Kinder und Jugendliche aktiv im Gemeinwesen
Kontakt:
- Achim Biergans, Tel 02421/44280, Email: achim.biergans@evangelische-gemeinde-dueren.de
- Doris Klotz, Tel 02421/44280, Email: doris.klotz@evangelische-gemeinde-dueren.de
- Evangelische Gemeinde zu Düren, Büro für Gemeinwesenarbeit, Neue Jülicher Str. 22, 52353 Düren, Internet: http://www.gwa-dueren.de
Dieser Text ist Teil der Online-Dokumentation der (letzten?) 14. GWA-Werkstatt im Burckhardthaus Gelnhausen, 17.-20.09.2007.
Die aktuelle Debatte um Jugendgewalt macht deutlich, welche gesellschaftliche Bedeutung es hat und weiterhin haben wird, sich unabhängig von Wahlkämpfen ernsthaft mit den Perspektiven und der Situation junger Menschen in unserer Gesellschaft auseinanderzusetzen. Eine große Rolle in diesem Zusammenhang spielen hier neben den Lebens- und Berufsperspektiven, Aspekte wie die Vermittlung von Wertschätzung, Anerkennung und eine verstärkte Zuwendung. Daneben sollten Kinder und Jugendliche frühzeitig Erfahrungen, im Bereich gesellschaftlicher Teilhabe und ihrer Integration in demokratische Strukturen, sammeln können. Die Frage stellt sich, was Gemeinwesenarbeit hierzu beitragen kann. Im Folgenden wollen wir - wie auch bei der letzten GWA-Werkstatt - von einem Beispiel aus unserer Arbeit in Düren berichten.
Gemeinwesenarbeit in Düren
Gemeinwesenarbeit ist in Düren seit langem ein fester Bestandteil der sozialen Infrastruktur. Die Evangelische Gemeinde ist hier seit fast 30 Jahren mit dem Büro für Gemeinwesenarbeit (GWA-Büro) aktiv. Grundlage für die Gemeinde ist hierbei ihre theologische Erklärung die besagt, dass „die Gemeinde nicht schweigend zusehen darf, wenn Menschen unterdrückt, ausgebeutet oder verdummt werden".
Gemeinwesenarbeit zielt für uns darauf ab, Menschen Chancen zu eröffnen, sich am gesellschaftlichen Leben angemessen zu beteiligen und ihr Leben gemeinschaftlich selbst in die Hand zu nehmen. Innerhalb des GWA-Büros arbeitet ein qualifiziertes Team in verschiedenen Dürener Stadtteilen, aber auch in Projektgebieten, die räumlich außerhalb von Düren liegen. Mit dem Ziel die Menschen selbst zu handelnden Akteuren zu machen, werden in den einzelnen Stadtteilen und Quartieren Bewohnerorganisationen aufgebaut, die ihre Interessen formulieren, Bürgerprogramme aufstellen und sich aktiv für die Erreichung ihrer Zielsetzungen einsetzen.
Vorfeldsituation und Zielbeschreibung
Seit 1997 ist unser Büro im Dürener Stadtteil Mariaweiler tätig. Mariaweiler liegt im Außenbezirk von Düren und ist ein fest umrissener Stadtteil, der ursprünglich eher ländlich geprägt war. Aufgrund der Ausweisung von Neubaugebieten und einem erheblichen Zuzug haben sich in der ehemals dörflichen Struktur in den letzten 30 Jahren erhebliche Veränderungen ergeben. U.a. wurde im Ort Anfang/Mitte der 70er Jahre eine Wohnanlage mit 131 Wohneinheiten errichtet, die sich aufgrund Ihrer Struktur erheblich von dem sonst überwiegend vorhandenen Ein- und Zweifamilienhausbestand abhebt. Die Wohnanlage wurde schon deshalb von vielen Menschen im Ort als Fremdkörper erlebt. Insbesondere der Faktor, dass es in den 80er u. 90er Jahren zu einem verstärkten Zuzug von aus Russland stammenden Spätaussiedlern kam, wurde negativ wahrgenommen. Die Wohnanlage wurde aufgrund ihrer Entwicklung, aber auch weil sie aufgrund schlechter Verwaltung erhebliche bauliche Mängel aufwies, zunehmend stigmatisiert. Im Ort setzte sich der Begriff „das Hochhaus" durch.
In Interviews die vom GWA-Büro mit verschiedenen Akteuren und Bewohnern geführt wurden, wurde deutlich, dass eine große Themenpalette vorlag, für die sich die Bewohner der Anlage engagieren wollten. Auch wenn die Themen zunächst vorrangig im Bereich der Lösung wohnanlageninterner Probleme lagen, wurden bereits zu Beginn des Projektes stärker stadtteilbezogene Themen formuliert. Beispiel hierfür waren die mangelnde Infrastruktur im Bereich des öffentlichen Personennahverkehrs und der Versorgung mit Lebensmittelgeschäften, fehlende Treffräume und unzureichende Angebote für Kinder- und Jugendliche. Nachdem die Bürger ein Bürgerprogramm aufgestellt hatten und erste Strukturen einer Organisation entstanden waren, gründeten die Aktiven 1999 einen Bewohnerverein, die „Bewohnerinitiative Olefstraße e.V.". Ein wichtiges Ziel, das neben anderen innerhalb der Vereinssatzung formuliert wurde, war ein Engagement im Kinder- und Jugendbereich. Obwohl der Verein sich zunächst vorrangig erfolgreich für die Lösung wohnanlageninterner Probleme einsetzte, kam es bereits in den ersten Jahren zu verschiedenen Aktivitäten im Kinder- und Jugendbereich.
Da auch seitens der Kommune 2001 ein Defizit im Bereich von Angeboten und Aktivitäten für Kinder und Jugendliche im Stadtteil gesehen wurde, nahm die Stadt Düren Kontakt zur Evangelischen Gemeinde auf, mit der Zielsetzung die Aktivitäten im Kinder- und Jugendbereich zu verstärken. Seiner Tradition folgend erarbeitete das GWA-Büro daraufhin ein Konzept, nachdem adäquate Strukturen aufgebaut werden sollten, die es Kindern und Jugendlichen ermöglichen, sich im Stadtteil als Akteure für ihre Interessen einzusetzen. Seitens der Stadt Düren wurde das Konzept positiv aufgenommen, und es kam ab 2002 zur vertraglichen Vereinbarung einer „Gemeinwesenorientierten Kinder und Jugendarbeit". Wesentliche Zielsetzungen der Konzeptionen waren:
- der Aufbau von Strukturen im Kinder- und Jugendbereich;
- Selbst- und Mitverantwortung für Aktivitäten und Angebote;
- die Entwicklung bedarfsgerechter Angebote;
- die Einflussnahme der Kinder und Jugendlichen in Richtung eines kind- und jugendgerechten Stadtteils;
- die Vernetzung von Strukturen im Kinder- und Jugendbereich mit bestehenden Akteuren und Organisationen.
Das angedachte Programm wurde in der Folgezeit im Stadtteil vorgestellt und vor allem mit der bestehenden Bewohnerorganisation beraten. Wegen der Übereinstimmung von Zielen - auch der Bewohnerverein wollte sein Engagement vermehrt auf den Gesamtstadtteil ausrichten und sich im Kinder- und Jugendbereich stärker engagieren - kam es zu einer Kooperationsvereinbarung.
Bedarfsanalyse als Grundlage für das Handeln
Anfang 2002 wurde daraufhin ein Programm entwickelt, das neben Expertengesprächen (Jugendheimleiter, Ortsvorsteher, Schulleitern, Pfarrern, anderen Hauptamtlichen, Vereinsvertretern usw.) darauf abzielte, bei Kindern und Jugendlichen ihren Bedarf und Themen abzufragen, für die sie sich engagieren wollten. Bestandteile eines entsprechenden Aktionsprogramms, das über 6 Wochen durchgeführt und öffentlich bekannt gemacht wurde (u.a. Handzettel, Presse), waren z.B. Schulveranstaltungen, Treffen mit Jugendlichen, die in Vereinen aktiv sind, Gruppen- und Einzelinterviews im Stadtteil, Aktionsnachmittage auf Spielplätzen. Ergänzend wurden die Interviews und Gruppenveranstaltungen durch Offene Treff-Angebote begleitet.
Insbesondere die Offenen Treffs sollten als Kontaktbörse dienen, bei der Kinder und Jugendliche sich kennen lernen, Inhalte und Themen austauschen und eine Beziehung zu den Mitarbeitern des GWA-Büros aufbauen konnten. Im Rahmen der Offenen Treffs wurden weitere Interviews und Gespräche geführt, Zwischenergebnisse der Einzelveranstaltungen vorgestellt und beraten sowie Methodiken angewendet, die zu einer Auseinandersetzung der Kinder und Jugendlichen mit dem Stadtteil und ihrer Lebenssituation im Ort beitragen sollten (z.B. Stadtteilforscher, Stadtteilplaner, Sauerei des Monats, Fotodokumentation, Wanderausstellung, verschiedene spielerische Elemente). Die Gestaltung der Offenen Treffs zielte zudem darauf ab, bereits erste themenbezogene Gruppen entstehen zu lassen.
Beendet wurde das Programm schließlich nach 6 Wochen mit einer Abschlussveranstaltung. Neben Spiel und Spaß bestand hier für die Kinder und Jugendlichen nochmals die Möglichkeit, die Ergebnisse, die im Rahmen einer Wanderausstellung zusammen gestellt worden waren, zu sichten und zu ergänzen. Insgesamt hatten sich an dem Aktionsprogramm ca. 250 Kinder und Jugendliche und damit fast die Hälfte aller Kinder und Jugendlichen aus dem Ort beteiligt.
Die Ergebnisse der Bedarfsanalyse waren umfangreich. Die Kinder und Jugendlichen hatten zahlreiche Themen, Interessen und Anforderungen benannt, die ein kind- und jugendgerechter Stadtteil erfüllen müsse. Bereits innerhalb des Programms war methodisch darauf abgezielt worden, aus der umfangreichen Liste von Forderungen, Wünschen und Erwartungen, die Themen und Forderungen der Kinder und Jugendlichen herauszukristallisieren die mehrheitsfähig waren und eine Chance auf Realisierung boten.
Beratung und Vorstellung der Ergebnisse – Erste Schritte
Nach der Auswertung wurden die Ergebnisse im Stadtteil in verschiedenen Gremien ((u.a. Runder Tisch Jugendarbeit, Stadtteilkonferenz)) diskutiert und vorgestellt. Zwischen der Bewohnerorganisation und dem GWA-Büro wurde eine Vereinbarung geschlossen, die eine weitere Kooperation im Kinder- und Jugendbereich festschrieb. Der Verein erklärte seine Bereitschaft Kinder- und Jugendengagement und entstehende Beteiligungsstrukturen mittragen zu wollen. Wichtige Themen, die im Rahmen der Bedarfsanalyse von den Kindern und Jugendlichen geäußert worden waren, waren z.B.:
- die Verbesserung/Umgestaltung von Spielplätzen;
- mehr und am Bedarf orientierte Freizeitangebote:
- bessere Öffnungszeiten in der Jugendfreizeiteinrichtung,
- mehr Veranstaltungen,
- Discos / Feste,
- regelmäßige Offene-Treff-Angebote,
- Fahrten/Ausflüge,
- Lösung von Straßenverkehrsproblemen,
- Schaffung von Treffräumen,
- bessere Busanbindung,
- Geldautomat im Ort,
- Lebensmittelgeschäft / Eisdiele,
- Internetcafe,
- Bolz– u. Basketballplätze,
- Inlinerbahn.
Von zentraler Bedeutung war die Vorstellung und Beratung der Auswertungsergebnisse mit den beteiligten Kinder und Jugendlichen. Diese fand im Rahmen eines Gesamt- und mehrerer Einzelgruppentreffen statt. Die Kinder und Jugendlichen beschlossen, sich weiter zu engagieren. Die Bildung konkreter Gruppen, die sich z.T. bereits aus den Offenen Treffs ergeben hatten, wurde vereinbart und Themen festgelegt mit denen sich die einzelnen Gruppen beschäftigen wollten. Bei der Aufteilung der Gruppen ergaben sich z.T. alters- und geschlechtsspezifische Differenzierungen. So wurde u.a. eine Gruppe gebildet, die überwiegend aus 7- 10 jährigen Kindern bestand und sich für die Verbesserung der Spielplatzsituation einsetzen wollte. Eine andere Gruppe, in der hauptsächlich Mädchen im Alter von 11 – 14 Jahre mitarbeiteten, interessierte sich zunächst vorrangig für die Lösung eines im Ort bestehenden Verkehrsproblems. Die Kinder und Jugendlichen gaben sich mit „KA" - für Kinder aktiv - einen eigenen Namen. Gruppen bei KA, die zunächst recht lose nebeneinander her agierten, waren zunächst:
- zwei Treff-Angebote, die für alle Kinder und Jugendlichen aus dem Ort offen waren;
- eine Spielplatzgruppe;
- eine Sport-/Fußballgruppe, die im Stadtteil verschiedene Sportangebote organisierte;
- ein Spielangebot für Kinder;
- ein so genannter Donnerstagstreff, der sich vorrangig mit dem Thema Verkehr beschäftigte, daneben aber auch Angebote organisierte (wie Discos) und sich zunehmend intensiver mit der weiteren Organisation des Kinder- und Jugendengagements beschäftigte;
- eine Tanzgruppe für Mädchen, die von einer Jugendlichen trainiert wurde;
- eine Zeitungsgruppe, in der Jugendliche mit dem Ziel zusammen kamen, öffentlich über das gemeinsame Engagement berichten zu wollen.
Des Weiteren wurde beschlossen, dass die Gruppen und Angebote im Rahmen ihrer Möglichkeiten von den Kindern und Jugendlichen selbst verantwortet werden und regelmäßige Gesamttreffen stattfinden, bei denen dann die jeweiligen Aktivitäten vorgestellt und beraten werden sollten.
Im Vordergrund für die Fortführung der gemeinwesenorientierten Kinder und Jugendarbeit standen als Grundprinzipien vor allem, dass:
- die Kinder und Jugendlichen selbst die handelnden Akteure sein sollten und begleitende Erwachsene lediglich beratende unterstützende, aber keine wegweisende Funktion haben sollten;
- das Engagement der Kinder und Jugendlichen Schritt für Schritt zum Wachsen von Strukturen beitragen und Angebote im direkten Zusammenhang zu Beteiligung stehen sollten.
Im Rahmen von „KA" kamen innerhalb der Gruppen in den Folgemonaten zahlreiche Kinder und Jugendliche aus unterschiedlichen Milieus und Kulturen zusammen. Auch wenn sich hieraus immer wieder Konflikte ergaben und nicht alle beteiligten Kinder und Jugendlichen in gleicher Weise aktiv mitarbeiteten, entstanden wichtige Kontakte und auch Verständnis füreinander, das es ohne die Zusammenarbeit und die Treffen nicht gegeben hätte.
Zu öffentlichkeitswirksamem Engagement kam es in der Folgezeit vor allem innerhalb der „Spielplatzgruppe" und dem „Donnerstagstreff". Die Spielplatzgruppe legte nach einer umfangreich durchgeführten Bewertung der im Ort vorhandenen Spielplätze fest, dass sie sich zunächst für die Verbesserung eines Spielplatzes einsetzen wollte. Nachdem die Kinder sich Gedanken über den konkreten Bedarf gemacht hatten, kam es zu ersten Treffen mit Stadtteilvertretern, erwachsenen Unterstützern und Mitarbeitern der Stadtverwaltung. Gemeinsam wurde ein Plan für die Neugestaltung des Spielplatzes entworfen und vereinbart. Aufgrund der schwierigen finanziellen Situation der Kommune gab es jedoch Bedenken, ob die Stadt die notwendigen finanziellen Mittel aufbringen würde. Gemeinsam mit den Kindern wurde deshalb eine Strategie erarbeitet, die darauf abzielte, die Stadt zum Handeln zu veranlassen. Neben der Einbeziehung von Kindern aus anderen Vereinen, einer Veröffentlichung der Aktivitäten in der Lokalpresse führten die Kinder - unterstützt durch Erwachsene - eine Sammlung durch, deren Erlös dem Dürener Bürgermeister bei einem öffentlichen Termin übergeben wurde und bei dem die Kinder ihre Erwartungen formulierten. Wichtiges Ergebnis war, dass die Stadt darauf hin die Umsetzung der erarbeiteten Spielplatzplanung nicht nur zusagte, sondern in der Folgezeit auch vornahm.
Zu ähnlich umfangreichen Aktivitäten kam es innerhalb des Donnerstagtreff, mit dem sich Kinder und Jugendlichen für die Behebung einer problematischen Verkehrssituation in einer Straße im Ort einsetzten. Auch hier gab es öffentlichkeitswirksames Engagement und verschiedene Aktionen (Verkehrszählungen, Geschwindigkeitsmessungen, Einzelveranstaltungen, Straßenaktionen) der Kinder und Jugendlichen, die im Ergebnis - auch aufgrund unterstützender Forderungen von Erwachsenen - dazu führte, dass die Straße für den LKW-Verkehr gesperrt wurde.
Parallel zu den Einzelaktivitäten und der Herausbildung von Strukturen innerhalb der einzelnen Gruppen (z.B. Übernahme von Moderations- und Gesprächsführungsaufgaben, Aufgabenverteilung, gemeinsame Festlegung von Tagesordnungen usw.) wurde bei den Gesamt- und Gruppentreffen und auch im Rahmen von Übernachtungsfahrten an der Weiterentwicklung der Organisationsstrukturen gearbeitet. Ein wichtiges Thema, welches im Hintergrund des methodischen Vorgehens stand, war die Frage, was zur Stärkung von Engagement beitragen könne und wie Kinder und Jugendliche ihre Interessen und Forderungen noch erfolgreicher umsetzen könnten. Die gemeinsam erarbeiteten Ideen und Vorstellungen der Kinder – und Jugendlichen liefen hierbei vor allem hinaus auf:
- den Aufbau einer eigenständigen Kinder- und Jugendorganisation, die vor allem ein stärkeres Gemeinschafts- und Zugehörigkeitsgefühl vermitteln und die die öffentliche Wahrnehmung des Engagements weiter stärken sollte,
- die Verbreiterung von Kooperation mit anderen Erwachsenen und Organisationen im Ort als Bündnispartner für die Interessen von Kindern und Jugendlichen.
Kinder und Jugendliche gründen Jugendorganisation
Nachdem diese Ziele formuliert worden waren, erarbeitet eine Gruppe von Jugendlichen mit Unterstützung des GWA-Büros Strukturen und ein Regelwerk für eine Jugendorganisation. Wegen der bereits bestehenden Kontakte kam es mit der Bewohnerinitiative zu Gesprächen darüber, ob und wie die weitere Zusammenarbeit zu gestalten wäre. Daneben überlegten die Kinder und Jugendlichen sich einen neuen Namen, in dem sich sowohl die beteiligten Kinder als auch die Jugendlichen wiederfinden, aber auch das Engagement zum Ausdruck kommen sollte.
Anfang 2005 kam es zur der Gründung der Kinder und Jugendorganisation „Act" – für active children and teens, die als eigenständiger Teil einer neu gebildeten Kinder- und Jugendabteilung der Bewohnerinitiative fungieren sollte. Grundlage für die Kooperationsvereinbarung mit der Bewohnerorganisation war für die Kinder und Jugendlichen, dass ihnen weiterhin ein unabhängiges und selbstbestimmtes Agieren garantiert wurde und Erwachsene, soweit als irgend möglich, keinen Einfluss auf Entscheidungen und Entscheidungsprozesse nehmen würden. Daneben wurde aber auch eine Kooperation und gegenseitige Unterstützung, was die Schaffung und Nutzung von Räumen oder die Bereitstellung / Beschaffung finanzieller Mittel (z.B. öffentliche Förderung, Spenden, Zuschüsse) angeht, vereinbart.
Mit Act haben sich die Kinder und Jugendlichen eine Organisationsform gegeben, die Engagement möglich macht, aber auch Verantwortlichkeiten regelt. Wichtiges Instrumentarium von Act sind hierbei die regelmäßigen Mitgliedertreffen und der sich regelmäßig treffende Act-Sprecherkreis für den alle Gruppen Sprecher/Innen bestimmen. Neben Angeboten und Angebotsgruppen, die von den Jugendlichen - soweit als möglich - selbst verantwortet werden, sind die themenbezogenen Gruppen wichtiger Bestandteil der Organisation. Die geschaffene Beteiligungsstruktur soll es neuen Gruppen und Themen ermöglichen, innerhalb von Act einen Platz zu finden. Die Möglichkeit, dass auch Jugendliche, die nicht Mitglied bei Act sind, mitarbeiten können und eine kostenlose Mitgliedschaft, soll es u.a. Kindern und Jugendlichen aus einkommensschwachen Familien erleichtern, Act zu nutzen, sich zu integrieren und mitzuarbeiten. Die Act-Freizeit-Angebote sind hier zudem von Bedeutung, da sie Interessierten einen unproblematischen Zugang ermöglichen.
Die entwickelten Strukturen boten und bieten Kindern und Jugendlichen, neben gemeinsamem Spaß und sinnvoller Freizeitgestaltung, die Möglichkeit sich einzubringen, Verantwortung zu übernehmen, sich mit anderen auseinanderzusetzen, neue Themen aufzugreifen und sich gemeinsam für Kinder- und Jugendinteressen zu engagieren. Ein Beitrag der GWA besteht aufgrund der altersbedingt höheren Fluktuation darin, dazu beizutragen, dass die Beteiligungsstandards und
-möglichkeiten, die die Kinder- und Jugendorganisation bietet, aufrecht erhalten werden. Dies z.B. indem permanent ein Blick in Richtung auf neue potentielle Akteure und deren Themen gehalten wird.
Die wichtigsten Ergebnisse und Erfolge der aktiven Kinder und Jugendlichen waren, neben der öffentlich wahrgenommenen Entstehung der Jugendorganisation, vor allem:
- die Instandsetzung und Erneuerung von Spielplätzen;
- die eigen-/mitverantwortliche Durchführung von am eigenen Bedarf orientierten Angeboten;
- die Sperrung einer Straße für den LKW-Verkehr;
- der Bau eines Bürger- und Jugendpavillons als neues Gemeinschaftshaus im Stadtteil;
- die Planung eines jährlichen Aktionsprogramms;
- die Planung und Durchführung von Stadtteilfesten;
- die Entstehung und der Ausbau von Kooperationsstrukturen, z.B. durch:
- die Beteiligung und Einbeziehung bei Veranstaltungen der Vereine, Institutionen (z.B. Pfarrfest, Karnevalsumzug);
- die Entwicklung von Kooperationsformen mit der Bewohnerorganisation, die die Eigenständigkeit der Kinder und Jugendlichen sichert;
- die Beteiligung und Mitarbeit in den Kinder- und Jugendparlamenten auf Stadtebene;
- die Einbeziehung und Mitarbeit in bestehende Stadtteilgremien.
Als wesentlicher Erfolg des Engagements ist darüber hinaus zu sehen, dass die Kinder und Jugendlichen eine Erhöhung der Akzeptanz hin zu einer stärkeren Berücksichtigung ihrer Interessen, sowohl auf der Ebene Erwachsener, bestehender Institutionen und Vereine, als auch auf der Ebene von Politik und Verwaltung erreicht haben. Kinder und Jugendliche werden heute bei jugendspezifischen Entscheidungen im Ort selbstverständlicher einbezogen, als dies vor der Entstehung der Jugendorganisation der Fall war.
Als ein besonderes Ergebnis der Kooperation zwischen dem Verein und Act und als wichtigen Erfolg der Arbeit ist die Schaffung von eigenen Treffräumen durch den Neubau eines Bürger- und Jugendpavillon im Ort hervorzuheben.
Zwar war das Thema bereits vor der Entstehung der Jugendorganisation von der Bewohnerinitiative aufgegriffen worden, doch hätte der Verein das Projekt aufgrund von Widerständen ohne das Engagement von Kindern und Jugendlichen kaum erfolgreich umsetzen können. Erst das Erkennen sowohl in der Politik als auch in der Bürgerschaft, dass Kinder und Jugendliche einen Bedarf an Treffräumen anmelden und ihr Interesse am Bau des Gemeinschaftshauses deutlich formulierten, hat dazu geführt, dass das Projekt als kleines Gemeinschaftshaus umgesetzt werden kann. Von besonderer Bedeutung ist, dass das Gebäude von Act nicht nur mitgenutzt, sondern auch mitgestaltet und –verwaltet werden soll. Mit einer Fertigstellung des Gebäudes, das aktuell auch unter handwerklicher Einbeziehung der Jugendlichen errichtet wird, ist Mitte des Jahres 2008 zu rechnen. Zurzeit werden Nutzungszeiten und -optionen ausgehandelt und es wird sich zeigen, ob die Kooperation zwischen aktiven Erwachsenen und der Jugendorganisation auch an dieser Stelle auf Dauer erfolgreich sein wird.
Kinder- und Jugendengagement verändert Bewohnerorganisation
Vor allem wegen des Kinder- und Jugendengagements hat in den letzten Jahren auf Vereinsseite eine stärke Hinwendung zu Kinder- und Jugendthemen stattgefunden. Der Verein hat u.a. mit seinem stärker stadtteilbezogenen Engagement im Kinder- und Jugendbereich, sein Aktionsfeld zwischenzeitlich erfolgreich auf den Stadtteil ausgeweitet. Eine ursprünglich nur rudimentär bestehende Kinder- und Jugendarbeit ist als Kinder- und Jugendabteilung zu einem festen Bestandteil der Vereinsstruktur geworden. Die Abteilung, in der mittlerweile auch Jugendliche von Act intensiv mitarbeiten, führt neben einer Unterstützung von Act-Aktivitäten eigene Angebote durch. Mit Act wurde eine klare Aufgabenteilung in der Gestalt vereinbart, dass Act im Bereich der Angebote für Kinder ab 8 Jahre aktiv ist und sich die Kinder- und Jugendabteilung vor allem im Bereich kleiner Kinder bis 10 Jahre engagiert.
Die Bewohnerorganisation gab sich nahezu zeitgleich mit der Gründung von Act eine neue Struktur und änderte ihren ursprünglichen Namen in „Bewohnerinitiative Mariaweiler e.V.". Die neue Struktur bringt das stärker stadtteil- und kinder- und jugendbezogene Engagement des Vereins zum Ausdruck. Für die einzelnen Themenbereiche wurden separate Abteilungen gebildet, die ein Engagement ganz unterschiedlicher Bürger des Stadtteils ermöglichen. Gerade das Engagement im Kinder- und Jugendbereich hat die Anerkennung und Akzeptanz des Vereins deutlich erhöht und damit wesentlich dazu beigetragen, dass die ursprünglich auf eine gettoisierte Wohnanlage bezogene Organisation sich zu einem Bestandteil der sozialen Stadtteilinfrastruktur entwickeln konnte und weiter entwickelt.
Herausforderung für die Gemeinwesenarbeit
Die gemeinwesenorientierte Kinder- und Jugendarbeit stellte die Gemeinwesenarbeit vor neue Herausforderungen. Zwar haben viele methodisch und konzeptionelle Aspekte, die in der GWA mit Erwachsenen zum Tragen kommen, auch in der Kinder- und Jugendarbeit Anwendung finden können. Davon unabhängig ergaben sich aber auch neue und andere Problemstellungen. So stellt die GWA mit Kindern und Jugendlichen sehr viel stärker als bei Erwachsenen Forderungen an das pädagogische Geschick der Mitarbeiter/Innen. Gefragt ist zudem insbesondere die Fähigkeit, offen und vorbehaltlos auf Jugendliche zugehen zu können. Aufgrund der gemachten Erfahrungen sollten bezüglich einer Bewertung der Qualität gemeinwesenorientierter Kinder- und Jugendarbeit vor allem folgende Fragen im Vordergrund stehen:
- Sind die Bedürfnisse und der Veränderungsbedarf der Kinder und Jugendlichen Ausgangspunkt für die Aktivitäten?
- Sind die Kinder / Jugendlichen die primäre Zielgruppe der Aktivierung und erhalten sie die Möglichkeit selbst aktiv zu werden und sich einzumischen?
- Übernehmen Kinder und Jugendliche als Akteure Verantwortung für Ziele, Vorgehen u. konkrete Aktivitäten?
- Entstehen Strukturen, die von den Kindern und Jugendlichen entwickelt sind, die ihren alters- geschlechtsspezifischen sowie den sozialen und kulturellen Hintergrund berücksichtigen und findet eine Identifikation mit den Strukturen und Abläufen statt?
- Knüpfen Strukturen an Strukturen auf der Ebene Erwachsener an? D.h. gibt es Strukturen, die Kinder- Jugendengagement unterstützen und kommt es zu einer Zusammenarbeit auf gleicher Augenhöhe?
- Kommt es zu einer Beteiligung und einer Kooperation von Kindern und Jugendlichen aus unterschiedlichen sozialen und kulturellen Milieus (Integrativer Ansatz)?
- Kommt es durch das Engagement der Kinder und Jugendlichen zu wirklichen Verbesserungen in ihrem Lebensraum? Gibt es z.B.
- Verbesserungen in der Infrastruktur im Stadtteil, bei den Spielflächen u. -plätzen, mehr Treffmöglichkeiten, mehr Unterstützungs- und Hilfsangebote bei individuellen Problemen und dergleichen;
- mehr und an dem wirklichen Bedarf der Kinder und Jugendlichen orientierte Freizeitangebote, für die die Kinder und Jugendlichen Mitverantwortung übernehmen;
- ein Mehr an Akzeptanz und eine verstärkten Berücksichtigung der Interessen von Kindern und Jugendlichen durch Erwachsene, Organisationen, Verwaltung und Politik?
- Wird bei eingeleiteten Prozessen, Aktivitäten und Zielen berücksichtigt, dass bei Kindern und Jugendlichen im Besonderen darauf geachtet werden muss, dass
- Abläufe leicht nachvollziehbar sein müssen;
- es zu einer zeitnahen Umsetzung von Zielen und Aktivitäten kommt;
- Kinder und Jugendliche erst in die Aufgaben zur demokratischen Gestaltung von Prozessen und Gruppentreffen hineinwachsen;
- bei der Methodik, der Ansprache, der Gestaltung von Gruppentreffen, in der Entwicklung der Ziele und Strukturen alters-, geschlechtsspezifische und herkunftsbezogene Unterschiede berücksichtigt werden, d.h. werden unterschiedliche Fähigkeiten, Interessen sowie der Entwicklungs- und Bildungsstand berücksichtigt?
- Erhalten Kinder und Jugendliche Spielräume, um ihre Fähigkeiten und mögliche Handlungsoptionen auszutesten.
Die GWA mit Kindern und Jugendlichen hat gezeigt, dass die Realisierung und Durchführung von selbst formulierten Angeboten eine wesentliche Rolle spielt, wenn es darum geht, mit Kindern und Jugendlichen Strukturen zu entwickeln und aufzubauen. Trotz des insgesamt sehr erfolgreichen Vorgehens, gab es durchaus auch immer wieder besondere Problemstellungen und auch Rückschläge, z.B.
- im Bereich der dauerhaften Übernahme von Verantwortung;
- bei Einzelnen bezüglich der Kontinuität der Mitarbeit und der Verfolgung von Zielen;
- aufgrund von spontanen Stimmungswechseln bezogen auf festgelegte Ziele und die Stringenz des Handelns - das, was heute noch absolut wichtig ist, kann morgen schon von nebenrangiger Bedeutung sein;
- erschweren auch Gruppenkonflikte, insbesondere zwischen Jugendlichen aus unterschiedlichen Milieus und zwischen Jungen und Mädchen, die gemeinsame konstruktive Zusammenarbeit.
Zudem ist die GWA aufgrund der höheren Fluktuation gefordert darauf zu achten, dass die angegangenen Prozesse möglichst zeitnah zum Abschluss gebracht werden können und neue Jugendliche die Möglichkeit erhalten, sich innerhalb bestehender Strukturen zu integrieren. Auch ist es nicht leicht Kinder und Jugendliche für eine neue Erfahrungswelt zu interessieren, in der sie selbst Akteure sind.
Auf der anderen Seite zeigte sich, dass Kinder und Jugendliche oftmals besondere Ressourcen besitzen (z.B. Spontaneität, Kreativität, geistige Flexibilität, Phantasie). Auch wenn einzelne Faktoren es nicht leicht machen, mit Kindern und Jugendlichen im beschriebenen Feld zu arbeiten, ergeben sich hierdurch immer wieder Erfolgserlebnisse, die eine gemeinwesenorientierte Kinder- und Jugendarbeit zu einem spannenden Arbeitsfeld werden lassen. Alleine schon die Beantwortung, der Frage danach, was möglich und umsetzbar ist, lässt spannende und überraschende Erfahrungen zu.
Gelernt werden kann hier zudem, dass Kinder und Jugendliche aus schwierigen sozialen Situationen nicht – wie dies oftmals öffentlich geschieht - nur unter Aspekten wie Kriminalität und Jugendgewalt gesehen werden sollten. Vielmehr ist festzustellen, dass sich auch zu diesen Jugendlichen bei entsprechend zuwendender Ansprache Zugänge ergeben und auch sie über Ressourcen verfügen, die sie in die Lage versetzen, für das Gemeinwesen konstruktive und sinnvolle Beiträge zu leisten.
Ein wichtiger Faktor für den bisherigen Erfolg der gemeinwesenorientierten Kinder– und Jugendarbeit bestand darin, dass das Engagement der Kinder und Jugendlichen überwiegend positive Resonanz in Politik und Stadtverwaltung fand. Gerade für das Engagement aktiver Kinder und Jugendliche ist es von großer Bedeutung, dass es innerhalb der Kommune ein offenes und zuhörendes Interesse gibt, das im Wesentlichen von Akzeptanz und Anerkennung geprägt ist. Gemeinwesenarbeit ist gefordert, alle Möglichkeiten zu nutzen, die eine entsprechende Anerkennungskultur für Bürger-, aber vor allem auch für Kinder- und Jugendengagement entstehen lassen.