Dietzenbach 2030 – Definitiv unvollendet

Kontakt:

Dipl.-Ing. Stefanie Rohbeck, Fachbereich Zentrale Verwaltung und Stadtentwicklung der Stadt Dietzenbach, Offenbacher Str. 11, 63128 Dietzenbach, Tel.: (06074)373-379, Email: Rohbeck@dietzenbach.de


Das Forschungsprogramm 'Stadt 2030':

Das Projekt ‚Dietzenbach 2030 – definitiv unvollendet’ wurde im Rahmen des Forschungsprogramms ‚Stadt 2030’ entwickelt, einem bundesweiten Forschungsverbund gefördert durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung. Insgesamt wurden im Rahmen des Programms ‚Stadt 2030’ 21 Projekte bundesweit gefördert.
Das Projekt ‚Dietzenbach 2030 – definitiv unvollendet’ wurde in der Stadt Dietzenbach als Gemeinschaftsprojekt mit folgenden KooperationspartnerInnen durchgeführt:

  • Stadt Dietzenbach,
  • Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt,
  • Technische Universität Darmstadt,
  • Büro TOPOS, Darmstadt.

Ausgangslage: Die Stadt Dietzenbach

Dietzenbach liegt im Südosten des Ballungsraumes Frankfurt Rhein-Main, ca. 15 km von Frankfurt entfernt. Die Stadt hat derzeit ca. 35.000 Einwohnerinnen und Einwohner, davon sind knapp 30 % Migrantinnen und Migranten. Dietzenbach liegt in einer Wachstumsregion.
1973 wurde ein Großteil der Dietzenbacher Gemarkung zur städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme nach Städtebauförderungsgesetz erklärt. Mit einem Entwicklungsbereich von 796 ha ist die städtebauliche Entwicklungsmaßnahme in Dietzenbach eine der größten Entwicklungsmaßnahmen in Deutschland. Das Ziel der Entwicklungsmaßnahme war, eine Entlastungsstadt für die Großstädte des Rhein-Main-Gebiets zu schaffen. Räumlich wurde das Ziel im Zusammenwachsen eines Dorfes mit einer 2,5 km entfernten Siedlung festgeschrieben. In der Mitte des Zusammenwachsens sollte ein neues Zentrums geschaffen werden.
Das Konzept zur Bebauung der neuen Stadtmitte entstand 1979. In einem Rahmenplan wurde eine groß strukturierte Blockrandbebauung zur Gestaltung der Stadtmitte entwickelt.
Im Verlauf der Entwicklungsmaßnahme ergaben sich große Realisierungsschwierigkeiten. Es entstanden Hochhaussiedlungen, die wegen ökonomischer Schwierigkeiten keine gewachsene Bewohnerstruktur entwickeln konnten. Eine Hochhaussiedlung prägt bis heute ein negatives Image von Dietzenbach: das Spessartviertel.
Das Konzept von 1979 mit überwiegend groß strukturierter Blockrandbebauung bietet bis heute die Orientierung zur Bebauung der Stadtmitte. Es ist jedoch erst in Teilen umgesetzt. Teilweise liegen weiterhin Brachflächen in zentraler Lage. Die Brachflächen prägen das Stadtbild. In der Abbildung des Flugblatts zum Projekt 'Dietzenbach 2030 – definitiv unvollendet' sind zentrale Brachflächen in der Stadt markiert. (Photo: Flyer mwas, a.a.o.)
Die gebaute räumliche Struktur der Stadt zerfällt in sehr unterschiedliche Viertel: in zwei Zentren, ein Zentrum im Altstadtbereich und ein neu geplantes und noch zu errichtendes Stadtzentrum mit Blockrandstrukturen, darüber hinaus in stark verdichtete Hochhausgebiete und in Bereiche mit lockerer Einzelhausbebauung, sowie mit Reihenhausbebauung. Der abgebildete Schwarzplan zeigt die zerrissene städtebauliche Struktur Dietzenbachs auf. (vgl.: Übersichtsplan Dietzenbach)
Die Struktur Dietzenbachs zerfällt auch sozial sehr stark. Einzelne Viertel Dietzenbachs unterschieden sich signifikant voneinander in der Altersstruktur der Bevölkerung, dem Anteil an Kindern an der Quartiersbevölkerung, der Wohndauer in dem jeweiligen Viertel, dem Anteil an MigrantInnen, sowie dem Anteil an Bevölkerung, der staatliche Unterstützung zum Lebensunterhalt bekommt. So lässt sich das Spessartviertel beispielsweise als ein Viertel der jüngeren Zugezogenen mit Kindern beschreiben, die hier größtenteils einen Migrationshintergrund aufweisen, eine vergleichsweise kurze Wohndauer im Viertel verzeichnen, sowie einen vergleichsweise hohen Anteil an BezieherInnen von staatlicher Unterstützung zum Lebensunterhalt aufweisen (Böhm-Ott, Stefan a.a.o.).
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Dietzenbach baulich-räumlich zerrissen ist, viele Brachflächen aufweist, sowie sozial stark segregiert ist und von einem hohen Anteil von Migrantinnen und Migranten geprägt ist. In der Stadt treten städtische Phänomene auf, die oftmals Großstädte aufweisen, kleinere Städten mit nur 35.000 EinwohnerInnen dagegen in der Regel nicht. Hieraus ergeben sich für die Bewohnerinnen und Bewohner Dietzenbachs Schwierigkeiten, die Stadt mit einer positiven Identität wahrzunehmen. Die Identität der Stadt ist eher durch das Defizit des Nicht-Habens geprägt.

Ziel des Projektes 'Dietzenbach 2030 – definitiv unvollendet'

Vor diesem räumlichen Hintergrund der Stadt Dietzenbach hat sich das Projekt 'Dietzenbach 2030– definitiv unvollendet' zum Ziel gesetzt, eine Abkehr von der städtischen Identität mit Defizitorientierung zu erreichen. Im Projekt sollten Potenziale der Stadt aufgezeigt werden. Es galt, den Reichtum der Stadt im Bestehenden zu finden. Der Reichtum der Stadt konnte unschwer als die vergleichsweise junge Bevölkerung und das große Potenzial an nicht genutzten Brachflächen gesehen werden. Durch das Projekt sollte ein Diskussionsprozess mit der Stadtbevölkerung über diese bestehenden Ressourcen der Stadt entstehen. Es sollten Verfügungsmöglichkeiten der ansässigen Bevölkerung über den Freiraum symbolisiert und in einem weiteren Schritt auch zumindest ansatzweise umgesetzt werden, um so den Anfang für einen möglichen Aneignungsprozess aufzuzeigen.

Umsetzung der Projektidee

Die Projektidee wurde mittels einer Aufreihung von 2500 Stelen umgesetzt, die quer durch die Stadtmitte verlief.
Die Stelenreihe wurde kombiniert mit einem Angebot, über eine Parzelle von 100 qm in Dietzenbach temporär verfügen zu können. Nutzungseinschränkungen wurde nur im Rahmen von rechtlichen Vorgaben gemacht. Die Verfügungsmöglichkeiten über den Raum sollten sich an den Interessen der Bevölkerung orientieren. Ein Rahmen der Nutzungsmöglichkeiten wurde nicht vorgegeben. Die Idee setzte Eigeninitiative voraus, da für die Umsetzung der Nutzungen keine zusätzlichen Mittel bereitgestellt wurden.
Die Stelenreihe, ästhetische Setzung genannt, sollte verstanden werden als Kommunikationsangebot (Boczek, Barbara, a.a.o.). Hier wurde der Anspruch, dass sich jede Dietzenbacherin und jeder Dietzenbacher vier Stelen entnehmen könne und 100 qm Land zur eigenen Verfügbarkeit abstecken könne, versinnbildlicht. Für die Dauer von 8 Monaten war die Stelenreihe in Dietzenbach eine Handlungsaufforderung, sich zu wundern und sich Gedanken zu machen über die Struktur der Stadt, sowie im Weiteren sich mit konkreten Nutzungswünschen für eine Zwischennutzung einzubringen.
Über die ästhetische Setzung hinaus wurden weitere Mittel der Öffentlichkeitsarbeit eingesetzt (Malaktion mit Schulen, Plakate, Pressearbeit, Film im » NachbarschaftsTV, einem eigenen TV-Kanal im Spessartviertel, Flyer mit einer Übersicht über 30 potenziell für eine temporäre Nutzung geeignete Brachflächen von öffentlichen oder privaten EigentümerInnen). Ergänzt wurde diese Aktion mit einem Bauwagen, in dem AnsprechpartnerInnen an 6 Tagen pro Woche vor Ort waren. Hier wurde über den Sinn der Aktion Auskunft gegeben, konnte über Brachflächen in der Stadt informiert werden und wurden in einem späteren Schritt konkrete Nutzungswünsche der BewohnerInnen der Stadt aufgenommen. Durch den Bauwagen wurde eine schnelle Kommunikation in die Verwaltung installiert. Der Informationsrückfluss an die InteressentInnen erfolgte telefonisch.

Beteiligungsstrategie

Als Beteiligungsstrategie wurde eine Kampagne entwickelt, die sich aus einzelnen Bausteinen zusammensetzte (Stelenreihe, Malaktionen, Plakate, Flyer, Film, Pressearbeit). Zusätzlich wurde ein öffentlicher Ort in der Stadt installiert, der durch seine temporäre Erscheinung als Bauwagen und durch seine häufigen Öffnungszeiten (6 Tage die Woche) sehr niedrigschwellig war. Die Nachfragemöglichkeit im Bauwagen wurde entsprechend sehr häufig genutzt.
Diese Beteiligungsstrategie setzte ein hohes Maß an Interesse und Eigeninitiative voraus. Die Einwohnerinnen und Einwohner Dietzenbachs mussten selbst aktiv werden. Sie wurden von dem Projektteam nicht angefragt oder aufgesucht.

Ergebnis der Beteiligung

Die Beteiligung der Dietzenbacherinnen und Dietzenbacher war sehr erfolgreich. Es gab in der kurzen Zeit von 8 Monaten ca. 1000 Nachfragen nach der Zielsetzung des Projekts. Die Kampage stellte eine große Öffentlichkeit her. Aus diesen Nachfragen ergaben sich 260 Anfragen für konkrete Nutzungen.
Die genannten Nutzungswünsche der InteressentInnen verteilen sich folgendermaßen:
Bei 73% der Nutzungswünsche wurde die Nutzung 'Kleingarten/ Grabeland' genannt. Bei etwa 10% der Nutzungswünsche wurde der Wunsch 'Spielplatz/ etwas für Kinder' vermerkt. Grillplätze wurden ebenso wie Sportflächen von etwa 3% der InteressentInnen gewünscht. Etwas weniger oft wurde stadtgestalterische und künstlerische Wünsche geäußert (2,7%). Ebenfalls mit 2,7% wurden Jugend- und Freizeiteinrichtungen bzw. Treffpunkte gewünscht. Auch Themengärten wie einen mittelalterliche Kräutergarten, einen Apothekergarten usw. wurden mehrfach genannt. Die restlichen 8,6 % der Interessen wurden zum einen für bauliche Nutzungen geäußert (Garage, Haus, Veranstaltungsort), zum anderen für Nutzungen mit Bezug zu Tieren (Hundewiese, Tierpension, Hühnerhof).
Durch die Nennungen wurden vor allem die Mängel im Bereich von differenzierten Nutzungsmöglichkeiten des Freiraums deutlich, auch wurden von den BewohnerInnen der Stadt Mängel im Bereich der sozialen Infrastruktur in Dietzenbach aufgezeigt.
Zu 58% wurden die Nutzungswünsche von Männern geäußert, zu 27% von Frauen. Die restlichen 25% der Nutzungsanfragen wurden von ganzen Familien, oft in Beisein der Kindern gestellt. Im Gegensatz hierzu kam der Erstkontakt zum Projekt dagegen zumeist über Frauen und auch über Kinder und Jugendliche zustande. Die offiziellen Anfragen nach Nutzungen wurden dann verstärkt von Männern, oft von den Ehemännern gestellt.
Ca. 88% der ProjektteilnehmerInnen wiesen einen Migrationshintergrund auf.
Die Beteiligten des Projekts, die Nutzungswünsche geäußert haben, kamen zu 44% aus dem Spessartviertel, d.h. aus dem stigmatisierten Hochhausviertel Dietzenbachs, deren Bewohnerinnen und Bewohner bisher in der Stadt eher mit destruktivem Verhalten in Verbindung gebracht wurden und nicht mit Eigeninitiative und Engagement.
In einer separaten Befragung von TeilnehmerInnen des Projekts wurde deutlich, dass die beteiligten Migrantinnen mit einer deutlichen Mehrheit den Nutzungswunsch Garten äußerten. Hier kann die Nachfrage als ein Bedarf dieser Bevölkerungsgruppe nach halböffentlichen Räumen gesehen werden (Günther, Petra a.a.o.).
Die hohe Zahl der Teilnehmenden zeigt, dass mit dem gewählten niedrigschwelligern Ansatz eine Kommunikationsebene zwischen der Stadtverwaltung und der Stadtbevölkerung gefunden werden konnte, vor allem zu Gruppen, die als beteiligungsfern gelten. Insgesamt war die Beteiligungsstrategie des Projekts 'Dietzenbach 20303 – definitiv unvollendet' sehr erfolgreich.

Umsetzung der Nutzungsanfragen

Die Realisierung der Nutzungsvorstellungen war nicht so erfolgreich wie die Beteiligung insgesamt. Es wurden nur vier Projektideen umgesetzt.
Zunächst hat die Stadt Umsetzungen der Nutzungswünsche vor allem für Themengärten angeboten. Hier wurde den interessierten BürgerInnen angeboten, auf je 100 qm Dietzenbacher Fläche beispielsweise einen Apothekergarten, einen Bildungsgarten oder einen botanischer Garten mit internationalen Pflanzen gemäß den geäußerten Nutzungsinteressen anzulegen. Die Umsetzung der Themengärten kam jedoch nicht zustande. Die Bürgerinnen und Bürger erwarteten entweder eine finanzielle Unterstützung für die Anlage der Gärten oder zumindest die Übernahme der Pflege durch die Stadt. Diesen Erwartungen konnte die Stadt nicht entsprechen. Das Projekt war vollständig auf Eigeninitiative und Eigenfinanzierung angelegt. Auch die Unterhaltungskosten konnten von der Stadt nicht aufgebracht werden.
Dagegen konnten folgenden Projekte der BürgerInnen umgesetzt werden: das Kunstprojektes einer Gesamtschule, für kurze Zeit ein Abenteuerspielplatz, ein Hühnerhof sowie Grabelandparzellen.

  • Kunstprojekt
    An dem Kunstprojekt der Gesamtschule waren ein fünftes und ein siebtes Schuljahr beteiligt. Bei den aufgebauten Kunstobjekten handelte es sich um von SchülerInnen farblich gestaltete Holzstelen, die der ästhetischen Setzung entnommen wurden und an deren Spitze selbst gefertigte Windräder befestigt waren. Dieses Projekt stand für etwa ein halbes Jahr im öffentlichen Raum der Stadt.
  • Abenteuerspielplatz
    Für eine begrenzte Zeit wurde ein Abenteuerspielplatz mit den Stelen aufgebaut, der jedoch nach ein bis zwei Monaten in sich zusammen fiel und nicht wieder aufgebaut wurde.
  • Hühnerhof
    Im Westen Dietzenbachs wurde trotz anfänglicher Ablehnung durch die Verwaltungsspitze eine Parzelle zum Bau eines Hühnergeheges vergeben, da die interessierten Jugendlichen ihren Wunsch mit Nachdruck in der Stadtverordnetenversammlung vortrugen. Das Hühnergehege wurde mit einer zusätzlichen Sitz- und Spielecke für Kinder und Jugendliche in gemeinschaftlicher Arbeit von mehreren NachbarInnen umgesetzt. Es bestand ca. ein Jahr und hat sich während dieser Zeit zu einem beliebten Treffpunkt für Kinder und Jugendliche entwickelt.
  • Grabeland
    Im Osten Dietzenbachs wurde eine Fläche an 26 InteressentInnen vergeben, um hierauf Grabelandparzellen zu errichten. Von den NutzerInnen wurde die Fläche in Besitz genommen, aufgeteilt und gepflügt. Die Fläche wurde von Seiten der Stadt zunächst nur für ein Jahr zur Verfügung gestellt. Da die Stadt keinen Wasseranschluss zur Verfügung stellen konnte und die Nutzungsdauer ohnehin nur sehr begrenzt war, wurde diese Fläche im Laufe des Pachtjahres von den NutzerInnen aufgegeben.

Ergebnis des Projekts 'Dietzenbach 2030 – definitiv unvollendet'

Sowohl die hohe Anzahl der geäußerten Nutzungswünsche, als auch deren eindeutige Ausrichtung mit der Zielrichtung Freiraumnutzung belegen ein Defizit in der Stadtentwicklung Dietzenbachs. Mit dem Projekt 'Dietzenbach 20303 –definitiv unvollendet' wurde ein deutlicher Handlungsbedarf in der Stadt deutlich, der Bevölkerung Flächen für Freizeitnutzungen zur Verfügung zu stellen.

Bedarf an Gärten in Zeiten kommunaler Finanzknappheit

Der Bedarf eines großen Teils der Bevölkerung an Gärten wurde von der Stadtpolitik ernst genommen und die Verwaltung zunächst beauftragt, eine Kostenschätzung für die Erstellung einer Kleingartenanlage zu erstellen. Die Kleingartenanlage sollte in einem Bereich der Stadt erstellt werden, der mittels der Bebauungsplanung bereits für Kleingärten vorgesehen ist. Vorgesehen war hier die Erstellung eine Kleingartenanlage mit vergleichsweise geringem Standard (d.h. mit Wasseranschluss, äußerer Einfriedung, einer Erstellung der Stellplätze, aber keine innere Parzellierung der Anlage, sowie keine Erstellung von Unterstellmöglichkeiten, Schuppen, Gartenhäuschen o.ä.). Sehr schnell stellte sich heraus, dass die Herstellung einer Kleingartenanlage auch auf einem niedrigen Niveau für die Stadt unter den gegebenen Bedingungen der kommunalen Finanznöte nicht mehr finanzierbar ist.
Auf der anvisierten Fläche ergab sich darüber hinaus ein weiteres Problem. Die Flächen liegen im Eigentum des Entwicklungsträgers, der im Rahmen der städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme treuhänderisch für die Stadt tätig ist. Der Treuhänder verwaltet die Flächen und führt sie dem Erwerb zukünftiger EigentümerInnen zu. Durch eine städtische Kleingartennutzung würde die Stadt ihren Entwicklungsvorstellungen entsprechen, die sie selbst im Bebauungsplan formuliert hat. Hierdurch würde sie sich jedoch auch in Zugzwang bringen, die Flächen vom Treuhänder zu erwerben. Diesen Sachzwang aufzubauen, erschien der Stadt nicht vorstellbar, zumal der durch den Gutachterausschuss festgelegte Preis der Flächen relativ hoch war.
Bei anderen Projekten ist die Stadt sehr bemüht, die städtebauliche Entwicklungsmaßnahme zeitnah abzuschließen. Zum Abschluss der Entwicklungsmaßnahme ist der Rückkauf von Flächen, für die es keinen privaten Investor gibt (wie bei Kleingartenanlagen üblich), ohnehin notwendig. Hier wurde die Tatsache, dass eine dem Entwicklungsträger gehörende Fläche durch die Stadt zurückgekauft werden muss, wenn sie entsprechend der städtischen Planung entwickelt wird und in kommunaler Hand bleibt, stellvertretend für die Entscheidung zur Unterstützung von Gartenflächen problematisiert. Die Stadt wollte nicht entsprechend ihrer Bindung an das Entwicklungsgebot im Rahmen der städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme handeln: Sie wollte diese Fläche nicht entwickeln, um die Erstellung einer Gartenanlage nicht zu unterstützen.

Gärten für MigrantInnen: Ein Prozess

Im weiteren Verlauf wurde der Bedarf von Gärten vom Dietzenbacher Runden Tisch für eine Humanes Miteinander aufgenommen und weiter öffentlich diskutiert, so dass die Politik und die Verwaltung weiterhin den Handlungsbedarf anerkennen musste.
Die Verwaltung recherchierte nach preiswerten Gartenlösungen und erneuerte einen Kontakt, der im Rahmen des Projekts 'Dietzenbach 2030 – definitiv unvollendet' bereits geknüpft worden war: zu dem Projekt Internationale Gärten in Göttingen. Darüber hinaus wurden Kontakte zu einem vergleichbaren Projekt in Hessen geknüpft: den Interkulturellen Gärten in Marburg. Diese Gartenprojekte setzen neben der gemeinschaftlich organisierten Gartenarbeit den Wert der Integration durch das gemeinsame Handeln in den Vordergrund ihrer Arbeit. In Teilen der Politik setzte sich mittlerweile die Überzeugung durch, dass ein vergleichbares internationales Gartenprojekt mit einem integrativen Ansatz für Dietzenbach unterstützenswert wäre. Daraufhin wurde im Rahmen eines EU-Programms ein finanzieller Rahmen für die Unterstützung einer Vereinsgründung 'Internationale Gärten in Dietzenbach' geschaffen. In der Folge übernahmen eine Sozialwissenschaftlerin, die bereits über die Arbeit im Projekt ‚Dietzenbach 2030 – definitiv unvollendet’ mit den GarteninteressentInnen in Kontakt war, und ein Mitglied des Ausländerbeirats die Vorbereitung und Organisation des Projekts 'Internationale Gärten in Dietzenbach'. In der Folge entwickelte dieses Team den Verein 'Internationale Gärten Dietzenbach' mit derzeit 13 Mitgliedsfamilien aus 8 Ländern. Die Vereinsgründung erfolgte Anfang Juni diesen Jahres.
Parallel recherchierte die Verwaltung nach weiteren Flächen für eine Gartenanlage. Diesmal wurden städtische Flächen gewählt, um dem Argument des notwendigen Flächenrückkaufs auszuweichen. Eine Liste von unterschiedlichen Flächen wurde erstellt, eine von der Verwaltung präferiert. Die ausgewählte Fläche liegt am Rand der Stadt, sie ist gut erschlossen und baurechtlich bereits als Grünfläche ausgewiesen. Sie war landwirtschaftlich verpachtet mit einem leicht kündbaren Pachtvertrag. Eine Entscheidung der Politik für die Vergabe dieser Fläche zur Gartennutzung kam jedoch nicht zustande. Stattdessen beschied die Politik die erneute Prüfung von zwei weiteren Flächen.
Gegen die bisher ausgewählte Fläche mobilisierte sich im Folgenden Widerstand der Nachbarinnen und Nachbarn. Sie befürchteten lautstarke Lärmbelästigungen sowie Geruchsbelästigungen durch häufiges Grillen. Zwar konnten den NachbarInnen bei einem Ortstermin die Bedenken der direkten Angrenzung der Fläche für das Gartenprojekt an die Privatgärten genommen werden. Dennoch erhoben die NachbarInnen Einspruch gegen das Vorhaben beim Bürgermeister. In der Folge wurde die Fläche durch die Verwaltungsspitze erneut mit einem vorerst nicht kündbaren Zeitvertrag landwirtschaftlich verpachtet, so dass diese Fläche jetzt nicht mehr zur Verfügung steht.
Bei den weiteren Flächen, die in Dietzenbach nicht oder kaum genutzt werden, ergaben sich folgende Gründe gegen eine Gartennutzung:

  • Altlastenverdacht, bzw. Unklarheit über die Unbedenklichkeit der Flächen:
    Durch vorhandene Unklarheiten über die Art und die Menge einer Aufschüttung kann der Altlastenverdacht nicht ausgeräumt werden. Die Verwaltung arbeitet daran, hier Klarheiten über die Bodenbeschaffenheit zu erreichen.
  • Festgefügte Entwicklungsvorstellungen für Brachflächen:
    Die Erfahrung mit dem Projekt ‚Dietzenbach 2030 – definitiv unvollendet’ hat ergeben, dass die GarteninteressentInnen ihre Fläche länger als ein Jahr nutzen wollen. Sie müssen und wollen einen Boden aufbereiten und neben einjährigem Gemüse auch Sträucher anpflanzen, die länger als eine Saison wachsen. Aus diesem Grund wird versucht, ihnen eine längerfristige Perspektive zu bieten. Dieser Anspruch ist aber auch das größte Hindernis, denn die meisten Brachflächen in Dietzenbach sind bereits mit festgefügte Entwicklungsvorstellungen belegt. Viele Brachflächen werden Nutzungen vorgehalten, von denen angenommen wird, dass sie schon in den nächsten Jahren realisiert werden können, auch wenn diese Vorstellungen nicht dem Tempo der bisherigen Stadtentwicklung Dietzenbachs entsprechen und daher vermutlich unrealistisch sind. Die Nutzungen sind im einzelnen:
    • Golfplatz,
    • Wohnbebauung,
    • Gewerbenutzung,
    • soziale Begegnungsstätte in dem stigmatisierten Hochhausviertel, dem Spessartviertel.

Das Projekt ‚Dietzenbach 2030 – definitiv unvollendet’ hat es nicht geschafft, diese über Jahre gewachsenen Vorstellungen von der fertigen Stadt Dietzenbach in den Köpfen der PolitikerInnen aufzubrechen. Das Projekt hat aber erreicht, dass der Gedanke der Temporärnutzung inzwischen in der Verwaltung intensiv diskutiert wird. In Dietzenbach wird noch ein längerer Prozess für die Erkenntnis benötigt, dass die hiesigen Brachflächen auch auf absehbare Zeit nicht der Nutzung zugeführt werden können, die in der Entwicklungsmaßnahme formuliert werden und sie somit temporär auch für längere Zeitspannen anderen Nutzungen zur Verfügung gestellt werden könnten.

Ausblick für das Projekt 'Internationale Gärten in Dietzenbach'

Der neu gegründete Verein 'Internationale Gärten Dietzenbach' wird in der Zukunft noch viel für sich werben müssen, damit es zu einer Flächenvergabe für Gärten kommt. Hier steht er erst am Anfang, da die Vereinsgründung erst im Juni 2005 realisiert wurde. Mit der Initiierung eines Vereins sind die InteressentInnen für Gärten ihrem Ziel nach Anerkennung einen Schritt näher gekommen. Gerade in einer Kleinstadt zählen nach Vereinsrecht festgesetzte Strukturen sehr viel. Hiermit wird das Vertrauen der PolitikerInnen in die Handlungsfähigkeit der Gruppe der Garteninteressierten gestärkt. Eine Entscheidung zur Flächenvergabe wird hierdurch erst ermöglicht.

Voraussichtlich wird eine Bürgerversammlung zum Thema Internationale Gärten in Dietzenbach nötig sein, um einen Standort zu finden, den die Mehrheit der Dietzenbacherinnen und Dietzenbacher akzeptiert.

Hemmende und fördernde Faktoren im Entscheidungsprozess

Zusammenfassend lassen sich folgende fördernde und hemmende Faktoren in diesem Entscheidungsprozess für einen Internationalen Garten in Dietzenbach aufzeigen:

Fördernde Faktoren:

  • Koordination der EU-Mittel durch übergeordnete Verwaltungsebene (Landkreis),
  • hohes Engagement der KoordinatorInnen der Garteninteressierten,
  • Ausländerbeirat,
  • Stadtverwaltung,
  • Stadtverordnetenvorsteher,
  • Runder Tisch für ein Humanes Miteinander,
  • Lokale Vereine,
  • Unterstützung und Ideen anderer internationaler Gartenprojekte (Göttingen, Marburg).

Hemmende Faktoren:

  • in der Bauleitplanung manifestierte Nutzungsvorstellungen,
  • unflexibler Umgang mit den festgesetzten Entwicklungszielen,
  • durch die Entwicklungsmaßnahme bedingte Eigentumsstrukturen,
  • Nutzungsinteresse der Pächter,
  • nachbarliche Bedenken wegen Ruhestörung,
  • Vorschnelle Reaktion des Bürgermeisters auf nachbarliche Bedenken,
  • Eigeninteresse einzelner Politiker.

Mit dieser Auflistung wird deutlich, dass sich die politischen Parteien wenig äußern in diesem Ränkespiel um eine Fläche für eine Gartennutzung. Sie stehen bei der Meinungsbildung in der Stadt im Hintergrund. Die öffentliche Meinung setzt sich zusammen aus der Vielzahl der Akteurinnen und Akteure in einer Kleinstadt. Eine klare vorherrschende öffentliche Meinung in Dietzenbach für oder gegen einen ‚Internationalen Garten Dietzenbach’ ist noch nicht abzulesen. Diese eindeutige Meinung wird sich im Verlauf der weiteren Diskussion herauskristallisieren. Erfahrungsgemäß zieht die Politik zu einem späteren Zeitpunkt mit ihrer Entscheidung gemäß dem überwiegenden öffentlichen Interesse hinterher.
Während des Meinungsbildungsprozesses ist es durch die fehlenden eindeutigen Positionierungen der Politik für den Bürgermeister möglich, entsprechend partikularer Interessen zu entscheiden und diese Entscheidungen so schnell umzusetzen, dass der Prozess zur Flächenvergabe immer wieder zu scheitern droht. Die PolitikerInnen in Dietzenbach haben jedoch den Bedarf an Gärten als Handlungsaufforderung für ihre Politik angenommen. Daher muss von ihnen gefordert werden, ihre Zurückhaltung im Meinungsbildungsprozess aufzugeben und darüber hinaus dem Verwaltungshandeln mit einer kritischen Aufmerksamkeit zu folgen. Nur so kann in einer Kommune Sachpolitik erfolgreich umgesetzt werden.

Weiterführende Literatur:

Becker, Claudia/ Bigos, Claas/ Boczek, Barbara/ Böhm-Ott, Stefan/ Günther, Petra/ Rodenstein, Marianne/ Rohbeck, Stefanie/ Saridis, Vasili/ Wilhelm, Martin: Dietzenbach 2030 – definitiv unvollendet. Abschlussbericht des Forschungsprojekts. Darmstadt 2003, » ebook: http://edok01.tib.uni-hannover.de/edoks/e01fb04/389685070.pdf