Solidarische Ökonomie und Empowerment
Auszüge aus Klöck, Tilo: Solidarische Ökonomie und Empowerment, Gemeinwesenarbeit und Geschlechterverhältnis. In: Klöck, T. (Hg.) Solidarische Ökonomie und Empowerment, München 1998. (Die Quellenangaben entnehmen Sie bitte dem Buch)
Empowerment, Lebensweltorientierung und Geschlechterdifferenzierung
Die Gemeinwesenarbeit ist ein Bestandteil der kommunalen Sozialpolitik und übt sozialstaatliche Funktionen aus. Sie hat aber auch radikaldemokratische Wurzeln, kann Widerstand organisieren und die lokale Entwicklung beeinflussen. Empowerment ist in der Gemeinwesenarbeit schon immer ein Prozessziel gewesen: In sozialtechnologischen Varianten mit instrumenteller Bürgerbeteiligung weniger ausgeprägt und funktionalisierter, als in den auf Selbstorganisation basierenden Varianten in der Tradition von Paulo Freires Educacion Popular oder Saul Alinskys Community Organizing. Ihre NachfolgerInnen nahmen allerdings auffällig wenig Kenntnis voneinander. Die einen sind für die anderen immer noch die Yankees, oder die Latinos geblieben. Für eine internationale Vernetzungsarbeit ist das schwierig.
In der Gemeinwesenarbeit ist ein breiteres Verständnis von Empowerment anzutreffen, als es in der deutschen Selbsthilfediskussion vorherrschend war. Das ist grundlegend für ihre professionellen Beiträge zur Verbreitung solidarischer Ökonomien.
Der konzeptionelle Stellenwert von Alltags- und Lebensweltorientierung in der Gemeinwesenarbeit kann dazu beitragen, dass das Geschlechterverhältnis und seine ungleichen Ökonomien, sozusagen die Solidarische Ökonomien in den Haushalten und Gemeinwesen von Frauen und Männern zwischen Erwerbs- und Eigenarbeit konsequenter beachtet und für die Weiterentwicklung geschlechtsdifferenzierter Gemeinwesenarbeit (vgl. Bitzan/ Klöck 1993) mit Genderperspektive genutzt werden.
Empowerment zwischen Lebenswelt- und Politikorientierung und solidarischer Ökonomie
Gemeinwesenarbeit gründet nicht allein auf dem Prinzip der Selbstorganisation, sondern auch auf fachliche und politische Netzwerkarbeit und Einmischung in politische und administrative Entscheidungsprozesse (vgl. Maja Heiner 1993). Dafür arbeitet sie an der Entwicklung von Gegenmacht (vgl. Bitzan/Klöck 1993).
Eine der wichtigsten Entwicklungsfragen über Empowerment ist von Heiner Keupp (1993: 380) so formuliert worden: "Wie (kann) das Prinzip der Selbstorganisation auch dort Wirksamkeit erlangen, wo die Voraussetzungen dafür gesellschaftlich höchst ungünstig sind. Hier können wir uns nicht darauf verlassen, dass ein selbstläufiger Prozess auch diese Gruppen und Segmente erfassen würde. Die eigene Erfahrung und die uns vorliegenden Analysen zur gesellschaftlichen Aufspaltung in zwei Realitätssegmente, die voneinander kaum mehr etwas wissen bzw. sich gar nicht wahrnehmen, nähren da große Skepsis. Notwendig wird es sein, gezielte sozialpolitische Strategien dafür zu entwickeln, wie in den wachsenden gesellschaftlichen Randbereichen durch gezielte professionelle Ressourcenschöpfung Möglichkeiten von selbstorganisierten Initiativen angestoßen und systematisch gefördert werden könnten."
Für die Professionellen ergibt sich daraus eine für manche zunächst paradox anmutende Doppelanforderung, einerseits Positionen von Gegenmacht herauszubilden oder zu erringen, um sie andererseits gleichzeitig wieder an die AdressatInnen und MitstreiterInnen abzugeben, sie mit ihnen zu teilen (Klöck 1993). Das ist der Doppelcharakter von professionellen Empowermentkonzepten, die auch für Solidarische Ökonomie richtungsweisend sind.
Grundlegend ist es Machtpositionen genauer zu analysieren und dabei Behinderungs- und Begrenzungsmacht (Staub-Bernasconi, 1993) zu unterscheiden, sowie die eigenen und fremden Machtquellen richtig wahrzunehmen. Macht bedeutet mit Max Weber (1980) die Chance, "den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen" und mit Hannah Arendt entspricht Macht der Fähigkeit, "sich mit anderen zusammenzuschließen und im Einvernehmen mit ihnen zu handeln".
Norbert Herriger (1996: 290ff) beklagt in seiner Zwischenbilanz über die vorhandenen Arbeitsansätze und Diskurse, die fehlende begriffliche Schärfe, konzeptuelle Differenzierung und methodische Prägnanz von Empowerment - das allerdings auch sehr dem speziellen Blickwinkel der psychosozialen Praxis verhaftet bleibt. Er benennt zunächst die wichtigsten Eckpfeiler und Essentials und weist auf zwei divergierende Grundströmungen hin: eine mehr lebensweltorientierte und eine politikorientierte Grundströmung, die ich um eine solidarökonomische Dimension ergänze.
Der Begriff Empowerment thematisiert und beeinflusst "die Webmuster der strukturelle ungleichen Verteilung von politischer Macht und Einflussnahme." (290) Die Philosophie des Empowerments ist vom festen Glauben getragen an die "Fähigkeit eines jeden Individuums, aus dem Schneckenhaus von Abhängigkeit, Resignation und erlernter Hilflosigkeit auszuziehen und in eigener Kraft Autonomie, Selbstverwirklichung und Lebenssouveränität zu erstreiten" (292).
Verteilungsgerechtigkeit ist der zweite Grundwert und bezieht sich auf die "faire und gerechte Verteilung von Ressourcen und Pflichten in einer Gemeinschaft." (292) Die ungleiche Verteilung von Wohlstand und Macht ist ein "selektiver Filter für den Zugang zu Diensten, Erziehung und Beschäftigung. Folgerichtig zielt Empowerment auf solche Interventionen, die das Ungleichgewicht von Gelegenheiten zu korrigieren versuchen."
Demokratische Partizipation ist der dritte normative Grundpfeiler. Empowermentprozesse zielen auf die Stärkung der Teilhabe der BürgerInnen an Entscheidungsprozessen, die ihre personale Lebensgestaltung und ihre unmittelbare soziale Lebenswelt betreffen. Sie wollen Partizipationsverfahren, "die ihren Wünschen und Bedürfnissen nach Mitmachen, Mitgestalten, Sich-Einmischen in Dienstleistungsproduktion und lokale Politik Rechnung tragen und eine eigenverantwortliche Gestaltung von lokalen Umwelten zulassen." (293)
Lebensweltorientierung und Empowerment
Empowerment ist zu einem Kürzel für eine psychosoziale Praxis geworden, deren Handlungsziel es ist, "Menschen das Rüstzeug für ein eigenverantwortliches Lebensmanagement zur Verfügung zu stellen und ihnen Möglichkeitsräume aufzuschließen, in denen sie sich die Erfahrung der eigenen Stärke aneignen und Muster solidarischer Vernetzung erproben können." (291)
Empowerment setzt an und zielt ab auf "das Vermögen von Menschen, die Unüberschaubarkeiten, Komplikationen und Belastungen des Alltags in eigener Kraft zu bewältigen, eine eigenbestimmte Lebensregie zu führen und ein nach eigenen Maßstäben gelingendes Lebensmanagement zu realisieren." (291)
Empowerment und Politikorientierung
"In politischer Definition bezeichnet Empowerment so einen konflikthaften Prozess der Umverteilung von politischer Macht, in dessen Verlauf die Menschen aus einer Position relativer Machtunterlegenheit austreten und sich ein Mehr an Macht, Verfügungskraft und Entscheidungsvermögen aneignen." (290) Die Betonung liegt auf der aktiven Aneignung von Macht, Kraft und Gestaltungsvermögen durch die von Machtlosigkeit Betroffenen selbst: Empowerment als ein "Prozess der Selbst-Aneignung von Lebenskräften" (290).
Ansätze sind im Kontext der Bürgerrechtsbewegung zu sehen für eine "Selbst-Bemächtigung von Ohnmächtigen" die Erziehungs- und Alfabetisierungsprogramme (Freire 1973, 1985), die politische Gemeinwesenarbeit und "radical comminty organization" (Alinsky 1984), die Frauenbewegung und feministische Empowermentpraxis.
Die Darstellung von Herriger kennzeichnet den Stand der Diskussion und der Begriffsbildung und ist insofern hilfreich. Für eine theoretische und praktische Weiterentwicklung gibt es aber auch darüber hinausweisende Ansätze:
Es wäre verkürzt das Empowermentkonzept nur aus dem Blickwinkel der psychosozialen Praxis zu begreifen, es wäre unhistorisch und hätte Begrenzungen im Denken und Handeln zur Folge.
Die begriffliche Engführung im deutschsprachigen Raum hängt damit zusammen, dass die Diskussion stark aus der psychosozialen Praxis von Selbsthilfegruppen mit und ohne Professionelle bestimmt wurde.
Empowermentprozesse beginnen nicht erst mit den neuen sozialen Bewegungen, sondern auch schon früher auch im Kontext der solidarischen Ökonomien im Kontext der Genossenschafts- und Selbstverwaltungsbewegung. Auch hier ging es um die Handlungsfähigkeit in Machtkonstellationen nicht nur in einem psychosozialen oder sozialkulturellen, sondern zugleich auch in einem ökonomischen Sinne.
In einer aufgeklärten entwicklungspolitischen Perspektive betrifft Empowerment nicht nur soziale, psychologische und politische, sondern auch ökonomische Wirkungs- und Handlungszusammenhänge. In seinem Buch "Empowerment- The Politics of Alternative Development" zeigt der Amerikaner John Friedmann (1993) grundsätzlich und weltweit entsprechende Programme und Wirkungsvarianten hinsichtlich informellen Ökonomien, Haushaltsstrukturen und den Geschlechterverhältnisse.
Empowermentkonzepte differenzieren drei zusammenhängende Aspekte:
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Die ökonomische Entwicklung und Lebensbewältigung von Armutspopulationen
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Die Geschlechterverhältnisse in den informellen Ökonomien und der Subsistenzwirtschaft
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Die Wirkungsweise von Programmen und Projekten auf die Binnenstruktur und die geschlechtshierarchische Arbeitsteilung in den Haushalten.
Die Wirkungsweisen von Empowermentkonzepten auf ihre sozialen, psychologischen und politischen Effekte zu reduzieren, ohne die solidarökonomischen Kontexte und Handlungsformen einzubeziehen, wäre verfehlt. Aber dies ist nicht voraussetzungslos möglich:
Den Professionellen wird eine veränderte, weniger segmentierte Wahrnehmungsweise und eine systematische und schrittweise Erweiterung ihrer Handlungskompetenzen im Arbeitsprinzip Gemeinwesenarbeit verlangt.
Was wäre denn Empowerment angesichts schwindender Erwerbsarbeit und prekärer Bedingungen der Existenzsicherung, wenn es bei einem solchen "Lebensmanagement" und dem "Aufsperren von Möglichkeitsräumen" hauptsächlich um Kommunikation und Abbau der Entmündigung durch ExpertInnen und weniger um tragfähige solidarische Ökonomien gehen würde?
Der Mensch lebt ja nicht von der Verständigung allein. Und nicht aus jeder gesellschaftlichen Position ist es den Menschen möglich, sich ihre lebenswichtigen Ressourcen selbst zu beschaffen. Wenn Empowerment mehr Kontrolle über die eigenen Lebensbedingungen bezweckt, kann es die ökonomischen Aspekte der Existenzsicherung im Gemeinwesen nicht ausblenden.
Umgekehrt wäre auch in Projekten der Solidarischen Ökonomie verstärkt darauf zu achten, dass die Menschen in den Projekten nicht fremdbestimmt und klientifiziert werden, sondern geeignete Organisationsstrukturen geschaffen werden, die erlernte Hilflosigkeit abbauen und Lernprozesse für den Erwerb von Veränderungswissen ermöglichen.
Empowermentkonzepte wären so nicht mehr nur sozial, psychologisch und politisch, sondern auch in einem ökonomomischen Sinne auszulegen: Empowerment zwischen Lebenswelt- und Politikorientierung und mit solidarischen Ökonomien nachhaltig darüber hinaus, so könnte die Losung heißen.
Der Autor
Prof. Dr. Tilo Klöck, Diplom-Pädagoge, Sozialwissenschaftler, Jg. 1954, lehrt an der Fachhochschule München, Fachbereich Sozialwesen. Er leitet dort den Studienschwerpunkt Interkulturelle Arbeit und ist in den Reformbeirat des Sozialreferats München zur Dezentralisierung der größten Sozialverwaltung Deutschlands berufen worden. Und er evaluiert die Entwicklung und Perspektiven des Arbeitsprinzips Gemeinwesenarbeit für die Landeshauptstadt München.
Zuvor war er Dozent im Burckhardthaus Gelnhausen und an der Universität Tübingen in der Praxisforschung und als Jugendhilfeplaner. Und er war in der Selbstverwaltungswirtschaft tätig.
Einschlägige Publikationen im AG SPAK-Verlag: Solidarische Ökonomie und Empowerment (1998); Politikstrategien, Wendungen und Perspektiven (1994); Wer streitet denn mit Aschenputtel? Konfliktorientierung und Geschlechterdifferenz als Chance zur Politisierung der Sozialen Arbeit (1993).