Beteiligung und Aktivierung in der Stadtgesellschaft
Meine Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde,
meine Aufgabe ist es, eine Vorgabe zu machen für den Workshop, der sich mit Beteiligung und Steuerung in der Stadtgesellschaft beschäftigt. Das Thema ist so komplex, dass ich nur einige Aspekte in subjektiver Gewichtung herausgreifen kann. Ich habe sie aus meinem Arbeits- und Erfahrungszusammenhängen ausgewählt:
- universitäre Beschäftigung in Theorie und Empirie mit Gemeinwesenarbeit und Stadtentwicklung
- praktische Erfahrungen in Stadtteilarbeit in unterschiedlichen Städten und Quartierstypen
- politische Auseinandersetzung mit Stadtpolitik als Ratsmitglied und Fraktionssprecher einer grünen Ratsfraktion.
Ich möchte das Thema wie folgt aufbauen:
Zunächst möchte ich einige Hinweise zur Lage der Stadtgesellschaft geben, dann meinen Denkhintergrund Gemeinwesenarbeit ganz kurz skizzieren, daraus ergeben sich Überlegungen zu Aktivierung und Beteiligung und schließlich einige Konsequenzen für Stadtpolitik.
Ich werde das relativ allgemein formulieren in der Hoffnung, dass die konkreten Beispiele dann im Workshop diskutiert werden können.
Ein Blick auf die Stadtgesellschaft
Die Stadt – so sehen das Stadtsoziologen – ist die Landkarte, in die die gesellschaftlichen Strukturen eingezeichnet sind. Ein zentrales Strukturelement unserer Gesellschaft ist die soziale Ungleichheit.
Deshalb ist es Aufgabe jeder Stadt(politik), sich mit sozialer Ungleichheit auseinander zu setzen. War die soziale Ungleichheit bis über die Mitte des vorigen Jahrhunderts hinaus in Begriffen wie oben – unten, reich – arm zu fassen, so kommt heute die Dimension drinnen – draußen dazu. Wir reden von sozialer Ausgrenzung.
Einige aktuelle Entwicklungen in den Städten müssen da genannt werden:
- Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt Die Teilarbeitsmärkte werden durch eine zunehmende Polarisierung charakterisiert in Bezug auf Qualifikation, Verdienstmöglichkeiten und Arbeitsplatzsicherheit. Dabei wachsen gleichermaßen die Beschäftigungssegmente der Hochqualifizierten mit hohem Arbeitseinkommen wie die der prekär Beschäftigten mit unsicheren Arbeitsverhältnissen und geringer Absicherung und Entlohnung. Gleichzeitig verfestigt sich auf hohem Niveau ein Sockel von Arbeitslosigkeit, also von Menschen, die dauerhaft vom Arbeitsmarkt nicht mehr benötigt werden oder sich dauerhaft daraus zurück gezogen haben. Es entstehen "überflüssige" Menschen, die nicht einmal mehr Objekt der Ausbeutung sind.
- Entsprechend wächst in den Städten der Abstand zwischen Arm und Reich, wie dies die Befunde der Armutsberichte nachweisen, nicht zuletzt der erste Armuts- und Reichtumsbericht der rot-grünen Bundesregierung im Jahre 2000.
- Demographische Veränderungen führen zu weiteren Polarisierungen. Da ist zum einen die Alterung der Bevölkerung (die Alten werden älter, die Kinder werden weniger), die ja fast zum Kernproblem der Sozialpolitik geworden ist, wenn man die Printmedien liest. Damit verbunden ist die Zunahme von Ein-Personen-Haushalten. Diese "Singularisierung" führt dazu, dass das soziale Netz Familie seine Funktion nur noch bedingt wahrnehmen kann. Wer sich mit entsprechenden Gütern und Diensten nicht am privaten Markt versorgen kann, ist auf den kommunalen Sozialstaat angewiesen oder er/sie werden von Teilhabechancen ausgegrenzt.
- Einer der markantesten Trends des Umbruchs der Großstadtbevölkerung im Westen der Republik ist die Zunahme des Anteils der Menschen mit Migrationshintergrund. Hartmut Häußermann geht davon aus, dass selbst dann, wenn kein einziger Zuwanderer mehr nach Deutschland käme, der "Ausländeranteil" in den westdeutschen Großstädten weiter steigen würde, denn noch ist die Migrationsbevölkerung jünger, familienorientierter und hat daher auch mehr Kinder. Aber gerade diese Bevölkerung gehört zu ihrem größten Teil hinsichtlich ihres Zugangs zu Bildungschancen und Arbeitsmarkt und hinsichtlich ihrer politischen Teilhabechancen zu den "städtischen Unterschichten", wenngleich sich hier eine zunehmende Differenzierung abzeichnet. Walter Siebel sprach in dieser Woche von der "Ethnisierung sozialer Ungleichheit".
- Für die Städte wird die Situation durch zwei weitere Entwicklungen verschärft:
- Die anhaltende Zurücknahme sozialstaatlicher Sicherungen und Dienste kann von den Kommunen nicht mehr aufgefangen werden und muss auf die Menschen abgewälzt werden (Erhöhung der Elternbeiträge im Kindergarten bis hin zur Schließung von Einrichtungen, Beispiel NRW: Volksinitiative)
- Die zunehmende Globalisierung der Wohnungspolitik (Dresden als herausragendes Beispiel, aber auch der grüne Oberbürgermeister von Freiburg stößt in dieses Horn) verändert die kommunalen Akteure. Die Dresdner Grünen machen sehr deutlich, wie durch den Verkauf städtischen Wohneigentums und den Wegfall des städtischen Wohnungsunternehmens dessen Funktion in der Stadtteilentwicklung wegfällt.
Alle diese Entwicklungen fördern soziale Polarisierung und soziale Ausgrenzung, die wir in der Stadt auch als sozialräumliche Ausgrenzung (Segregation) erleben. Es bilden sich Stadtteile heraus, wo sich die Ausgegrenzten sammeln und die die beschriebenen Prozesse noch verstärken und selbst benachteiligende Wirkungen haben:
Materiell: zu hohe Mietpreise, keine Arbeitsplätze im Stadtteil; wenig private Güter und Dienstleistungen, die Wohnquartiere sind nicht für die "neuen" Lebensentwürfe (Arbeitslosigkeit, Alleinerziehen, Alleinleben) gebaut.
Sozial: schwache informelle Hilfenetze, eher Konflikte oder apathischer Rückzug
Symbolisch: schlechtes Image (schlechte "Adresse") führt zu negativem Selbstbild.
Was ist zu tun?
Da die soziale Ungleichheit ein gesellschaftliches Problem ist, wird sie nicht in den Städten beseitigt werden. Aber es ist Aufgabe verantwortlicher Stadtpolitik, dafür zu sorgen, dass die verstärkenden Wirkungen in den Städten bekämpft werden und dass alles getan wird, um Ausgrenzung, soweit es geht, zurückzudrängen.
Wir brauchen eine integrative Stadtpolitik 2)
Und das nicht nur im Interesse der "benachteiligten Stadtteile", sondern im Interesse der Gesamtstadt.:
- Es droht ein "Fahrstuhleffekt": ganze Stadtteile lösen sich aus dem kommunalen Verbund "nach unten". Wir können das im Ruhrgebiet ebenso gut beobachten, wie das Phänomen der Ausweitung sozial benachteiligter Quartiere.
- Damit trägt eine Stabilisierung dieser Stadtteile zu einer Stabilisierung der Gesamtstadt und ihres Haushalts bei (Folgekosten!)
- Diese Stadtteile übernehmen für die Gesamtstadt die Funktion eines Containers, wo die Überflüssigen hineingesteckt werden
- Das Vorhandensein solcher Stadtteile schadet dem Image einer Stadt und hat durchaus wirtschaftliche Folgen (Investitionen, wirtschaftliche Ansiedlungen, Tourismus)
Die Bremer Arbeitnehmerkammer hat die Notwendigkeit einer gegen Ausgrenzung gerichteten Stadtpolitik prägnant formuliert: "Vitale Stadtteile sind das Fundament einer funktionierenden Stadtgesellschaft".
Gemeinwesenarbeit als Strategie gegen Ausgrenzung
Die bisherigen Ausführungen legen nahe, dass es die Aufgabe sozial verantwortlicher – also grüner – Stadtpolitik ist, sich den Ausgrenzungsprozessen von Menschen und Stadtteilen entgegen zu stemmen. Nach § 20 GG hieße dies, es ist Aufgabe der Kommune, zur Daseinsvorsorge ihrer Einwohner mit dem Ziel der Gewährleistung annähernd gleichwertiger Lebensbedingungen beizutragen. Krummacher u.a. konkretisieren das als
"Einsatz und Verteilung der kommunalen Ressourcen auf die verschiedenen Gruppen ihrer Einwohner unter besonderer Berücksichtigung der Bevölkerungsgruppen und Sozialräume, die ohne Hilfe weniger selbsthilfefähig als andere und von sozialer Ausgrenzung bedroht oder betroffen sind" 3).
Das Postulat der Herstellung "gleichwertiger Lebensverhältnisse" kann allerdings nicht Vereinheitlichung sozialer Milieus im Sinne einer "gesunden sozialen Durchmischung" heißen. Unterschiedliche Lebenswelten und -stile müssen anerkannt und respektiert werden.
Konkretisiert auf den jeweiligen Stadtteil, heißt das:
- Verhinderung weiterer sozialer und räumlicher Ausgrenzung
- Erweiterung der individuellen und kollektiven Handlungsfähigkeit der Menschen
- Ermöglichung der aktiven Teilhabe am politischen und gesellschaftlichen Leben
- Verbesserung der Lebensbedingungen in den Stadtteilen.
Dazu bedarf es der Mitarbeit der Bewohnerinnen und Bewohner der jeweiligen Quartiere in einem integrativen und integrierten Handlungskonzept. Ein solches Handlungskonzept wird seit mehr als 30 Jahren praktiziert und ist inzwischen auch Bestandteil etlicher Projekte des Quartiermanagements geworden. Ich spreche von Gemeinwesenarbeit als einem Handlungsprinzip sozialer Interventionen.
Dazu einige Stichworte:
Gemeinwesenarbeit (GWA) ist eine sozialräumliche Strategie, die sich ganzheitlich auf ein Quartier, einen Stadtteil und nicht pädagogisch auf einzelne Individuen richtet. Sie arbeitet mit den Ressourcen des Stadtteils und seiner Bewohnerinnen und Bewohner, um seine Defizite aufzuheben. Damit verändert sie allerdings auch die Lebensverhältnisse und Handlungsspielräume der Bewohnerinnen. 4)
Dabei bedient sich Gemeinwesenarbeit unterschiedlicher Methoden aus der sozialen Arbeit (Beratung, Gruppenarbeit..), der Sozialforschung (aktivierende Befragung, Sozialraumanalyse..) und der Politik (Öffentlichkeitsarbeit, Bürgerversammlungen, Aktionen..) Gemeinwesenarbeit kann aufgrund dieser methodischen Vielfalt auch viele Möglichkeiten für Teilhabe und partizipatives Handeln zur Verfügung stellen, von der aktivierenden Befragung über "Community Organization als ein Element zur Wiederbelebung von Interessenorganisationen" 5) bis hin zur widerständigen Aktion.
GWA integriert aber nicht nur Methoden sondern auch Zielgruppen im Gemeinwesen. Wir suchen nach Kristallisationspunkten für Aktivitäten, an denen sich möglichst viele BürgerInnen beteiligen können..
GWA möchte aus Quartieren handelnde Gemeinwesen machen, deshalb ist Vernetzung ein zentrales Element von GWA. Dabei geht es sowohl um die Vernetzung der Institutionen und Akteure im Stadtteil als auch um den Aufbau unterstützender Netze für die Bewohner. Gerade aber mit dieser Vernetzung (aber auch durch Skandalisierung etc.) bietet GWA ein Politikmodell "von unten", das nicht nur auf die Organisation von Gegenmacht ausgerichtet ist, sondern auch die Politikformen in unseren Städten auf die Weise durchdringt, dass die Bewohnerinnen und Bewohner der Stadtteile nicht nur mehr gehört werden, sondern auch mehr und dauerhaft Entscheidungen im und für den Stadtteil treffen können.
Mit ihren Analysen, Theorien und Strategien bezieht sich GWA auf ein "Gemeinwesen", d.h. den Ort, wo die Menschen samt ihren Problemen aufzufinden sind. Es geht um die Lebensverhältnisse und Lebenszusammenhänge der Menschen, wie diese selbst sie sehen (Lebensweltorientierung). GWA hat eine hohe Problemlösungskompetenz aufgrund ihrer lebensweltlichen Nähe zum Quartier. Als sozialräumliche Strategie, die sich auf die Lebenswelt der Menschen einlässt, kann sie genau die Probleme aufgreifen, die für die Menschen wichtig sind, und sie dort lösen helfen, wo sie von den Menschen bewältigt werden Dabei kümmert sich GWA um alle Probleme des Stadtteils und konzentriert sich nicht, wie oft Bürgerinitiativen, auf einen Punkt. Damit schafft sie Kontinuität, auch wenn es in dem einen oder anderen Fall Misserfolge gibt.
Zentraler Aspekt von GWA ist die Aktivierung der Menschen in ihrer Lebenswelt. Sie sollen zu Subjekten auch politisch aktiven Handelns werden und zunehmend Kontrolle über ihre Lebensverhältnisse bekommen.
GWA ist beides: eigenständiges Arbeitsfeld und ein Arbeitsprinzip sozialkultureller Arbeit im weitesten Sinne. GWA als Arbeitsfeld, das heißt zu diesem Zecke eingerichtete Institutionen, eingestellte Personen. Das sind die klassischen GWA-Projekte in sozialen Brennpunkten, Trabantenstädten, neuerdings auch in Arbeitervierteln. Hier, in Stadtteilen mit besonderem Erneuerungsbedarf, entwickelt sich GWA weiter in Richtung Stadtentwicklung zum Quartiersmanagement. GWA als Arbeitsprinzip meint eine grundsätzliche Herangehensweise an soziale Probleme unter sozialräumlichen, aktivierenden, methodenintegrativen und vernetzenden Merkmalen. Damit wird GWA zu einem "bereichsübergreifenden" Ansatz: "Stadtteilarbeit nutzt die Kompetenzen anderer Sektoren und ergänzt sie". 6)
Ich will nun aber mit Ihnen nicht über die Möglichkeiten von GWA in Bremen diskutieren. Sie haben da schon hervorragende Projekte z.B. in Tenever oder Lüssum und anderen Stadtteilen. Ich möchte vielmehr einige Konsequenzen zur Diskussion stellen, die ein gemeinwesenorientiertes Denken als Handlungsprinzip GWA für eine – grüne – Politik in der Stadtgesellschaft haben könnte.
Aktivierung und Beteiligung
Zentraler Begriff der Gemeinwesenarbeit ist seit jeher der Begriff der Aktivierung. Da trifft sie sich mit grüner Programmatik, wie sie im Wahlprogramm der Bundesgrünen steht:
"Für Bündnis 90/Die Grünen ist das Leitbild einer aktiven Bürgergesellschaft, in der die Menschen ihre Geschicke selbst in die Hand nehmen, eine wichtige Grundsäule der Gesellschaftspolitik. Uns geht es grundsätzlich um eine neue Balance bei der Verteilung von Aufgaben und Verantwortung zwischen Staat und BürgerInnen. Darunter verstehen wir aber nicht, dass den Bürgerinnen und Bürgern schlicht die Aufgaben aufgebürdet werden, von denen der Staat meint, dass er sie selbst nicht mehr erfüllen kann. Bürgerschaftliches Engagement ist nicht der "billige Jacob" des Wohlfahrtsstaates, sondern hat die Stärkung von Gemeinsinn, gesellschaftlicher Solidarität und die Erneuerung der Demokratie von unten zum Ziel. Bürgerschaftliches Engagement macht durch die Einmischung in soziale, kulturelle und politische Angelegenheiten praktische Solidarität erfahrbar".
Und dazu noch ein Bremer Text, erschienen 2006. Joachim Barloschky und Maren Schreier aus dem Projekt Tenever distanzieren sich zurecht von dem Aktivierungs- und Beteiligungsverständnis, das in Zeiten schrumpfender finanzieller kommunaler Handlungsspielräume darauf hofft, durch Aktivierung und Beteiligung "Ausfallerscheinungen" des Sozialstaates auf kommunaler und individueller Ebene kompensieren zu können. Sie schreiben: "Bürger und Bürgerinnen zu beteiligen, ihre Kompetenzen zu nutzen und sie zu Mitgestaltern ihres Lebensraums zu machen, geht jedoch weit über Kürzungsdebatten hinaus: Beteiligung, Selbstorganisation und Mitverantwortung sind zentrale Elemente einer zukunftsfähigen Kommunal- bzw. Quartiersentwicklung, nicht zuletzt, weil sie für eine gute, selbstbestimmte Lebensführung unabdingbar sind. Der Bürger ist als Experte seines Lebensraumes anzuerkennen und steht somit dem Staat und der Verwaltung nicht reduziert auf seine Funktion als "Kunde" gegenüber. Vielmehr ist er als vollwertiges Mitglied der Gesellschaft anzuerkennen und als aktiver Gestalter des Gemeinwesens ernst zu nehmen." 7)
Und eine letzte Stimme. Die Schader-Stiftung hat sich mit Steuerungsproblemen der Stadtentwicklung beschäftigt und kommt zu dem Ergebnis:
"Gerade wenn es darum geht, gegen soziale Ungleichheit vorzugehen, ist die Einbeziehung der Betroffenen zentral. Die Betroffenen müssen die Ziele, die mit einem Programm gegen soziale Ungleichheit verknüpft sind, als ihre eigenen erkennen können. Ohne die Einbindung der Betroffenen können derart komplexe Probleme nicht angegangen werden. Top-down-Strategien müssen scheitern, weil die Wirkung von Interventionen in diesem Bereich wesentlich davon abhängt, ob die Akteure vor Ort entsprechend mitwirken" 8)
Eins ist mir noch wichtig zu sagen:
Bei der Beteiligung müssen wir deutlich unterscheiden zwischen einer Akteursbeteiligung als Form der Beteiligung und Einbindung der Vertreter und Vertreterinnen von Institutionen aller Art (Runde Tische, Stadtteilkonferenzen) und den vielfältigen Formen direkter Bürgerbeteiligung von Bewohnerinnen und Bewohnern und Bewohnergruppen.
Beide Formen sind wichtig und beide sind unverzichtbar. Politik ist jedoch oft zufrieden und glaubt, Partizipation erreicht zu haben, wenn nur die Akteursebene mitmacht.
Auch eine Vermischung beider Ebenen hat erhebliche Nachteile. Die Institutionenvertreter treten dann nicht mehr offen, sondern taktisch auf, sprachbedingt durchsetzungsschwache Bewohnergruppen und besonders kritische Basisaktivitäten fallen dann in der Regel "hintenrunter" und können ihre Belange nicht angemessen einbringen.
Es müssen also neben den Beteiligungsformen der Akteursebene auch direkte Bewohnerbeteiligungen mit konkretem Projektbezug entwickelt und ggf. institutionalisiert werden (Quartierszeitungen; Bürgerforen, aktivierende Befragungen, projektspezifische Beteiligungsgespräche; konkrete Projektarbeit...)
Das Ziel muss sein – und das kann nicht nur die Aufgabe der Quartiersmanager/Gemeinwesenarbeiter vor Ort sein – selbsttragende Strukturen zivilgesellschaftlicher Art zu schaffen.
Welche Konsequenzen hat das für kommunale Praxis und Programmatik?
Dazu habe ich einige wenige Anregungen. Die sind nicht neu und originell, sondern schon irgendwo formuliert und ausprobiert:
Ermöglichungsstrukturen schaffen
Es ist Aufgabe kommunaler Politik, die Voraussetzungen zu schaffen, dass Aktivierung und Beteiligung stattfinden können.
Menschen beteiligen sich – das wissen wir aus Untersuchungen und aus Erfahrungen – nicht, wenn man sie moralisch unter Druck setzt, sondern wenn sie nach Kosten-Nutzen-Abschätzung für sich entscheiden, dass für sie der Nutzen von Beteiligung überwiegt.
Beteiligung hat einen hohen Nutzen, wenn für sie ausreichend große Gestaltungsspielräume zur Verfügung stehen. Sie müssen Kompetenzen und Möglichkeiten haben, eigene Beschlüsse fassen und Ideen in die Tat umsetzen zu können. "Als zentral für den Erfolg von Aktivierung und Beteiligung erweist es sich, inwieweit Politik und Verwaltung bereit sind, der Bevölkerung und den lokalen Akteuren auch Entscheidungsbefugnisse einzuräumen" 9)
Das bedeutet allerdings Machtverlagerung. "Die Kommunalpolitik ist mit Entscheidungsstrukturen parallel zu den traditionellen Steuerungsfunktionen des politischen Mandats konfrontiert. Teilweise bestehen weiter Vorbehalte gegenüber der Verlagerung von Entscheidungskompetenzen auf die lokale Ebene, herrscht Angst vor Machtverlust, was Blockaden und Rückfall in autoritäres Politikverständnis zur Folge hat. Dies lässt sich nur mit der Konstruktion von win-win-Situationen und klaren Entscheidungszuständigkeiten abbauen". 10)
Ein zentraler Aspekt solcher Entscheidung ist das Quartierbudget. Dazu gibt es ja in Bremen schon Beispiele aus dem WIN-Programm. Die Gestaltungsspielräume vor Ort sind abhängig von Finanzen. Es geht dabei nicht nur darum; Geld auf den Stadtteil zu bündeln (raumbezogene Haushalte), sondern darum, auch die Entscheidung darüber abzugeben. Dadurch erhalten die Akteure im Stadtteil die Möglichkeit, eigene Projekte und Maßnahmen unbürokratisch, eigenverantwortlich und schnell zu realisieren. Solche Quartierbudgets sollten Bestandteil jeden kommunalen Haushalts (zumindest in Großstädten) sein.
Allerdings muss ich vor der Gefahr warnen, dass Ämter auf Fördermittel und Quartierfonds zugreifen zur Kompensation für entfallende Aufgaben. Quartierbudgets können und dürfen Regelfinanzierungen nicht ersetzen.
Lokale Ökonomie
Bei den Beteiligungsprozessen der Stadtteilentwicklung sollten von Beginn an die Akteure und Akteurinnen der lokalen Wirtschaft eingebunden sein. Die Stärkung der lokalen Ökonomie wird leider bisher mehr diskutiert als tatsächlich umgesetzt, obwohl es auch dafür hervorragende Beispiele gibt. Sehr oft setzt die Kommune auf eine außenorientierte Modernisierungs- und Ansiedlungspolitik, auf Großinvestoren und Großprojekte. Inzwischen setzt sich aber mehr und mehr die Erkenntnis durch, dass der Strukturwandel der Städte von der Stabilisierung lokaler und regionaler ökonomischer Strukturen abhängt. Das erfordert neue Wirtschaftsförderungsstrategien. Solchen Strategien, die Unternehmen des Stadtteils und gemeinwesenorientierte und sozialökonomische Ansätze zusammenbringen, wird durchaus zugetraut, dass sie lokale Ressourcen erschließen und strukturierende Effekte im Quartier erreichen und auch Wirkungen über das Quartier hinaus erzielen. Für unseren Zusammenhang fordert der Stadtökonom Dieter Läpple: "Die Perspektive, Leute nicht dauerhaft auszugrenzen, sondern sie über vielfach abgestufte Formen in die marktvermittelte Ökonomie reintegrieren zu können, muss offen gehalten und verteidigt werden". 11)
Raumorientierung der kommunalen Selbstverwaltung
Das Problem stadtteilbezogener Problemkonzentrationen ist nicht ein vorübergehendes, auch kann es nicht in absehbarer Zeit durch entschlossenes kommunales Handeln gelöst werden. Dieser Tatbestand und die Überlegung, dass die Aktivierungs- und Beteiligungsstrategien, die bisher für einzelne Stadtteile entwickelt wurden, Grundlagen für die Stadtpolitik überhaupt werden könnten (soziale Stadt!!), führen zu dem Gedanken einer zusätzlichen Raumorientierung der kommunalen Selbstverwaltung. Eine Arbeitsgruppe des Städtenetzwerks für Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf in NRW hat dazu erste Überlegungen angestellt. Sie ist der Auffassung, dass eine dauerhafte Stadtteilentwicklung nicht mit dem organisatorischen Status eines Sonderprojektes erreicht werden kann, sondern dass es dafür einer fachübergreifenden raumbezogenen Organisation der Verwaltung bedarf. Sie schlägt dafür Gebietsteams vor, die sich aus Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern verschiedener Fachbereiche/Ämter/Ressorts zusammen setzen, "die die sektorale Sichtweise zugunsten einer interdisziplinären und raumbezogenen Arbeitsweise aufgeben" und die für ihre Arbeit einen eigenen "Raumhaushalt" bekommen. Diese Gebietsteams sollen voll verantwortlich sein für die im Stadtteil zu bearbeitenden Themen: Unterhaltung der Schulen, Stadtteilkultur; Grünflächen; Jugendarbeit etc. Einige Mitglieder sind mit einem gewissen Anteil ihrer Arbeitszeit auch in die klassischen Ämter eingebunden. Eine solche Verwaltungsorganisation hätte – so sie denn zustande käme – Konsequenzen für Aktivierung und Beteiligung. Die lokalen Akteure und die Bürgerschaft sollen mit entsprechender Unterstützung in die Lage versetzt werden, in "lokalen Partnerschaften" ihre Bedürfnisse, Kompetenzen und Ressourcen als artikulationsfähige Kooperationspartner einzubringen. 12)
Ich halte das für ein bedenkenswertes Modell, sehe aber auch Schwierigkeiten, insbesondere unter dem Aspekt der Haushaltskonsolidierung, in deren Vollzug sich Fachämter wieder gegeneinander abschotten und inhaltlich-konzeptionelle Fragen aus dem Blick geraten.
In den Überlegungen zu einer raumbezogenen Verwaltungsorganisation tauchen zwei Probleme auf, auf die ich abschließend noch hinweisen möchte.
Verstetigung
Aktivierung und Beteiligung sind angewiesen auf Kontinuität. Wenn die Ermöglichungsstrukturen weg brechen, noch ehe es gelingt, selbsttragende Strukturen zu installieren – und das braucht, wenn es denn gelingt, viel Zeit – dann ziehen sich die beteiligungsbereiten Menschen enttäuscht zurück.
Quartiersmanagement ist kein Instrument für kurzfristige Lösungen von Teilaufgaben der Stadtentwicklung, sondern eine grundlegende Handlungsweise zur dauerhaften Entwicklung und Stabilisierung von benachteiligten Quartieren. Deshalb müssen Quartiersmanagement und/oder Gemeinwesenarbeit als kommunale Daueraufgabe begriffen werden. Das bedeutet, dass integrierte Stadtteilentwicklung "von der reaktiven Notfallorientierung und Sondermaßnahme zu einer präventiven Daueraufgabe umgestaltet werden sollte". 13)
Es müssen Verstetigungsstrategien entwickelt werden. In NRW beginnt man das jetzt auf breiter Front – eigentlich viel zu spät. Solche Strategien müssen auf die immer wieder zitierten "selbsttragenden Strukturen" zielen. Welche Aufgaben im Quartier können langfristig von welchen Akteuren übernommen werden? Wie können die vorhandenen Beteiligungsformen gesichert werden? Welche Beträge können im Stadtteil selbst erwirtschaftet werden, um Quartiermanagement dauerhaft zu finanzieren? Was leistet die Stadt dabei?
Die Förderprogramme sind alle "auf Zeit" angelegt, aber kaum einer in den Städten hat das richtig ernst genommen. Kommunale Zeitvorstellungen werden zu oft von Haushaltsjahren und Legislaturperioden bestimmt. Für eine längerfristige Sicherung der für ein Quartier wichtigen Einrichtungen und Angebote im Rahmen der sozialen Stadt rechnet das DIFU 14) mit einer Laufzeit von durchschnittlich 15 Jahren.
Verbindung zur Gesamtstadt
Es wäre fatal und würde wohl auch die Intention dieses Kongresses verfehlen, wenn wir die Projekte des Quartiersmanagements, über die wir so viel geredet haben, gewissermaßen für sich als Beteiligungsinseln betrachten würden, obgleich sie in kommunaler Politik oft so behandelt werden. Es wird vielmehr darauf ankommen, solche Projekte, wie hier Tenever, als Modelle und Keimzellen für eine gesamtstädtische Entwicklungsstrategie zu verstehen. Das DIfU, das alle Projekte der Sozialen Stadt fortlaufend evaluiert, stellt fest, dass es darauf ankommen müsse, gebietsbezogene Maßnahmen, Projekte, Verfahren und Strategien programmatisch mit der gesamtstädtischen Politik zu verknüpfen und die gesamtstädtischen Wirkungszusammenhänge im Blick zu behalten. Das ist – wie das DIFU herausfand – weitgehend Programmatik, Lippenbekenntnis. Dafür müssten organisatorische Strukturen entwickelt und institutionalisiert werden.
Ebenso müssten auch die Auswirkungen gesamtstädtischer Probleme und Entwicklungen auf die Stadtteile sorgsam beobachtet werden. In meiner Heimatstadt sehen wir, wie vor allem Maßnahmen im Bereich Bildung und Schule kontraproduktiv auf erreichte Standards wirken (Schließung der Hauptschule in einem Gebiet der "sozialen Stadt"). Im Rahmen eines konsequent eingehaltenen bzw. umgesetzten städtischen Entwicklungskonzepts müssten solche gegenläufigen Entwicklungen ausgeschlossen werden.
Ich habe den Themenkomplex "Zentral – dezentral. Beteiligungsmodelle und Steuerungsprobleme" aus der Sicht von Gemeinwesenarbeit und Quartiermanagement behandelt und denke, dass von dezentralen gemeinwesenorientierten Projekten her gesamtstädtische Entwicklungs- und Beteiligungskonzepte erarbeitet und umgesetzt werden können. Dazu bedarf es aber des entschiedenen Willens der Politik und da ist auch grüne Stadtpolitik gefragt. Ich wünsche Ihnen für Ihre Arbeit im Land Bremen viel Erfolg.
Fußnoten:
1) Impulsreferat auf dem Zukunftskongress “Perspektiven der Stadtgesellschaft” von Bündnis90/Die Grünen Bremen am 19./20.5.2006
2) “Kollektives Handeln ist dann politisch, wenn es seinen Gebrauchswert gewinnt aus der Bildung von Gemeinwesen, wenn es dem Schutz dieses Gemeinwesens dient und dessen Entwicklungsmöglichkeiten befördert. Ein Gemeinwesen darf nicht einzelne Bevölkerungsteile, einzelne Menschen, einzelne Realitätszusammenhänge, einzelne Rechtsansprüche ausgrenzen; es ist so reich, wie es Zusammenhänge herzustellen vermag.” (Oskar Negt/Alexander Kluge: Maßverhältnisse des Politischen. 15 Vorschläge zum Unterscheidungsvermögen. Frankfurt am Main 1992, S. 15)
3) Michael Krummacher/Roderich Kulbach/Viktoria Waltz/Norbert Wohlfahrt: Soziale Stadt – Sozialraumentwicklung – Quartiersmanagement. Herausforderungen für Politik, Raumplanung und soziale Arbeit. Opladen 2003, S. 45
4) Eine zusammenfassende Darstellung findet sich bei: Dieter Oelschlägel: Aktuelle Entwicklungen in der Gemeinwesenarbeit, in: Stadt Hamm (Hrsg.) Möglichkeiten und Grenzen der Stadtteilarbeit am Beispiel Hamm-Norden. Hamm: Hrsg.:1999, S. 6 - 18
5) Tilo Klöck: Empowerment, in: Wolfgang Krebs (Hrsg.): Methodische Ansätze in der Gemeinwesenarbeit. Gelnhausen: Burckhardthaus: 1996, S.21
6) ebda.
7) Joachim Barloschky, Maren Schreier: Quartierbudget – Ansätze und Erfahrungen am Beispiel des Programms WIN – Wohnen in Nachbarschaften in Bremen- Tenever, in: Heidi Sinning (Hrsg.): Stadtmanagement – Strategien zur Modernisierung der Stdt(-Region). Dortmund 2005, S. 321
8) Kirtsen Mensch: Politische Steuerung am Beispiel des Bund-Länder-Programms “Die soziale Stadt”, in: Schrader-Stiftung (Hrsg.): Politische Steuerung der Stadtentwicklung. Das Programm “Die soziale Stadt” in der Diskussion Darmstadt 2001
9) Die Soziale Stadt. Ergebnisse der Zwischenevaluierung. Bewertung des Bund-Länder-Programms “Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf – die soziale Stadt” nach vier Jahren Programmlaufzeit. Berlin 2004, S.231
10) ebda. S. 235
11) Dieter Läpple/G. Walter: Im Stadtteil arbeiten. Hamburg 2000, zit. nach Carola Scholz: Die Abschottung des Ökonomischen vom Rest der Stadt. URL: http://www.kommunale-info.de/Infothek/1376.asp (18.5.1006)
12) vgl. Städte-Netzwerk für Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf: Positionspapier 2001. Raumorientierung der kommunalen Selbstverwaltung. Essen 2001
13) Die soziale Stadt a.a.O. S. 240
14) Deutsches Institut für Urbanistik