Erfahrungen mit einer Aktionsuntersuchung

Methodische Überlegungen zu einer Erweiterung um lebensweltliche Perspektiven


Inhalt:

Der Begriff ,Aktionsforschung' geht zurück auf eine Strategie von Kurt Lewin, der als Wissenschaftler in den USA der 40er Jahre mit Gruppen und Institutionen an Analyse und Veränderung von sozialen Problemen arbeitete. Damit befindet er sich im Gegensatz zu einer Wissenschaft, die sich lediglich auf Diagnosen beschränkt ggf. Modelle vorschlägt und keinesfalls Verantwortung für Veränderungsprozesse übernimmt. SozialarbeiterInnen haben sich diesen Forschungsansatz zu Nutze gemacht, in dem sie zeitlich versetzt ForscherInnen und PraktikerInnen sind. Hinte/Karas haben dafür die Methode der "Aktionsuntersuchung" entwickelt und beschrieben (vgl. ebd. 1989: Studienbuch Gruppen- und Gemeinwesenarbeit. Neuwied, 45f.). Die Methode sieht vor, zunächst mit einer Gemeinwesenbeobachtung und Sammlung von Strukturdaten, Meinungen, Ärgernissen und einer allgemeinen Charakterisierung zu beginnen. In einer Voruntersuchung werden Motive und Interessen, Reichweite des Vorhabens, zeitlicher Rahmen, also die Konsequenzen auch für die Untersucher geklärt. Danach folgt die Hauptuntersuchung mit Experten und Betroffenenbefragung, deren Ergebnisse auf einer Versammlung diskutiert werden und zur Umsetzung durch Delegation von Aufträgen oder die kontinuierliche Arbeit von Betroffenengruppen führen.

A. Romppel

Aller Anfang ist schwer

"Mittelfeld, das liegt doch irgendwo ... beim Messegelände." Das könnte die Standardantwort eines Durchschnitthannoveraners sein, der eben nicht in Mittelfeld wohnt und wahrscheinlich wäre es auch unsere Antwort gewesen, bevor wir das in diesem Bericht dargestellte Projekt durchführten.
Wir, die Verfasser des Artikels, sind Studierende der Evangelischen Fachhochschule Hannover im Fachbereich Sozialwesen. In einem von uns besuchten Seminar "Lebenswelten Jugendlicher erkunden" erfuhren wir von der Anfrage einer Praxisstelle, Studierende an einer Aktionsbefragung zu beteiligen, gegen Honorar versteht sich. Das bedeutete für uns: richtige Praxis zu erproben und mitzubekommen.Durch unseren Dozenten Joachim Romppel entstand der Kontakt zu den Mitarbeiterinnen der Gemeinwesenarbeit und des Quartiersmanagements im Stadtteil Mittelfeld/Hannover. Als Teil des bundesweiten Programms "Soziale Stadt" sollte dort eine Aktionsbefragung von BewohnerInnen in einem ausgewählten Wohnblock mit 60 Wohneinheiten durchgeführt werden. In Voruntersuchungen war hier zuvor ein besonderer Bedarf an Wohnumfeldgestaltung festgestellt worden, das war allerdings die Außensicht der Fachleute.

Zunächst hielten sich bei uns Begeisterung und Interesse einerseits, Skepsis und Befürchtungen andererseits, die Waage und wir brauchten einige Bedenkzeit, bevor wir zusagten. Skepsis gab es, weil wir Vergleichbares bisher nicht gemacht hatten und wenig praktische Erfahrung mit dieser Form der Sozialen Arbeit hatten. Interesse entstand bei uns, weil wir hofften durch eine praktische Arbeit vor Ort schon im Grundstudium mehr und anderes lernen zu können, als durch Studieren in Büchern und Besuche von Seminaren.
Unser Vorgehen dokumentieren und veröffentlichen wir, weil es wenig aktuelle Fachliteratur über Aktionsuntersuchungen gibt und immer wieder Nachfragen gestellt werden, die einen Bedarf aufzeigen. Wir hoffen, einen Beitrag zur Weiterentwicklung der Methoden bei Aktionsuntersuchungen geben zu können. Und letztlich hoffen wir, das Sie sich erinnern, wenn demnächst jemand fragen sollte, "wo liegt denn eigentlich Mittelfeld?"


Vorstellung des Stadtteils Mittelfeld

Mittelfeld ist ein Stadtteil im Südosten Hannovers. Der Stadtteil wird im Norden begrenzt von einer Stadtbahnlinie, im Osten vom Messeschnellweg, im Süden durch das Messegelände und im Westen durch eine ICE-Trasse. Die Verbindungen zu den benachbarten Stadtteilen sind mit längeren Wegen oder Barrieren verbunden. Man kann sagen, der Stadtteil ist weitgehend abgegrenzt.
Schlichte Reihenhäuser, Einfamilienhäuser und dreigeschossige Wohnblöcke in Zeilenbauweise der 50er-Jahre prägen das Bild Mittelfelds. Weiterhin gibt es einzelne höhere Wohngebäude und ein kleines Hochhausquartier. Im Zentrum von Mittelfeld verdichtet sich der ca. 100 Jahre alte Kern des Stadtteils. Einkaufmöglichkeiten für den täglichen Bedarf sind hier zu finden. Grünanlagen und Grünflächen stehen insgesamt in einem ausgewogenen Verhältnis zur Bebauung. Es gibt noch kleine Handwerksbetriebe und im benachbarten Stadtteil liegt ein größeres Gewerbegebiet.
In Mittelfeld leben ca. 8.400 Einwohner. Die größten Vermieter im Stadtteil sind zwei Wohnungsgesellschaften, die den hohen Anteil von Sozialwohnungen, nahezu 50% der Wohnungen Mittelfelds, verwalten.
Wenn man die Bevölkerungsstruktur in wenigen Worten charakterisieren will, lässt sich ein Zuzug von MigrantInnen feststellen, der Anteil der über 60-Jährigen ist im Verhältnis zum Stadtdurchschnitt (18%) mit 35% überdurchschnittlich hoch. Etwa 60 % der Bevölkerung sind nach dem Armutsbericht der Landeshauptstadt Hannover aufgrund fehlender Einkünfte den prekären sozialen Lagen zuzurechnen.


Beschreibung des Untersuchungsgebietes

Der 4-stöckige Wohnkomplex mit 60 Wohnungen liegt am Rande einer Kleingartensiedlung, hinter der die ICE-Trasse verläuft. Das Gebäude hat sechs getrennte Hauseingänge und jeweils eigene Treppenhäuser. Das Wohngebäude wurde in den 50er Jahren erbaut und hat pro Etage ca. zwei bis drei kleine 1- bis 3-Zimmerwohnungen. Das Wohngebäude ist halbrund erbaut, so dass ein gemeinsamer Hof entsteht, der als Parkplatz und Spielplatz genutzt wird. Die meisten Mieter sind ältere BewohnerInnen über 60 Jahre, die schon lange dort leben und BewohnerInnen aus dem osteuropäischen Staaten, die erst seit kurzer Zeit zugezogen sind.


Ziele und methodisches Vorgehen bei der Aktionsuntersuchung

Es gab vier Ziele, die durch die Aktionsbefragung erreicht werden sollten:

  • Die BewohnerInnen sollen die Möglichkeit erhalten, ihre Meinungen und ihre Sichtweisen über den Stadtteil und das direkte Wohnumfeld öffentlich äußern.
  • Die BewohnerInnen sollen motiviert werden, selbst aktiv an der Umsetzung ihrer Ideen und Wünsche bei der Veränderung des Wohnumfeldes und des Stadtteils mitzuwirken.
  • Die Wohnzufriedenheit im direkten Wohnumfeld und im Stadtteil Mittelfeld soll erfragt werden, um einen Überblick über das Verhältnis von Bedürfnissen und vorhandener bzw. genutzter Infrastruktur zu erhalten.
  • Die BewohnerInnen sollen über Aktivitäten und Angebote im Stadtteil informiert werden und sie sollen Gelegenheit bekommen auch Verbindungen aufzunehmen ( z.B. zu Sprachkursen, zum Umsonstladen u.a.).

Das Vorgehen wurde angelehnt an die im "Studienbuch Gruppen- und Gemeinwesenarbeit" (vgl. Hinte; Karas 1989, 50f.) vorgeschlagenen drei Phasen: (1) Anliegestadium und Voruntersuchung, (2) Hauptuntersuchung mit Experten- und Betroffenenbefragung und (3) Versammlung mit Gruppenbildung. In dieser Aktionsuntersuchung hatten allerdings das Anliegestadium und die Voruntersuchung bereits vorher stattgefunden. Ebenso verzichteten wir auf eine Expertenbefragung, weil die Positionen der Fachleute bereits aus Arbeitskreisen und Runden durch die Vorarbeiten zum Programm "Soziale Stadt" bekannt waren.


Ablauf der Hauptuntersuchung und Ergebnisse

In einem Anschreiben stellte sich Gemeinwesenarbeit und Quartiersmanagement als Veranstalter vor und benannte das allgemeine Ziel der Bewohnerbefragung, nämlich eine Wohnumfeldverbesserung durchzuführen. Die Gespräche mit den BewohnerInnen fanden innerhalb von zwei Wochen im August 2001 an Wohnungstüren oder in Wohnungen statt. Vereinzelt ergaben sich auch Gruppengespräche mit zwei oder mehreren MieterInnen im Treppenhaus. Von den 60 Wohnungen waren 56 bewohnt. 36 Mietparteien (64,3%) nahmen aktiv an der Befragung teil, zwölf konnten nicht erreicht werden. Fünf Mietparteien benannten deutlich kein Interesse an einer Beteiligung (8,9%), zwei Mietparteien waren zur Zeit der Befragung verreist.

Für die spätere Auswertung wurden die Aussagen während des Gesprächs schriftlich notiert, ausgewählte Strukturdaten und ergänzende Notizen wurden im Anschluss daran festgehalten. BewohnerInnen die nicht erreicht wurden, erhielten die Gelegenheit, einen gesonderten Termin zu vereinbaren und wir versuchten wiederholt sie zu erreichen. Der Schluss des Gesprächs bildete regelmäßig eine Einladung zu der Bewohnerversammlung. Dort wurden etwa 2 Wochen später die zusammengefassten Aussagen der BewohnerInnen (Überseinstimmung oder Gegensatz) ohne Interpretation vorgestellt, über gemeinsame Veränderungsideen diskutiert und erste Aktivitäten dazu geplant.

Aussagen zur Wohnung:  

  • den Mietern gefällt: guter Wohnungsschnitt (3), 
  • den Mietern gefällt nicht: schlechter Wohnungszuschnitt (4), Wasseruhr für jede Wohnung fehlt (6) Badrenovierung nötig (2)

Aussagen zum Haus:  

  • den Mietern gefällt: gute Hausgemeinschaft (5), gute Betreuung durch Vermieter (1),
  • den Mietern gefällt nicht: 
  • Lärm (11), schlechte Hausgemeinschaft (8), schlechte Betreuung durch Vermieter (4), dreckiges Treppenhaus (4), Treppenhaus etc. sollte gestrichen werden (4), Vermieter sollte auf gutes Mieterverhältnis achten (3), Verstöße gegen die Hausordnung (3),

Aussagen zum Wohnumfeld: 

  • den Mietern gefällt: ruhiges Wohnumfeld (10), Verkehrsberuhigung (2), guter Spielplatz im Hof (4) sauberes Wohnumfeld (3)
  • den Mietern gefällt nicht:
  • Aussagen zum Stadtteil:  

  • den Mietern gefällt: gute Einkaufsmöglichkeiten (14), Grünanlagen sind schön (13), gute Verkehrsanbindung (4), Wochenmarkt ist gut (4), insgesamt mit allem zufrieden (4)
  • den Mietern gefällt nicht: 
  • Dreck im Stadtteil (5), fehlende Deutschkurse (2), fehlende Kinderbetreuung für unter 3-Jährige (2)Baum direkt vor den Fenstern stört (6), Einkaufswagen im Hof (5), Spielplatz ist in schlechtem Zustand (5), Parkplätze im Hof sollten gepflastert werden (5)


Vorwissen über den Stadtteil ist erforderlich

Im Verlauf der BewohnerInnenbefragung bestätigte sich, dass es notwendig war, vor Beginn der Hauptuntersuchung möglichst detaillierte Informationen über das Gemeinwesen in Erfahrung zu bringen. Hier konnten wir auf das Vorwissen der Gemeinwesenarbeiterinnen zurückgreifen. Der Zeitbedarf der gesamten Vorplanung einschließlich der Vorinformation betrug zwar fast ein Drittel der gesamten Bearbeitungszeit. Die Beschäftigung mit dem Stadtteil hat sich im nachhinein aber als notwendig herausgestellt, d.h. wir hätten diese Vorbereitungen durchaus noch intensivieren können, um über folgende Informationen zu verfügen.

  • Kenntnisse über die Bevölkerungsstruktur (z.B. um sich auf Altersverteilung und Wohndauer oder die sprachliche Verständigung mit MigrantInnen einzustellen und ggf. Übersetzer/Vermittler hinzuzuziehen)
  • Kenntnisse über die soziale Infrastruktur (z.B. um im Gespräch Aussagen über Schulen, Kitas, Geschäfte, Freizeitangebote im Stadtteil einschätzen zu können und um Anschlussfragen stellen zu können)
  • Kenntnisse über die jüngere Geschichte und Traditionen des Stadtteils (z.B. um Redebeiträge mit Bezug auf zurückliegende Ereignisse, wie den Wochenmarkt oder das Sommerfest zu verstehen)
  • Kenntnisse über das Alltagsleben (z.B. um gebräuchliche Bezeichnungen, wie Plätze, Treffpunkte, Straßennamen, Name eines Hausmeisters oder anderer Personen zu entschlüsseln)


Zur Durchführung der Befragung

Gleich in den ersten Tagen wurde deutlich, dass es wichtig ist, die Befragungen zu unterschiedlichen Tageszeiten durchzuführen. Um berufstätige BewohnerInnen zu erreichen, sind Terminvereinbarungen am frühen Abend oder auch am Wochenende erforderlich. Auch das Wetter spielte eine Rolle, an regnerischen Tagen trafen wir weitaus mehr BewohnerInnen an, als an sommerlich warmen Tagen. Die Aktionsuntersuchung verlangte von uns in dieser Hinsicht zusätzliche Flexibilität, Spontaneität und vor allem ein hohes Maß an verfügbarer Zeit innerhalb der zwei Wochen.
Für den Beginn der Gespräche hat sich der Hinweis auf das Ankündigungsschreiben als ein guter "Türöffner" herausgestellt. So konnten wir schnell mit dem Gespräch beginnen, ohne vorab ausführlich über unser Anliegen informieren zu müssen. Einerseits fanden wir bei kritischen BewohnerInnen eher Gehör, weil wir etwas Offizielles vorweisen konnten. Andererseits stellte die im Briefkopf genannte Landeshauptstadt Hannover besonders für MigrantInnen eine Hürde dar, die ihnen kein Vertrauen einflösst, weil die Stadtverwaltung überwiegend als Kontrollinstanz erlebt wird.

Zum Fragebogen ist anzumerken, dass die offene Fragestellung sich bewährt hat:

  • Was gefällt Ihnen an Ihrem Stadtteil a) im direkten Wohnumfeld, b) im Stadtteil?
  • Was gefällt Ihnen nicht (Gründe)?
  • Welche Ideen oder Wünsche haben Sie zur Veränderung?
  • Was sind Sie bereit für eine Veränderung zu tun (Unterstützen, Mitmachen)?

(-) Interne Frage: Einschätzung der Mitwirkungsbereitschaft durch das Befragerteam (Absage-Unentschieden-Zusage)

Wir erlebten unterschiedliche Reaktionen bei unserem Erscheinen und aufgrund der Fragen. Einige BewohnerInnen betrachteten uns mit Skepsis und Misstrauen. Bei ihnen blieb die Tür nur einen kleinen Spalt geöffnet. In manchen Fällen konnten wir über unsere persönliche Vorstellung mit ersten Impulsen die Schwelle überwinden und durchaus weitergehende Gespräche führen, "wenn das Eis gebrochen war". Dies war um so leichter, wenn sich die Distanziertheit lediglich auf ein Thema und nicht auf unser Anliegen insgesamt bezogen. Andere waren sprachlos und erschienen scheu, "wie ein Igel im Licht" und hatten Schwierigkeiten den Fragen zu folgen und sich Dinge vorzustellen. Wieder andere hatten sich schon Gedanken gemacht und mit NachbarInnen gesprochen. Sie waren redebereit und kontaktfreudig, manche hatten sogar schon Infomaterial gesammelt. Einigen BewohnerInnen fiel es schwer, spontan auf Fragen zu antworten. Sie benötigten zur Anschauung praktische Beispiele und Anregungen oder es waren Stichworte zur Hilfe nötig, um auf unsere Fragen zu antworten. Gleichzeitig hatten viele durchaus die Erwartung: "wenn denn schon gefragt wird, dann sollen die auch mal was tun".
Die Antworten und Reaktionen auf unsere Fragen waren recht unterschiedlich und nur begrenzt vorhersehbar. Als geschlechtsgemischtes Team haben wir gute Erfahrungen gemacht, dass in einigen Fällen eher der Mann und in anderen die Frau als Ansprechpartner bevorzugt wurde, auch die Verschiedenheit der Charaktere konnte unterschiedliche Zugänge erschließen. Empfehlung: Das Team sollte gut eingespielt sein und wenig miteinander konkurrieren. Befürchtungen und Vorannahmen sollten im Team ausgetauscht werden, weil unausgesprochene Vorbehalte Gespräche blockieren können. Teilweise entstehen überraschende Sackgassen in den Gesprächen, aus denen der jeweils andere Teampartner heraushelfen kann, um den Gesprächsfaden weiterzuführen.
Der letzte Punkt des Fragebogens zur Mitwirkungsbereitschaft der Mieter hat sich nach unserer Einschätzung nicht bewährt. Es war häufig schwer einzuschätzen, bzw. zu bewerten, welcher Grad an Mitwirkung bei den Befragten bestand. Die Wünsche zur Veränderung waren für einige gar kein Thema, hier war uns nicht klar, woran sie dann mitwirken sollten, wenn sie zufrieden und ausgelastet erschienen und im Gespräch noch von eigener Nachbarschaftshilfe oder Gartenarbeit erzählten. Eine direkte Nachfrage zur Mitwirkungsbereitschaft in der Wohnumgebung (Aktivierungsfrage) erschien uns hier nicht angebracht und die abschließende Einschätzung war uns dann nicht möglich.

Es gab einige Gespräche, die weniger als 10 Minuten dauerten. Es ist schwierig, sich in dieser kurzen Zeit einen umfassenden Eindruck zu verschaffen, insbesondere dann, wenn die Aktivierungsfrage nicht explizit im Gespräch angesprochen wurde. Sinnvoll erscheint uns, den Punkt "Sonstiges/Bemerkungen" in den Fragebogen aufzunehmen, um z.B. besondere Fähigkeiten und Hobbys zu vermerken. Abschließend möchten wir positiv bemerken, dass keiner der Befragten Einwände gegen das Mitschreiben der Aussagen hatte und sich diese Befürchtungen zu Beginn der Untersuchung nicht bestätigten. Wir hatten jedoch unterschätzt, wie wichtig es ist, eine gut durchdachte Liste zu führen, in der festgehalten wird, wann wir wo die BewohnerInnen befragt hatten, bzw. wenn wir sie nicht antrafen, welche Gründe dafür vorlagen (z.B. wenn Nachbarn angaben, dass die Betreffenden im Urlaub seien).

Insgesamt hat die Auswertung wider Erwarten fast das Doppelte an Zeit benötigt, als die eigentliche aktive Phase der Befragung.
Bei der Festlegung der Auswertungskriterien stellte sich uns das Problem, welche Daten genutzt werden können, um die Beteiligung an der Wohnumfeldverbesserung zu fördern. Welche sind das?

  • Die Strukturdaten (wie z.B. Wohndauer, Alter der Bewohner, ethnische Zugehörigkeit usw.),
  • die Zusammenstellung der getroffenen Aussagen mit anschließender Diskussion

Oder woraus lassen sich Ergebnisse und mögliche Handlungsansätze für die Sozialarbeit im Stadtteil gewinnen?

Für die BewohnerInnenversammlung, die auf gemeinschaftliches, ggf. lokalpolitisches Handeln hinführen soll, ist die Präsentation der Zusammenfassung aller Aussagen notwendig, um zu verdeutlichen, welche Themen von Bedeutung sind und wie hoch die Betroffenheit daran ist. Der Erkenntnisprozess soll in öffentlichen Diskussionen zu Situationsanalyse, Problemdefinition und Lösungssuche führen.
Die Aktivierung der BewohnerInnen zur Mitwirkung an Veränderungen wurde erreicht. Besonders Vorteilhaft war, dass auf der Bewohnerversammlung bereits konkrete Renovierungen des Vermieters angekündigt werden konnten. Das motivierte die BewohnerInnen zusätzlich bei einigen Vorhaben auch selbst aktiv zu werden. Die Ergebnisse insgesamt können noch nicht vollständig dargestellt werden, da der Prozess der Veränderungen noch nicht abgeschlossen ist. Zu erwähnen ist, dass bereits ein Treppenhaus gestrichen worden ist und weitere Projekte noch geplant werden (wie z.B. Parkplatzpflasterung, Grünpflegearbeiten oder Installation von Wasseruhren in jeder Wohnung).

Nach Beendigung und Auswertung der Aktionsuntersuchung hatten wir den Eindruck, dass uns das Projekt unvollständig erschien. Uns fehlten weitere Meinungen und Ansichten von Menschen, die zwar mit den BewohnerInnen in Kontakt standen, aber die Lebens- und Umweltsituation aus einem anderen Blickwinkel heraus betrachteten, wie z.B. MitarbeiterInnen des Seniorenkreises, des Kindergartens oder Jugendzentrums sowie Kioskbesitzer und andere. Wir hatten zwar vorher eine Begehung des Stadtteil mit Fachleuten unternommen und Informationen erhalten. Dennoch hatten wir den Eindruck, einiges zu einseitig (nur aus der Sicht der dort lebenden BewohnerInnen) betrachtet zu haben und hätten gerne im Vorfeld oder auch im Nachhinein von Hinte/Karas erwähnten Experteninterviews gemacht. Deutlich war uns aber auch, dass wir nicht zuständig waren für die Durchführung aller Erhebungen, sondern, dass unsere Aufgabe durch eine Vereinbarung auf die BewohnerInnenbefragung und Präsentation dieser Ergebnisse begrenzt war. Wir gehen davon aus, dass die Mitarbeiterinnen der Gemeinwesenarbeit und des Quartiersmanagements regelmäßig Experteninterviews durchführen. Leider konnten wir daran nicht teilnehmen.


Ein zweites Auswertungsverfahren bietet sich an

Wir hatten in den Gesprächen weit mehr Informationen über die Nachbarschaft in einzelnen Treppenhäusern mitbekommen, als wir in der BewohnerInnenversammlung präsentieren konnten. Unser Dozent brachte uns auf die Idee, diese Informationen als Treppenhausgespräche zusammenzufassen und damit den Lebensalltag in den Hausgemeinschaften zu dokumentieren und dann mit den BewohnerInnen der jeweiligen Hauseingänge darüber ins Gespräch zu kommen.

Diese Geprächsinhalte waren allerdings weniger für die Öffentlichkeit geeignet und enthielten "Mitteilungen zwischen den Zeilen", Andeutungen von Ärgernissen oder Konfliktlinien, die Erklärung und Interpretation erforderten. Wir sind zu der Auffassung gelangt, dass Ergebnisse, die sich überwiegend über Interpretation gewinnen lassen, nicht für BewohnerInnenversammlungen geeignet sind. Allerdings brauchen auch die kleinen Sorgen und Nöte in den Treppenhausgesprächen ihren Platz, denn hier wird eine Kommunikationsebene zwischen wenigen Personen und in räumlich nahen Zusammenhang angesprochen, die sehr belastend sein kann. Das gemeinsam geteilte Treppenhaus, die Flure und die Boden- oder Kellerräume bieten zwar Anlass für Austausch, aber auch gelegentlichen Streit und erfordern Regelungen.

Bei der Auswertung haben wir diese eher verschlüsselten Aussagen der BewohnerInnen gesammelt und in Treppenhausgeschichten zusammengefasst und ausgewertet. Für fast jedes Treppenhaus ließen sich typische Themen herausarbeiten, mit denen sich die dort lebenden MieterInnen beschäftigten. In unserer Untersuchung waren das:

  • Sprachliche und kulturelle Verständigungsprobleme erschweren die Nachbarschaft
  • Eine aufwendige Renovierung/ Modernisierung bei Neueinzug stellt Verteilungsgerechtigkeit in Frage und ärgert die langjährigen Mieter
  • Familien mit vielen Problemen belasten auch die Hausgemeinschaft und führen zum Rückzug aus der Verantwortung aus den öffentlichen Flächen
  • Zufriedenheit mit der Hausgemeinschaft fördert auch das Interesse für das Wohnumfeld und den Stadtteil

Die Beschreibungen der Treppenhausgeschichten werfen eine lebensweltliche Sicht auf das Zusammenleben im Haus, auf Interaktionen zwischen einzelnen MieterInnen und auf das Umfeld. Diese Geschichten haben einen vertraulichen Charakter und sind nicht für die größere Öffentlichkeit bestimmt, weil dann eine Aufteilung in gute und schlechte Hausgemeinschaften erfolgen könnte. In der BewohnerInnenversammlung könnte das gemeinsame Interesse einer Wohnumfeldgestaltung aus dem Blickfeld geraten. Für die kleinräumige Nachbarschaftsarbeit, für die Entwicklung eines Mieterberatungskonzepts der Baugesellschaft oder für die Schulung in Konfliktmoderation können diese Erkenntnisse jedoch hilfreich sein. Mit den MieterInnen eines Hauseingangs kann durchaus das Thema besprochen werden und mögliche Konsequenzen abgewogen werden. Fazit: Es wäre eine Erweiterung des Aktionsuntersuchungsansatzes aus den 70er Jahren, wenn neben dem eher lokalpolitisch orientierten Ansatz auch die Lebenswelt, das kleinteilige Alltagsgeschehen Teil der Auswertung wird und in angemessener Form an die Treppenhausgemeinschaften zurückgekoppelt wird.


Vorbereitung und Zusammenarbeit

Anfängliche Bedenken für uns als Studierende in der Zusammenarbeit mit Profis in diesem beruflichen Tätigkeitsfeld der Gemeinwesenarbeit/ des Quartiersmanagements haben sich nicht bestätigt. Besonders in dem Punkt der Rollenfindung fühlten wir uns extrem gut vorbereitet und angeleitet. Wir sind der Meinung, das uns die Tatsache, dass wir immer genau wussten, welche Rolle wir in diesem Projekt innehatten, geholfen hat, unserer Arbeit motiviert, ernsthaft, strukturiert und auch mit Freude anzugehen.
Die Methode des Rollenspiels als Vorbereitung für die Befragungen war uns ebenso eine große Hilfe, wie auch die Möglichkeit, uns mit Hilfe der Mitarbeiterinnen der Gemeinwesenarbeit und des Quartiersmanagements an realistischen Gesprächsituationen orientieren zu können. Am ersten Tag der Befragungen haben wir jeweils mit einer Mitarbeiterin gemeinsam die Befragungen durchgeführt und so auch leichter unsere Hemmschwellen abgebaut.
Wichtig war es uns, unsere eigenen Vorurteile, Meinungen und Ängste vorab zu formulieren und diese während der Befragung in angemessener Weise in den Hintergrund zu stellen. So war es leichter, das Ziel der Befragung nicht durch Diskussionen mit den BewohnerInnen zu verlieren, wenn deren Meinung mit unserer in Gesprächen übereinstimmte und wir sympathisierten oder ein Gespräch voreilig abzubrechen, wenn sich Konfliktebenen ergaben. In einem Kontakt mit einem extrem fremdenfeindlichen Bewohner konnten wir uns z.B. auf unsere Rolle als Befragende besinnen und auf dieser Basis ein sachliches Gespräch über das Wohnumfeld führen, obgleich uns die Meinung über MigrantInnen persönlich sehr aufgeregte.

Die regelmäßigen Kontakte mit den Gemeinwesenarbeiterinnen haben uns in unserer Arbeit unterstützt. Besonders motiviert hat uns, dass die Mitarbeiterinnen kompetent, selbst motiviert und uns gegenüber offen waren. Dadurch hatten wir das Gefühl, dass auch wir offen über unsere Befürchtungen reden und Nachfragen stellen konnten. Wir wurden nicht als studentische Hilfskräfte behandelt, sondern vielmehr als Mitarbeiter und Mitarbeiterin. Wir glauben, die Chance einer Mitarbeit in der beruflichen Praxis genutzt zu haben. Ingesamt können wir ohne Übertreibung sagen, dass eine solche Zusammenarbeit zum gegenseitigen Vorteil für beide Seiten sein kann, für Studierende und PraktikerInnen lohnend ist und ein Grundstudium bereichert. Und schließlich war die Empfehlung unseres Dozenten hilfreich, dies alles einmal aufzuschreiben, ins Internet zu stellen und zuvor den Text wiederholt mit uns zu diskutieren.