). Das Engagement kommt meist schon im Gründungsprozess der Genossenschaft zur Geltung. Es existiert eine Vielfalt von Engagementformen, die sowohl nach innen als auch nach außen orientiert sind, mit wirtschaftlichen oder ideellem Charakter und auf materielle und immaterielle Art ausgeübt werden. Diese weit reichende Dimension des Engagements verdeutlicht, dass sich die Spezifik des Engagements nicht mit den Begriffen bürgerschaftliches oder freiwilliges Engagement abzudecken ist, sondern eigenständig als „genossenschaftliches Engagement“ beschrieben werden kann. Das Potenzial dieses genossenschaftlichen Engagements steckt in seiner demokratisierenden, integrativen und beschäftigungsorientierten Funktion. Zudem „nehmen Genossenschaften im Zuge ihres Engagements sozialpolitische Aufgaben wahr und leisten gleichzeitig einen Beitrag zur Wohlfahrtsproduktion.“ (Alscher: 96) Das genossenschaftliche Engagement hat einen gesamtgesellschaftlichen Bezug, ist strukturell verankert und weist eine „spezifische Kultur“ auf. Es wird deutlich, dass Engagement als fester Bestandteil der Genossenschaft angesehen werden kann. Dementsprechend ist es erforderlich, das Potenzial von genossenschaftlichem Engagement zu unterstützen und geeignete Rahmenbedingungen zu schaffen. Gegenwärtig werden, nach Alscher, dem Engagement durch ungünstige Rahmenbedingungen öffentlicher Institutionen Grenzen gesetzt, die es zu ändern gilt. Darüber hinaus spricht sie sich dafür aus, sensibel mit dem Potenzial „genossenschaftliches Engagement“ umzugehen, da auch dieses in seiner sozialen und wirtschaftlichen Funktion nicht überfordert werden darf (ebd.: 98).
3 Potenziale der Genossenschaft
Abbildung 13: Potenziale der Genossenschaften (Vgl. Klemisch/Flieger: 3) |
Genossenschaften sind bereits in ihrem historischen Ursprung Ausdruck gesellschaftlich verantwortungsvoller Unternehmensformen. Klemisch/Flieger (2007) differenzieren vier besondere genossenschaftliche Potenziale und Leistungsbereiche, die auch Überschneidungen vorweisen können (Abb. 13):
- Die gemeinschaftliche Daseinsvorsorge in der Gemeinde entspricht dem traditionellen Anspruch der Genossenschaft. Sie bezieht sich auf Infrastrukturleistungen wie die Versorgung mit preiswertem Wohnraum, Lebensmitteln, Energie, Wasser etc.
- Die Förderung der demokratischen Partizipation wurde bereits als Teil der Grundprinzipien beschrieben und bringt den genossenschaftlichen Anspruch Partizipationsstrukturen zu etablieren und zu fördern, zum Ausdruck.
- Innovation lässt sich nach ihrem Ergebnis in Produkt- und Prozessinnovation unterscheiden. Sie verfolgt das Ziel einer effektiven und effizienten Problemlösung, die etwas Neuartiges mit sich bringt.
- Soziale Verantwortung kann im Sinne Max Webers als Gegenstück zu seiner Machtdefinition verstanden werden. Soziale Verantwortung steht für den Verzicht darauf, innerhalb einer sozialen Beziehung die vorhandenen Chancen auf Durchsetzung der eigenen Bedürfnisse auch gegen Widerstreben und auf Kosten anderer Bedürfnisse durchzusetzen (Vgl. Weber in Klemisch/Flieger). Überprüfbar wird diese soziale Leistungsfähigkeit von Genossenschaften durch den Förderplan oder die Förderbilanz.
Elsen (2007: 256f.) beschreibt ebenfalls das Potenzial von Genossenschaften als Instrument des Zugangs zu Leistungen der Daseinsvorsorge, Existenzsicherung und sozialen Integration (auch benachteiligter Bevölkerungsgruppen). Als soziale und wirtschaftliche Gemeinschaften wird in Genossenschaften Soziales Kapital entwickelt und soziale Kohäsion gefördert, sowie die Basis einer nachhaltigen Entwicklung im regionalen und lokalen Raum gelegt. Die Fähigkeit der Innovation durch Genossenschaften wird begründet durch die Herausbildung eines pluralen und sozial eingebundenen Wirtschaftens. Hervorzuheben sind die gesellschaftspolitischen Funktionen von Genossenschaften:
- die Errichtung von countervailing power (Gegenmachtfunktion)
- die Erprobung und Durchsetzung anderer bzw. neuer Verhaltensweisen (Schrittmacherfunktion)
- die gesellschaftspolitische Aufgabe der funktionsfähigen Alternative zu privaten Unternehmen (Keimzellen- oder Alternativfunktion)
- die Funktion, die Vielgestaltigkeit des sozialen Lebens zu erweitern (Pluralitätsfunktion)
4 Genossenschaftstypen
Genossenschaften werden nach ihrer Entstehungszeit in traditionelle oder moderne Genossenschaften untergliedert. Zu den Traditionellen, also jene des 19. Jahrhunderts, zählen die Konsumgenossenschaften, Wohnungsbaugenossenschaften, Handwerksgenossenschaften, landwirtschaftliche Genossenschaften, Genossenschaftsbanken und Produktivgenossenschaften. Die im letzten Jahrhundert hinzugekommenen modernen Genossenschaften sind Einkaufsgenossenschaften, Wassergenossenschaften, Energiegenossenschaften, Verkehrsgenossenschaften und Sozialgenossenschaften (Fabricius: 112f.). Einige ausgewählte Genossenschaftstypen werden im Folgenden vorgestellt.
Konsumgenossenschaften sind Zusammenschlüsse von Konsumenten, die durch gemeinsamen Einkauf günstigere Preise und besserer Qualität durchsetzen können. Konsumgenossenschaften fördern ihre Mitgliedswirtschaften durch Senkung ihrer Lebenserhaltungskosten (Runkel: 32). Der Kooperativismus strebt ein verändertes Wirtschaftssystem durch die Zusammenarbeit der Konsumenten an. Danach lässt sich ein genossenschaftliches Wirtschaftssystem auf „reformerischen Weg durch die Macht der Konsumenten erreichen, indem sie nur in den eigenen Betrieben einkaufen.“ (Klemisch/Flieger: 11) Die Kehrseite zeigt sich als zentralisiertes Unternehmen mit unbegrenztem Größenwachstum. Heute gibt es circa 50 Konsumgenossenschaften im Lebensmittelbereich.
In der Wohnungsbaugenossenschaft werden die Mieter zu ihren eigenen Vermietern und schließlich ihr eigener Bauherr. Aufgabe der Wohnungsbaugenossenschaft ist die (preisgünstige) Versorgung ihrer Mitglieder mit Wohnraum, die Hilfe bei Bildung von Eigentum an Haus und Wohnung und die Verbesserung ihrer Wohnverhältnisse. Im Jahr 2007 gab es circa 2000 eingetragene Wohnungsbaugenossenschaften in Deutschland.
„Unter Produktivgenossenschaften im engeren Sinn werden produktive Unternehmungen gewerblicher oder landwirtschaftlicher Art verstanden, bei denen die ArbeiterInnen zugleich UnternehmerInnen sind, also die Geschäftsführung selbst ausüben, den Geschäftsgewinn teilen und gemeinsam das betriebliche Risiko tragen. Im weiteren Sinn versteht man darunter alle Vereinigungen Gleichberechtigter zu gemeinsamer Produktion unter gleicher Teilung des Gewinns.“ 1
In diesem weiteren Sinne sind Produktivgenossenschaften Genossenschaften von Produzenten, die sich auf der Anbieterseite des Marktes befinden. Anbieter und Nachfrager bleiben durch den Markt getrennt, wodurch das genossenschaftliche Identitätsprinzip nicht erfüllt ist (Fabricius: 124). Produktivgenossenschaften unterscheiden sich somit in ihrer Struktur und Zielsetzung von den übrigen Genossenschaftsarten, da sie nicht wie die anderen Hilfs- oder Ergänzungsgenossenschaften sind, sondern „Vollgenossenschaften zur Verwertung der Arbeitskraft ihrer Mitglieder.“ (Klemisch/Flieger: 14)
Als mitgliederreichste Genossenschaftsart dürfen an dieser Stelle auch die Bankgenossenschaften nicht unerwähnt bleiben. Mit aktuell 15 Millionen Mitgliedern haben sie mehr als doppelt so viele Mitglieder wie alle anderen Genossenschaften in Deutschland zusammen. Sie gelten als typische Marktgenossenschaften, deren Auftreten und Leistungsprogramm sich den Konkurrenten angeglichen hat (ebd.:16).
5 Heutige Trends und Entwicklung von Genossenschaften
Die Zahl der Genossenschaften hat sich vom Jahr 1970 mit 18.620 in Westdeutschland auf 7.927 Genossenschaften im Jahr 2004 im wiedervereinten Deutschland mehr als halbiert (Vgl. Alscher, 2006). Besonders die Zahl der Genossenschaftsbanken ist zurückgegangen und durch regionale sowie lokale Fusionen ist eine Fortsetzung dieser Entwicklung zu erwarten. Wird ein kleinerer Entwicklungszeitraum betrachtet, sind durchaus Zuwächse der Genossenschaftszahlen zu verzeichnen. Die Gesamtzahl der Neugründungen im Zeitraum 1993-2000 belief sich auf 161 (pauschal 23 Neugründungen pro Jahr), wohingegen im weiteren Verlauf eine kontinuierliche Zunahme an Neugründungen zu verzeichnen ist (44 [2000], 74 [2004], 69 [2005]) (Klemisch/Flieger: 7, Vgl. Tabelle 3). Seit 2005 hat sich die Zahl der genossenschaftlichen Neugründungen verdreifacht (Abb. 14), insbesondere durch die Resonanz im Gesundheitswesen und Energiesektor (Abb. 15).
Dass es sich nicht um einen Bedeutungsverlust der Genossenschaften handelt, zeigen auch die Mitgliederzahlen, die sich im oben genannten Zeitraum von 1970-2004 nahezu verdoppelt haben. Von 11 Millionen Mitgliedern entwickelte sich die Zahl auf 20 Millionen. Während die Mitgliederzahl der ländlichen Genossenschaften sinkt, steigt die der gewerblichen Genossenschaften in Handwerk und Industrie um fast 20% sowie die Wohnungsbaugenossenschaften um 40%. Die rückläufige Entwicklung der absoluten Anzahl der Genossenschaften wird häufig mit gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Gründen erklärt: „Die Bereitschaft zur genossenschaftlichen Solidarität sei infolge des in der Bundesrepublik Deutschland allseits gestiegenen Wohlstandes und des ausreichenden Zugangs zu Angeboten von anders organisierten Wirtschaftseinheiten zurückgegangen.“ (Göler von Ravensburg, 2006b) Klemisch/Flieger (2007: 5) sehen vor allem die Konzentrationseffekte als Ursache des Rückgangs genossenschaftlicher Unternehmen und verdeutlichen gleichzeitig die geringe Insolvenzanfälligkeit von Genossenschaften. Zudem fügen sie zur Einschätzung des Stellenwertes von Genossenschaften an, dass die Zahl der Genossenschaftsmitglieder vierfach so groß ist gegenüber der Zahl der Aktionäre in Deutschland. Darüber hinaus bleibt die Genossenschaft einer der wichtigsten Arbeitgeber und Ausbilder in Deutschland (36.000 Ausbildungsplätze), besonders treten die Volksbanken und Raiffeisenbanken sowie die genossenschaftliche Handelsorganisation Edeka und Rewe hervor (ebd.).
Abbildung 14: Gründungswellen Neuer Genossenschaften in Deutschland (FTD - Quelle: DGRV-AK, Februar 2009) |
Abbildung 15: Neu gegründete Genossenschaften nach Branche (FTD - Quelle: DGRV-AK, Februar 2009) |
1980 | 1990 | 2000 | 2003 | 2004 | |
Genossenschaften gesamt | 11.681 | 8.769 | 9.094 | 8.126 | 7.927 |
Mitglieder in Tausend | 13.275 | 15.207 | 20.027 | 20.140 | 20.329 |
MitarbeiterIn in Tausend | - | - | 463.000 | 435.800 | 421.000 |
Tabelle: Genossenschaften in Deutschland 1980-2004 (Stappel, 2005 in Alscher, 2006)
6 Die Novellierung des Genossenschaftsgesetzes
Die Reform des Genossenschaftsgesetzes vom 18.8.2006 fand anlässlich der Einführung der Europäischen Genossenschaft (SCE - Societas Cooperativa Europaea) in das deutsche Genossenschaftsrecht statt. Generell spricht sich die EU für die Förderung des Genossenschaftswesen aus (Vgl. „Genossenschaften im Unternehmen Europa“, 2001). Eine Novellierung des Genossenschaftsgesetzes wurde notwendig, um Wettbewerbsnachteile der deutschen Genossenschaft gegenüber der SCE zu vermeiden.
„Die neue Rechtsform der Europäischen Genossenschaft soll Genossenschaften die grenzüberschreitende Betätigung erleichtern. Durch attraktive Ausführungsvorschriften wollen wir einen Anreiz bieten, dass eine neu gegründete Europäische Genossenschaft ihren Sitz in Deutschland nimmt." 2 (Ehemalige Bundesjustizministerin Brigitte Zypries, 2005)
Gleichzeitig heißt es:
„Mit der neuen Rechtsform der Europäischen Genossenschaft bekommt die Genossenschaft nach deutschem Genossenschaftsgesetz Konkurrenz – aber mit der gleichzeitig in Kraft tretenden Modernisierung des Genossenschaftsgesetzes ist sie gut für diesen Wettbewerb gerüstet“ 3 (Zypries, 2006)
Die Änderungen des Gesetzes zielen insbesondere auf die Erleichterung der Neugründung sowie auf die Verbesserung der Rahmenbedingungen für kleinere Genossenschaften ab. Dazu sollten u.a. diese Erneuerungen beitragen (Vgl. Göler von Ravensburg, 2006a):
- der Förderzweck wurde um kulturelle und soziale Belange erweitert und erweitert so die Anwendungsbereiche der Genossenschaft als Unternehmens- und Rechtsform
- kleine Genossenschaften können Strukturen und Entscheidungsverfahren deutlich schlanker gestalten, Erleichterungen bei der Prüfung führen zu Kostenreduzierungen
- bei Genossenschaften bis zu 20 Mitgliedern kann auf einen Aufsichtsrat verzichtet werden, die Generalversammlung nimmt dann die Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats wahr (§9 Abs. 1 GenG)
- bei kleinen Genossenschaften kann der Vorstand aus nur einer Person bestehen (§24 Abs. 2 GenG)
- Generalversammlungsbeschlüsse können ohne vorherige Ankündigung gefasst werden, wenn alle Mitglieder anwesend sind (§46 Abs. 2 GenG)
- bei Genossenschaften mit einer Bilanzsumme bis 1 Mio. Euro oder Umsätzen bis 2 Mio. Euro ist im Rahmen der genossenschaftlichen Pflichtprüfung keine umfassende Jahresabschlussprüfung mehr erforderlich (§53 Abs. 2 GenG), die Prüfung der wirtschaftlichen Verhältnisse und der Ordnungsmäßigkeit der Geschäftsführung (§53 Abs. 1) bleibt jedoch erhalten
- die Mindestmitgliedszahl der Genossenschaft wurde von sieben auf drei abgesenkt
- Investierende Mitglieder können durch Satzungsregelung zugelassen werden (§ 8 Abs. 2 GenG), das heißt es werden erstmals investierende Mitglieder und Sacheinlagen zugelassen sowie die Übertragbarkeit einzelner Geschäftsanteile geregelt
- ein Mindestkapital kann in der Satzung festgeschrieben werden (§ 8a GenG)
- Mehrstimmrechte sind möglich bei Genossenschaften, in denen mehr als drei Viertel der Mitglieder Unternehmer sind (§ 43 Abs. 3 Nr. 2 GenG)
In einem Bericht an den Rechtsausschuss des Deutschen Bundestags (Juni, 2009) zieht Zypries Bilanz und kommt zu dem Schluss, dass sich beispielsweise die Befreiung kleinerer Genossenschaften von der Jahresabschlussbilanz bewährt hat, die Prüfungskosten sind durchschnittlich um 20% gesunken. Gleichzeitig plädiert sie für eine weitere Senkung der Kosten und bringt den Vorschlag der „Kleingenossenschaft“ oder „Mini-Genossenschaft“ in die Diskussion ein. Abschließend betonte Zypries: „Änderungen des Genossenschaftsgesetzes allein reichen nicht aus, damit mehr Genossenschaften gegründet werden. Wichtig ist, dass die Rechtsform der Genossenschaft noch bekannter wird. Bei Beratungen zur Existenzgründung muss auch die Genossenschaft ein Thema sein. Dabei ist es von zentraler Bedeutung, dass die Genossenschaft bei der Wirtschafts- und Arbeitsförderung nicht schlechter behandelt wird als andere Rechtsformen. Alle Verantwortlichen müssen hier an einem Strang ziehen, um die Attraktivität von Genossenschaften zu steigern." 4
Die Grenzen bzw. kritischen Stimmen zur Gesetzesnovellierung werden natürlich überwiegend außerhalb der Regierung laut. So wird grundsätzlich schon das Verfahren bemängelt, indem zwar Verbände und Ministerien zu einer Stellungnahme des Gesetzesvorschlags bis Dezember 2005 aufgerufen wurden, aber nicht die bestehenden Genossenschaften und ihre Mitglieder selbst (Vgl. Schulze).
Auf inhaltlicher Seite wird deutlich darauf hingewiesen, dass zwar die Gründung von Genossenschaften erleichtert wird, aber der grundsätzliche Genossenschaftsgedanke in seiner Realisierung gefährdet wird (Vgl. Dellheim). Vor allem die Gleichstellung der SCE mit der deutschen Genossenschaft, verdeutlicht eher eine verstärkte Entwicklung von Kapitalverwertungs-Genossenschaften als die Stärkung des ursprünglichen Genossenschaftswesen.
Im einzelnen sind es vor allem die Punkte der Zulassung juristischer Personen als investierende Mitglieder sowie die Bedrohung des Demokratieprinzips durch die mögliche Mehrstimmigkeit investierender Mitglieder, die Bedenken hervorrufen (Fabricius: 109).
Während in weiten Fachkreisen (Genossenschaftsverband Norddeutschland e.V., Zentralverband deutscher Konsumgenossenschaften e.V., DGRV) die Gesetzesnovellierung grundsätzlich befürwortet wird, befürchten kritische Vertreter der Praxis die Öffnung für den Kapitalzufluss, den größeren Einfluss kapitalstarker Mitglieder und Verteilung des Gewinns entsprechend dem Anteil am eingebrachten Kapital (Vgl. Schulze). „Getreu dem neoliberalen Wirtschaftsmodell der Europäischen Verfassung mit ungezügeltem "freien" Wettbewerb ist nicht die genossenschaftliche Selbsthilfe Gründungsmotiv, sondern die Kapitalanlage mit entsprechender Ellenbogenfreiheit des Stärksten.“ (ebd.) Durch die Vorschreibung eines Mindestkapitals von 30.000 Euro in der SCE, stellen sich nun Genossenschaftsanteile als Kapital dar. Des weiteren wird bemängelt, dass sich durch die Gesetzesnovellierung der Zugang von investierenden Mitgliedern in Genossenschaft und Aufsichtsrat erleichtert wurde (ebd.).
Die Kritik richtet sich also überwiegend gegen eine drohende „Kapitalisierung von Genossenschaften“ per Gesetz, indem eine Reduzierung des Demokratieprinzips der Genossenschaft einhergeht und die Genossenschaft als Alternative im Sinne förderwirtschaftlichen und nicht-kapitalverwertender Organisation degradiert wird.
7 Abgrenzung der Genossenschaft von e.V. und GmbH
Genossenschaften aus ökonomischer Sicht |
|
Vorteile | Nachteile |
Mögliches Stützen auf das Interesse einer großen Anspruchsgruppe, um betriebliche Innovation vorzunehmen | Die Mitgliederorientierung kann Probleme hervorrufen, wenn das Produkt- oder Dienstleistungsangebot diversifiziert werden soll, die Mitglieder aber kein Interesse an einem solchen Schritt haben |
Umsetzung des Konzepts der „effizienten Verbraucher-Rückkopplung“ | Durch demokratische Strukturen kann sich der Entscheidungsprozess verlangsamen |
Arbeitnehmer als Eigentümer stärker motiviert | Bei einer großen Mitgliederzahl kann es schwierig sein, die Bedürfnisse und Interessen der Mitglieder im Auge zu behalten |
Durch die Mitgliederbindung besteht größerer Spielraum für die vorübergehende Anpassung an wirtschaftliche und sonstige Schwierigkeiten | Selten anerkannte Gemeinnützigkeit und damit hohe Versteuerung |
Nachhaltigere Entscheidungen durch demokratische Entscheidungsprozesse | Fixkosten durch verpflichtende Angehörigkeit eines Verbands |
Material- und Zeitökonomie durch Identität von Wirtschaftern und Nutzern | Abschlussprüfer nicht selbst wählbar |
Förderung Qualitätsbewusstsein | Der ungehinderte Aus- und Eintritt kann dazu führen, dass der Austritt aktiver Mitglieder die Stabilität gefährdet oder die Entwicklung beeinträchtigt |
Geringe finanzielle Hürde, kein festes Grundkapital erforderlich, Haftungsbegrenzung | Der Zugang zu öffentlichen Aufträgen ist problematisch, da Genossenschaften von öffentlichen Behörden z.T. als Organisationen ohne Erwerbscharakter angesehen und nicht zu Ausschreibungen zugelassen werden |
Freier Ein- und Austritt | |
Satzungsfreiheit | |
Betreuung durch Genossenschaftsverbände – geringes Insolvenzrisiko | |
Möglichkeit eine Verbandsstruktur aufzubauen (Risikominimierung, Vernetzung) |
Tabelle: Vor- und Nachteile einer Genossenschaftsgründung (Vgl. u.a. Kommission der Europäischen Gemeinschaften, 2001: Entwurf. Konsultationspapier Genossenschaften im ,,Unternehmen Europa”. Brüssel)
Die Gesellschaft mit begrenzter Haftung (GmbH) ist „eine Kapitalgesellschaft mit eigener Rechtspersönlichkeit, deren Gesellschafter nur mit ihrer Einlage haften“. (bpb 5). Sie ist eine juristische Person und kann zu jedem zulässigen Zweck eröffnet werden. Die GmbH stellt eine Handelsgesellschaft dar und muss im Handelsregister eingetragen werden. Vor allem ist sie durch eine beschränkte Haftung auf das Gesellschaftsvermögen gekennzeichnet. Das zur Gründung notwendige Stammkapital beträgt mindestens 25.000€, die Stammeinlage jedes Gesellschafters mindestens 100€. Organe der GmbH sind der Geschäftsführer und die Gesellschafterversammlung, ein Aufsichtsrat ist erst ab 500 Beschäftigten erforderlich (ebd.).
Brox/Flieger (2003: 219ff) haben die Eigenschaften von GmbH und eG bezüglich ihrer Eignung als sozialwirtschaftliche Organisation (SWO) verglichen, was besonders für Entscheidungsprozesse bei der Wahl der Rechtsform von Interesse sein kann. GmbH und Genossenschaften weisen vor allem formale Gemeinsamkeiten auf. Die Unterschiede konzentrieren sich auf ihre inhaltlichen Eigenschaften.
GmbH | eG | ||
Kapitalaufbringung | 25.000 Euro | Kein Mindestkapital |
→ SWO verfügen nur selten über ein großes Eigenkapital, Mitglieder finanzschwach → prinzipiell geringes Eigenkapital der eG, aber Kapitalerhöhung durch neue Mitglieder schnell möglich |
Steuer- und Kostenbelastung | unkompliziertere Anerkennung der Gemeinnützigkeit | Hohe Gründungskosten, Kosten Prüfverband | → größere finanzielle Belastung der eG |
Wirtschaftliche Vorteile | Häufig Zuschüsse und Subventionen an Gemeinnützigkeit gebunden | Effektiver und nachhaltiger als größere Organisationsform, schneller und flexibler Mitgliederwechsel möglich | → Einrichtung eines Aufsichtsrates in kleiner eG als bürokratischer Aufwand, Einschränkung Effektivität |
Haftung | Haftung mit Gesellschaftsvermögen | ||
Mitbestimmung, Organisationsgewalt | Gesellschafterversammlung: Stimmrecht nach Höhe der Einlage, Weisungsbefugnis der Gesellschafterversammlung gegenüber Geschäftsführung | Mitgliederversammlung: gleiches Stimmrecht pro Mitglied, gesetzlich festgelegte Mitgliedsrechte der demokratischen Unternehmensorganisation, keine Weisungsbefugnis gegenüber Vorstand | |
Zahl der Gesellschafter | nicht festgelegt | mind. drei | |
Publizitätspflichten | keine | Hohe Auskunfts- und Informationspflicht gegenüber Dritten und Mitgliedern | → kann sich problematisch im Wettbewerb auswirken, eher zu vernachlässigen in der SWO |
Tabelle: Charakteristik von GmbH und eG im Vergleich (Vgl. Brox/Flieger: 236f.)
Hinsichtlich ihres Aufbaus und Wesensmerkmalen ist die Genossenschaft besser als sozialwirtschaftliche Organisation geeignet als die GmbH. Die Vertretung von Werten wie Kooperation und gesellschaftliche Verantwortung sowie verankerte demokratische Strukturen ermöglichen eine hohe Identifikation der Mitglieder mit ihrer Organisation. Betrachtet man eher die wirtschaftlichen Gesichtspunkte, weist die Genossenschaft gegenüber der GmbH einige Nachteile auf, wobei das Erschwernis der unsicheren Anerkennung der Gemeinnützigkeit politisch leicht aus dem Weg zu räumen wäre. „Ein weiterer wirtschaftlicher Nachteil wäre aufgehoben mit Klärungen auf der Verwaltungsebene zu Fragen der Gemeinnützigkeit, indem Genossenschaften bei der Einhaltung der erforderlichen Auflagen hinsichtlich der Anerkennung als gemeinnützige Organisation keinen Unwägbarkeiten bzw. individuellen Einschätzungen der Verwaltungsverantwortlichen ausgesetzt sein darf.“ (Brox/Flieger: 236)
Die Genossenschaft hat in ihrer Struktur viele Ähnlichkeiten mit dem eingetragenen Verein. Der e.V. ist ein „Idealverein“, der nicht auf wirtschaftliche Zwecke ausgerichtet werden darf. Dem gegenüber ist die Genossenschaft ein „wirtschaftlicher Verein“ (Bösche:16). Die Abgrenzung von Idealverein und Genossenschaft erfolgt durch die Art und Weise der Erwirtschaftung ihrer Förderleistungen. Die Leistungsfähigkeit des e.V. beruht auf die Mitgliedsbeiträge. „Demgemäß verfügt die eG über einen ständig nach außen in Erscheinung tretenden förderwirtschaftlichen Geschäftsbetrieb, während der e.V. mit den Mitgliedern keine derartigen Fördergeschäfte abschließt, sondern diese sich auf den Vereinsanlagen betätigen lässt und ihnen dafür nur Hilfsmittel zur Verfügung stellt.“(Beuthie: 242) Auch wenn die „Förderung kultureller und sozialer Belange“ als Zweck der eG durch die Gesetzesnovellierung 2006 hinzugekommen ist, liegt der wesentliche Unterschied zum Verein im Potenzial der Genossenschaft ihre Mitglieder wirtschaftlich zu fördern.
8 Förderung des Genossenschaftsgedankens
Genossenschaftsgründungen erfordern einen „Kraftakt“ ihrer Mitglieder. Der Begriff „Genossenschaftsfähigkeit“ bedeutet, dass eine hohe Organisationsfähigkeit und -bereitschaft einer Gruppe bestehen muss, um gemeinsame Interessen vertreten zu können und sich als eigenständige Gruppe zu definieren und zu identifizieren. Das heißt auch, rechtliche Neuregelungen sind nicht alleinig für strukturelle Erleichterungen ausreichend. „Letztlich lässt sich ein entscheidender Durchbruch nur durch verstärkte Nutzung der Rechtsform eG erreichen, wenn die Zusatzkosten der genossenschaftlichen Rechtsform für Kleinbetriebe erheblich gesenkt werden.“ (Klemisch/Flieger: 43) Der Bundesverein zur Förderung des Genossenschaftsgedanken (BzFdG) plädiert für eine umfassende Informations- und Bildungsoffensive zum Genossenschaftsgedanken und seiner praktischen Umsetzung in Schulen und Hochschulen. Zudem sprechen sie sich aus für eine (Wieder-)Aufnahme der eG als gleichberechtigte Unternehmensform in allen staatlichen/öffentlichen Beratungs- und- Förderprogramme für Existenzgründer auf Bundes-, Länder- und kommunaler Ebene, bei der KfW und der Bundesagentur für Arbeit. Insbesondere verlangt der BzFdG ein Augenmerk auf Genossenschaftsgründungen im sozialen, kulturellen und gemeinwesenorientierten Bereich, eine Klarstellung des Bundesministeriums der Finanzen, dass und unter welchen Bedingungen auch Genossenschaften gemeinnützig sein können. Er fordert die Überprüfung und Transparenz über Gebühren der genossenschaftlichen Prüfverbände sowie den Betrieb einer (verbands-)unabhängigen Gründungs- und Entwicklungsagentur für neue Genossenschaften 6.
Klemisch/Flieger nennen folgende Erfordernisse zur Erhöhung der Attraktivität von Genossenschaften (Klemisch/Flieger: 43):
- stärkere Öffnung der Genossenschaft als Rechtsform für Selbsthilfe wirtschaftlich Ausgegrenzter
- Kostenübernahme für eine betreute Gründungsprüfung durch den Staat
- Erleichterungen für gemeinnützige Genossenschaften
- Entwicklung besonderer Unterstützungsmöglichkeiten für sozialpolitisch und ökologisch tätige Genossenschaften bei satzungsmäßiger Selbstverpflichtung
- Einführung eines Kontrollgremiums fördernder Genossenschaftsmitglieder mit Kontrollrechten bei nichtwirtschaftlichen Zielsetzungen bei gleichzeitig auch umfassenden Informationsrechten über die wirtschaftliche Situation der Genossenschaft
- Anerkennung der steuerlichen Abzugsfähigkeit fördernder Genossenschaftsanteile, wenn die in die Genossenschaft angelegt sind bzw. als Spende eingebracht werden
- Unterstützung bei der Entwicklung eigenständiger bundesweiter Prüfungsverbände für Produktiv-, Umwelt- und Sozialgenossenschaften bzw. für kleine und mittlere Genossenschaften
Ein interessanter Aspekt zur Förderung des Genossenschaftswesens ist die Unterstützung durch gewerkschaftliche Politik. Historisch waren Gewerkschafts- und Genossenschaftsbewegung eng miteinander verknüpft. Die Entfernung der beiden Initiativen begründet sich möglicherweise auf zwei wesentlichen Aspekten. Zum einen sind den Gewerkschaften die Produktivgenossenschaften wirtschaftlich zu unsicher und gefährden somit die dort entstandenen Arbeitsplätze. Zum anderen besteht die Gefahr des Erfolgs von Kooperationen und damit eine Ablösung von der organisierten Arbeitnehmerschaft. Wünschenswert wäre jedoch eine „programmatische Rückbesinnung der Gewerkschaften auf die Unternehmensform der Genossenschaft“, da eine Zusammenarbeit deutliche Potenziale aufweist. Die Förderung und Verbreitung des Genossenschaftsgedankens und die Betonung der Genossenschaft als Alternative zur Auslagerung von Arbeitsplätzen in ungeschützte Bereiche und als „arbeitnehmerinteressenverträglichere Alternative zur Privatisierung“ birgen vielfältige Möglichkeiten (Vgl. Klemisch/Fieger: 39, 44)
Fußnoten:
1) Definition Contraste, Monatszeitung für Selbstorganisation, abrufbar unter: http://www.contraste.org/produktivgenossenschaften.htm (Datum der Einsichtnahme: 26.10.2009)
2) Pressemitteilung des Bundesjustizministeriums „Genossenschaften werden europäisch“, abrufbar unter:
http://www.bmj.bund.de/enid/0,72434c776569746572656d706665
3) Pressemitteilung des Bundesjustizministeriums „Frischer Wind für Genossenschaften“, abrufbar unter:
http://www.bmj.de/enid/0,596ffb776569746572656d706665686c656e092d0931093a09706d635f6964092d0932353337/Pressestelle/
Pressemitteilungen_58.html (Datum der Einsichtnahme: 27.10.2009)
4) Pressemitteilung des Bundesjustizministeriums „Kleine Genossenschaften fördern - für mehr bürgerschaftliches Engagement“, abrufbar unter:
http://www.bmj.bund.de/enid/0,cc1eee6d6f6e7468092d093130093a0979656172092d0932303039093a09706d635f6964092d0936303030/
Pressestelle/Pressemitteilungen_58.html (Datum der Einsichtnahme: 27.10.2009)
5) http://www.bpb.de/popup/popup_lemmata.html?guid=J20J7M (Datum der Einsichtnahme: 27.11.2009)
6) BzFdG, abrufbar unter: http://www.genossenschaftsgedanke.de/documents/Flankierende_Massnahmen.pdf (Datum der Einsichtnahme: 27.19.2009)