EU-Projekt "Anker 10"

Kontakt:

Stefan Arlanch, Gebietsbetreuung Favoriten, Triester Straße 52/12/R1, A-1100 Wien, Tel.: 0043/699/713 01 68, Email: gbgem10@aon.at


Vorgeschichte

Im Jahr 2003 wurde seitens der Stadt Wien (Magistratsabteilung 50, Wohnbauforschung) angedacht, sich an dem internationalen Vorhaben "integrated development of urban neighbourhoods" zu beteiligen.
Eingereicht und bewilligt wurde das EU-Projekt schließlich als Beitrag zum INTEREG IIIC Programm unter dem Namen "POSEIDON" (Acronym für Partnership On Socio-Economic and Integrated Development Of Deprived Neighbourhoods). Das Projekt verfolgt das Ziel, den internationalen Erfahrungsaustausch über Stadtteilmanagementstrategien zu fördern und innovative Pilotprojekte in den Partnerstädten zu implementieren. Durch die kritische Durchsicht von Inhalten, Instrumenten und Strukturen bestehender Stadtteilmanagementprojekte und der gemeinsamen Entwicklung und Erprobung neuer Ansätze in insgesamt sechs europäischen Großstädten soll eine Weiterentwicklung von Konzepten im Stadtteilmanagement gelingen. Lead Partner des Projekts ist die Stadt Wien. Neben Wien zählen London Haringey, Stockholm, Genua North-Kent und Amsterdam zu den Projektpartnern. Mit der lokalen und internationalen Projektkoordination wurde das Wissenschaftszentrum Wien (WZW) von der Magistratsabteilung 50 (Wohnbauforschung) beauftragt.
In der ersten Phase "Exchange Of Experience" bis Ende Juni 2004 ging es um den gezielten Erfahrungs- und Wissensaustausch vor Ort. Die Experten und Expertinnen für Stadtteilentwicklung aus den Partnerstädten trafen sich in Wien, Genua und London, um Einblicke in die lokalen, städtespezifischen Aspekte zum Thema Stadtteilmanagement zu gewinnen.
In der zweiten Projektphase - beginnend Anfang Juli 2004 - nutzen die sechs Partnerstädte die bisher gesammelten städtespezifischen Erfahrungen in der Stadtteilentwicklung aus, um die bestehenden Ansätze weiterzuentwickeln. Vor allem durch die praktische Umsetzung gemeinsam konzipierter Pilotprojekte wollen die teilnehmenden Experten und Expertinnen innovative Instrumentarien und Methoden erproben, um die Förderung sozioökonomisch benachteiligter Viertel in europäischen Städten zu optimieren.
In Wien gibt es zu POSEIDON zwei an unterschiedlichen Schwerpunkten arbeitende lokale Pilotprojekte (local subpilots). Zum einen ist dies das Projekt "ANKER 10" - "Gemeindenachbarschaften in Wien". Konzipiert wurde es bereits im Jahr 2002 von der Firma PlanSinn für die Magistratsabteilung 50. Bis zum darauf folgenden Jahr wurde es in Zusammenarbeit mit der Gebietsbetreuung Favoriten weiterentwickelt. 2004 schließlich wurde das Projekt nach der Gebietsfestlegung unter dem Titel "Anker 10" in das POSEIDON Netzwerk integriert.
"ANKER 10"wird im Rahmen eines Zusatzauftrags von der Gebietsbetreuung Favoriten und der Firma PlanSinn Gmbh&CoKEG (DI Johannes Posch) geleitet und durchgeführt. Als externen Berater in methodischen und inhaltlichen Fragen engagierte die Gebietsbetreuung DSA Christoph Stoik, Lehrender für Gemeinwesenarbeit (GWA) an der Sozialakademie.
Die Finanzierung des Projekts erfolgt zur Hälfte durch Mittel der EU und der Stadt Wien, im speziellen die Magistratsabteilungen 25 und 50.


Konzept

Das lokale Pilotprojekt ANKER 10 (Projekt-Name als Referenz zu den Ankerbrotgründen sowie dem 10. Bezirk) arbeitet seit Juli 2004 im Rahmen des EU-Projekts POSEIDON gemeinsam mit Bewohnerinnen und Bewohnern der Ankerbrotgründe, sowie in diesem Gebiet tätigen Institutionen an der Verbesserung des Wohnumfeldes im Stadtteil.
In der ersten Projektphase führte das Projektteam Sondierungsgespräche mit Personen und Institutionen, die die Situation im Bearbeitungsgebiet beruflich bedingt kennen und einschätzen können. In diesen Gesprächen sammelten wir Eindrücke und Interpretationen zur Situation der Bewohner und Bewohnerinnen und vereinbarten Kooperationen für die weitere Projektarbeit.
Das Projekt ANKER 10, das sich zum Ziel gesetzt hat, engagierte Bewohner und Bewohnerinnen in den Ankerbrotgründen in Favoriten zu unterstützen und begleiten, dauert vom Juli 2004 bis Ende 2006. Die "Gebietsbetreuung Favoriten, Betreuung städtischer Wohnhausanlagen" sieht im Projekt eine Möglichkeit präventiv zu wirken, bereits im Vorfeld mögliche Konfliktherde zu entschärfen. Ausgehend von den Interessen, Ideen und Möglichkeiten der Bewohner und Bewohnerinnen sollen positive, spürbare und vor allem nachhaltige Veränderungen erreicht werden.
Das Projektteam von "ANKER 10" arbeitet eng mit den im Stadtteil tätigen politischen und sozialen Institutionen zusammen, um möglichst effektive und tatsächlich im Interesse der Bewohner und Bewohnerinnen liegende Veränderungen zu erreichen.
Zusätzlich kann "ANKER 10" auf ein Netzwerk verschiedener europäischer Städte zurückgreifen. Hier können positive Erfahrungen und Wissen, originelle Ideen und Lösungen ausgetauscht werden. Dies alles soll letztlich den Bewohnern und Bewohnerinnen und der positiven Entwicklung des Stadtteils zugute kommen.

Ziele des Projekts

  • Es soll ein verstärktes Miteinander im Stadtteil erreicht und Strukturen zur konstruktiven Konfliktaustragung bzw. zur Entschärfung von bestehenden Konfliktpotentialen geschaffen werden.
  • In persönlichen Gesprächen soll die isolierte, vereinzelte Sicht auf die bestehenden Problemlagen aufgebrochen werden. Es sollen kollektive Aspekte individueller Betroffenheit organisiert, Nachbarschaften gestärkt, lokale Potentiale mobilisiert werden.
  • Partizipative Optimierung des Einsatzes öffentlicher Mittel für den Stadtteil.
  • Selbsttragende Prozesse sollen initiiert werden, die von den Bewohnern und Bewohnerinnen selbst in Bewegung gehalten werden. (Nachhaltigkeit der Veränderungen)
  • Es soll auf eine Grundmobilisierung hingearbeitet werden, die sich nicht nur in kleineren, isolierten Einzelprojekten erschöpft, sondern nachhaltige Wirkung auf das ("unsichtbare") Gemeinwesen, also das soziale Klima innerhalb der Anlage hat.

Vorgehensweise, Arbeitsprinzipien:

  • Nutzung lokaler Ressourcen, also der Erfahrungen und des Wissens der Bewohner und Bewohnerinnen. Diese selbst sind die Experten für ihr unmittelbares Lebensumfeld.
  • Einbeziehung möglichst vieler Bewohner und Bewohnerinnen , als auch der im Gebiet tätigen Institutionen sowie Akteuren und Akteurinnen. Nur wenn an vorhandene Interessen, Aktivitäten und Bedürfnislagen angeknüpft wird, ist es möglich, diese als Partner bei Veränderungsprozessen zu gewinnen. Es geht also letztlich darum, mit ihnen gemeinsam eine Lebenswelt zu verändern, die von ihnen derzeit mitunter selbst als unzumutbar, erdrückend, einengend oder anregungsarm empfunden wird.
  • Vernetzung und Kooperation im Rahmen bestehender Aktivitäten. Begleitung konkreter Projektumsetzungen, wenn diese aus den Kooperationen hervorgehen. Dabei wird auf die inhaltliche Abstimmung mit der Bezirksvorstehung und den zuständigen Abteilungen geachtet.

Methoden

Neben der Grundfrage im Projekt, wie zur Verbesserung der Lebenssituation im Wohnumfeld beigetragen werden kann, war eine weitere wichtige Frage, wie schwer erreichbare Gruppen in das Projekt eingebunden, wie frustrierte und enttäuschte Menschen aktiviert und für eine Mitarbeit gewonnen werden können. Die Gemeinwesenarbeit bietet zwar ein reichhaltiges methodisches Instrumentarium, es haben sich indes für den konkreten Fall eine Reihe von Hindernissen und Schwierigkeiten aufgetan:
Methoden wie die aktivierende Befragung, können aufgrund der zeitlich und personell beschränkten Ressourcenlage nicht in vollem Umfang angewendet werden.
Sämtliche Bewohner und Bewohnerinnen anzusprechen - es wohnen über 2500 in der Anlage - ist grundsätzlich nicht möglich.
Auf der anderen Seite sind Methoden wie "Stiegenversammlung", "World Cafe", "Planning for Real", "Zukunftswerkstatt",... mit dem Risiko behaftet, dass die zu einem Gelingen der Veranstaltung notwendige Teilnehmeranzahl nicht zu mobilisieren sein wird. Weiters besteht die Schwierigkeit, dass über themenbezogene Veranstaltungen oder auch situativ zur Anwendung kommende Methoden wie Hofgespräche und Gespräche mit Jugendlichen im Umfeld von Spielplätzen jeweils nur ein vergleichsweise kleiner Teil der Zielgruppe erreicht werden kann. Diese überwiegend sprachlich orientierten Methoden müssen mit anderen niederschwelligeren Methoden ergänzt werden, um die "people hard to reach" (POSEIDON) zu erreichen.
Das Projektteam ist zu dem Schluss gekommen, eine Mischung unterschiedlicher Methoden anzuwenden um die definierten Ziele erreichen zu können. In einem ersten Schritt näherte sich das Projektteam dem Zielgebiet bzw. den Menschen im Zielgebiet, sowie den Problemen und Stärken im Gebiet anhand Experten- und Expertinnengesprächen mit Multiplikatoren (Bezirksräte, Vereine, ehemaliger Wiener Integrationsfonds, Hausbesorgern,...) Dabei geht es einerseits darum, wichtige Kontakte im Stadtteil zu knüpfen, Vertrauen aufzubauen, Multiplikatoren von Beginn an mit einzubeziehen und Defizite als auch Ressourcen im Gebiet zu identifizieren.
Dabei versuchen wir die Haltung und die Techniken der "Aktivierenden Befragung" einzusetzen: Die Anliegen und Sorgen werden ernst genommen, über eine Plattform schließlich soll die Möglichkeit bestehen, Unmut zu äußern, aber auch Probleme konstruktiv zu bearbeiten. Die Mitglieder des Projektteams nehmen bei diesen Gesprächen eine neugierige und akzeptierende Grundhaltung ein. Es geht nicht darum, Lebenswelten, bzw. eingefahrene Sichtweisen in einem Gespräch zu verändern, sondern viel mehr darum, mit den Gesprächspartnern in Reflexionsprozesse zu treten, welche konkreten und bearbeitbaren Probleme im Gebiet identifizierbar sind und erste Ideen für eine Bearbeitung zu entwickeln. Wenn in weiterer Folge dann eine genügend große Zahl von Bewohnern und Bewohnerinnen interessiert und ansprechbar geworden ist, kann in einem nächsten Schritt im Rahmen noch zu konzipierender Veranstaltungssettings gemeinsam über bestehende Probleme gesprochen und mögliche Lösungen im Rahmen von Subprojekten nachgedacht werden.


Status quo vor Ort

Die äußere Situation der Wohnhausanlage in den Ankerbrotgründen lässt sich wie folgt beschreiben:
Die 995 Wohneinheiten bzw. ca. 2500 Bewohner und Bewohnerinnen umfassende Anlage macht auf den ersten Blick durchaus nicht den Eindruck einer "benachteiligten Region". Es gibt viel grün, die Fassaden sind in gutem Zustand. Bei näherem Hinsehen zeigt sich allerdings ein schon etwas anderes Bild. Die Büsche sind übersät mit weggeworfenen Flaschen, Dosen, Papier. Hundstrümmerln wohin das Auge blickt, die Durchgänge zwischen den Stiegen sind mit Parolen und Graffiti bekritzelt. Des Weiteren sticht ins Auge, dass auch bei schönem Wetter im Sommer kaum Menschen in den Grünanlagen anzutreffen sind, was wohl auch damit zu tun haben mag, dass kaum Bänke vorzufinden sind. Ebenfalls augenfällig ist die große Anzahl an Hinweis- und Verbotsschildern.
Was die Bewohnerstruktur anlagt, so kann eine starke Zuzugstendenz neoösterreichischer Bewohner und Bewohnerinnen vor allem türkischer Herkunft, bei gegenläufiger Wegzugstendenz altösterreichischer Bewohner und Bewohnerinnen festgestellt werden. Nicht zuletzt die hohe Zahl großer Wohnungen macht die Anlage für Bewohner und Bewohnerinnen mit mehreren Kinder attraktiv - und dies ist aus demographischen Gründen stärker bei Bewohnern und Bewohnerinnen türkischer Herkunft der Fall.
Ein Wort zur Altersstruktur: Bei der Errichtung der Anlage im Jahre 1984 wurden vorzugsweise größere Familien mit kleinen Kindern angesiedelt. Diese sind zwar mittlerweile erwachsen, die Anzahl älterer Menschen ist jedoch nach wie vor, speziell im Vergleich zum nördlich der Quellenstrasse gelegenen Altstadtgebiet ("Kreta") sehr gering.
Die Konfliktfelder innerhalb der Anlage verlaufen - wie in vielen anderen Gemeindebauten auch - entlang der Linien Kinder/Jugendliche (verbunden mit der Themen Lärm, Schmutz, Vandalismus) und Österreichern und Österreicherinnen mit migrantischer Herkunft (Problematik der unterschiedlichen Lebensstile). Das Thema Hunde (Hundstrümmerl, freilaufende Hunde ohne Beisskorb) ist zwar nach wie vor präsent, hat allerdings an Vehemenz verloren.
Generell gibt es eine starke Tendenz, strukturelle Probleme an Einzelpersonen oder spezifischen Gruppen festzumachen. Häufig wird auch Ursache und Anlass verwechselt bzw. gleichgemacht: Beispielsweise sind viele Konflikte im Wohnbereich nicht auf kulturelle Wurzeln zurückzuführen. Erfahrungen zeigen, dass diese oft in Generationsunterschieden, verschiedenen Lebensbedürfnissen oder persönlichen Krisen liegen. Wahrgenommen wird jedoch sehr oft der störende - "ausländische" - Nachbar.
Von vielen Institutionen wurde darauf hingewiesen, dass die Angebotslage für Kinder und Jugendliche im Stadtteil sehr dürftig ist. Dies trifft besonders ältere Jugendliche über 10 Jahre und nochmals verstärkt Jugendliche türkischer Herkunft, die gegenüber österreichischen Jugendlichen sehr oft finanziell benachteiligt sind, keine Treffpunkte haben und generell weniger Zukunftsperspektiven besitzen.
Die räumliche Enge in vielen Wohnungen von Österreichern und Österreicherinnen migrantischer Herkunft führt dazu, dass sich Kinder und Jugendliche vermehrt im öffentlichen Raum aufhalten. Dies wiederum bewirkt bei vielen ”sterreichischen Jugendlichen ein Gefühl verdrängt zu werden.
Ein weiteres Problem ergibt sich aus dem Umstand, dass die Schaffung von zusätzlichen Angeboten für Kinder und Jugendliche nicht automatisch die erhoffte Besserung mit sich bringt. Die von vielen Seiten beklagte Zunahme an Vandalismus lässt sich - so nehmen wir an - nicht umstandslos auf die fehlenden Angebote umlegen.
Dass wenige, oder zu wenige Angebote bestehen, darüber lässt sich relativ leicht, auch bei den Bewohnern und Bewohnerinnen, die unter den Jugendlichen zugeschrieben Lärmbelästigung leiden, ein Konsens herstellen. Wie diese konkret ausschauen können, und ob diese dann tatsächlich auch angenommen werden, ist eine andere Frage, die wesentlich schwerer zu beantworten ist.
Die vielleicht die meisten verschiedenen Gruppierungen umspannenden Themen in der Anlage sind "Verdrängung" (und dies in einem doppelten Sinne) und "Benachteiligung".
Altösterreichische Bewohner und Bewohnerinnen fühlen sich von neuösterreichischen verdrängt, Jugendliche fühlen sich von Erwachsenen verdrängt, österreichische Jugendliche wiederum von türkischen.
Allen gemeinsam scheint ein Bedürfnis zu sein, einen Platz für sich zu haben.
Kontaktwünsche zu Nachbarn stehen in einem besonderen Spannungsfeld. Zum einen werden - so die Einschätzung vieler Institutionen - von vielen Bewohnern und Bewohnerinnen mehr persönliche Kontakte gewünscht. Gleichzeitig werden diese erschwert durch Ängste vor dem Fremden, Zuschreibungen von Abgrenzungstendenzen ("die wollen eh keinen Kontakt") und eigenen Wünschen nach Rückzug. Bewohnern und Bewohnerinnen migrantischer Herkunft wird - mit einer Mischung aus Neid über deren rege soziale, sprich: familiäre Kontakte und Argwohn über deren Sitten und Bräuche - unterstellt, dass diese sich isolieren würden, keine Kontakte mit Österreichern und Österreicherinnen haben wollen.
Umgekehrt führen bei Bewohnern und Bewohnerinnen migrantischer Herkunft sprachliche Unzulänglichkeiten, missglückte Begegnungen zu Frustrationen des Kontaktbedürfnisses und Rückzug als Folge.
Mentalitätsunterschiede - ein gesellschaftliches Leben, das stärker auf die späten Abendstunden ausgerichtet ist, größere Emotionalität und Lautstärke, die als Aggressivität aufgefasst werden, tragen das ihrige zur Erschwerung der Kontakte bei.
Bisher konnten wir bei altösterreichischen Bewohnern und Bewohnerinnen ein starkes Gefühl wahrnehmen, unter Druck des stetig anwachsenden Teils der neuösterreichischen Bewohner und Bewohnerinnen zu stehen. Die Wahrnehmung, an den Rand gedrängt, benachteiligt zu werden, von der Politik im Stich gelassen worden zu sein, ist uns bisher einige Male begegnet. Dementsprechend groß ist die Frustration, der Ärger, aber auch die Tendenz, nach Schuldigen zu suchen.
Diese werden vermehrt in Gruppierungen gesucht, die vorrangig den Zonen außerhalb des Gemeindebaus zugeordnet werden,: Jugendlichen, "die von außen in die Anlage einfallen, lärmen und zerstören". Ausländern, "die sich an keine Regeln halten, sich nicht anpassen wollen".
Diese negative Grundstimmung erschwert den Gesprächspartnern und -partnerinnen, positive Perspektiven zu bilden. Viele Veränderungsvorschläge bewegen sich daher in Kategorien der Reduktion: Weniger Ausländer, weniger Lärm, weniger Schmutz.
In weiteren Gesprächen mit Bewohnern und Bewohnerinnen, Gewerbetreibenden, Funktionsträgern und Funktionsträgerinnen in der Siedlung und im Umfeld werden wir auch in der ersten Jahreshälfte 2005 versuchen, verschiedene Blickwinkel auf die Siedlung einzufangen, um ein möglichst differenziertes Bild der Stimmungen und Verhältnisse in der Siedlung zu erhalten.
Die 2004 begonnenen aktivierenden Gespräche mit Vertretern und Vertreterinnen sozialer Einrichtungen, Multiplikatoren und Multiplikatorinnen vor Ort wurden 2005 fortgesetzt. Aus diesen Gesprächen hat sich im Laufe der Zeit ein zunehmend differenziertes Bild der Anlage und ihrer Bewohner und Bewohnerinnen ergeben.
Dieses Bild stellt, obwohl aus vielen Quellen vor Ort gespeist, trotz allem eine Außensicht dar. So unterschiedlich die Menschen sind, so unterschiedlich sind auch ihre Interessen und Wahrnehmungen. Was für die eine Bewohnerin eine Bereichung der Anlage darstellt, ist für den anderen Bewohner eine massive Beeinträchtigung.
Und ob aus einer Chance eine Stärke oder aus einem Risiko eine Schwäche wird, hängt von vielen Faktoren ab, und nicht zuletzt vom Engagement der Bewohner und Bewohnerinnen, die damit zugleich den Beweis der Veränderbarkeit ihres unmittelbaren Lebensumfeldes liefern.
Die häufig in Gesprächen geäußerten Klagen über die schlechten Wohnbedingungen in den Ankerbrotgründen sind oft unterlegt mit der Wahrnehmung ihrer prinzipiellen Unveränderbarkeit. Manche Bewohner und Bewohnerinnen schwanken in ihrer Haltung zwischen Frustration und Resignation. Jedes Angebot, jede Initiative wird unmittelbar als vergeblich und illusorisch abgewertet. Die Erfahrungen mit missglückten und fehlgeschlagenen Veränderungsversuchen in der Vergangenheit haben eine negative Erwartungshaltung aufgebaut, die oft tatsächlich in eine selffullfilling prophecy umschlägt. Dadurch fehlen oft der lange Atem und die Geduld, Rückschläge wegzustecken und das Ziel nicht aus den Augen zu verlieren.
Wut zeigt sich, wenn strukturelle Probleme, aber auch Folgen alltäglicher Interessenskonflikte an Einzelpersonen oder spezifischen Gruppen - "den Jugendlichen", "den Ausländern" - festgemacht werden. Anstatt etwas für sich - und damit auch für die anderen - zu tun, wird argwöhnisch betrachtet, wer mehr bekommt. Bisweilen schießen die Phantasien ins Kraut, wenn z. B. angenommen wird, dass Migranten und Migrantinnen die größten Wohnungen bekommen, aber nichts dafür zu zahlen brauchen.
Die Wahrnehmung einer Unmöglichkeit der Veränderung der Umstände drückt sich oft auch in einer Unwilligkeit zu Veränderung aus. Entweder es ist eh alles in Ordnung oder es bringt alles eh nichts - in beiden Fällen ergeht an das Projektteam der implizite Appell, ein bestimmtes Thema nicht aufzugreifen. Das Gefühl der Ohnmacht wird so ein Stück weit ausgelagert.
Neben einer negativen Grundstimmung sind wir immer wieder auch auf eine Haltung gestoßen, sich nicht mit den Gegebenheiten abfinden zu wollen. Einige Bewohner und Bewohnerinnen haben sich in Netzwerken engagiert, haben ihre persönliche Betroffenheit in den Dienst der Gemeinschaft gestellt. Die Ergebnisse, die im vergangen Jahren erreicht werden konnten, unterstreichen dies.

SWOT Analyse

Aus den Gesprächen mit diversen Akteuren und Akteurinnen in der Anlage haben wir signifikante Elemente herausgenommen und in einer Stärken - Schwächen Analyse (SWOT Analyse: Strengths, Weaknesses, Opportunities, Threats) gruppiert. Dabei hat sich folgende Übersicht ergeben:

Stärken

  • Naherholungsgebiete in der Nähe (Böhmischer Prater)
  • Gute Infrastruktur und Anbindung an die öffentlichen Verkehrsmittel (2 Stationen mit der Straßenbahnlinie 6 zum Reumannplatz)
  • Einige engagierte Hausbesorger und Hausbesorgerinnen (wiener Ausdruck für Hausmeister und Hausmeisterin)
  • Räumlichkeiten für Veranstaltungen (SPÖ Sektion in der Anlage)
  • Ein akustisch abgeschirmter Fußballkäfig und Basketballplatz hinter der Anlage

Schwächen

  • Starke Verschmutzung der Freiräume
  • Vandalismus
  • Praktisch keine Sitzgelegenheiten im öffentlichen Raum
  • Negative Stimmung und Erwartungshaltung, hohes Frustrationspotential
  • Hohe Jugendarbeitslosigkeit
  • Finanziell wenig Spielraum für Freiraumgestaltung und Schaffung neuer Angebote
  • Keine Vertretungsstrukturen für die Bewohner und Bewohnerinnen
  • Wenige Angebote für Jugendliche vor Ort
  • Gewalt als häufiges Mittel der Konfliktaustragung
  • Schwache lokale Ökonomie

Chancen

  • Ungenutzte Grünfläche hinter der Anlage (gegenwärtig im Besitz der Universale)
  • Hobbyräume für diverse Aktivitäten
  • Lernerfahrungen durch Begegnungen in den Netzwerken: Auseinandersetzung mit anderen Lebensstilen und dadurch die Möglichkeit der Reduktion von Ängsten und Vorurteilen

Risken

  • Starke Zuzugstendenz von Allochthonen und starke Wegzugstendenz von Autochthonen
  • Verbreitetes Gefühl von Politik und Hausverwaltung im Stich gelassen worden zu sein
  • Öffnung der Gemeindebauten für Nicht EU-Bürger
  • Hausbesorger und Hausbesorgerinnen werden nicht nachbesetzt (Hausbesorgergesetz)


Arbeit in den Netzwerken

Das Projektteam hat sich im Jahr 2005 stark auf den Aufbau und die Vertiefung von Netzwerken konzentriert, in denen sich Bewohner und Bewohnerinnen zu regelmäßigen Treffen zusammengefunden haben, um gemeinsam an Themen, die gemeinschaftlich festgelegt wurden, zu arbeiten. Folgende Netzwerke haben sich entwickelt:

Hobbyräume

Im Zuge der aktivierenden Gespräche kam es zu einer Begegnung mit einer Bewohnerin, die auf unsere Anregung einige ihr bekannte Bewohner und Bewohnerinnen, darunter auch Jugendliche, angesprochen und zu einem ersten Treffen eingeladen hat, das vom Projektteam moderiert wurde.
Bereits im zweiten Treffen kristallisierte sich als gemeinsames Thema das Fehlen an Aufenthaltsmöglichkeiten für Kinder und Jugendliche in der Anlage heraus. Die Hobbyräume, die zwar vorhanden, aber bis zu diesem Zeitpunkt praktisch nicht genutzt wurden, wurden als entsprechende Ressource erkannt.
Über den Sommer ist es zwei Bewohnerinnen gelungen, von der Hausverwaltung die Schlüssel für insgesamt drei Hobbyräume zu erhalten. Diese wurden in dieser Zeit wieder in Schuss gebracht, also gereinigt, aufgeräumt und teilweise neu ausgestattet, sodass eine Nutzung wieder möglich war. Im Netzwerktreffen nach dem Sommer wurde intensiv über die Ausarbeitung eines Regelwerks diskutiert, das die wichtigsten Fragen klären sollte und Missbrauch nach Möglichkeit einschränkt. Eine Bewohnerin war bereits 10 Jahre zuvor Hobbyraumwartin, besaß daher ausreichend Erfahrung über mögliche Rahmenbedingungen und Schwierigkeiten einer Nutzung und war neuerlich bereit, diese Funktion zu übernehmen. Einige der zu klärenden Fragen waren: Wer darf überhaupt die Hobbyräume nutzen? Soll und kann eine Nutzungsgebühr verlangt werden? Wie sollten die Modalitäten der Schlüsselaus- und -rückgabe ausschauen? Wie ist mit Nutzern und Nutzerinnen zu verfahren, die sich nicht an die vereinbarten Regeln halten? Dürfen und können Sonderkosten für die Reinigung verlangt werden? ...
Es stellte sich bald heraus, dass durch einen noch so umfangreichen Regelkatalog Missbrauch und Schwierigkeiten nicht vermieden werden können. Stattdessen sollte das Regelwerk klar, unmissverständlich und unkompliziert sein. Entscheidend für das Funktionieren des Hobbyraumkonzepts allerdings würde sein, so die letztendliche Einschätzung, dass sich die Nutzer und Nutzerinnen die Regeln aneignen. Da lückenlose Kontrolle ohnehin nicht möglich und auch nicht sinnvoll ist, müsste ein sinnvolles Konzept erarbeitet werden, damit die Räume in gutem Zustand bleiben.
Nach mehreren Überarbeitungsschritten wurde das Regelwerk schließlich unter der Voraussetzung finalisiert, dass die konkrete Nutzung der Räume zeigen würde, inwieweit eine Adaptierung der Regeln an die jeweiligen aktuellen Erfordernisse notwendig werden würde.
In einer Probephase sollten die Räume inoffiziell in Betrieb gehen, d.h. die Hobbyraumwartin gab Nutzern und Nutzerinnen, die in die Hobbyräume wollten, auf Anfrage die Schlüssel.
Darüber hinaus wurde der 11. Jänner als Termin für ein Einweihungsfest festgelegt, an dem quasi den Bewohnern und Bewohnerinnen die Hobbyräume offiziell übergeben werden. Geplant sind für dieses Ereignis die Bereitstellung von Essen und Trinken, ein Rahmenprogramm mit verschiedenen Programmpunkten
(Tischtennisturnier, Tanzanimation, Linedance Vorführung,.), die Präsentation der Hobbyraumregeln und eventuell die Eröffnung durch Gäste in offizieller Funktion.
Erweiterte Verwendungsmöglichkeiten, die angedacht wurden, wie etwa Kino- und Spielabende, Tanzstunden und Objektgestaltung, aber auch Nutzung als Veranstaltungsort für diverse Aktivitäten, müssen noch mit der Hausverwaltung abgeklärt werden.
Methodische Fragestellungen, mit denen das Projektteam im Laufe der Zeit konfrontiert wurden, waren: Wie viel an Unterstützung benötigt die Gruppe tatsächlich? Die Frage der redaktionellen Begleitung bei der Ausarbeitung des Regelwerks durch das Projektteam war immer wieder ein Balanceakt. Auf der einen Seite weckt zu viel Einmischung Widerstand und kann als Besserwisserei, ja Kontrolle verstanden werden. Die Regeln sollten ja eben von den Bewohnern und Bewohnerinnen selbst festgelegte sein und von den Nutzern und Nutzerinnen angeeignet werden. Auf der anderen Seite waren viele Fragen vom Projektteam zu stellen, die aus dem Wissen und der Kenntnis von Fehlschlägen in der Vergangenheit gerade eben dazu dienen sollten, Wiederholungen zu vermeiden.
Eine weitere Frage bezog sich auf Art und Intensität der Einbindung der Jugendlichen. Die in den Sitzungen anwesenden Jugendlichen waren als Söhne der erwachsenen Teilnehmerinnen über deren Mütter eingeladen. Der Grad der Freiwilligkeit der Anwesenheit bzw. der Wunsch, tatsächlich an den Besprechungen anwesend sein zu wollen, war sehr unterschiedlich ausgeprägt. Zum Teil waren diese sehr passiv, drückten ihre Stimmung über Witzeleien und erhebliche Verspätung beim Eintreffen aus, zum Teil waren sie aber auch sehr bei der Sache und überraschten mit originellen und interessanten Vorschlägen und Ideen. Es wurde innerhalb des Projektteams diskutiert, ob es Sinn machen würde, die Jugendlichen zusätzlich, in anderer Form zu unterstützen oder ob deren Anbindung an die Gesamtgruppe über die Mütter hinsichtlich der beschränkten Dauer des Projekts und dem Kriterium der Nachhaltigkeit die bessere Variante darstellt. Schließlich wurde der Kompromiss gefunden, die Jugendlichen vor Ort bei der Nutzung der Hobbyräume quasi informell aufzusuchen und ins Gespräch zu kommen

Einschätzung der Reichweite der Hobbyraumöffnung

Die von den Teilnehmern und Teilnehmerinnen erreichten Veränderungen und Angebote, können - nicht nur für die Anlage selbst - modellhaften Charakter haben.
Die Hobbyräume stellen eine große Ressource dar für Austausch, Kontakt und Betätigung in der Freizeit. Für Jugendliche und Erwachsene gibt es Rückzugsräume, die Möglichkeit, kostenlos Sport zu betreiben. Es gibt Räumlichkeiten für stiegeninterne und sogar mitunter stiegenexterne Veranstaltungen.
Ob sich dieses Modell bewährt, wird sich erst im Laufe der Zeit herausstellen. Es gibt derzeit unter den Teilnehmern und Teilnehmerinnen des Netzwerks viel Optimismus, ja geradezu eine Aufbruchsstimmung. Es gibt im Umfeld aber auch - aus einer langen Geschichte gescheiterter Experimente der Nutzung von Hobbyräumen heraus - viel Skepsis und Pessimismus und eine Reihe offener Fragen: Wie sehr ist Wohl und Wehe der Hobbyräume mit der Person und dem unentgeltlichen Engagement der Hobbyraumwartin verknüpft? Wie wird die Stiegengemeinschaft mit Regelverstößen und Vandalismus umgehen? Werden die auf Grund der sehr hellhörigen Bausubstanz zu befürchtenden Beschwerden der Nachbarn über Lärm diesem Experiment ein Ende machen?

Stiegenreinigung

Eine der Stiegen, im Mitteltrakt der Anlage gelegen, ist nicht zuletzt auf Grund der ungünstigen Architektur - der Eingang erfolgt über eine Art Unterführung - gerade in diesem Bereich stark verunreinigt. Weiters sind die Wände sowohl im tiefer gelegenen Eingangsbereich als auch im Stiegenhaus selbst, stark verschmutzt und mit Graffiti beschmiert.
Einer der Bewohner des Hauses hat mit dem Projektteam Kontakt aufgenommen und seine Unzufriedenheit mit der seiner Meinung nach völlig unzureichenden Reinigung ausgedrückt. Seinem Wunsch, wir mögen dieses Anliegen an die Hausverwaltung weiterreichen, da sämtliche Versuche seinerseits allesamt erfolglos geblieben sein, haben wir nicht entsprochen. Stattdessen war unser Gegenvorschlag, mit den Mietern und Mieterinnen der Stiege zu einem Treffen zusammenzukommen und dieses Problem in der Gruppe zu besprechen.
Einige Zeit später kam diese Besprechung zustande. Es waren etwa 12 Bewohner und Bewohnerinnen anwesend. Der größte Teil der ersten Besprechung wurde dafür aufgewendet, Themen und Anliegen zu sammeln, wobei der Grundton in der Gruppe auffällig larmoyant war. Nach einigen Wiederholungen kam schließlich bei einigen Anwesenden die Einsicht auf, dass sich über bloße Beschwerden nichts Entscheidendes ändern würde. Es ließen sich mit Sicherheit Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten klären, jedoch wäre damit noch nicht die grundlegende Frage gelöst, wie die Umsetzung geleistet werden kann.
In der nächsten Besprechung drehte sich das Gespräch verstärkt um die Frage, wie der zuständige Hausbesorger und damit letzten Endes die Hausverwaltung ins Boot geholt werden kann. Die Ungeduld bei einigen Bewohnern über die ewige Verschleppung dieses Themas führte schließlich zu der Idee, die Initiative selbst zu übernehmen. Es wurde beschlossen, an einem Tag im Juli zusammenzukommen und gemeinschaftlich die Wände zu reinigen, die in besonderem Maße Gegenstand der Beschwerden waren, aber nicht im Verantwortungsbereich des Hausbesorgers liegen. Weiters sollte der Zustand vor und nach der Reinigung mit einer Digitalkamera festgehalten werden und die Dokumentation Wiener Wohnen als Beleg der Eigeninitiative zugesendet werden. Das Projektteam hat Einladungen an alle Bewohner und Bewohnerinnen des Hauses, sich an dieser Aktion zu beteiligen verfasst und verteilt.
Dieser Reinigungstag war aus mehreren Gründen ein voller Erfolg. Er machte spürbar und sichtbar, dass Verbesserungen möglich sind und das Gefühl der Zusammengehörigkeit wurde durch die gemeinsame Tätigkeit gestärkt. Die Aktion wurde zu einem Symbol des Neubeginns und zu einem Auftakt für weitere Versammlungen mit neuen Themen.
In der Nachbesprechung der Aktion im Rahmen des folgenden Netzwerktreffens nach dem Sommer wurde überlegt, in welcher Form die Klärung der Zuständigkeiten und die Besprechung des Konflikts mit dem Hausbesorger, der sich noch verschärft hatte, geleistet werden kann. Die Idee, 2 Teilnehmer der Runde als Delegierte zu wählen, die im Namen der anderen Bewohner und Bewohnerinnen mit dem Hausbesorger sprechen sollten, wurde angenommen und zugleich mit der Wahl umgesetzt.
In weiterer Folge gab es sondierende Vorgespräche und Klärungen über Zielsetzung und Ablauf dieser moderierten Runde, die von einer Mitarbeiterin der Gebietsbetreuung geleitet werden wird. Nach der Festlegung der Rahmenbedingungen waren nun der Hausbesorger, ein Interessensvertreter der Hausbesorger, zwei Delegierte und die Moderatorin zu diesem Gespräch eingeladen.
Dieses Gespräch ist bereits terminlich festgelegt und soll in der vorletzten Dezemberwoche über die Bühne gehen.
Für Jänner ist ein neuerliches Netzwerktreffen geplant, in dem die Teilenehmer und Teilnehmerinnen über das Ergebnis informiert und die nächsten Schritte besprochen werden.

Kinderworkshop

Im September veranstaltete das Projektteam mit Kindern der dritten und vierten Klasse Volksschule der Schrankenberggasse einen Workshop, in dem die Kinder, die in den Ankerbrotgründen wohnen, einen Einblick in ihre Lebenssituation geben. Die Kinder markierten auf einem Übersichtsplan der Anlage mit grünen Nadeln die Orte, an denen sie sich gerne aufhalten und mit roten Nadeln, jene, die sie vermeiden. So entstand ein buntes Bild freundlicher und unfreundlicher Orte aus der Sicht der Kinder. In weiterer Folge schwärmten die Kinder in Dreiergruppe in der Siedlung aus und fotografierten mit Sofortbildkameras die von ihnen zuvor festgelegten freundlichen und unfreundlichen Orte. Nach dem Abschluss der gemeinsamen Arbeit führten die Workshopleiter und -leiterinnen die Ergebnisse der Kleingruppen in einem gemeinsamen Plakat zusammen. Das Plakat wurde der Direktorin übergeben und im Foyer der Schule aufgehängt.
In Summe entstand durch die Hinweise der Kinder ein sehr buntes, vielfältiges und dichtes Bild ihres Lebens in der Siedlung Ankerbrotgründe. Die Zusammenarbeit mit den Kindern verlief sehr lebhaft, turbulent, aber zugleich auch sehr konzentriert und kommunikativ. Beeindruckend war, wie gut sich die Kinder in ihrer Anlage auskennen und wie kreativ sie mit den Verhältnissen vor Ort umgehen können. Die Siedlung bietet ihnen zwar viele Spielräume, jedoch sind die Einschränkungen durch schimpfende Erwachsene, durch Verbote der Hausverwaltung, durch mangelnde räumliche Angebote in Form von Sitzgelegenheiten, sowie die Beschränkungen der Nutzung der Grünflächen durch die Verschmutzung mit Müll und Hundekot enorm.
Teilweise führen die Kinder ein nomadisierendes Leben, wenn sie von Freiraum zu Freiraum vertrieben werden. Die Kinder berichteten allerdings auch von Erwachsenen, die ihnen positiv gesonnen sind.
Als Weiterbearbeitung der Ergebnisse des Workshops versucht das Projektteam mit den Eltern der Kinder in Kontakt zu treten und diese in einen Prozess einzubinden, in dem gemeinsam überlegt wird, wie die Erkenntnisse der Workshops umgesetzt werden können.

Jugendplattform

Zu den am häufigsten geschilderten Problemen in der Anlage zählen nächtliche Ruhestörung in den Häfen und Vandalismus. Beide werden häufig ursächlich mit "den Jugendlichen" in Verbindung gebracht. Die Klagen beziehen sich zumeist auf Jugendliche, die in der Nacht mit Skateboards durch die Anlage fahren, mit Basketbällen auf dem Nachhauseweg vom Spielkäfig hinter der Anlage prellen oder in den Durchgängen Fußball spielen. Obwohl Wiener Wohnen praktisch sämtliche Sitzbänke innerhalb der Anlage entfernt hat, um mit der Wegnahme von Sitzmöglichkeiten nächtliche Ruhestörungen einzuschränken, hat sich aus der Sicht vieler Bewohner und Bewohnerinnen nichts an dem Problem verändert. Stellt man diese Klagen den Beobachtungen der Streetworker von Back on Stage entgegen, wonach die Anlage im Vergleich zu anderen Bauten eher ruhig ist, ergibt sich die Frage, wofür das "Jugendlichenproblem" steht. Trotz der Fälle an Beschwerden wird auch von denjenigen, die sich über Jugendliche beschweren, eingeräumt, dass in der Tat vor Ort zu wenige Angebote für diese bestehen.
Das Projektteam hat zu diesem Thema Vertreter und Vertreterinnen von Bezirk, Jugendeinrichtungen, der Polizei, sowie Hausbesorger und Bewohner und Bewohnerinnen zu einem runden Tisch in der Sektion innerhalb der Anlage eingeladen. Eines der Ziele dieser Besprechung, zu einer vertiefenden Kooperation zwischen Back on Stage und den Hausbesorgern zu kommen, konnte erreicht werden, indem eine Vereinbarung über die Anwesenheit der Streetworker in der Anlage getroffen wurde. Weiters wurde über die Neugestaltung des Kretaparks gesprochen und über Möglichkeiten und Methoden diskutiert, Jugendliche und erwachsene Bewohner und Bewohnerinnen in die Planung mit einzubeziehen.
Angedacht wurde, eine Plattform ins Leben zu rufen, um anstehende Themen und Konflikte zwischen Jugendlichen und Erwachsenen zu besprechen. Back on Stage wird sich als Mittler zur Verfügung stellen, Kontakte zu den Jugendlichen knüpfen und mögliche Interessenten und Interessentinnen für eine Teilnahme an der Plattform zu finden.
Als problematisch wird sich erweisen, passende Jugendliche zu finden, die für sich aber vor allem auch für andere Jugendliche sprechen können. Es gibt in der Anlage sehr unterschiedliche und sich zum Teil feindlich gesonnene Jugendgruppen, die sich nur sehr schwer zu einem Austausch bereit erklären werden. Erschwert wird dieses Unterfangen durch den Umstand, dass - wie auch von der Polizei bestätigt wird - es in der Anlage eine deutliche Tendenz zur gewalttätigen Konfliktaustragung gibt.


Anker 10 - der Film

In einer Kooperation zwischen der Filmwerkstatt, dem Schauspieler und Performer Thomas Wackerlig und dem Projektteam wurde aus den Mitteln des Sachkostenbudgets zwischen Mitte März und Mitte Mai der Film "Anker 10" gedreht.
Dieser Film stellt eine aus insgesamt 86 Interviews gewonnene verdichtete Zusammenschau unterschiedlichster Realitäten dar und ist so subjektiv wie die Schilderungen der Bewohner und Bewohnerinnen im Film. Aus dramaturgischen und technischen Gründen wurde nur ein Teil der Interviews für den Zusammenschnitt verwendet. Die Endfassung kann natürlich nicht repräsentativ Themen und Bewohnergruppen widerspiegeln. Insofern geht auch die immer wieder einmal geäußerte Kritik, einige Bewohnergruppen wären unterrepräsentiert, am Kern des Filmes vorbei. Dieser Anspruch bestand von vornherein nicht und ist auch - selbst wenn er bestünde - nicht einlösbar.

Zur Machart des Films

"Wer lebt wie in Anker 10? " Mit dieser Frage machte sich der Performer Thomas Wackerlig zusammen mit Sonja Gruber von PlanSinn in die Wohnhausanlage Ankerbrotgründe auf, um dort mit unterschiedlichsten Menschen aus der Anlage ins Gespräch zu kommen.
Mit Hilfe der gespielten Kunstfigur "Hofrat Abseits", der aus seinem "Beamtendasein" ausbricht, um zu erfahren, wie der Alltag in den verschiedensten Vierteln Wiens aussieht, wurde der Erstkontakt zu einzelnen Personen, aber auch zu Personengruppen in der Siedlung aufgenommen. Alle Beteiligten wurden über die Videoaufnahmen aufgeklärt und nur mit deren ausdrücklichen Einverständnis, die Aufnahmen für den Film zu verwerten und innerhalb der Anlage zu gegebenen Anlässen vorzuführen, gefilmt.
Die Kunstfigur Hofrat Abseits stellt in der Form ein aktivierendes und die Situation entspannendes Element dar, als er zwar versucht, durch beamtlichte Kompetenz, Respekt genießen, gleichzeitig aber durch seine etwas ungeschickte, naiv-kindliche Art die Situation humorvoll auflockert und so die Menschen animiert, sich auf ein kommunikatives Spiel einzulassen.
Bei den Reportagen in der Ankerbrotsiedlung wurden die Charakteristiken der Kunstfigur eher sparsam eingesetzt. Grundsätzlich standen das Interesse und die Neugier gegenüber der Bevölkerung im Vordergrund.
Das Filmteam war an insgesamt fünf Drehtagen verteilt über zwei Monate ausschließlich im öffentlichen Raum unterwegs und versuchte, die Bevölkerung zu animieren, sich über ihre persönliche Sicht der Wohnhausanlage zu äußern. In den Interviews wurde bewusst darauf Wert gelegt, den einzelnen Gesprächspartnern und -partnerinnen zu vermitteln, dass es gerade auf ihre Beiträge ankomme, dass Interesse an ihren Geschichten, Bedürfnissen und Meinungen besteht.

Zur Nutzung des Filmes

Der Film - und dazu zählen die Produktion mit den Interviews, die Einladung zur Vorführung und schließlich die Vorführung selbst - beinhaltet verschiedene synergetische Nutzungsstränge. Es wurden zunächst durch die Interviews die Gesprächspartner aktiviert, sich über die eigene Lebenssituation in der Anlage, aber auch die in ihr wohnenden Menschen zu äußern. Dies betrifft in gewisser Hinsicht auch diejenigen, die zwar nicht direkt befragt wurden, aber in das Interviewsetting miteinbezogen waren. Wer was zu sagen hat, gar wenn man diese Person persönlich kennt, macht neugierig.
Des Weiteren wurden durch die Interviews, d.h. durch das real sich in der Anlage bewegende Filmteam, aber auch durch das Ensemble an Berichten und Erzählungen der Interviewten und Beteiligten an deren Freunde und Bekannte eine Siedlungsöffentlichkeit erzeugt.
Diese Siedlungsöffentlichkeit wurde noch einmal verstärkt durch die Vorführung des Videos. Sich selbst zu sehen, von anderen gesehen zu werden, andere Bekannte wiederum zu sehen, sollte - so die Annahme des Projektteams - ein starkes Motiv sein, zu einer Vorführung zu kommen. Zu unserer Überraschung blieb dann allerdings der Zulauf zu den Filmvorführungen etwas unter unserer Erwartung.
An einem Abend konnten jedoch unter Mithilfe einer Projektmitarbeiterin ca. 25 Jugendliche in den Höfen eingesammelt und zur Vorführung des Filmes gelotst werden. Die Diskussion im Anschluss an den Film verlief dann äußerst lebhaft und bot einige sehr wichtige Anregungen und Erkenntnisse für das Projekt.


Aktivitäten für 2006

Für das dritte und letzte Jahr des Projekts steht eine Reihe von Aktivitäten an: Die Bemühungen werden verstärkt in die Richtung gehen, ein Netzwerk mit Migranten und Migrantinnen aufzubauen. Es gibt bereits eine Reihe von Kontakten über die Moschee, den Schulworkshop, Interviews bei der Produktion des Filmes "Anker 10", die ausgebaut werden sollen.
Bereits bestehende Netzwerke werden auf andere Stiegen ausgedehnt. Die Hausbesorger als wichtigste Multiplikatoren stellen mit dem Wegfallen gewählter Mietervertreter bzw. Mietervertreterinnen wichtige Partner dar.
Die im Laufe des Jahres 2006 beginnende Umgestaltung des Kretaparks hinter der Anlage soll unter Miteinbeziehung der Jugendlichen vor Ort, aber auch der betroffenen Anrainer und Anrainerinnen geschehen. Dem Projektteam Anker 10 kommt dabei eine wichtige vermittelnde Rolle zwischen den beteiligten Akteuren und Akteurinnen zu.
Das bereits im Anlaufen befindliche Projekt "Spacelab", das Jugendliche über die Freiraumgestaltung bzw. Betreuung neue berufliche Perspektiven eröffnen will, wird auch auf die Ankerbrotgründe ausgedehnt.
Geplant sind außerdem einige Veranstaltungen und Aktionen im öffentlichen Raum der Anlage.
Auf der Poseidon-Ebene stehen die Verfassung einer Reihe von Berichten, sowie die Mitarbeit an der Vorbereitung der Abschlussveranstaltung im November in Brüssel an.
Eine immer wieder thematisierte Frage ist, welche - vor allem nachhaltigen - Veränderungen möglich sind. Mit den vorhandenen Ressourcen können zwar insular Zonen der verbesserten Kommunikation geschaffen und die Erweiterung bestehender Angebote initiiert, jedoch nicht der Sozialraum Ankerbrotgründe als solcher verändert werden. Wenn die zum Teil vielfältigen und massiven Problemlagen in Rechnung gestellt werden, mit denen nicht wenige Bewohner und Bewohnerinnen in der Anlage zu kämpfen haben, und andererseits beschränkten Ressourcen bedacht werden, dann muss sich dies zwangsläufig in einer Bescheidenheit in den Zielen niederschlagen. Dies bedeutet jedoch keineswegs vor der Macht der schwierigen Umstände zu kapitulieren. Es gilt, Verantwortung und Verantwortlichkeiten realistisch auszumachen. Arbeitslosigkeit stellt in Zeiten globalisierten Wirtschaftens sogar den Staat vor eine gewaltige Herausforderung, genauso ein lokales Gemeinwesen. Die Folgen innerfamiliärer und psychischer Problemlagen können durch einen gemeinwesenorientierten Ansatz nicht beseitigt werden. Trotzdem schafft die Möglichkeit, die den Bewohnern und Bewohnerinnen gegeben ist, Inseln des Austauschs und Möglichkeitsräume für individuelles und gemeinschaftliches Engagement und Veränderungen im Kleinen.